Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, AfD-Politiker, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt immer schwerer. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen.
Seit 2024 schaffen wir leider nur noch die Urteile-Sammlungen monatlich. Letzten Monat berichteten wir über drei Klatschen vor Gericht für Julian Reichelt. Und, welch Wunder, auch diesen Monat muss er wieder drei mal vor Gericht einstecken, mehr dazu weiter unten. Groß mit dabei sind im Mai auch viele AfD-Politiker, die Geldstrafen erhielten. Ganz vorne dran: Faschist Björn Höcke.
Der AfD-Führer und Rechtsextremist Björn Höcke wurde vom Landgericht Halle (Saale) zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro (100 Tagessätze von je 130 Euro) verurteilt. Er hatte in einer Rede bei einer Wahlkampfveranstaltung vor drei Jahren eine verbotene Parole der SA verwendet. Das Verwenden von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen ist in Deutschland verboten. Höcke gab vor, nicht gewusst zu haben, dass “Alles für Deutschland” eine verbotene Nazi-Parole sei. Sehr unglaubwürdig für den Ex-Geschichtslehrer (!) Höcke.
Gegenüber Elon Musk erklärte Höcke übrigens nicht, dass er hier einen Fehler gemacht hatte, sondern diese Nazi-Parole nutzen wolle, um seinen „Patriotismus“ auszudrücken. Wir analysieren seit einigen Jahren Reden von Faschist Höcke und haben viele Belege für die NS-Bezüge des ehemaligen Geschichtslehrers, der offenbar ganz bewusst auf Reden von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zurückgreift. In diesem Artikel weisen wir Parallelen von Höcke-Reden zu Hitler-Reden aus 1920, 1926 oder 1927 nach und noch mehr. Höcke passieren da wohl ständig „Fauxpas“. Ständig zitiert er Nazis wie Hitler oder Goebbels. Und das soll bei dem Neonazi alles immer Zufall sein?
Seine drei Verteidiger haben Revision eingelegt, das Urteil ist also noch nicht rechtskräftig. Nun liegt die Entscheidung beim Bundesgerichtshof.
Die Thüringer AfD ist übrigens als gesichert rechtsextrem eingestuft und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Verfassungsschutz stuft die AfD auf Bundesebene als rechtsextremen Verdachtsfall ein – zu Recht. Das bestätigte zuletzt das Oberverwaltungsgericht in Münster. Direkte Folgen für die Spitzenkandidatur Höckes bei der Landtagswahl in Thüringen im September hat seine Verurteilung nicht.
Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte drei Mitarbeiter des Buchversands “Schelm” zu Freiheitsstrafen, der antisemitische und rechtsextreme Schriften anbot. Ein vielfach vorbestrafter Mitarbeiter erhielt zweieinhalb Jahre Haft, während die anderen beiden Angeklagten mit Bewährungsstrafen davonkommen. Alle waren einmal in der NPD aktiv, der vorbestrafte Mitarbeiter sogar als Stadtrat für die NPD in Leipzig. Nun wurden sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung verurteilt. Insgesamt wurden über Jahre hinweg zehntausende rassistische und antisemitische Schriften versandt.
Das einzige Problem: Der rechtsextreme Hauptverantwortliche des antisemitischen Versands ist vor Jahren nach Russland ausgewandert und kann bisher rechtlich nicht belangt werden. Er wird per internationalem Strafbefehl gesucht. Auch konnte die Website noch nicht offline genommen werden, da die Server im Ausland angesetzt sind. Der Hauptverantwortliche hetzte derweil über den Gerichtsprozess und bedrohte den zuständigen Richter in einer Mail mit dem Tod. Es hingen „noch ein paar ungebrauchte Fleischerhaken“ in Plötzensee. In dem Berliner Gefängnis richtete das NS-Regime hunderte Menschen hin.
Die Einnahmen, die die Betreiber des Versands erwirtschafteten, müssen an den Staat gezahlt werden. Unter anderem wurde “Mein Kampf” viel und mit großer Gewinnmarge verkauft. Der Richter am Oberlandesgericht Dresden machte klar, dass die antisemitischen Hass- und Hetzschriften, die versandt wurden, “den Nährboden für furchtbare Gewalttaten bereiten, nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch heute”. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Der Mai war teuer für so einige AfD-Politiker:innen. Nachdem der Berliner AfD-Bezirksverordnete Kai Borrmann im August 2021 zwei PoC-Frauen in einem Restaurant beleidigt, einer davon später ins Gesicht geschlagen und in den Arm gebissen hatte, muss er für diese Tat nun endlich rechtskräftig blechen. Schon im Februar 2023 wurde er wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Sowohl der AfD-Politiker als auch die Staatsanwaltschaft waren jedoch in Berufung gegangen.
Die Berufung von Borrmann wurde nun abgelehnt und der Rassist erhält eine Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 50 Euro, also insgesamt 10.000 Euro. Borrmann zeigte vor Gericht keinerlei Reue. Er taucht auch weiterhin auf der Webseite der AfD-Fraktion der BVV Berlin Mitte auf und scheint dort weiterhin Bezirksverordneter im Ausschuss für Schule, Sport, Stadtentwicklung und Facility Management, Weiterbildung und Kultur zu sein. Versteht man das Beißen anderer Menschen unter deutscher Kultur?
Auf der Homepage des Bezirksamts Mitte ist er jedoch als Einzelverordneter gelistet und auch in den einzelnen Ausschüssen als Einzelverordneter (Schule, Sport, Stadtentwicklung & Facility Management, Weiterbildung & Kultur). Auch die Linken-Fraktion berichtet von einem Rausschmiss Borrmanns aus der AfD-Fraktion im Zuge eines Kommentars unter einem Volksverpetzer-Tweet 2023, in dem er infrage stellt, dass Neonazi Breivik, der für den Tod von 77 Menschen verantwortlich ist, auch „politisch“ falsch gelegen hätte.
Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass ein Parteiausschlussverfahren gegen Borrmann laufen würde.
Dass verurteilten AfD-Politikern parteiintern oft keine Konsequenzen drohen, ist kein Einzelfall. Unsere Kolleg:innen von Correctiv recherchierten kürzlich zu 48 AfD-Mandatsträger:innen und Mitarbeitenden auf Bundes-, Landes-, und Kreisebene, die in der jüngeren Vergangenheit mit Gewalttaten aufgefallen sind. Darunter mit direkter körperlicher Gewalt, psychischer Gewalt, einer Form der Beihilfe zu Gewalt oder gewaltnahem Verhalten. Correctiv schreibt dazu:
“28 dieser Politikerinnen und Politiker wurden der Recherche zufolge von einem Gericht zumindest erstinstanzlich verurteilt, oder es wurden Strafbefehle gegen sie erlassen – 14 davon sind trotzdem noch immer in ihrem politischen Amt tätig.
Unter diesen 14 Politikerinnen und Politikern sind zwei Bundestagsabgeordnete und drei Landtagsabgeordnete. Gegen mindestens fünf weitere AfD-Mandatsträger wird zurzeit ermittelt. Bei den Fällen geht es teils um brutale körperliche Angriffe, teils verbale Gewalt wie Beleidigungen oder Volksverhetzung und indirekte Gewalt wie Beihilfe, Waffenbesitz oder Missbrauch des Gewaltmonopols qua Amt.”
Das Problem: Bei den meisten dieser Fälle handelt es sich aus juristischer Sicht um “Vergehen” und nicht um “Verbrechen”. Und das passive Wahlrecht erlischt erst, wenn eine Person wegen eines Verbrechens zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das heißt, erst bei dieser Strafe kann einer Person das politische Mandat entzogen werden, dann kann sie weder gewählt werden noch bei einer Wahl antreten. Parteiintern kann natürlich auch davor schon etwas getan werden, jedoch scheint das der AfD bisher eher egal zu sein. Keine andere im Bundestag vertretene Partei fällt in annähernd ähnlichem Umfang wegen Gewalttaten auf.
Da passt der Fall um die Rotenburger AfD-Chefin Marie-Thérèse Kaiser genau ins Bild. Ihre Verurteilung wegen Volksverhetzung wurde nun vom Landgericht Verden bestätigt. Im Sommer 2021 hetzte die AfD-Politikerin gegen afghanische Geflüchtete. Wir erinnern uns: nach der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 fürchteten viele Afghan:innen, die mit ausländischen Streitkräften, unter anderem US-amerikanischen Soldat:innen und der deutschen Bundeswehr zusammenarbeiteten, um ihr Leben.
Der Hamburger Bürgermeister Tschentscher (SPD) kündigte damals an, 200 Helfer, sogenannte “Ortskräfte” der Bundeswehr in Hamburg aufzunehmen. Kaiser schrieb als Reaktion auf ein Interview mit Tschentscher auf Social Media: „Afghanistan-Flüchtlinge; Hamburger SPD-Bürgermeister für ,unbürokratische‘ Aufnahme; Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?”. In erster Instanz erhielt Kaiser für ihre Hetze eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen in Höhe von jeweils 60 Euro. Bei dieser Strafe bleibt es nun, urteilte das Landgericht Verden.
Kaiser hetzte pauschal gegen Schutzsuchende und hat auf Social Media das Ventil für ihren Rassismus und ihren Hass gesucht und gefunden. Anerkannte Asylsuchende sind im Übrigen weniger kriminell als der Durchschnitt in Deutschland. Instagram nutzt sie übrigens auch, um sich mit Vertreter:innen der rechtsextremen Identitären Bewegung zu vernetzen. Eine Datenanalyse unserer Kolleg:innen von Correctiv zeigt, dass Kaiser unter den zehn wichtigsten Verbindungsknoten im Netzwerk von 4.500 rechten Instagram-Accounts ist, die Correctiv für relevant kategorisierte. Das bedeutet, sie ist dort stark in mehrere Szenen vernetzt, darunter auch zu Rechtsextremen.
Die Verteidigung Kaisers beantragte übrigens noch Innenministerin Faeser (SPD) in den Zeugenstand einzuladen. Dem wurde nicht stattgegeben. Hintergrund ist, dass die SPD-Politikerin vor kurzem bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik gesagt hatte, dass eine steigende Migration zu mehr Straftaten geführt habe. Damit wollte Kaisers Verteidiger den Menschenhass der AfD-Politikerin legitimieren. Doch selbst Faeser von der SPD folgte der verzerrten medialen Darstellung der PKS, die jedes Jahr aufs neue den Hass auf Schutzsuchende schürt. In Wahrheit ist die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit Wohnsitz in Deutschland im Verhältnis zur ausländischen Bevölkerung in Deutschland 2023 sogar leicht ZURÜCKgegangen. Und im Übrigen waren die Jahre 2017 bis 2022 die sechs Jahre mit der niedrigsten Anzahl von Straftaten seit der Wiedervereinigung. Fakten, die leider nicht mal Innenministerin Faeser kennt.
Kaiser kündigte Revision an.
Der Desinformations-Verbreiter Julian Reichelt, Ex-”BILD”-Chefredakteur und Betreiber des rechtsradikalen Online-Portals „Nius“, hat sich in letzter Zeit ständig vor Gericht zu verantworten. Ende letzten Jahres verlor Reichelt gegen die Bundesministerin Schulze vor Gericht, als er über die Bundesregierung und die Taliban log. Kurz zuvor verlor er gegen Satiriker Jan Böhmermann, weil er „unstreitig unwahre“ Behauptungen über ihn verbreitet hatte. Auch gegen die Dresdner Seenotrettungsorganisation „Mission Lifeline International e.V.“ unterlag er zuletzt vor Gericht. Im April hatten wir drei Reichelt-Klatschen, im Mai schon wieder.
So gewinnt beispielsweise der NDR gegen Reichelt. Das Oberlandesgericht Hamburg entschied, dass die NDR-Sendung “Reschke Fernsehen” eine Gegendarstellung, die von Reichelt angestrebt wurde, nicht ausstrahlen muss. Konkret geht es um eine ARD-Sendung mit dem Titel „Julian Reichelt und die Frauen: Bumsen, belügen, wegwerfen“, in der die Vorwürfe von Machtmissbrauch des Ex-Bild-Chefs Reichelt thematisiert wurden.
Das Landgericht Hamburg hatte vergangenen September zunächst eine Gegendarstellungsverfügung erlassen und somit Reichelt in erster Instanz Recht gegeben. Der NDR legte jedoch Berufung ein und erhielt nun Recht. Die von Julian Reichelt verlangte Gegendarstellung entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg sind keine Rechtsmittel möglich.
Auch im oben erwähnten Rechtsstreit zwischen Reichelt und Böhmermann erzielte Böhmermann im Mai einen weiteren Erfolg. In der Vergangenheit erwirkte die Produktionsfirma von Jan Böhmermann eine einstweilige Verfügung gegen Reichelt, der über die Affäre um den damaligen Chef des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik Falschaussagen verbreitete und unter anderem Böhmermann vorwarf, Staatssekretäre aus dem Bundesinnenministerium hätten an einer Sendung des „ZDF Magazin Royale“ mitgewirkt. Das war erneut erfunden von Reichelt, das Landgericht Hamburg untersagte ihm anschließend diese Falschaussagen.
Die anschließenden Änderungen an den Darstellungen Reichelts gingen der Produktionsfirma von “ZDF Magazin Royale” aber nicht weit genug. Sie gingen erneut gerichtlich gegen Reichelt vor. Das Hanseatische Oberlandesgericht entschied nun, dass Rome Medien – deren Geschäftsführer Reichelt ist – gegen die einstweilige Verfügung verstoßen hat und verhängte ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.000 Euro. Falls Rome Medien nicht zahlt, muss Reichelt ersatzweise vier Tage in Ordnungshaft.
Und das ist immer noch nicht alles: Aufgrund eines fehlerhaften Berichts über die Dresdner Seenotrettungsorganisation „Mission Lifeline International e.V.“ hat das Landgericht Berlin II 5.000 Euro Zwangsgeld oder 10 Tage Zwangshaft gegen Reichelt erteilt.
Das entsprechende Video lud Reichelt bereits am 02. Oktober 2023 auf seinen Kanal hoch. Dort behauptete er, Mission Lifeline werde von einem Verein finanziert, an dessen Spitze der Lebensgefährte von Katrin Göring-Eckardt (Grüne) stehe. Wahrheitsgehalt mal wieder nicht vorhanden. Reichelt soll jetzt eine Richtigstellung auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichen. Dies ist eine Premiere, da bisher keine solchen Anforderungen bei falschen Behauptungen in Videos gestellt wurden.
Nachdem er eine einstweilige Verfügung kassierte, veröffentlichte er nur eine unzureichende Gegendarstellung, was das Gericht zu weiteren Maßnahmen zwang. Rechtsanwalt Jonas Kahl, der Mission Lifeline vertritt, bezeichnete den Beschluss als präzedenzfallartig, da er klare Vorgaben für Gegendarstellungen bei YouTube-Videos schafft. Eine bloße Einblendung hat dem Gericht bisher nicht gereicht.
Ein pensionierter Richter ist vom Amtsgericht Reutlingen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht verhängte eine Strafe von 7.800 Euro (60 Tagessätze zu je 130 Euro) gegen den Ex-Richter, nachdem er auf Facebook den Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck mehrfach als “Vollidioten” bezeichnet und mit “Hundekot” verglichen hatte.
Zudem wurde der Ex-Richter wegen Volksverhetzung verurteilt, ebenfalls wegen eines Facebook-Posts. Auf Facebook soll er Geflüchtete unter anderem als „Vergewaltiger“ und „Abschaum“ bezeichnet haben. Dass er selbst der Autor dieses Facebook-Posts ist, bestreitet der Angeklagte und legte gegen das Urteil Revision ein.
Noch ein paar honorable mentions von AfD-Verurteilungen aus dem Mai:
Laut eigener Aussage wurde der rechte Streamer und AfD-Politiker Sebastian Weber zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt. Das Landgericht Köln hat eine einsteweilige Verfügung gegen AfD-Politikerin Beatrix von Storch erlassen, da sie einfach gelogen hat, und Correctiv-Journalisten Jean Peters mit einem Brandanschlag in Verbindung gebracht hatte. Und noch ein AfD-Politiker: Das Gericht fand es offenkundig nicht so amüsant, dass der verurteilte AfD-Mann Stephan Brandner ein erstes gerichtliche Ordnungsgeld mit verächtlichen Emojis kommentierte. Er hat damit seine Strafe erhöht muss jetzt insgesamt 20.000€ zahlen. Laut Spiegel-Journalistin Ann-Katrin Müller ist das Urteil jetzt rechtskräftig (Kammergericht, 10 W 46/24).
Artikelbild: Annette Riedl/dpa