Nein. Forsa hat für die „Neue Osnabrücker Zeitung“ und vielleicht ein Querdenker-Desinformations-Portal eine Umfrage zur subjektiven Wahrnehmung von Impf-Nebenwirkungen durchgeführt und auch Parteipräferenzen abgefragt. Die Ergebnisse sind ziemlich nutzlos und können beliebig missbraucht werden, wie wir es hier ironisch selbst getan haben.
Laut Watson et al. (2022) leben weltweit 20 Millionen Menschen mehr allein nach dem ersten Jahr der Impfung. Eine Studie der WHO schätzt, dass die Impfung bis März 2023 1,4 Millionen Menschen in Europa gerettet hat. Wer geimpft ist, hat ein viel geringeres (allgemeines) Todesrisiko (Al-Aly et al. 2022) als Ungeimpfte – teilweise um den Faktor 10 weniger (Raisi-Estabragh et al. 2022) – sogar noch ein Jahr nach Infektion (Ortega-Paz 2022 et al.). Eine große Meta-Studie von Cochrane (Graña et al. 2022) zeigte: Geimpfte haben ein viel geringeres Risiko gehabt, ins Krankenhaus zu müssen oder zu sterben. Und diese Meta-Studie besagt auch wörtlich: „Wahrscheinlich gibt es bei den meisten Impfstoffen keinen oder nur einen geringen Unterschied zu Placebo in Bezug auf schwerwiegende unerwünschte Ereignisse.“ Es ist wissenschaftlicher Konsens: Die Corona-Impfungen sind und waren sicher und wirksam.
Ali et al., 2021; Al Kaabi et al., 2021; Arbel et al. 2023; Asano et al., 2022; Bobrovitz et al. 2023; Bonelli et al., 2021; Bueno et al., 2021; Clemens et al., 2021, Dunkle et al., 2021; Ella et al., 2021a; Ella et al., 2021b; El Sahly et al., 2021; Fadlyana et al., 2021; Falsey et al., 2021; Formica et al., Föhse et al. 2023; 2021; Frenck et al., 2021; Guo et al., 2021; Hall et al., 2021; Hall et al. 2022; Han et al., 2021; Heath et al., 2021; Keech et al.2020. Kremsner et al., 2021; Kulkarni et al., 2021.
Joshi et al. 2023; Li 20 et al.,21a; Liu et al., 2021; Logunov et al., 2021; Mok et al., 2021; Madhi et al., 2021a, Madhi et al., 2021b, Palacios et al., 2020; Sablerolles et al., 2021; Sadoff et al., 2021a; Sadoff et al., 2021b; Shinde et al., 2021; Tanriover et al., 2021; Thomas et al., 2021; Toledo‐Romani et al., 2021; Voysey et al., 2021a, Walsh et al., 2020; Wu et al.; Yong et al. 2022; 2021a; Xia et al., 2020; Xia et al., 2021; Zhang et al., 2021.
Es gibt einen wissenschaftlich robusten Zusammenhang zwischen Impfquote und Übersterblichkeit – je mehr Impfungen, desto weniger Übersterblichkeit (Schöley et al. 2022; Matveevaa et al. 2023). Das gilt für die USA. Das gilt auch für Deutschland.
Bei alledem muss man bedenken: Gerade in Gebieten mit niedrigerer Impfquote wird ein geringerer Anteil der vielen Covid-Todesfälle auch erfasst (Sobieszek et al. 2022). Das heißt, dass Studien, die auf offiziellen Todeszahlen aufbauen, den positiven Effekt der Impfung sogar deutlich unterschätzen.
2022 sind 52.000 Menschen an Covid gestorben. In Deutschland wurden bis Anfang 2024 65 Millionen Menschen gegen Corona geimpft und Impfungen haben demnach Hunderttausende Leben gerettet. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bis zum ersten Quartal 2023 nur 127 Todesfälle im Zusammenhang mit der COVID-19-Impfung anerkannt. 11.827 Menschen beantragten einen Antrag auf Anerkennung eines Schadens durch die Corona-Impfung, davon wurden bisher gerade einmal 467 bis 2024 anerkannt.
Den Fakten gegenüber stellt jetzt die “Neue Osnabrücker Zeitung” eine subjektive Umfrage zu angeblichen „Nebenwirkungen“. Sie hängt den Artikel auf, mit angeblichen Nebenwirkungen bei jeder sechsten Person.
Was genau denn eine „Nebenwirkung“ sein soll, ist völlig unklar und liegt völlig im subjektiven Ermessen der Befragten. Das Blatt zitiert, die Fragestellung sei gewesen: Ob sie die Corona-Impfungen „alles in allem gut vertragen“ hätten. Das haben 17 Prozent verneint. Wie schon die Kollegen bei Übermedien, die das Thema zuerst aufgriffen, treffend schrieben: „Was heißt denn ‘gut vertragen’?“
Wer weiß, dass leichte Schmerzen an der Einstichstelle oder ein paar Tage grippeähnliche Symptome völlig normal sind, mag das als “gut vertragen” bezeichnen, manche mögen aus Wehleidigkeit oder aus politischer Motivation verneinen. Die Mehrheit derjenigen, die sagte, sie hätten es nicht “gut vertragen”, waren aber auch nicht beim Arzt (15 der 25 Prozent), also was bedeutet das? Wie wären die Ergebnisse gewesen, wenn man gefragt hätte, wie gut jemand eine Corona-Infektion “vertragen” hätte oder dergleichen?
In einem späteren Artikel spitzte die NOZ sogar noch weiter zu und sprach willkürlich von „nennenswerten Nebenwirkungen“, was auch immer das jetzt heißen soll. Der erste NOZ-Artikel ist schon kritisierenswert, da er zwar technisch gesehen nicht falsch ist, aber in den falschen Kreisen eine fast wertlose Umfrage für die Bestätigung falscher Vorurteile genutzt wird. Das Querdenker-Magazin „Multipolar“ – die mit den Fake News zu den „RKI-Files“ – spitzt diese Umfrage sogar noch weiter zu Desinformation zu und titelt gar „19 Prozent hatten Impfnebenwirkung“. Sie kommen statt auf 17 auf 19 Prozent, weil sie die ungeimpften Befragten herausgerechnet haben und sie machen aus dem subjektiven Empfinden der Leute gleich eine Tatsache.
Klar, dort wird systematisch alles so (fehl-)interpretiert und überspitzt, was in die Impfgegner-Agenda gehört, nichts Neues. Wie Übermedien recherchierte, ist aber auch interessant, wie die Querdenker an die Daten der Umfrage kamen:
„Zunächst meldeten NOZ und ‚Multipolar‘, die Umfrage gemeinsam beauftragt zu haben. Noch am Veröffentlichungstag musste „Multipolar“ diese Darstellung schließlich ändern, wie der Autor in einem Korrekturhinweis transparent macht. Womöglich war Forsa eine Verbindung zu dem von vielen als eher halbseiden eingestuften Magazin nicht genehm, jedenfalls legten Anwälte des Umfrage-Instituts nach Angaben von ‚Multipolar‘ Wert darauf, die NOZ als alleinigen Auftraggeber zu benennen.“
Auf der einen Seite wird es verwirrender, weil auch die Partei-Präferenzen in der Umfrage erfragt wurden, die zu manipulativen Interpretationen einladen, wie wir sie im Aufhänger selbst satirisch gemacht haben. Auf der anderen Seite bieten sie auch Erklärungen für die Gründe der Angabe von „Nebenwirkungen“ in der Umfrage.
Screenshot noz.de
An Interpretationsversuchen macht sich natürlich das Impfgegner-Magazin:
„Bei der Frage der Impfungen gibt es je nach Parteianhängerschaft erhebliche Unterschiede. So ist nur 1 Prozent der SPD-Anhänger ungeimpft, 3 Prozent der Grünen- und 5 Prozent der CDU/CSU-Anhänger, jedoch 13 Prozent der BSW-Sympathisanten und sogar 35 Prozent der AfD-Anhänger. Letztere beiden Gruppen berichten auch in massiv stärkerer Zahl von Impfnebenwirkungen. Das könnte entweder so interpretiert werden, dass sie aufgrund ihrer Skepsis gegenüber den mRNA-Präparaten unkritischer gegenüber anderen möglichen Ursachen sind und schneller andere Krankheiten als Impfnebenwirkung einordnen – oder es könnte bedeuten, dass sie Nebenwirkungen tatsächlich aufmerksamer zuordnen.“
Was denn eigentlich „Nebenwirkungen” sein sollen, verrät uns auch das Magazin auch hier nicht, aber sie scheinen in der Art, wie dieser Text geschrieben ist, dabei sofort an „Impfschäden” zu denken und es ist wohl auch Absicht, diese Begriffe auch zu vermischen für die politische Agenda. Eine weitere Interpretation schlägt auch Übermedien vor: Leute könnten eher die AfD bevorzugen, wenn sie der Meinung sind, sie hätten die Impfung schlecht vertragen – ein Henne-Ei-Problem. Hey, die Befragten hätten sogar einfach lügen können, weil sie aus politischer Überzeugung die Impfung zum Beispiel schlecht darstellen wollten.
Die Querdenker stellen zwar diese Spekulationen auf, aber dass ihre Überschrift dadurch nicht massiv selbst infrage stellen, kommt ihnen anscheinend nicht in den Sinn. Sie wissen also, dass nicht „19 Prozent“ der Leute Nebenwirkungen ‚hatten‘, titelten das aber trotzdem. Man könnte sogar titeln, dass die meisten AfD-Sympathisanten nach eigenen Angaben die Impfung gut vertragen hat – und was für dann das bitte bedeuten? Genau wie man übrigens auch titeln könnte, dass 81 % der Deutschen laut dieser Umfrage keinerlei Nebenwirkungen hatte. Warum nicht also „Große Mehrheit der Deutschen hatte keine Nebenwirkungen“?
Solche Umfragen sind ohnehin äußerst problematisch, nicht nur, weil sie eine willkürliche und damit komplett subjektive Wahrnehmung zu vermeintlichen Tatsachen abfragen, aber auch, weil man derartige Daten auch interpretieren und framen kann, wie man will, je nach politischen Zwecken. Vor allem, wenn handfeste, echte Zahlen gar nicht erwähnt werden. Offensichtlich wird das in Impfgegner-Kreisen weiter deren irrationale Ängste verstärken.
Die Impfung war gut und sicher, der bisherige Stand der Wissenschaft spricht eindeutig dafür, und selbst diese Umfrage zeigt das tatsächlich auch, auch wenn sie selbst ziemlich nichtssagend ist. Sogar die Mehrheit (60 %) der AfD-Sympathisanten beklagt demnach nicht mal Nebenwirkungen, aber Leute, die bestimmte Dinge wahrhaben wollen, werden das so framen und verdrehen, damit sie weiter daran glauben können. Helfen tun derartige Umfragen sicherlich nicht.
Artikelbild: Screenshot noz.de/canva.com