Ein Mädchen hat an einem Gymnasium in Vorpommern rassistische Sprüche und sogar Neonazi-Parolen verbreitet. Rechte Propaganda-Seiten hatten einfach behauptet, dass der daraus folgende Polizeieinsatz wegen „Schlumpf“-Videos stattfand. Anstatt, dass seriöse Medien ihren Job machten, schrieben sie die rechte Desinformation ab. Nachdem das alles als Märchen entlarvt wurde, darf man nicht so tun, als sei nichts passiert. Entschuldigt hat sich niemand.
Es muss für AfD, „Junge Freiheit“, „Nius“ & Co. sehr bitter gewesen sein, dass ausgerechnet die „Welt“ die Lügengeschichte rund um das vermeintliche Schlumpf-Video einer 16-jährigen Gymnasiastin aus Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern entlarvten. „Gab es in der Schlumpf-Posse gar keinen Schlumpf?“, titelte das Springer-Medium Ende vergangener Woche. Und berichtete: „In dem Hinweis, den der Schulleiter erhalten hatte, ging es nie um Schlümpfe. Sondern um tief rechte Symbolik.“
Aber zu diesem Zeitpunkt war aus einem Polizeieinsatz Ende Februar am Gymnasium längst ein Skandal gemacht worden – im Zusammenspiel von rechtsradikalen und bürgerlichen Medien, AfD und CDU. Letztere brachte sogar eine Sondersitzung mehrerer Ausschüsse des Schweriner Landtags zur Aufklärung des Vorgangs ins Gespräch: „Das Ganze wirkt ungeheuerlich.“
Die Polizei selbst hatte den Einsatz erst publik gemacht, nachdem sich die Mutter des Mädchens an die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ gewandt und auf der Basis von Halbwahrheiten und falschen Fakten eine Welle der Empörung ausgelöst hatte. Deren Story, laut der die 16-Jährige „wegen eines harmlosen Schlumpf-Videos“ aus „dem Unterricht abgeführt“ worden sei, las sich ganz anders als der Polizeibericht.
Laut Polizei waren die drei Beamt:innen hingegen in die Schule gekommen wegen „mutmaßlich staatsschutzrelevanten Inhalten“ in mehreren TikTok-Postings des Mädchens. „Da der Grat zwischen erlaubtem und strafbarem Handeln mitunter schmal ist, entschlossen sich die Beamten zusammen mit der Schulleitung, mit der 16-Jährigen ein Aufklärungsgespräch mit präventivem Charakter zu führen“, teilte die Polizeidirektion Stralsund weiter mit. „Hierfür bat der Schulleiter die Schülerin aus dem Unterrichtsraum, während sich die Beamten in der Nähe auf dem Flur befanden und somit nicht von Mitschülern der Klasse wahrgenommen wurden.“
Doch für deutlich zu viele Redaktionen war diese Darstellung der Polizei offenbar zu differenziert. Mit Bildern von Schlümpfen illustrierten allerlei Redaktionen ihren Bericht. Dies geschah parallel zu einer von der AfD orchestrierten Kampagne in den sozialen Medien, die zu Hasstiraden und Drohungen gegen den Schulleiter und einer Aktion der Identitären Bewegung auf dem Gelände des Gymnasiums führte. Das rechte Hetzportal „Nius“ führte ein Interview mit Mutter und Schülerin, in Postings der AfD für die sozialen Medien klickten Handschellen.
Derweil wurden die tatsächlichen Inhalte der Postings systematisch verharmlost. Schlümpfe hier, beim Hetzportal „Nius“ des ehemaligen „Bild“-Chefs Julian Reichelt: „Polizeieinsatz nach Schlumpf-Video: Warum Schüler plötzlich fürchten müssen, denunziert zu werden“. Schlümpfe dort, in der rechtskonservativen „Neuen Zürcher Zeitung“: sie kommentierte „ein Staat, der eine Schülerin wegen eines Schlumpf-Videos mit einer ,Gefährderansprache‘ einschüchtert, hat jedes Maß verloren“.
Ein Schlumpf-Foto als Illustration auch, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, in der Online-Ausgabe des etablierten Berliner „Tagesspiegels“. Dort hieß es: „Schulleiter alarmiert die Polizei: 16-Jährige wegen Schlumpf-Video pro AfD aus Unterricht geholt.“ In einem Leserkommentar hieß es dazu: „Der Tagesspiegel verlinkt allen Ernstes zur Jungen Freiheit, nicht aber zur Polizeimeldung?“ Inzwischen heißt es auf der Internetseite des „Tagesspiegels“: „Anmerkung: Der Link zur PM der Polizei wurde nachträglich eingefügt.“
Redaktionen schreiben von der „Jungen Freiheit“ ab, die rechtsextreme AfD wird als Quelle im politischen Diskurs ebenso ernst genommen wie die Äußerungen aus demokratischen Parteien: Es ist eine Normalisierung, die gerade mit Blick auf die in vielen Bundesländern anstehenden Kommunalwahlen sowie auch die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sehr gefährlich ist.
Jens-Christian Wagner, der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sieht, wie er dem Volksverpetzer sagt, in einem solchen Vorgehen von Medien ein Beispiel dafür, dass Positionen der AfD „als Position innerhalb eines zulässigen Meinungsspektrums normalisiert und legitimiert“ würden. Und auch ein Beispiel dafür, dass die AfD „gezielte Desinformation“ betreibe, der sich mit sachlichen Argumenten im Austausch kaum begegnen lasse. Wagner ist besorgt, wenn die bürgerliche Mitte, wenn Parteien wie CDU oder FDP, hier nicht klare Kante zeigen.
Ähnlich ordnet die Linken-Innenpolitikerin im Bundestag, Martina Renner, die Debatte um die Vorgänge am Gymnasium in Ribnitz-Damgarten ein. Sie sagt dem Volksverpetzer:
„Während die CDU zu rechter Hetze bis hin zu tätlichen Übergriffen an Schulen meist schweigt, war sie hier gerne bereit, sich dem faktenfreien Kulturkampf der AfD anzuschließen. Sie treibt der plumpe und falsche Wunsch an, möglichst viele blau-braune Sympathisanten als Wähler zurückzuholen.“
Auf der Strecke bleibe eine offene Gesellschaft, in der Minderheiten geschützt werden.
Die Skandalisierung des Polizeieinsatzes in Ribnitz-Damgarten wurde von „Neue Zürcher Zeitung“, „Nius“ und „Junge Freiheit“ auch fortgesetzt, nachdem die Details über den wahren Inhalt der TikTok-Postings der 16-Jährigen bekanntgeworden waren. Ein Hinweisgeber hatte dem Schulleiter laut „Welt“ acht Screenshots geschickt, Schlümpfe waren nicht dabei. So hieß es beispielsweise: „In Deutschland wird deutsch gesprochen“, „nix yallah yallah“, „heimat freiheit tradition, multikulti endstation“ oder „Deutsche Jugend voran!“. Die letztgenannte Parole wird auch von der neonazistischen Kleinpartei „Der III. Weg“ auf Stickern verbreitet.
Die Landtags-SPD in Mecklenburg-Vorpommern erklärte, zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Schülerin hätten die offiziellen Stellen zunächst darauf verzichtet, Details zu den Postings zu veröffentlichen. Kommunikativ sei so „eine Lücke entstanden, die die AfD, die ,Junge Freiheit‘ und weitere Medien mit der Erzählung vermeintlich harmloser ,Schlumpf‘-Videos“ gefüllt hätten.“
Eine Entschuldigung für die Fakenews allerdings ist weder übermittelt von der AfD noch von meisten Medien, die die Schlumpf-Story verbreitet hatten. Die AfD ließ am vergangenen Freitag unter Bezug auf den Fall eine aktuelle Stunde „Meinungsfreiheit an Schulen schützen. Schule als ideologiefreien Raum sicherstellen“ auf die Tagesordnung des Bundestages setzen. Leif-Erik Holm, AfD-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, empörte sich dort über die „ewige Nazi-Keule“ und Stasi-Methoden. Er lobte das Vorgehen der „mutigen Mutter“ gegen das „skandalöse Vorgehen“ als „wichtiges Zeichen“. Bloß von Schlümpfen sprach Holm nicht mehr.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wenigstens hatte dazugelernt und kommentierte: „Was die AfD freilich auch am Freitag nicht begriff, ist, dass in einem Gemeinwesen nicht alles, was gedacht werden kann, auch folgenlos geäußert werden darf, da gibt es Strafbarkeitsgrenzen, und um die im Grenzfall zu ermitteln, darf ein Schulleiter auch mal die Polizei rufen.“ Allerdings hatte die FAZ zuvor unter der Überschrift „Hysterische Schnüffelei“ den Fall auch unter Bezug auf „die Verbreitung eines Schlumpf-Videos einer als verfassungsfeindlich eingeschätzten Partei“ kommentiert: „Hoffentlich ist die Überreaktion in einer Schule in Vorpommern nur ein fragwürdiger Fall aus einer anderen Welt.“
Artikelbild: wstock, Screenshots tagesspiegel.de, nius.de