Spionage-Verdacht: Bekommt Krah jetzt Ärger mit dem Gesetz?

AUTOREN: Milan Kuhli und Julius Bayón. DIESER ARTIKEL ERSCHIEN ZUERST BEI VERFASSUNGSBLOG.

Der Haftbefehl gegen Jian G., Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, schlägt wenige Wochen vor der Europawahl politisch hohe Wellen, deren genaue Konsequenzen noch nicht absehbar sind. Der Erlass des Haftbefehls beruht auf dem Vorwurf der Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall, § 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Wir zeigen in einer kurzen strafrechtlichen Einschätzung, dass eine Strafbarkeit von Jian G. naheliegt, sollte der bislang in der Presse dargelegte Verdacht zutreffen. Deutlich schwieriger ist momentan die Frage nach einer Strafbarkeit Maximilian Krahs wegen einer Beteiligung an einer geheimdienstlichen Agententätigkeit einzuschätzen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann § 99 StGB nur täterschaftlich begangen werden. Eine wohl eher in Betracht kommende Beihilfe durch Krah bliebe daher straffrei. Wir vertreten dementgegen die Ansicht, dass sich auch der Gehilfe eines geheimdienstlichen Agenten strafbar machen kann. Doch auch wenn man dem folgt, ist derzeit fraglich, ob Krah nachzuweisen wäre, dass er tatsächlich Beihilfe leistete und dabei auch vorsätzlich handelte. Dafür mag es Anhaltspunkte geben (s. etwa hierhier und hier), inwieweit diese zutreffen, müsste ermittelt werden. Gegenwärtig sind allein „Vorermittlungen“ der Dresdener Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Abgeordnetenbestechung bekannt (s. hier).

Der zentrale Spionagetatbestand des StGB, § 99 Abs. 1 Nr. 1, setzt voraus, dass der Täter „für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist“.

Die einzelnen Tatbestandsmerkmale sind breit gefasst und werden mitunter weit verstanden. (Soweit die Definitionen im Folgenden nicht näher belegt werden, folgt die Darstellung Matt/Renzikowski-StGB/Kuhli, 2. Aufl., 2020, § 99, Rn. 2-5). Das Ausüben einer Tätigkeit verlangt üblicherweise aktives Handeln beliebiger Art. Geheimdienstlich ist die Tätigkeit, wenn ihr äußeres Bild dem entspricht, was für die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen solcher Dienste typisch und kennzeichnend ist. Die Tathandlung ist gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn Angelegenheiten mit klarem Gebietsbezug zur Bundesrepublik in Frage stehen und die Interessen der Bundesrepublik betroffen sind.

Weiterhin wird vorausgesetzt, dass die Tätigkeit für den Geheimdienst einer fremden Macht ausgeübt wird. Geheimdienst ist eine ständige Einrichtung im staatlichen Bereich, deren Aufgabe darin besteht, Nachrichten unter Anwendung konspirativer Methoden und in Geheimhaltung vor fremden Behörden zu sammeln und auszuwerten. Für den Geheimdienst handelt der Täter, wenn er sich funktionell durch aktive Mitarbeit in den fremden Dienst und dessen Ausforschungsbestrebungen einfügt. Eine Eingliederung des Täters in die Organisation des Geheimdienstes ist dabei nicht erforderlich. Eine fremde Macht sind auch Gebilde, die völkerrechtlich nicht als Staaten einzuordnen sind.

Erwähnenswert ist schließlich noch, dass sich § 99 StGB nicht auf Staatsgeheimnisse im Sinne des § 93 StGB bezieht, sondern bereits ausreichen lässt, dass die Tätigkeit auf Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Diese müssen nicht geheim sein. Bezugspunkte der Mitteilung oder Lieferung sind der fremde Geheimdienst oder seine Mittelsmänner. Für die Vollendung der Tat ist aber nicht erforderlich, dass der fremde Geheimdienst die Informationen tatsächlich erlangt.

Die Bundesanwaltschaft wirft Jian G. unter anderem das Weiterleiten von Informationen über Entscheidungen und Verhandlungen im Europäischen Parlament an einen chinesischen Geheimdienst vor. Soweit sich ein solcher Vorwurf bewahrheiten sollte, bestünden gegenüber der Annahme einer geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB tatsächlich keine Bedenken. Insbesondere können auch Handlungen, die sich auf Vorgänge der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU beziehen, als gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet angesehen werden (so auch das OLG Stuttgart).

Daneben wird Jian G. das Ausspähen chinesischer Oppositioneller in Deutschland zur Last gelegt. Auch eine solche Tätigkeit dürfte im Ergebnis noch als gegen die Bundesrepublik gerichtet angesehen werden. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach (hierhier und hier) bekräftigt, dass die Ausforschung von Exilanten, die sich durch Art. 5 GG geschützt in Deutschland politisch betätigen, dazu geeignet ist, bei diesen Angst vor Repressionen auszulösen und so ihr gesellschaftliches Engagement einzuengen. Unter diesem Blickwinkel widerspricht eine solche Ausforschung tatsächlich dem Interesse der Bundesrepublik, die grundrechtlich geschützte freie politische Willensbildung auch Ausländern zu gewährleisten. Der Tatbestand des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB wäre also – sollten sich die Vorwürfe gegen Jian G. beweisen lassen – auch in dieser Hinsicht erfüllt.

Die Bundesanwaltschaft wirft Krahs Mitarbeiter die geheimdienstliche Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall vor. Ein solcher könnte angenommen werden, wenn Jian G. das Regelbeispiel nach § 99 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB erfüllt hätte. Dieses setzt voraus, dass die Informationen über Entscheidungen und Verhandlungen im Europäischen Parlament, um die es hier geht, Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse darstellen, die eine amtliche Stelle geheim gehalten hat. Das Merkmal der amtlichen Stelle ist gleichlaufend zu § 95 Abs. 1 StGB weit auszulegen und umfasst jede Stelle, die einen fest umrissenen Kreis staatlicher Aufgaben erfüllt.

Aufgrund der fortgeschrittenen europäischen Integration wird man das EU-Parlament, ein Legislativorgan der Europäischen Union, als amtliche Stelle ansehen können. Ferner sollen parlamentarische Interna nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sein und es ist davon auszugehen, dass das EU-Parlament durch Verschwiegenheitsvereinbarungen o.ä. entsprechende Schutzmaßnahmen implementiert hat. Die Informationen über Entscheidungen und Verhandlungen wurden daher geheim gehalten. Als Mitarbeiter eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments hatte Jian G. auch eine verantwortliche Stellung inne, die ihn zur Wahrung dieser Geheimnisse besonders verpflichtete.

Ob Jian G. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall zu bestrafen ist, ist folglich primär eine beweis- und weniger eine materiellrechtliche Frage. Erweist sich der ihm vorgeworfene Sachverhalt im Prozess als zutreffend, dürfte eine Verurteilung folgen.

Materiell-rechtlich problematischer ist demgegenüber die Frage, ob sich Maximilian Krah – sollten bei den Ermittlungen dahingehende Vorwürfe gegen ihn zutage treten – selbst strafbar gemacht haben könnte. Da es nach gegenwärtigem Kenntnisstand im Kontext des Falles Jian G. keine Anhaltspunkte für eine funktionelle Einbindung Krahs in die Spionagetätigkeiten gibt, kommt eine eigene täterschaftliche Begehung wohl nicht in Betracht. Es stellt sich daher allein die Frage einer möglichen Beihilfe zur geheimdienstlichen Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall.

Der Bundesgerichtshof (hier und hier) und ein Teil der Literatur (SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., 2019, § 99, Rn. 23; NK-StGB/Paeffgen, 6. Aufl., 2023, § 99, Rn. 22) lehnen die Möglichkeit der Beihilfe zu § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich ab. Sie führen dafür an, dass der weitreichende Tatbestand bereits alle strafbaren Handlungen als Täterschaft umfasse und die Gesetzgebungshistorie bestätige, dass darüber hinaus keine strafbare Beihilfe möglich sein soll.

Nach der Gegenansicht (Matt/Renzikowski-StGB/Kuhli, 2. Aufl., 2020, § 99, Rn. 9; LK-StGB/Barthe/Schmidt, 13. Aufl., 2021, § 99, Rn. 16; Fischer, 71. Aufl., 2024, § 99, Rn. 14) ist Beihilfe jedoch möglich. Die weite Bandbreite von Täterverhalten kann die Beihilfe zwar in ihrem Anwendungsbereich einschränken, aber nicht grundsätzlich ausschließen. Beispielsweise können auch ohne funktionell in den fremden Dienst eingefügt zu sein, substanzielle Spionageakte begangen werden. Dass der Täter in solchen Konstellationen zwingend straffrei bleiben soll, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.

Sofern man die Möglichkeit der Beihilfe bejaht, müsste sodann festgestellt werden, worin die maßgebliche Beihilfehandlung liegt. Ein Ansatzpunkt kann allgemein darin bestehen, dass die Tätigkeit eines Mitarbeiters möglicherweise nicht hinreichend kontrolliert wurde bzw. entsprechende Hinweise ignoriert wurden, woraus sich der Vorwurf einer Beihilfe durch Unterlassen ergäbe. Subjektiv dürfte es allerdings herausfordernd sein, einem Vorgesetzten in einem solchen Fall den erforderlichen Gehilfenvorsatz nachzuweisen. Die Ermittlungen gegen Jian G. bleiben also nicht nur politisch, sondern auch rechtlich spannend.

Autoren: Milan Kuhli und Julius Bayón. Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.de, CC BY-SA 4.0. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Vor kurzem wurde das Thüringen-Projekt gestartet.. Artikelbild: Sebastian Kahnert/dpa

 

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