Es ist aktuell die Aufreger-Nachricht der Stunde: Volkswagen will massiv Stellen abbauen, in der Diskussion ist neben den schon länger drohenden betriebsbedingten Kündigungen sogar die Schließung von mindestens drei Werken. Gründe dafür sind neben dem Vertrauensverlust durch die Abgas-Affäre vor allem die verschlafene Transformation zur E-Mobilität und fehlende Flexibilität. Wenn man sich wirklich um die Arbeitsplätze sorgt, dann wären das die Ansatzpunkte. Doch natürlich sehen Axel-Springer-Presse, Julian Reichelt, aber auch Rechtspopulisten wie Markus Söder die bedrohliche Lage vor allem als Chance, gegen die Grünen zu hetzen.
Der mit Abstand größte deutsche Automobilhersteller Volkswagen kriselt schon länger. Spätestens, seitdem der Konzern Anfang September die Job-Garantie aufkündigte und auch Werkschließungen nicht mehr ausschloss, brennt es nun lichterloh. Dabei ist die Entwicklung schon länger absehbar.
Die Marktanteile in China gingen in den letzten Jahren kontinuierlich zurück, von 19,1 % 2020 auf noch 14,5 % 2023. 2023 musste VW auch die lange stolz behauptete Position als Auto-Marktführer in China an BYD abgeben. Um zu verstehen, warum das ein Problem ist, muss man sich anschauen, wie bedeutend der chinesische Markt für Volkswagen ist. Laut Geschäftsbericht 2023 hat Volkswagen insgesamt 9,24 Millionen Fahrzeuge ausgeliefert – davon 3,2 Millionen allein in China. Das sind mehr als in ganz Westeuropa. Zum Vergleich: In Deutschland lieferte Volkswagen 2023 1,14 Millionen Fahrzeuge aus.
Was ist also los im chinesischen Markt? Abgesehen vom Einbruch der VW-Zahlen ist dort in den letzten Jahren eine andere Entwicklung auffällig. Wie Handelsblatt berichtete, waren in China 2020 noch 94 % der neu zugelassenen Autos mit konventionellen Kraftstoffen betrieben. Im ersten Halbjahr 2024 lag dieser Anteil bei nur noch 59 %. Konkret heißt das demnach: Der Absatz von Verbrennern in China sank im ersten Halbjahr 2024 um 775.000 Stück, während der Absatz von elektrischen oder teilelektrischen Fahrzeugen um 1,1 Millionen Einheiten zulegte.
Dass VW die E-Transformation verschlafen könnte und das zu enormen Verlusten von Marktanteilen führen wird, ist keine neue Erkenntnis. 2019 warnte bereits (und jetzt müssen einige Leute stark sein) Robert Habeck (Grüne) vor genau dem Szenario, das wir jetzt live beobachten können. Der jetzige Wirtschaftsminister kritisierte, dass VW seine Flotte zu langsam auf Elektroantrieb umstelle. VW hielt an der Strategie fest, zunächst die Autos der höheren Preisklasse zu elektrifizieren. Habeck warnte damals:
“Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern.”
Damals wurden Habeck und andere für diese Aussagen belächelt. Heute stehen Zehntausende Stellen auf dem Spiel. Auch die Expertin Helena Wisbert, Direktorin des Center Automotive Research in Duisburg, erklärte gegenüber der Tagesschau, dass die zentralen Märkte nunmal die asiatischen seien – und dafür brauche es E-Autos. Demnach sei auch die Debatte über eine Umkehr des Verbrenner-Aus unangebracht. Und sogar der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher betont:
Die Entscheidung gegen den Verbrennungsmotor und für die Batterietechnik ist seit langem gefallen und wurde und wird nicht in Deutschland getroffen, sondern weltweit und insbesondere in den großen Märkten, wie China und den USA.
Aber Moment: VW verliert Marktanteile und Zukunftsperspektiven in China, weil sie die E-Transformation verschlafen haben und plötzlich taucht in der Debatte wieder der Verbrenner auf – was ist denn da los?
Deutscher Grünen- und Moderne-Hass ist da los.
Denn all die Fakten, die wir euch in den Abschnitten weiter oben aufgezeigt haben, würdet ihr so niemals erfahren, wenn ihr eure Informationen über Julian Reichelt, die Springer-Presse oder rechtspopulistische Politiker wie Markus Söder bezieht. Okay, Julian Reichelt glaubt aus irgendeinem Grund, dass Motoren (!) verboten würden. Vielleicht sollten wir uns fairerweise auf diejenigen beschränken, mit denen Kurt Krömer noch nie über ihren mutmaßlichen Kokain-Konsum geredet hat.
Aber auch andere versuchen gerade verzweifelt, einen Zusammenhang zwischen dem VW-Crash und dem sogenannten “Verbrenner-Aus” in der EU 2035 herzustellen. Zur Erinnerung: Es gibt kein eigentliches Verbrenner-Verbot, auch nicht ab 2035. Wer einen Verbrenner hat, darf den fahren so viel und so lange er/sie kann und will. Ab 2035 dürfen aber nur noch solche Autos zugelassen werden, die CO₂-neutral sind. Das ist nicht dasselbe wie E-Auto, denn auch Verbrennermotoren können theoretisch mit sogenannten eFuels CO₂-neutral betrieben werden. (Anmerkung: Das Heilsversprechen eFuels ist mindestens mal höchst fraglich). Wir berichteten, wie sehr die Debatte damals schon verzerrt wurde.
Ulf Poschardt, Chef von WeltN24 (Axel-Springer-Verlag), bedient auch brav und völlig vorhersehbar den immer gleichen pseudo-ironischen Take des “grünen Wirtschaftswunders”. Aber das meint der Pfarrerssohn, der immer dann sein Herz für die Arbeiterschaft entdeckt, wenn er gegen die Grünen hetzen kann, eben nicht ernst, sondern genau im Gegenteil, dass die Grünen die Wirtschaft zerstören. Wie unendlich geistreich!
Besonders naiv wirkt angesichts der Faktenlage das Auftreten von Markus Söder (CSU). Auch wenn offensichtlich ist, dass VW vor allem bei der E-Transformation versagt hat, bedient er das Narrativ des angeblichen Verbrenner-Verbots, das VW so geschadet habe und fordert die Aufhebung. Wie VW mit dieser Maßnahme Marktanteile in China zurückgewinnen soll, verrät Söder leider nicht.
Dafür hat er, um große Worte nicht verlegen, gleich mal einen “Auto-Marshallplan für Deutschland” ausgerufen. Dass er damit implizit die Grünen mit den Nazis gleichsetzt, sei mal ganz bei Seite gelassen: Der Plan wird Volkswagen nicht marktfähiger machen. Im Prinzip fordert Söder einfach, dass der Staat einfach alle Antriebsformen massiv subventionieren soll. Ironischerweise ist er damit näher an Planwirtschaft dran, als sämtliche Forderungen linker und grüner Parteien es je sein werden.
Generell ist es verblüffend, wie nun gerade die konservativen Kräfte, die auf Biegen und Brechen die Antriebswende zum Elektroauto blockiert haben, geradezu hyperaktiv dabei sind, den Menschen zu erklären, dass es auf jeden Fall die andern (und vor allem die Grünen!!) seien, die die Schuld am Niedergang von Volkswagen hätten. Dieses Märchen ist wirklich sehr einfach zu durchschauen. Selbst wenn man den zahlreichen Expert:innen nicht zuhören möchte, die ausführlich erklären, wie bedeutend der chinesische Markt und damit die E-Mobilität ist, kann man das einfach selbst erkennen. Schaut euch doch zum Beispiel mal den Verlauf der Volkswagen-Aktie an, rot eingezeichnet der Zeitpunkt der Abstimmung (!) über das Verbrenner-Verbot (Februar 2023):
Zu dem Zeitpunkt war die Aktie schon seit fast 2 Jahren im Sinkflug. Das Märchen vom super laufenden Volkswagen-Konzern, dem die böse grüne EU-Politik die Beine gebrochen habe, ist einfach nicht haltbar.
Tatsächlich geht es Söder, Reichelt und Konsorten auch nicht wirklich um die zehntausenden Arbeitsplätze. Klar, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Scheitern der Autoindustrie in Deutschland enorme soziale und gesellschaftliche Konsequenzen hätte. Doch für die konservative Axel-Springer-Presse, Söder und Reichelt geht es nicht um Arbeitsplätze. Sie interessieren sich nicht ernsthaft für Sozialpolitik. Stattdessen bedienen sie die immer gleiche Story, die sie melken, bis auch das letzte Abonnement herausgequetscht ist und die letzte progressive Stimme im Parlament gecancelt wurde: Die Grünen sind schuld an einfach allem!
Natürlich ist es immer ein wenig verdächtig, wenn sich die einflussreichsten Männer des größten Verlagshauses und ein konservativer Ministerpräsident auf einmal ganz brennend für die Belange von Arbeiter:innen interessieren. Mittlerweile ist die Heuchelei aber wirklich so durchschaubar, da sich auch ihre Ideen reduziert haben auf “Die Grünen sind böse”. Besonders zynisch: Hätte man mal 2019 schon auf Robert Habeck (oder gern auch die anderen kritischen Expert:innen-Stimmen) gehört und schleunigst alle Signale auf E-Mobilität gestellt, dann würden jetzt nicht Zehntausende Jobs verloren gehen.
Doch wir haben nicht nur eine Klima- und Volkswagen-Krise, sondern mittlerweile auch eine Medienkrise. Die Stimmen von Expert:innen werden kaum noch gehört, die “Flooding the Zone with Shit”-Strategie der Axel-Springer-Presse und anderer rechter Medien geht voll auf. Der jüngste Coup der privaten Medien ist die Forderung nach Kürzungen bei den Öffentlich-Rechtlichen – nicht etwa bei den Tausenden Serien und Krimis oder den Gehältern der Chefetagen, sondern gerade bei wertvollen Bildungs- und Informationsformate.
Immerhin wehrt sich die Zivilgesellschaft in Form von Petitionen dagegen. Doch damit wir in Zukunft nicht mehr solche hanebüchenen Diskussionen führen müssen wie, ob ein Verbot von CO₂-Ausstoß bei Autos in der EU ab 2035 dafür verantwortlich ist, dass Volkswagen seit 2020 Marktanteile im boomenden Elektromarkt China verliert, müssen wir Springer, Söder & Co. aktiv widersprechen.
Sie “fluten die Zone mit Scheiße” – warum fluten wir nicht zurück? Teilt diesen Artikel unter allen rechten Bullshit-Takes zum Thema Volkswagen, verbreitet ihn in eurem Freundeskreis und eurer Familie. Nur mit Fakten kann unsere Demokratie auch wehrhaft bleiben.
Artikelbild: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (Söder), Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (VW).