Sahra Wagenknecht bei Miosga (ARD), Tino Chrupalla bei Lanz (ZDF), Beatrix von Storch bei „Hart, aber fair“ (ARD). Kaum eine Woche vergeht, ohne dass jene, die die Axt an unsere offene Gesellschaft und ihre rechtsstaatlichen Prinzipien legen, ordentlich Sendezeit bekommen: gebührenfinanziert und garantiert vor einem Millionenpublikum im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). So kann Frau Wagenknecht öffentlich ihre Putinliebe ausbreiten, Tino Chrupalla darf über angeblich exorbitante Strompreise schwadronieren und Beatrix von Storch kann auf die in Wahrheit eh kaum existente „Brandmauer“ schimpfen und im selben Atemzug die AfD-Wahlerfolge im Osten als „kometenhaften Aufstieg“ ihrer Partei abfeiern. Einer Partei, die vom Verfassungsschutz in Sachsen sowie in Thüringen als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird; und deren Vorsitzender im Thüringer Landtag, Björn Höcke, mit seinen Aussagen gerichtlich bestätigt, gegen die Menschenwürde verstößt und mittlerweile so regelmäßig wegen Volksverhetzung vor Gericht steht, dass man bald ein Namensschild anbringen kann auf seinem Stuhl im lokalen Landgericht.
So wird der Wettbewerb um das bessere Argument – so darf man sich gesellschaftspolitische, diskursorientierte Talkshows ja im Idealzustand vorstellen – schnell zur populistischen Shitshow, bei der am Ende derjenige gewinnt, der mit Desinformationen, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien am schnellsten Rüdiger (62) eine vor Wut geschwollene Stirnvene herbei labert.
Durch seine Bereitschaft, immer wieder und wieder und gefühlt immer öfter rechtspopulistische und rechtsradikale Talkshowgäste einzuladen, zieht der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr Kritik von linker und bürgerlicher Seite auf sich. Funk und Fernsehen – gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg zum Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit – drohen durch die Dauerpräsenz von Nationalisten, Rassisten und Verschwörungsflachzangen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum „öffentlich rechten Rundfunk“ zu verkommen.
Die Dauerbeschallung mit rechten Reizthemen bewirkt keineswegs, dass die deutsche Gesellschaft echten Problemlösungen und der Aufarbeitung politischer Konflikte näherkommt. Wäre das das Ziel, dürfte man ausschließlich Menschen einladen, die in einem verhältnismäßigen Tonfall und in halbwegs wechselseitigem Respekt über Themen sprechen, die sie erstens sachlich verstehen und zweitens inhaltlich richtig und faktisch korrekt vortragen können (und wollen).
Stattdessen erlauben öffentlich-rechtliche Talkshows vielerorts oft ein Herausposaunen von Vorurteilen, Stereotypen und „gefühlten Wahrheiten“ (die, darüber habe ich mal ein ganzes Buch geschrieben, gar keine Wahrheiten sind) – und nach Sendeschluss gibts irgendeinen Faktencheck, für den sich im Nachhinein keine Sau interessiert.
In den Worten von Autorin Gilda Sahebi, die neulich bei „Hart, aber fair“ zu Gast war:
„Wenn man vorstellt: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag: Migration, Migration, Migration, Migration. Was ist Ihr größtes Problem am Sonntag? Migration.“
So leisten Rundfunkanstalten letztendlich Beihilfe zu einem Agenda-Setting, bei dem nicht die Gesellschaft profitiert, sondern die äußeren Ränder, vornehmlich die AfD.
Ähnliches durfte jüngst Michael Kretschmer und mit ihm die CDU Sachsen erleben. Durch Grünenbashing und Übernahme von AfD-Themen und AfD-Sprache profitiert letztlich niemand anders als, wen wundert’s, die AfD selbst. Die an der Skandalisierung rechter Reizthemen interessierten Bürger wählen letztendlich „das Original“, wie u.a. der Populismusforscher Marcel Lewandowsky immer wieder erklärt. Im ÖRR und in der Berufspolitik scheint diese politikwissenschaftliche Wahrheit noch nicht angekommen zu sein.
Psychologisch ist es einfach: Stimmungsmache fruchtet besonders dort, wo sie oft und vor einem großen Publikum wiederholt wird, egal wie faktenfrei, vorurteilsgeladen und an den Haaren herbeigezogen sie auch sei. Das hat neuropsychologische Gründe: Unser Gehirn interpretiert Wiederholung als Wahrheit. Wenn man Bullshit oft genug wiederholt, hört er sich weniger an wie Bullshit. Insofern ist der Frust aller nachvollziehbar, welche die öffentlich-rechtliche Toleranz bei der Wiederholung von Lügen und Unwahrheiten (z.B. zum Thema Migration) seit Jahr und Tag kritisieren – und dabei auf taube Ohren stoßen.
Höher ist der Frust, ja, stärker ist der Hass auf ARD, ZDF, WDR und Co nur bei den Rechten selbst. Über die Jahre hat sich beides verfestigt: Beim desinformierten Teil der Gesellschaft die „Lügenpresse“-Verschwörungserzählung. Und beim aufgeklärten Teil der Gesellschaft das Wissen, dass unwahre Verschwörungserzählungen fester Bestandteil des rechten, autokratischen, demokratiefeindlichen Weltbildes sind.
Diese Erkenntnis kann man auch zur eigenen Psychohygiene nutzen. Sobald beispielsweise das Wort „Zwangsgebühren“ in einer Kommentarspalte auftaucht, kann man getrost aufhören, weiterzulesen und seine Lebenszeit anderen, besseren, wichtigeren Dingen zuwenden, wohl wissend seine Psyche vor trumpeskem Fake-News-Gesabbel und der damit einhergehenden Inhaltsleere geschützt zu haben.
Wer ernstgenommen werden will, verzichtet besser auf unterkomplexe Provokationsvokabeln, und erntet sonst das, was er verdient: Spott.
ÖRR-Fans wie ich haben es momentan nicht leicht. Und ja, so würde ich mich nach wie vor gerne bezeichnen: als Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Jeden Abend schaue ich die Tagesschau. Fast täglich schalte ich Reportagen und Dokus ein, von der unpolitischen Natur- und Geschichtsdoku bis hin zur politischen Reportage; erst vor wenigen Tagen hat mich „Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland?“ gleichzeitig informiert und nachdenklich gemacht. Und manchmal, ja manchmal, da schalte auch ich öffentlich-rechtliche Talkshows ein, wenn ich meinen Blutdruck eskalieren lassen will (oder dies billigend in Kauf nehme).
Der ÖRR selbst hat es ebenso nicht leicht. Genauer gesagt stehen die Rundfunkanstalten vor einem berufsethischen Dilemma. ARD, ZDF und Co könnten einerseits den Wagenknechts, den Chrupallas und den von Storchs deutlich weniger Sendezeit geben, als sie es jetzt tun. Das wäre insofern gut für die Stimmung im Land, als dass diese Akteure dann nicht mehr so oft vor einem Millionenpublikum Öl ins Feuer kippen und Sachdiskussionen populistisch anheizen könnten.
Dies würde das linke Kritikerlager erfreuen.
Andererseits sähe sich dann das rechtsbürgerliche – und das rechtsradikale eh – Lager in seiner Haltung bestätigt, dass die öffentlich-rechtlichen Medien quasi im Staatsauftrag einseitig informierten und Akteure und Themen wegließen.
Ich denke jedoch, dass eine bewusste Themen- und Gästewahl zu den beruflichen Leitprinzipien des guten Journalismus schlicht dazugehört. Natürlich sollte man „auch mal“ einen AfDler oder eine Sahra Wagenknecht einladen. Immerhin wollen offenbar – so traurig es nun einmal ist – ein paar Millionen Mitbürger gerne Lobreden auf Putin und Vorurteile gegen Asylsuchende hören. Komplett aus dem Diskurs ausklammern kann man diese Stimmen also nicht.
Ob diese Leute allerdings den Raum einnehmen müssen, den sie jetzt einnehmen, nämlich viel Raum, irre viel Raum – das sollten wir kritisch hinterfragen. Als Zuschauer, als Demokraten, als Mitbürger. Der Erkenntnisgewinn solcher Talkshowbesuche ist eh hauchdünn: Nach dem x-ten Mal Chrupalla und dem x-ten Mal Wagenknecht ist niemand schlauer, niemand informierter, niemand gebildeter als zuvor, da Populisten rechts wie links sowieso nur ihre Leitparolen heraushämmern, um ihr eigenes Publikum zu bespaßen (und den Ausschnitt später in den sozialen Medien zu teilen).
Und wenn man die Scharfmacher, die Hitzköpfe und die Differenzierungsversager der Nation schon in Talkshows einlädt, dann soll man sie bitte schön anständig auseinandernehmen. Dies gelingt nicht immer, aber manchmal im Ansatz. So widerspreche ich der FAZ, die schreibt, Caren Miosgas Entlarvung von Sahra Wagenknecht „ging dramatisch schief“. Ich denke durchaus, dass dem aufmerksamen Zuschauer klargeworden ist, wie egal es Frau Wagenknecht ist, dass sie in ihrer Wortwahl identisch ist mit dem Faschisten Björn Höcke (Stichwort: „Vasallen“).
Ebenso wusste sie keinerlei überzeugende Antwort auf die Frage von Michael Bröcker, wann sie sich eigentlich so radikalisiert habe. Das sind gute Momente einer kritischen Berichterstattung, die einer Entlarvung nahekommen. Und seien wir ehrlich: Was soll denn sonst passieren? Soll Frau Wagenknecht anfangen zu weinen? Sich unter Tränen entschuldigen? Die inhaltliche Nähe, die ihr BSW zweifellos zur AfD hat, freimütig eingestehen? Bevor das passiert, singt Tino Chrupalla bei Markus Lanz „Die Internationale“.
Abschließend also: Ja, der öffentliche Rundfunk ist alles andere als perfekt. Auch ich bin unzufrieden mit der Sendezeit, die Extremisten und Brandstiftern eingeräumt wird. Aber manchmal, in guten Momenten, werden diese Leute auch als das enttarnt, was sie sind: als die Feinde unserer offenen, freien, demokratischen Gesellschaft. In diesen seltenen, aber durchaus vorhandenen Augenblicken der Demaskierung, wird der ÖRR vom Lautsprecher der Populisten zur Lupe, durch die wir gemeinsam sehen. Und hoffentlich erkennen viele von uns das allzu Offensichtliche: Diese Leute, sie sind gefährlich.
Dr. Jan Skudlarek, Jahrgang 1986, ist Philosoph und Autor. Sein aktuelles Buch heißt „Wenn jeder an sich denkt, ist nicht an alle gedacht. Streitschrift für ein neues Wir“ (Tropen Verlag). Seine Artikel erscheinen u.a. im Tagesspiegel, auf Steady und im Volksverpetzer. Soziale Medien gibt’s einige, ebenso einen Newsletter. Sein Podcast trägt den semi-originellen Titel „Nicht noch ein Politik-Podcast“.
Artikelbild: Screenshot ardmediathek.de (Wagenknecht), Screenshot zdf.de (Chrupalla)