In der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) wird seit einiger Zeit mit einer Vielzahl von Artikeln auf das scheinbar Unausweichliche hingewiesen: Heidelberg muss sparen!
Ein Haushaltsloch von mindestens 90 Millionen Euro – vielleicht sogar mehrere hundert Millionen – wird als „Herkulesaufgabe“ des neuen Gemeinderates angekündigt.
Bürgermeister Eckart Würzner, der seit 18 Jahren als Oberbürgermeister den Gemeinderat anführt, schwört die RNZ-Leser:innen schon jetzt auf einen strengen Sparkurs ein: Die Stadt werde nun „ihre Angebote und Standards kritisch hinterfragen“ müssen. Sein Kollege Wolfgang Polivka, der als Stadtkämmerer für die Erstellung der Haushaltspläne zuständig ist, stimmt ihm zu: „Es darf keine Tabus geben“, wenn nun geschaut wird, wo Gelder gestrichen werden können. Dass es beim staatlichen Sparen ein bekanntes Muster gibt, dürfte vielen bereits klar sein. Aber zuerst zur offensichtlichen Frage: Wieso äußern wir uns als antifaschistsche Gruppe dazu?
Wir sind der Überzeugung: Die Wurzel von rechtem Gedankengut liegt nicht in erster Linie in individuellem Fehlverhalten, sondern in einem System, das uns in Konkurrenz zueinander setzt, das uns dafür spaltet, einteilt, aussortiert. Faschist:innen hätten in einer Welt, in der wir bedürfnisorientiert mit- und füreinander arbeiten und leben, keinen Anknüpfungspunkt für ihre Propaganda. Die Notwendigkeit von Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Diskriminierung im Kapitalismus sorgt dafür, dass wir sie innerhalb dieses Systems nie besiegen werden.
Nach dieser Analyse müssen wir feststellen: Eine antifaschistische Bewegung, die ausschließlich moralisch handelt und kein tieferes Verständnis für die Funktionsweisen von Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse entwickelt, wird die Rechten langfristig nicht aufhalten. Ohne die Ursachen zu erkennen und zu bekämpfen, wird Antifaschismus zum Selbstzweck – das kann nicht unser Ziel sein!
Wenn wir also über die Sparpolitik der Stadt schreiben, tun wir das in dem Wissen, dass diese drastische Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben wird – Sparpolitik im modernen Kapitalismus bedeutet nämlich nie, dass die Reichsten zur Kasse gebeten werden, stattdessen wird die Arbeiter:innenklasse die Folgen zuerst spüren. Wir sollen jetzt den Gürtel noch enger schnallen, damit für den Rest möglichst alles bleiben kann, wie es ist – Krise heißt nicht Krise für alle, wie wir am Zuwachs der Milliardär:innen in den letzten Jahren sehen können.
Dass der Sparkurs bei Menschen mit sehr niedrigem Einkommen ansetzen wird, sieht man an den Vorschlägen, die Wolfgang Polivka einbringt: Die Vergünstigungen, die Inhaber:innen des Heidelberg-Passes erhalten, sollen „diskutiert werden“. Das betrifft Leistungen, die die gesellschaftliche Teilhabe erleichtern sollen, wie beispielsweise vergünstigte ÖPNV-Tickets oder kostenloses Mittagessen für Schulkinder.
In einem Kommentar zu einem der aktuellen RNZ-Artikel wird gefordert, dass die Stadt sich angesichts der Schieflage nun auf ihre Kernaufgaben konzentrieren soll, statt beispielsweise Gelder für Kulturveranstaltungen bereitzustellen.Das ist nicht nur eine weitverbreitete Meinung, sondern gibt der AfD und anderen Rechten einen Steilpass:
Stadtrat Timethy Bartesch fordert schon lange, dass die finanziellen Mittel für kulturelle, antirassistische, feministische, oder andere aus seiner Sicht irgendwie linken Projekte gestrichen werden. Das kann nicht überraschen, da es oft auch genau diejenigen Projekte sind, die rechter Politik widersprechen und entgegenwirken.
Natürlich will die AfD an einer Stelle drastischer sparen als an alle anderen: an der Versorgung von Geflüchteten. Investieren will sie dagegen, wenn es darum geht, das Ankunftszentrum im Patrick-Henry-Village zu einem „Remigrationszentrum“ umzufunktionieren.
Wenn wir die offen rassistische Rhetorik der AfD anprangern, dürfen wir dabei nicht vergessen, dass die restliche politische Landschaft nach ähnlichen Mustern handelt, wenn es darum geht, die Last auf diejenigen abzuwälzen, die sowieso schon arm dran sind.
Weil Linke kein Gehör finden, gelingt es rechten, reaktionären und liberalen Kräften, den Blick nach unten und zur Seite zu lenken. Statt den Reichen an den Geldbeutel zu gehen, sollen Sozialhilfeempfänger:innen, „Totalverweigerer“ und Geflüchtete dem Staat nicht weiter auf der Tasche liegen dürfen.
Die Heidelberger Stadtverwaltung wird nun tun, was sie tun muss, um auch in Zukunft den Gesetzen der Marktwirtschaft entsprechend wirtschaften zu können.
Für die meisten Heidelberger:innen könnte das langfristig heißen: höhere Ticketpreise für Schwimmbad und Straßenbahn, marode Schulen, Einschränkung städtischer Freizeitangebote, unsichere Finanzierung von Frauenhäusern, keine Förderung unkommerzieller Kulturveranstaltungen, und vieles mehr. Währenddessen bleiben Miet- und Lebensmittelpreise auf einem Rekordhoch.
All das zeigt, dass wir in einem System leben, das überhaupt nicht darauf ausgerichtet ist, die Bedürfnisse der großen Mehrheit zu erfüllen. Stattdessen sollen in erster Linie die Profite und Reichtümer einer kleinen Minderheit um jeden Preis geschützt werden.
Aus diesen Umständen schafft es die AfD besonders gut, politischen Profit zu schlagen und bringt die Leute dazu, weiter nach unten zu treten.
Der Kampf gegen Faschismus wird ohne die Beseitigung dieser Umstände nicht zu gewinnen sein.
Dieser Beitrag schließt an eine Diskussion im letzten offenen Antifa-Treffen an: In der Diskussion um die Ursachen für den europaweiten Rechtsruck wird wieder viel über Sparpolitik (auch „Austerität“ genannt) geredet. Wir wollen mit diesem Beitrag beschreiben, wieso das Thema aus antifaschistischer Perspektive relevant ist und wie vom angekündigten Sparkurs in Heidelberg wahrscheinlich rechte Strukturen am stärksten profitieren werden – auch wenn das sicher kein Naturgesetz ist!