Am vergangenen Wochenende wurde der SPD-Europakandidat Matthias Ecke in Dresden brutal angegriffen und zusammengeschlagen. Er musste im Krankenhaus operiert werden. Wir wünschen ihm gute Genesung. Doch leider müssen wir auch über die Reaktionen im Netz reden. Denn die physische Gewalt auf der Straße wird durch verbale Gewalt im Netz vorbereitet. Auch und vor allem in AfD-Gruppen.
Matthias Ecke steht auf der Liste der SPD für die Europawahl auf Platz 10. Dementsprechend ist er gerade mitten im Wahlkampf. Auch am Freitagabend war er in Dresden-Striesen unterwegs um Wahlplakate aufzuhängen. Dabei wurde er von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen und verprügelt. Er trug so schwere Verletzungen davon, dass er noch am selben Abend ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Glücklicherweise scheint Ecke auf dem Weg der Besserung zu sein, er will sogar wieder in den Wahlkampf zurückkehren. Doch leider war es das schon an guten Nachrichten.
Die Täter konnten zunächst entkommen, einen Tag später stellte sich jedoch ein erster Tatverdächtiger der Polizei. Mittlerweile sind auch die anderen drei mutmaßlichen Beteiligten identifiziert. Die Polizei geht von einem rechtsextremen Motiv aus. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen ist es also wahrscheinlich ein weiterer Fall, in dem sich der in den sozialen Medien gezüchtete Hass in körperlicher Gewalt gegen einen Politiker entlädt. Das ist keineswegs ein neues Phänomen. Schon beim Mord an Walter Lübcke war im Vorfeld und auch hinterher der Einfluss sozialer Netzwerke auf rechte Gewalt ein zentrales Thema.
Und auch diesmal gab es in den einschlägigen, oft AfD-nahen Gruppen ein Spektrum an Reaktionen von Leugnung über demonstrative Gleichgültigkeit bis hin zu Zustimmung. Nur eins gab es natürlich nicht: Echte Solidarität. Wir haben für euch die verschiedenen Reaktionen der Rechten beispielhaft zusammengetragen.
Wenig überraschend war unter den frühen Reaktionen von AfD-Fans wieder Schadenfreude ein weit verbreiteter Reflex. Unsere Kolleg:innen von „Die Insider“ haben beispielhaft ein paar Reaktionen unter einem mittlerweile gelöschten Post eines AfD-Kreisverbandes gesammelt:
Screenshot: Die Insider
Auch auf Twitter lassen, im Schutz der Anonymität, einige User ihrem Hass freien Lauf:
Screenshot twitter.com, Zusammenstellung und Unkenntlichmachung Volksverpetzer
Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass einige AfD-Fans schon so weit indoktriniert sind, das jede Nachricht, die nicht in das eigene Weltbild passt, schon reflexhaft in einen Verschwörungsmythos eingebettet wird. So behauptet eine Userin in einer Fangruppe der rechtsextremen Partei, der Angriff auf Ecke sei von einer „Theatergruppe“ inszeniert, auch andere sehen instinktiv sofort eine Inszenierung.
Screenshot: Die Insider
Auffällig ist aber auch: Offizielle Seiten und Personen der AfD selbst halten sich mittlerweile mit Schadenfreude oder direkter Leugnung der Vorfälle zurück. Sie sehen ja, dass diese Saat unter ihren Anhänger:innen ohnehin aufgeht. Daher zeigten ihre Reaktionen auf die Gewalt gegen Matthias Ecke zwei andere Muster: Täter-Opfer-Umkehr und Whataboutismus.
Jörg Urban, Vorsitzender des als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD-Landesverbandes Sachsen, verurteilt die Gewalttat auf Ecke pro forma. Diese scheinbare Solidarisierung wird aber im gleichen Atemzug relativiert, indem Urban die angebliche Schuld beim Opfer selbst sucht. Klassisches Victim blaming, das nur dazu dient, davon abzulenken, dass Stand jetzt mindestens einer der Täter einen rechtsextremistischen Hintergrund hat und die AfD schon seit langem zu einer Verrohung des gesellschaftlichen Miteinanders beiträgt.
Screenshot twitter.com
Ähnlich verdreht Dennis Hohloch, Beisitzer im AfD-Bundesvorstand, die Situation. Während Matthias Ecke gerade erst die OP hinter sich hat, sieht der AfDler lieber sich und seine Partei als das Opfer.
Screenshot twitter.com
Auch Martin Hess, AfD-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Landesvorsitzende in Baden-Württemberg bemüht sich schnell, der SPD-Chefin Saskia Esken eine Mitschuld an der Gewalt gegen ihren Parteigenossen zu geben.
Screenshot twitter.com
Besonders aktiv in der Täter-Opfer-Umkehr war auch Martin Reichardt, Vorsitzender der gesichert rechtsextremistischen AfD Sachsen-Anhalt. In seinen zahlreichen Tweets zum Thema versuchte er nicht einmal mehr, Mitleid vorzutäuschen, sondern hetzte wild gegen alles, was nicht auf AfD-Parteilinie ist.
Screenshot twitter.com
Die hohen Parteikader geben also die Richtung vor, die Fans im Netz folgen der Täter-Opfer-Umkehr nur zu gern. Die Folgen sind erschreckend.
Gleich mehrere User geben auf Twitter beispielsweise einfach Matthias Ecke selbst die Schuld, Opfer des Angriffs geworden zu sein, da er nach 22 Uhr plakatiert habe. Können Politiker:innen nun also allen Ernstes nur tagsüber auf die Straße gehen? Leben wir in Zeiten, in denen wir fürchten müssen, nachts von Rechts zusammengeschlagen zu werden? Widerlich, wie komplett bodenlose Behauptungen aufgestellt werden, die einzig und allein dem Zweck dienen, nicht der Wahrheit ins Gesicht schauen zu müssen, und zwar, dass Ecke keine Schuld an dem Angriff auf seine Person trägt. Hört sich selbstverständlich an, scheint es aber vielen Nutzer:innen mittlerweie nicht mehr zu sein.
Auch die Schuldumkehr gegen Saskia Esken hat sich im rechtsradikalen Milieu offenbar bereits etabliert:
Sehr auffällig ist auch, dass viele AfDler es nicht ertragen können, einmal mit ihrer Opferinszenierung nicht im Mittelpunkt zu stehen. Tatsächlich ist ein Kern des populistischen Diskurses der Partei, dass sie und nur sie selbst das Opfer von „denen da oben“ ist; wenn also Politiker:innen demokratischer Parteien angegriffen werden, versucht die rechtsextreme AfD möglichst schnell den Fokus wieder auf sich selbst als Opfer zu lenken.
Hier zum Beispiel Alexander Jungbluth, Europa-Listenplatz 5 der AfD:
Screenshot twitter.com
Ebenso würde der mutmaßlich russlandfinanzierte Europakandidat Petr Bystron am liebsten schnell wieder über den Eierwurf und Angriff auf einen AfD-Landtagsabgeordneten statt über den im Krankenhaus liegenden Matthias Ecke reden. Ein Wort der Solidarität für Letzteren verliert der AfDler natürlich nicht.
Oder auch nochmal Martin Reichardt, der sogar den angeblich politisch motivierten Angriff auf Andreas Jurca wieder auspackt (besonders perfide, weil hier auch Monate nach dem Angriff die AfD immer noch keinen Beweis für ihre Behauptung, Jurca sei Opfer politischer Gewalt geworden, bringen).
Screenshot twitter.com
Und auch diese Strategie verfängt so gut, dass manche Leute sogar bereit sind, im vorauseilenden Gehorsam die AfD gegen jegliche Kritik an genau dieser Umdeutungsstrategie zu verteidigen, so wie in diesem Beispiel:
Man sieht: Die AfD fährt eine perfide zweigleisige Strategie. Die Parteikader, welche in der Öffentlichkeit stehen, distanzieren sich pro forma und lenken gleichzeitig mit Whataboutismen und Täter-Opfer-Umkehr von der Problematik ab. Parallel dazu labt sich der digitale rechte Mob voller Schadenfreude an der Gewalt oder tut sie im Stile klassischer Verschwörungsmythen als „inszeniert“ ab.
Die Verrohung der politischen Debatte ist erschreckend. Nicht, dass Gewalt gegen demokratische Politiker:innen erst in diesem Wahlkampf ein Thema geworden wäre, schließlich ist es bald fünf Jahre her, dass Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet wurde. Doch wir sollten die Gewalt gegen Politiker:innen nicht zur Normalität werden lassen, sondern Rechtsextreme immer und überall problematisieren. Auch und gerade dann, wenn die AfD den Diskurs immer weiter eskaliert, immer hasserfüllter und schonungsloser gegen die Demokratie und ihre Vertreter:innen hetzt.
Statt mit den Feinden der Demokratie zu reden, sollten wir lieber über sie aufklären. Wenn sie sagen, dass sie demokratische Politiker:innen „jagen“ wollen, dann sollten wir das ernst nehmen – und nicht erst, wenn es dann tatsächlich zur „Jagd“ kommt. Wenn sie einen Spitzenkandidaten aufstellen, der sich schon zuvor mit einem breiten Spektrum rechtsextremer Positionen präsentiert, dann sollten Demokrat:innen sich geschlossen dagegen stellen. Nicht, weil es ein politischer Konkurrent ist, sondern weil es ein Gegner der Demokratie ist.
Leider beobachten wir weiterhin, dass die verbalen Exzesse der Rechtsextremen ohne Konsequenzen bleiben. In die Talkshows werden sie immer noch in schöner Regelmäßigkeit eingeladen, in vorauseilender Selbstzensur bleibt allzu direkte mediale Kritik immer noch oft aus und in den meisten sozialen Netzwerken können sie eh schalten und walten wie sie wollen. Der Fall Matthias Ecke und die digitale Reaktion darauf zeigt, dass die Demokratie sich gegen ihre Feinde wehren muss. Und zwar nicht nur mit Lippenbekenntnissen – sondern mit allem, was das Arsenal der wehrhaften Demokratie hergibt. Sei es ein Ausschluss aus Talkshows, sei es der Entzug öffentlicher Finanzen oder eben auch ein Parteiverbotsverfahren.
Artikelbild: Matthias Ecke/SPD Sachsen/dpa; Screenshots DieInsider
Korrektur (8.Mai): In einer früheren Version hatten wir geschrieben, dass Martin Hess Landesvorsitzender in Rheinland Pfalz ist, er ist aber Landesvorsitzender in Baden-Württemberg.