Mit “Schwachkopf” sollen wir vom Terror und der AfD abgelenkt werden

Walter Lübcke wurde ermordet, nachdem er das nächste Ziel des rechtsextremen Hass-Mobs in Social Media wurde. So wurde er zum Ziel markiert. Sein Mörder engagierte sich im Wahlkampf für die AfD. So viele Politiker und Engagierte ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück, weil sie Hass und Hetze erfahren. Ganz neu: CDU-Politiker Marco Wanderwitz, der seine Familie schützen muss. Währenddessen lassen wir uns von einer Diskussion ablenken, ob Grüne wie Habeck im Gegensatz zu anderen Beleidigungen anzeigen dürfen. Die rechte Inszenierung rund um “Schwachkopf” hat das Ziel, rechte Straftaten zu verharmlosen, die Opfer zu Tätern zu machen. Und vom Terror im Umfeld der AfD abzulenken.

Eine viel wichtigere Meldung, die durch die Schwachkopf-Debatte wieder in den Hintergrund gerückt wurde, ist die Festnahme von Terrorverdächtigen. Terrorverdächtige, die unter anderem auch mit Ämtern in der AfD waren.

Die Bundesanwaltschaft ließ vor kurzem acht Neonazis festnehmen. Ihnen wird vorgeworfen, unter dem Namen „Sächsische Separatisten“ geplant zu haben, mit Waffengewalt Teile des Freistaats Sachsens zu erobern. Darauf sollten dann „ethnische Säuberungen“ folgen. Mehrere der mutmaßlichen Rechtsterroristen waren Mitglieder bei der AfD und/oder deren Nachwuchsverband. Es gibt ein Foto, auf welchem sie zusammen mit Faschisten Höcke zu sehen sind.

Die AfD hat die Beschuldigten schnell aus der Partei geworfen, aber das ist ja kein Einzelfall bei der AfD:

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann wird 2022 als Teil einer Razzia gegen Umsturzpläne der „Reichsbürger“ verhaftet. Sie wird im Gefängnis offenbar von mehreren AfD-Abgeordneten besucht. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass Malsack-Winkemann einige der Verschwörer bereits im September 2022 unter Ausnutzung ihrer Rechte als AfD-Abgeordnete im Bundestag herumführte.

AfD-Politiker Maximilian Krah ist Juli 2023 im Podcast beim rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek zu Gast. Darin unterstützt er unter anderem die islamistischen Taliban, da diese mit ihrem Einmarsch in die afghanische Hauptstadt Kabul die einzig „richtige Antwort“ auf den von der US-Botschaft ausgerufenen CSD in Afghanistan geliefert hätten.

Bei einem Geheimtreffen in Potsdam besprechen Rechtsextreme um den Identitären Martin Sellner letzten Herbst die massenhafte Vertreibung auch deutscher Staatsbürger. Mit dabei:

  • Der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig (damals persönlicher Referent der AfD-Bundessprecherin Alice Weidel).
  • AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy.
  • Pressesprecher der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg, Tim Krause. Krause trat bei den Landtagswahlen in Brandenburg 2024 wieder für die AfD an.
  • Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund. Er ist auch weiterhin (Stand: November 2024) Fraktionsvorsitzender der AfD.
  • Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, Patrick Harr. Harr ist auch der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) zuzuordnen.

Auf Kleine Anfrage einer sächsischen Landtagsabgeordneten der Fraktion „Die Linke“ im Februar 2024 wird bekannt, dass mehrere sächsische AfD-Mitglieder und auch Funktionäre eng mit der Reichsbürger-Szene, der Identitären Bewegung, dem rechtsextremen „Compact“-Magazin und den rechtsextremen „Freien Sachsen“ vernetzt sind.

In Roßlau wird im Juni 2024 ein AfD-Politiker, der ebenfalls früher Mitglied bei der verbotenen HDJ war, zum Bürgermeister gewählt. Und die ganze sächsische AfD ist schließlich gesichert rechtsextrem – also jeder einzelne ist ein Rechtsextremist. Von dieser wichtigen Debatte lenken sie mit dem “Schwachkopf”-Diskurs ab.

Im Juni 2019 wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten erschossen. Er war seit Jahren Ziel von rechten Kampagnen. Der Mörder kam aus der Szene, die jahrelang Angriffe auf den CDU-Politiker betrieben hat. Verkürzte und verfälschte Ausschnitte aus einer Rede, die sich für Schutzsuchende aussprach, wurden in rechten Gruppen massiv geteilt. Mit Kommentaren wie “Typischer Volksverräter dieser senile Trottel, so ist die CDU verkommen, zur Helferpartei für Asylschmarotzer….” [sic]. Ein anderer: “Warum wurde der nicht geteert und gefedert. Wäre was Neues, ein Stück Scheisse mit Federn!” [sic], wie der SPIEGEL dokumentierte. Nur harmloser Spott?

Kurz vor seinem Mord, nachdem die später in die AfD eingetretene CDU-Politikerin Erika Steinbach den verkürzten Ausschnitt erneut gepostet hatte, wurde erneut ein Hass-Sturm entfacht. Der Lübcke wohl zum Ziel auserkor. Und auch nach seiner Ermordung wurde die Tat von Rechtsextremen gefeiert. Shitstorms und Hass im Netz sind nicht harmlos. Wie der Spiegel 2019 schrieb: “Bis sich einer fand, der Worten Taten folgen ließ.”

Egal, ob Walter Lübcke oder die rechtsextremen Anschläge wie Halle oder Hanau: Den Taten gehen die Worte, die Drohungen, die Feindmarkierungen voraus. Das nennt man stochastischer Terrorismus. Marina Weisband (Grüne) erklärte es nach Hanau so:

„Stochastischer Terrorismus funktioniert so: niemand wird ausgebildet. Niemand gibt einen Befehl. Es wird nur so lange alle radikalisiert, bis die WAHRSCHEINLICHKEIT, dass etwas passiert, wächst. Und dann schlägt jemand zu. Irgendwann. Irgendwo. Und wir haben keine Terrorzelle, keine Schuldigen, die einen Auftrag gegeben hätten. Wir sagen „Einzeltäter“. Aber das ist es nicht. Es ist systematischer Terror. Und jeder, der ihre Geschichten erzählt, hilft ihnen bei der Fortsetzung. Wisst ihr, was ihn aufhält? Die Menschlichkeit der Opfer zu verteidigen. Um sie angemessen zu trauern. Solidarisch mit denen sein, die Angst haben müssen. Wenn das Ziel von Terroristen Entmenschlichung ist, muss Menschlichkeit unsere Maxime sein.“

Rechte standen mit Fackeln vor dem Wohnhaus einer sächsischen Ministerin (SPD), um sie einzuschüchtern, es gab einen rechten Fackelmarsch vor dem Privathaus des Oberbürgermeisters Daniel Szarata (CDU), auch vor dem Wohnhaus des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Der SPD-Politiker Karamba Diaby zieht sich wegen Hass und Rassismus zurück. Nach Anfeindungen gab der Landrat von Mittelsachsen Dirk Neubauer seinen Posten auf. Die grüne Politikerin Tessa Ganserer, ein Lieblingshass-Ziel der Rechten, zieht sich auch zurück. Und ganz neu CDU-Politiker Marco Wanderwitz.

Eine Studie zeigt, dass 36 Prozent der befragten Kommunalpolitiker in den sechs Monaten vor der jüngsten Erhebung Anfeindungen und Gewalt erlebten. 28 Prozent gaben an, bei der nächsten Kommunalwahl nicht mehr antreten zu wollen. Wenn Rechte Widerspruch bekommen, behaupten diese gerne, das sei “Cancel Culture” und eine “Meinungsdiktatur”. Offensichtlich sind sie jedoch diejenigen, die Andersdenkende aus dem Diskurs drängen. Oft mit Drohungen, Angriffen, Shitstorms, Beleidigungen. Aber auch mit Gewalt. Die folgt nach der Markierung im Netz. Das ist oft genug kein “Spott” gegenüber Mächtigen” – es ist der Versuch, Andersdenkende mundtot zu machen.

Jeder Zweite schränkt laut einer Umfrage seine Internetnutzung wegen Hass im Netz ein, sagt eine Studie. Seit Jahren ist allen klar, dass Hass und Hetze im Netz ein großes Problem ist. Menschen, die sich engagiert cancelt. Und die Plattformen und die Behörden zu wenig tun. Die Plattformen stehen in der Kritik, die Behörden hinken massiv hinterher. Wenn was getan wird, dann wie kürzlich in einem bundesweiten Einsatztag gegen Hasskriminalität und Antisemitismus.

“Insgesamt gab es den Angaben zufolge 127 polizeiliche Maßnahmen wie Durchsuchungen, Vernehmungen und Beschlagnahmungen in Deutschland. In zwei Dritteln dieser Fälle ermittelte die Polizei im Bereich politisch motivierter Kriminalität von Tätern mit mutmaßlich rechter Gesinnung. Die häufigsten Straftaten waren demnach Volksverhetzung, Beleidigung von Personen des politischen Lebens und das Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen”, schreibt der SPIEGEL.

Darunter waren auch Posts, die den Terror der Hamas feierten oder zu queeren Menschen “ab nach Auschwitz” sagten. Die Gefahr vom Hass im Netz wird immer größer. Die Innenministerin ruft auf, den Hass nicht hinzunehmen und ruft auf, Anzeigen zu erstatten. Mir selbst haben einige Staatsanwälte bereits gesagt, dass mehr angezeigt werden müsste, sonst können sie nichts gegen diese Bedrohung tun. Wir müssen mehr dagegen tun.

Aber dieser Aktionstag wurde gezielt durch rechtsradikale Medien missbraucht, um jetzt so zu tun, als sei dieser Kampf gegen die Bedrohung für die Meinungsfreiheit ein Problem – und die Opfer Schuld daran, dass sie strafbare Dinge anzeigen.

Einer der Männer, der Ziel einer Hausdurchsuchung in Bayern wurde, wird jetzt zum Aufhänger für die rechten Spindoktoren. Der Mann hatte ein Bild verbreitet, „auf dem ein SS- oder SA-Mann mit dem Plakat und der Aufschrift ,Deutsche kauft nicht bei Juden‘ sowie u.a. dem Zusatztext ,Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!‘ zu sehen“ gewesen sei, wie die Polizei sagte. Er hatte aber auch einen Beitrag gepostet, in welchem er Habeck als “Schwachkopf” bezeichnet hatte.

„Natürlich“ sei „‚Schwachkopf‘ nicht die schlimmste Beleidigung, die jemals ausgesprochen wurde“, sagte der Kanzlerkandidat der Grünen im „Bericht aus Berlin“ der ARD. “Doch habe er zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, Beleidigungen ahnden zu lassen”, wie die FAZ schreibt. Richtig so. Strafbare Inhalte sind strafbar. Und ich muss das erklären, weil Rechtsradikale versuchen, die Täter als Opfer zu präsentieren.

Die Rechten wollen das Recht auf strafbare Inhalte umsetzen. Recht auf Beleidigen, auf Hass. Auf buchstäblich strafbare Inhalte, die Strafbefehle nach sich zogen. Die Leute, die teilweise Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft deportieren wollen, sobald sie straffällig werden, versuchen jetzt, die Täter hinter dem Hass im Netz in Schutz zu nehmen.

Walter Lübcke wurde nach Hass im Netz umgebracht. Und heute empört sich das rechtspopulistische NIUS, dass eine Karikatur, die offenbar einen Mord oder zumindest brutale, blutige Gewalt zeigt, keine Volksverhetzung sein sollte?

Natürlich kann man gerne diskutieren, ob “Schwachkopf” eine Hausdurchsuchung nötig macht. Aber ebenso unverhältnismäßig ist die ganze, künstliche Debatte von Rechts darüber. Man kann auch niemanden beleidigen. Auch hat Habeck nichts damit zu tun, der darf anzeigen, was er will. Ob etwas Konsequenzen hat, entscheidet die Justiz. Nicht Herr Habeck. In Bayern hat übrigens die CSU das Justizministerium. Hier wird perfiderweise so getan, als ob strafbare Inhalte – einige der Beiträge wurden ja schließlich buchstäblich schon mit Geldstrafen versehen – alle nur “harmlose” Beleidigungen wären wie “Schwachkopf”.

Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki verharmloste am prominentesten Hass und Hetze im Netz, als er unterstellte, Habeck würde nur Beleidigungen anzeigen – und als ob man sich gefälligst beleidigen lassen sollte. Ein Jurist, der die Existenz eines Strafbestands in Frage stellt?

Im letzten Monat sprach Herr Kubicki noch von “Hass und Hetze” – buchstäblich nach einem Zitat aus einer Satire-Sendung, die man treffender als “Spott gegen Mächtige” nicht beschreiben könnte.

Später tut er so, als sei der Sammelbegriff für Straftaten “Hass und Hetze” keine rechtlichen Kategorie. Und als sei das alles nur “harmloser Spott über die Mächtigen”.

Ich hoffe, Herr Kubicki hat den Holocaust-verharmlosenden Post, wegen dem die “Schwachkopf”-Hausdurchsuchung auch stattfand, nicht absichtlich verharmlost. Aber genau das passiert hier: Antisemitismus und strafbare Inhalte werden hier relativiert, im Versuch, den politischen Gegner als überzogen zu präsentieren. Ob gewollt oder nicht, das nimmt Herr Kubicki hier in Kauf.

Die Rechten und Rechtsextremen haben hier etwas gefunden, mit dem sie glauben, die ganze Debatte auf den Kopf stellen zu können. Klar ist es überzogen, wegen “Schwachkopf” eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Aber diese eine Feststellung – der ich ja problemlos zu stimme – soll diese ganze Strategie vernünftig erscheinen lassen: Die Opfer zu Täter zu machen, den Hass zu verharmlosen und von der größten Bedrohung durch Rechtsterrorismus und AfD ablenken.

Die rechten Desinformationsmedien und diejenigen, die sie konsumieren, schlachten das Thema jetzt natürlich genüsslich aus. Es wäre ein Fehler, diese eine aus dem Kontext gerissene Sache mit ihnen zu diskutieren. Was strafbar ist oder nicht, entscheidet der Rechtsstaat. Ob ein Reichelt oder ein Kubicki einen Post gut oder schlecht findet, ist zweitrangig. Und auch Habeck hat damit nichts zu tun. Friedrich Merz zeigte vor kurzem auch eine Frau aus Haßbergen wegen Beleidigung an, die Merz und seine Partei “A*schlöcher” nannte. Sie erhielt einen Strafbefehl. Markus Söder hatte Strafantrag gegen den österreichischen Rechtspopulisten Gerald Grosz wegen der Beleidigung als “Trottel” gestellt. Grosz war schon einmal wegen Beleidigungen gegen Söder verurteilt worden.

Es ist ganz normal, Beleidigungen können strafbar sein und man darf sie anzeigen. Nur wenn es ein Grüner macht, wird das zum Skandal hochgejazzt. Und wer diese gezielte Relativierungskampagne rechtfertigt, lässt die Rechten damit durchkommen. Sie wollen hier Täter und Opfer umkehren. Aus Worten folgen Taten. Die Hetzer im Netz sollten mehr Angst haben, unsere Politiker zu bedrohen, nicht weniger. Denn das zerstört unsere Demokratie. Und irgendwann greift wieder einer zur Waffe.

Diese sinnlose Debatte, die, wenn man zwei Schritte zurück geht, völlig absurd wirkt, lenkt uns von wirklich gefährlichen Entwicklungen ab. Von der wahren Bedrohung durch die AfD. Die im Übrigen Weltmeisterin ist, sich als Opfer zu inszenieren, bei jeder Beleidigung und Bedrohung – ob real oder nicht. Ein vermeintlicher Stich bei Chrupalla wurde von der AfD zum “Anschlag”, den es nie gab, aufgeblasen. Und jetzt sollen die Grünen wehleidig sein?

Fragt lieber: Warum befinden sich so viele gewaltsame Umsturzpläne im Umfeld der AfD? Warum ist der Weg zu dieser Partei nie weit, warum sind so oft Parteimitglieder involviert? Und warum wird das neue Gutachten des Verfassungsschutz über die AfD verschoben? Ist es nicht schon längst so weit, ernsthaft über das Parteiverbot nachzudenken? Und können wir uns weniger von inszenierten Empörungskampagnen ablenken lassen?

Artikelbild: Swen Pförtner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

 

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