Die AfD ist auf TikTok bloß mittelgut. Aber die etablierten Medien sollten es ihr nicht leichter machen als nötig: Denn die AfD ist nur stark, wenn wir ihr die Aufmerksamkeit geben.
Es ist ein verbreitetes Klischee: Keine Partei versteht sich so gut darauf, die sozialen Medien für ihre Zwecke zu nutzen wie die AfD. Aber ist das auch richtig? In einer Studie „Social-Media-Partei AfD?“ räumt die Otto-Brenner-Stiftung (OBS) jetzt teilweise auf mit dieser Einschätzung. Die Wissenschaftsstiftung der Industriegewerkschaft Metall hat die digitalen Aktivitäten der extrem rechten Partei in den zurückliegenden Landtagswahlkämpfen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg untersucht.
Das zentrale Resultat: Die digitale Leistung der AfD werde „häufig überschätzt“. Sie hänge letztlich stark von der medialen Resonanz ab. Mit anderen Worten: Wenn sich die AfD – und vor allem ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ – als „Provokationsmotor“ betätigen, ist bei etablierten Medien und auch in der Zivilgesellschaft Zurückhaltung angebracht, denn viele Gegenreaktionen verschaffen der Partei erst die große Reichweite. „Um eine Breitenwirkung zu entfalten, benötigt es die Interaktion mit reichweitenstarken Medien“, heißt es in dem Arbeitspapier.
Autoren der am Montag veröffentlichten Studie sind der Konfliktforscher Maik Fielitz, der Politikwissenschaftler Harald Sick, der Informatiker Michael Schmidt und der Datenwissenschaftler Christian Donner. Alle vier sind aktiv in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“, die im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie lieben!“ vom Bundesfamilienministerium gefördert wird.
Detailliert untersucht haben die Autoren naturgemäß unter anderem die Aktivitäten der AfD auf der Kurzvideo-Plattform TikTok, daneben auch Telegram, Facebook und die Livestreams auf YouTube. TikTok werde „vielfach als Erfolgsfaktor der AfD gehandelt“, schreiben die Autoren.
Tatsächlich hat etwa der früher für die Grünen tätige Politikberater Johannes Hillje schon zu Jahresbeginn in deutlichen Worten gemahnt: „Andere Parteien überlassen der AfD nicht nur einzelne Plattformen wie TikTok, sondern die politischen Emotionen im Land.“ Es war eine Einschätzung, die er unter anderem mit den umfangreichen TikTok-Aktivitäten des Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah begründete. Gestützt wird die These zusätzlich durch das überdurchschnittlich gute Abschneiden der AfD unter jungen Wähler:innen.
Die Autoren der OBS-Studie stellen nun jedoch fest, dass an die Aufmerksamkeit für den Europa-Kandidaten Krah in den Wahlkämpfen in den drei ostdeutschen Bundesländern nur eingeschränkt habe angeknüpft werden können. Zwar sei die Partei auf TikTok massiv vertreten gewesen. „Zumindest mit Blick auf die drei Landtagswahlkämpfe wäre es allerdings falsch davon auszugehen, dass sich die AfD besonders der Kultur der Plattform anzupassen vermag.“ Viele AfD-Accounts würden eher eine ältere Generation ansprechen, „als dass sie Inhalte produzieren, die für eine junge Zielgruppe relevant wären“.
Eine Ausnahme beobachteten die Autoren lediglich bei einzelnen AfD-Kandidaten aus Brandenburg, die sich offenkundig tatsächlich Krah zum Vorbild genommen hätten. In Sachsen dagegen habe die AfD „im digitalen Raum vergleichsweise wenig Akzente gesetzt“, heißt es weiter – was auch mit der Konkurrenz durch die letztlich bei den Wahlen erfolglose rechtsextreme Kleinpartei „Freie Sachsen“ und der von ihr ausgeübten „starken Dominanz“ im Netz zu tun hatte.
Und in Thüringen sei der digitale Wahlkampf weitgehend auf den Spitzenkandidaten Björn Höcke zugespitzt worden. Eine wichtige Rolle spielte allerdings auch hier laut Studie die „Junge Alternative“, die für die Vernetzung mit dem extrem rechen politischen Vorfeld gesorgt habe und mit extremen, rassistischen und migrationsfeindlichen Aussagen provozierte. „Dort wo die Bindung der Partei zu ihrer Jugendorganisation am engsten war, konnten auch externe Unterstützungsnetzwerke aktiviert werden.“
Eine besondere Stärke des Arbeitspapiers der Stiftung liegt in der Mahnung an Politik, Medien und Zivilgesellschaft, sich so gut es geht von den „digitalen Fallstricken“ der AfD fernzuhalten. Diese sollten nicht Teil der digitalen Inszenierung der extrem rechten Partei werden, fordern die Autoren. Und wenn die AfD versuche, sowohl die sozialen als auch die etablierten Medien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, müsse erst recht vor einem „unbedachten Umgang“ mit dieser Partei gewarnt werden, damit diese nicht weiteren Rückenwind bekomme.
Das gute Abschneiden der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg insbesondere unter jungen Menschen werde der AfD neuen Zuspruch geben, sich auch digital noch stärker aufzustellen, vermuten die Studienautoren. Im Blick habe die Partei dabei auch stets, „die mediale Aufmerksamkeit für sich spielen zu lassen“.
Dies ist eine Botschaft an die etablierten Medien, die auch der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, Jupp Legrand, aufnimmt: „Breitenwirkung erzielte das digitale Campaigning der Partei vor allem dann, wenn Provokationen medial breit aufgegriffen werden.“ Zwar bestehe zweifelsohne auf Seiten der demokratischen Akteure großer Nachholbedarf, was die sozialen Medien angehe. Die Studie zeige aber auch, dass die AfD auf den Plattformen zumindest im Osten der Republik „weit weniger professionell aufgestellt ist, als dies manchmal durch die mediale Berichterstattung erscheint“.
Eine Empfehlung, wie demokratische Parteien, Zivilgesellschaft oder auch Journalist:innen auf TikTok agieren sollen, enthält die Studie nicht – eröffnet ist aber auch diese Diskussion. Eine Antwort dazu gab im Oktober Helene Rainer, die für den Bayerischen Rundfunk 2018 das preisgekrönte Nachrichtenformat News-WG konzipierte und als eines der prominentesten Gesichter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den sozialen Medien gilt.
Helene Rainer sagte der Zeitschrift „Journalist:in“ mit Blick auf rechtsextremistische Inhalte bei TikTok und junge Wähler:innen, man dürfe für Desinformation und Populismus auf diesem Kanal nicht mal TikTok die Schuld geben: „Da sind einfach Leute, die schlauer und schneller waren, um die Plattform für sich zu nutzen und gezielt Desinformation zu streuen. Deshalb ist es wichtig, dass wir dort weiterhin unterwegs sind. Dass wir Journalistinnen und Journalisten bei all dem wilden Zeug das Gegengewicht sind.“
Artikelbild: Jean-Francois Badias/AP/dpa