Antifaschistische Kampagne zur bundesweiten Organisierung gegen den Rechtsruck. Ein Gespräch mit Jona Gessner1Jona Gessner ist Sprecherin der Antifa Westberlin
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat die AfD über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen geholt. Unter dem Banner »Zeit zu handeln« versammelten Sie zuvor deutschlandweit verschiedene antifaschistische Basisgruppen, um sich dem Erstarken der Partei im Osten entgegenzustellen. Wie bewerten Sie die Wahlergebnisse?
Die Wahlergebnisse sind nicht überraschend, da sie sich abgezeichnet hatten. Sie sind Ausdruck eines rassistischen Grundrauschens, das seit dem Sommer der Migration 2015 von Leitmedien und den Herrschenden bedient wird. Die faschistische AfD profitiert seit fast zehn Jahren von dieser Stimmungsmache gegen die Schwächsten der Gesellschaft, doch den Nährboden für die entsolidarisierte Gesellschaft haben die etablierten Parteien mit ihrer neoliberalen Politik selbst geschaffen. Die ständigen Angriffe auf das prekäre »Bürgergeld«, etwa durch die Wiedereinführung von Regelsatzkürzungen bis zu 30 Prozent, und die damit einhergehende Verächtlichmachung von Erwerbslosen, sind ein Ausdruck davon. Die Themen Migration und Flucht wurden im Wahlkampf parteiübergreifend rassistisch aufgeladen, auch dies kam der AfD zugute.
»Eine klare antikapitalistische und antimilitaristische Botschaft auf die Straße getragen« (Erfurt, 31.8.2024)
Sie mobilisierten zum Vorwahlsonnabend nach Erfurt, um der Höcke-AfD den »Wahlkampfabschluss zu versauen«. Wie sind die Proteste gelaufen?
An der Bündnisdemonstration nahmen 4.000 Menschen teil, davon rund 500 Menschen im Block des Bündnisses »Zeit zu handeln«. Grundsätzlich muss sich praktische antifaschistische Arbeit daran messen lassen, ob es gelingt, solche faschistischen Massenveranstaltungen wie die AfD-Kundgebung auf dem Domplatz, an der weit über tausend Menschen teilnahmen, zu verhindern. Dies ist zwar nicht gelungen, wurde aber auch von den aufrufenden Gruppen nicht proklamiert, da die Kräfteverhältnisse derzeit andere sind. Dennoch ist es positiv, dass sich Antifagruppen bundesweit zusammengeschlossen haben und wieder öffentlich wahrnehmbar sind. Wir haben eine klare antikapitalistische und antimilitaristische Botschaft auf die Straße getragen und damit einen Unterschied zum bürgerlichen Antifaschismus sichtbar gemacht.
Mehrfach konstatieren Sie in Ihrem Aufruf einen »Rechtsruck«. Abgesehen von der Rechtsverschiebung bei Wahlen, wie äußert sich dieser, und wo kommt er her?
Rechte Positionen sind in Zeiten, in denen der Staat soziale Infrastruktur abbaut und gleichzeitig nach innen und nach außen martialisch aufrüstet, leichter zu vermitteln. Die Tatsache, dass ein permanenter Klassenkampf von oben geführt wird und parallel dazu Sündenbockdebatten eröffnet werden, ist eine schwierige Ausgangslage für progressive Positionen. Der Rechtsruck äußert sich auf verschiedenen Ebenen, etwa durch einen wieder aufkeimenden Militarismus. Oder über Themen, die einen Brückenschlag zwischen Neonazismus und Konservatismus ermöglichen, wie Antifeminismus oder Queerfeindlichkeit. Die Folgen sind fatal und spiegeln sich in zunehmender Straßengewalt wider. Zudem beobachten wir das Entstehen einer faschistischen Jugendbewegung, die vor allem während der Coronazeit, als die gesellschaftliche Linke abwesend war und sich Teile der Antifabewegung auf Regierungslinie befanden, von der Rechten agitiert wurde.
Sehen Sie konkrete Gefahren in Folge der Wahlergebnisse?
Es ist zu erwarten, dass im Windschatten der faschistischen Abschiebedebatte und der AfD-Wahlerfolge die Straßengewalt von rechts zunehmen wird. Es wird wichtig werden, Selbstschutz im Kollektiv zu organisieren, für Familie, Freunde und die Nachbarschaft. Wir empfehlen, eigene Antifagruppen zu gründen und zu anderen Gruppen Kontakt aufzubauen.
Mit den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland haben Sie sich einen konkreten Rahmen der Agitation und Aktion gesetzt. Soll das deutschlandweite antifaschistische Bündnis auch darüber hinaus Bestand haben?
Aus unserer Sicht ist eine verbindliche Organisierung von antifaschistischen Gruppen angesichts der Faschisierung, mit der wir gegenwärtig konfrontiert sind, unerlässlich. Wir werden uns weiterhin in bundesweite Organisierungsprozesse einbringen. Es gilt, die Zersplitterung zu überwinden und perspektivisch wieder eine schlagkräftige Bewegung mit vielen Partnerinnen und Partnern zu werden. Das Bündnis »Zeit zu handeln« markiert einen ersten Schritt in diese Richtung.
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