Teresa Völker über die mediale Fixierung auf die AfD, das Erstarken der extremen Rechten und die Fehlerkultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Teresa Völker, bei den Landtagswahlen in Thüringen ist vor wenigen Tagen mit der AfD eine laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei stärkste Kraft geworden. Sie haben sich in einer Studie mit dem Thema »Medien und äußerste Rechte« beschäftigt. Welche Ergebnisse waren für Sie dabei besonders prägnant oder überraschend?
Besonders prägnant fand ich die Beobachtung, dass die AfD in den Medien schon sehr früh Deutungshoheit erlangen konnte. Weit, bevor sie in die Parlamente gewählt wurde.
Ab da galt für Medien, auf jeden Fall über die AfD berichten zu müssen, da sie Teil der parteipolitischen Landschaft wurde.
Richtig. Die Aussage, die AfD habe erst Raum im medialen Diskurs erhalten, als sie in den Parlamenten saß, steht zu meinen Ergebnissen im Widerspruch. Seit Gründung konnte die AfD sehr viel Sichtbarkeit, Resonanz und damit auch Legitimität in den Medien verbuchen. Insbesondere nach kritischen Ereignissen, nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 etwa oder den Terroranschlägen 2015/16, wurden ihre Narrative aufgegriffen. Sie konnte auf diese Weise schnell Deutungsangebote machen – im Kontext kultureller Debatten, etwa zu Migration oder dem Islam, aber auch in Sicherheitsfragen. Diese Positionen wurden von anderen Akteuren dann aufgegriffen. Ein Trend, der sich bis heute fortsetzt.
Sie sagen also, dass die Medien die AfD erst groß gemacht haben?
Das Erstarken der radikalen Rechten hat natürlich viele Faktoren. Dass die Medien dabei aber eine zentrale Rolle gespielt haben, würde ich aus den Ergebnissen so ableiten.
Für uns Journalistinnen und Journalisten gilt nun jedoch, zu schreiben, was ist. Man konnte damals nicht ignorieren, dass sich im vorparlamentarischen Raum eine Kraft auftut, die Wählerpotenzial hat. Über die rechtsextremen Tendenzen der AfD wurde dabei ausgesprochen kritisch berichtet.
Zentral ist aber vor allem die Sichtbarkeit und nicht nur die Art der Berichterstattung. Ob ein Beitrag kritisch ist oder nicht, hat oft wenig Auswirkungen auf das Ergebnis. Wenn eine Partei und ihre politischen Forderungen so viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, profitiert sie davon. Zudem würde ich sagen, dass das Radikalisierungspotenzial der AfD von vielen, auch Medienschaffenden, anfangs unterschätzt wurde. Es wurde zu wenig darüber reflektiert, dass, wenn man Realität abbildet, auch Realität schafft. Dazu zählt das Versäumnis, alternative Ideen in den Diskurs einzubringen – sowohl vonseiten der demokratischen Parteien als auch vonseiten der Medien. Alle arbeiten sich viel zu sehr an der Frage ab: Was hat die AfD gesagt? Das hat auch in dem jetzigen Landtagswahlkampf wieder stattgefunden.
Was würden Sie Medienschaffenden raten?
Weg von der Fixierung auf die AfD. Weg von Zuspitzungen. Es gibt eine Pflicht, über alle gewählten Parteien zu berichten, ja! Aber besteht diese Pflicht durchweg und in jedem Moment? Mir geht es darum: Wie und wann spreche ich über eine Partei? Welchen Kontext gebe ich? Ganz banal auch: Man sollte sich immer fragen, welche Konsequenzen eine Berichterstattung hat.
Beispiel ZDF-Sommerinterviews: Alice Weidel wird als AfD-Parteivorsitzende interviewt, der Faktencheck, der Aussagen von ihr widerlegt, erfolgt erst später auf der Website …
… wo es dann fast keinen mehr interessiert beziehungsweise erreicht. Ergebnis meiner Studie war auch, dass es große institutionelle Zwänge gibt, unter denen Medienschaffende leiden: Zeitdruck, Ressourcenknappheit, Überforderung. Alles muss immer schneller gehen, die Sorgfalt nimmt dadurch Schaden. Hinzu kommen die Risiken für Journalist*innen. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich als objektive Berichterstatter verstehen, also alle politischen Meinungen berücksichtigen, wurden von der AfD als »Feind« markiert. Interviewpartner*innen berichten von Einschüchterungsversuchen und Angriffen.
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von Bedrohungsallianzen. Die einen agitieren verbal, die anderen greifen tätlich an. Derartige Situationen haben sicherlich Folgen.
Ich habe mitunter eine Art vorauseilenden Gehorsam wahrgenommen. Fast jede*r Interviewte sagte: Wir springen nicht mehr über jedes Stöckchen. Wer sich die Berichterstattung auch zu dieser Wahl anschaut, musste aber feststellen: Sie tun es meist doch. Man muss aber die Partei und ihre politischen Forderungen nicht so stark abbilden, um der Kritik vorauszueilen, als einseitig wahrgenommen zu werden.
Gibt es unter Medienschaffenden einen Konsens darüber, in welchen Positionen die AfD als rechtsextrem, sprich: verfassungsfeindlich einzustufen ist? Eine andere Asylpolitik zu fordern, ist zunächst per se nicht verfassungsfeindlich, Gesetze zu fordern, die das Recht auf Asyl nahezu abschaffen, sind es durchaus.
Ich nehme wahr, dass es in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern, bei derartigen Definitionsfragen kein so großes Vertrauen in die Wissenschaft gibt. Richtwerte sind hier eher der Verfassungsschutz und die Gerichte, deren Urteile aber in der Regel erst mit einer gewissen Zeitverzögerung kommen. Dennoch hat die Tatsache, dass die AfD vom Verfassungsschutz in einigen Bundesländern als rechtsextrem eingestuft wurde, vielen Medienschaffenden geholfen, sie als solche auch zu bezeichnen. Das Wording hat sich im Rückblick merklich geändert. Was natürlich aber auch damit zu tun hat, dass sich die Partei verändert und also radikalisiert hat.
Gab es regionale Unterschiede in den Antworten der Medienschaffenden je nach AfD-Wählerpotenzial?
Bei allen war die Wahrnehmung, die AfD als potenziell demokratiegefährdend anzusehen, vorhanden. Die Herausforderungen sind mitunter verschieden, zum Beispiel abhängig von den Ressourcen: Hat man eine Redaktion, ein Medienhaus im Rücken? Eine Rechtsabteilung? Einen Sicherheitsdienst? Erkennbar sind auch Unterschiede zwischen anonymen städtischen Kontexten und ländlichen, wo einen jede*r kennt.
Der Verfassungsblog hat sich im Vorfeld der Wahlen in Thüringen mit der Frage beschäftigt, was passieren würde, wenn die AfD staatliche Gestaltungsmacht erlangte. So macht es die Thüringer Landesverfassung zum Beispiel möglich, den Medienstaatsvertrag mit einer einfachen Unterschrift des Ministerpräsidenten zu kündigen. Der MDR wäre damit als Rundfunkanstalt aufgelöst. Wie reagieren Medienschaffende in Thüringen auf dieses Szenario?
Es führt zu einer gewissen Sorge und Angst, aber ich habe keine Tendenzen eines Rückzugs verzeichnet. Vielmehr wird ein großes Augenmerk darauf gelegt, sich nicht angreifbar zu machen, was, wie gesagt zu den bereits beschriebenen Schwierigkeiten führen könnte, die Berichterstattung über die AfD überzubetonen. Auf jeden Fall ist es aber ein Bedrohungsszenario, wenn auf Wahlplakaten mit der Abschaffung des ÖRR geworben wird. Eine verfahrene Situation: Man will als Medienschaffender objektiv mit allen gewählten Parteien umgehen, wird aber von einer Partei dezidiert als Feindbild markiert.
Die Diskussion um den ÖRR angeheizt haben immer wieder auch Skandalberichte aus den Führungsetagen, wo oftmals üppige Gehälter fließen. Die Debatte hat demnach auch mit Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen zu tun. Zudem fühlen sich viele Menschen trotz aller Perspektivvielfalt des ÖRR von dem Angebot nicht angesprochen und müssen dennoch dafür bezahlen. War Fehlerkultur ein Thema in Ihrer Studie?
Eine Fehlerkultur gibt es auf jeden Fall. Zum Beispiel äußerten einige, dass die Berichterstattung während der Corona-Pandemie zu einseitig war. Dennoch würde ich auch hier sagen: Das Wissen um den Moment, wo Positionen verfassungsfeindlich werden, muss vorhanden sein. Medien haben die Aufgabe, einen Diskurs zu ermöglichen, aber eben im demokratischen Spektrum. Davon abgesehen halten die meisten Medienschaffenden des ÖRR, mit denen ich gesprochen habe, eine ausgewogene Debatte über Inhalte und Gestaltung des ÖRR für absolut legitim. Das Problematische ist, wie der Diskurs vonseiten der AfD und anderen extremistischen Kräften betrieben wird. Stichwort Elite, Lügenpresse etc. Da geht es ja nicht um Inhalte, sondern der ÖRR wird als Ganzes delegitimiert. Die legitime Kritik wird überlagert von einer populistischen.
Die einen wollen das System verbessern, die anderen abschaffen. Was wird aus Ihrer Studie folgen?
Ich möchte nach Auswertung aller Ergebnisse Best-Practice-Beispiele formulieren, um bestenfalls im Hinblick auf die Bundestagswahl Lerneffekte zu initiieren.
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