Der Absturz der AfD 2024, den niemand mitbekommen hat

In letzter Zeit zeichnet sich zweifelsohne in Deutschland ein deutlicher Rechtsruck ab. Das ist natürlich ein internationaler Trend und hat weit weniger mit der gescheiterten Ampel-Regierung zu tun, als verkürzte, nationale Analysen oft behaupten. Aber es gibt Analysen zufolge immer mehr Menschen mit rechtsextremem Weltbild, es gibt einen deutlichen Anstieg der Ausländerfeindlichkeit. Und die AfD feierte natürlich Zugewinne in den Wahlen im Jahr 2024, der EU-Wahl und den Landtagswahlen im Osten. Aber 2024 war nicht das Jahr der AfD, wie es vielleicht scheint. Der Absturz AfD, den niemand bemerkt hat.

Der Rechtsruck scheint in Deutschland unaufhaltsam. Doch wer denkt, hier geht es nur in eine Richtung, sieht nicht das ganze Bild. Und eine Politik, die dieses Narrativ glaubt (oder erzählt), führt einen Diskurs und setzt Maßnahmen um, die diese Erzählung wie eine selbsterfüllende Prophezeiung erst wahr machen. Eine Tatsache, die wahr ist, aber sich für viele merkwürdig anfühlen dürfte, ist, dass die AfD viel schwächer ist als noch vor einem Jahr.

Schaut man sich zum Beispiel die Entwicklung der AfD in den Umfragen der Forsa an, sieht man den Abwärtstrend deutlich. Ende letzten Jahres lag die AfD bei 22 %, sogar 23 %. Heute sind es 17 %.

Schauen wir zum dawum-Wahltrend. Der ist noch belastbarer als ein paar ausgewählte Umfragen eines Instituts. Dawum berechnen den Trend aus den jeweils neuesten Umfragen der großen Umfrageinstitute, gewichtet nach dem, wie aktuell sie sind. Auch hier ist der Trend deutlich: von ~21 % auf ~16 %,

Klar, von einem Tief im Mai 2024 hat sich die AfD ein klein wenig erholt, aber ist noch weit entfernt von ihren Spitzenwerten von vor einem Jahr. Seit dem Frühling stagniert die AfD, abgesehen von leichten Schwankungen, die statistisches Rauschen sein könnten, bei 16 -18 % Aber es ist sichtbar: Die AfD hat insgesamt in den letzten 12 Monaten stark an Zustimmung in Umfragen verloren. Ihre Wahlergebnisse bei den Wahlen wären, wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, vor einem Jahr noch größer gewesen.

Das ist kein Grund zur Entwarnung. Es negiert nicht die erschreckenden Wahlerfolge der AfD. Bei den Landtagswahlen in Thüringen ist erstmals seit 1933 eine rechtsextreme Partei bei einer Wahl stärkste Kraft in Deutschland geworden. Ihr Zuwachs zu den jeweils vorangegangenen Wahlen ist real. Aber ein Narrativ “Es wird immer rechter” und “Es wird immer schlimmer” kann zu Resignation führen, insbesondere bei Nachrichten wie der erneuten Wahl des rechtsextremen Donald Trump.

Es ist wichtig zu wissen, warum die AfD jetzt viel schwächer ist als noch vor einem Jahr. Und nein, das BSW hatte nur einen sehr geringen Anteil daran. Die kurze Antwort ist: Correctiv. Und die Enthüllung des Geheimtreffens in Potsdam, wodurch bekannt wurde, dass auch AfD-Mitglieder gemeinsam mit weiteren Rechtsextremen und anderen die Vertreibung von Millionen von Menschen, auch deutschen Staatsbürgern aus Deutschland diskutierten.

Und ja, das dürfen Volksverpetzer und auch Correctiv weiterhin behaupten, trotz Ligitations-PR-Kampagnen vom AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau. Er mag es aufgrund ein paar gewonnener Prozesse über Detailfragen anders darstellen, aber Correctiv darf die wesentlichen Punkte der Recherche bis heute so stehen lassen und auch gegen Volksverpetzer ist er vor Gericht gescheitert.  Wir dürfen weiterhin sagen, dass Correctiv aufgedeckt hat, dass auch die „Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ im Geheimtreffen in Potsdam geplant wurde. 

Im Gegenteil, die Teilnehmer wie Rechtsextremist Sellner scheinen zu versuchen, unbemerkt zurückzurudern. Anwalt Chan-jo Jun argumentiert, dass die Strategie des AfD-Anwalts durchschaubar ist. Und Sellner selbst hat vor kurzem sogar im Widerspruch zu den eidesstattlichen Versicherungen quasi alles zugegeben. Man muss sich also von den PR-Strategien der Rechten nicht ablenken lassen – das ist nämlich ihr Ziel.

Guter Journalismus, der die vielen, vielen rechtsextremen Skandale der AfD nicht nur enthüllt, sondern auch als den Skandal präsentiert, der er ist, ist wichtig. Aber fast noch relevanter ist die Reaktion der deutschen Bevölkerung darauf gewesen. In manchen Medien wird und wurde erzählt, dass “zehntausende auf die Straßen gingen”. Das ist eine extreme Untertreibung. Die Reaktion war eine der größten Protestbewegungen in der deutschen Geschichte. Das Ausmaß der Demonstrationen ist vielen nicht klar.

Volksverpetzer hat bis Anfang April Demonstrationen dokumentiert, und dabei konservative Schätzungen der Demo-Zahlen registriert und gezählt. Wir kamen auf 1331 Demonstrationen mit 4.128.000 Teilnehmenden.

Viele Menschen waren zum allerersten Mal demonstrieren. Hier ging einfach jeder auf die Straße, von CSU bis Linken demonstrierten alle gemeinsam. Die gesamte Zivilgesellschaft und das gesamte demokratische Spektrum. Während medial kleinen Demonstrationen von Rechtsextremisten viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, waren sie gar nicht in der Lage, proportional über diese Protestbewegung zu berichten. Das Bild des Ausmaßes ist massiv verzerrt.

Es mag sich heute nicht mehr so anfühlen, aber diese Menschen sind ja nicht weg. Sie mögen frustriert und desillusioniert sein seit den Demonstrationen. Aber sie sind alle noch da. Die Ablehnung der AfD ist noch da, versteckt hinter den negativen Schlagzeilen. Und auch wichtig: Der Schaden, den sie für die AfD angerichtet haben, ist immer noch da. Die Brandmauer wurde wieder gestärkt. Zumindest in der Bevölkerung

Aus zwei wichtigen Gründen sollten wir nicht einfach übersehen, dass die AfD heute viel schwächer ist als noch vor einem Jahr. Ein wichtiger ist, dass die Politik das auch lernen muss. Wenn Abgeordnete in Bundestag und Regierung die Erzählung glauben, dass sich alle mehr Härte in Migration und mehr Rechtsruck wünschen, werden sie das auch umsetzen. Aber hier ist die Richtung falsch erzählt. Nicht die Bevölkerung wird rechter und deswegen fordern auch demokratische Parteien mehr Rechtes, sondern umgekehrt.

Dass die Zustimmung für die rechtsextreme AfD oder der Wunsch nach einer rechtsgerichteten Diktatur (wünschen sich 6,6 % der Deutschen!) steigt, ist kein Naturgesetz. 4 % stehen laut der neuen “Leipziger Autoritarismusstudie” offen für eine Diktatur, 8,5 % für einen “Führer” mit “starker Hand”, je 14,9 % respektive 15,2 % weitere latent. Das Problem ist da und es ist extrem groß.

Aber entgegen dem, was uns von Politikern und Medien eingeredet wird, haben die meisten eigentlich kein Problem mit Migration oder einigen anderen Themen, die als wichtig erachtet werden. Die Wichtigkeit des Themas Migration (als Problem) stieg erst in den letzten Monaten in Umfragen und die Offenheit für Schutzsuchende ist erst durch die übermäßige Thematisierung gesunken. Aber wir wissen laut Studien, dass dort die Einstellungen gegenüber Schutzsuchenden und Migranten negativer sind, wo es weniger Migranten gibt. Genau in den Städten und Regionen, wo viele Migranten und Schutzsuchende leben, ist die AfD schwächer.

Links Ausländeranteil, Rechts AfD-Wahlergebnis 2017

Eine aktuelle Umfrage aus Großbritannien zeigt die Diskrepanz, die bei uns ganz ähnlich sein dürfte: 32 % sehen Migration als wichtiges Problem für ihr Land. Aber nur 4 % für sich persönlich.

Auch bei der US-Wahl hat sich gezeigt, dass genau diejenigen eher Trump wählen, die über genau die Fakten keine Ahnung haben, derentwegen sie Trump gewählt haben – Migration oder wirtschaftliche Lage. Also: Wenn du weißt, wie die Wirtschaft wirklich aussieht – deutlich besser, als die meisten denken – hast du viel eher Harris gewählt.

Link

Ich habe dazu einen ausführlichen deep dive verfasst, der diese Diskrepanz genau aufgeschlüsselt hat.

Und auch eine neue Studie der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung hat herausgefunden, dass die Deutschen den Aufstieg der AfD und den Rechtsruck für eine fast doppelt so große Gefahr halten wie Migration.

Die Menschen haben im Alltag weit weniger Probleme mit Migration, als es in Medien und in der Rhetorik mancher Politiker dargestellt wird. Aber wenn sie von demokratischen Mainstream-Politikern und in etablierten Medien ständig und überproportional darüber lesen, dass die Migration das größte Problem im Land sei, dann glauben sie das eben irgendwann auch. Oder geben es zumindest so an.

Trotz häufigem Verweis auf die Meinungen der Wähler agieren demokratische Politiker strategisch, indem sie diskursiv Probleme erst schaffen, für die sie dann (verkürzte) Lösungen präsentieren können. Probleme und (Schein-) Lösungen, die sie zuvor bei der extremen Rechten abgeschaut haben. Dies führt dazu, dass die politische Agenda nach oben hin immer rechter ausgerichtet wird, unabhängig davon, ob dies tatsächlich den Wünschen der Mehrheit entspricht.

Untersuchungen zeigen deutlich, dass Politiker in Deutschland oft ein konservativeres Bild der öffentlichen Meinung haben, als es tatsächlich der Fall ist. Eine umfassende Studie, die 866 Politiker aus Belgien, Kanada, Deutschland und der Schweiz befragte, ergab, dass 81 % der befragten Politiker glauben, die Öffentlichkeit sei konservativer eingestellt, als sie tatsächlich ist. Dieses Missverständnis führt dazu, dass politische Entscheidungen häufiger nach rechts ausgerichtet werden, als es die tatsächlichen Präferenzen der Bevölkerung verlangen.

Ein Blick auf die CDU verdeutlicht dieses Phänomen weiter. Eine Forsa-Umfrage zeigte, dass etwa 70 % der CDU-Anhänger einen Kurs der Mitte befürworten, während nur 29 % mehr „konservative Werte“ wünschen. Im Gegensatz dazu bevorzugen 53 % der Mitglieder und 65 % der Funktionäre einen konservativeren Kurs. Besonders deutlich wird dies bei der Unterstützung für prominente Parteiführer: Anhänger von Friedrich Merz favorisieren mit 66 % deutlich stärker einen konservativen Kurs als Anhänger von Hendrik Wüst, von denen nur 40 % eine konservative Ausrichtung wünschen, während 58 % einen Kurs der Mitte bevorzugen.

Diese Diskrepanz zeigt, dass die führenden Funktionäre der CDU eine weit konservativere Agenda verfolgen, als es die Basis und vor allem auch die Wählerschaft der Partei wünscht. Interessanterweise sind Mitte-Politiker wie NRW-Ministerpräsident Wüst bei den CDU-Anhängern beliebter als Friedrich Merz und haben auch in der breiten Bevölkerung eine höhere Zustimmung.

Der Rechtsruck unter Spitzenpolitikern passiert auch, weil sie irgendwo glauben, der Zuspruch zur AfD wachse und man müsse “diese Wähler zurückgewinnen”. Doch weder funktioniert das, wie Studien zeigen, noch ist das ja für 2024 wahr gewesen, oder? Die AfD verliert und sogar die anfangs als progressiv gepriesene Bundesregierung beschloss noch härtere Asylverschärfungen und sogar Grenzkontrollen.

Wir erzählen uns die Geschichte vom unaufhaltsamen Aufstieg der AfD, und wir glauben sie. Und früher oder später wird dann mit Pragmatismus kapituliert. Deshalb ist es wichtig zu zeigen: Diese Geschichte ist nicht wahr. Und sie muss auch nicht das dominante Narrativ in den Medien sein. Wenn die Medien ihren Job machen und wenn unsere Politiker gut informiert sind – und ihre Wähler gut informieren. Über das Medienversagen im Umgang mit Faschisten und Lügnern habe ich schon in meinem Buch “Werbung für die Wahrheit” geschrieben. 

Aber auch wir können daraus lernen, wenn wir wissen, dass die AfD in den letzten 12 Monaten stark geschwächt wurde: Was wir machen, ist nicht hoffnungslos. Gute Recherchen, Enthüllungen über die vielen, vielen Skandale der AfD, helfen. Wenn wir geschlossen sind, und unsere Stimme äußern, hat das einen krassen Effekt. Denn, so ausgelutscht wie es sein mag: Wir sind halt einfach mehr. Die große Mehrheit will hierzulande den Trump-ismus nicht. Nicht die AfD. Nicht so eine Art Politik der Lügen und der Spaltung.

In unserem Land gibt es ein enormes Potential an Menschen, die sich nach etwas Anderem sehnen, als das, was wir geboten bekommen: Rechts oder weiter so. Es ist zwar ein Klischee, aber: Wir sind mehr. Und wir können es anders machen. Wir werden es anders machen.

  • Nutzt eure Stimme, online, offline und an der Wahlurne.
  • Schreibt euren Abgeordneten. Tretet in eine demokratische Partei ein.
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  • Nutze deine Stärken – egal ob Public Speaking, Gestalten, einfühlsame Gespräche oder auch Papierkram, Organizing, Verwaltung − alle werden gebraucht!
  • Pick your battles! Du musst nicht alles machen, und sollst nicht ausbrennen. Sei auch für dein Umfeld und deine Community da!
  • Organisiert euch in der Nachbarschaft, organisiert selbst Demonstrationen.
  • Wir haben Übersicht-Karten mit Organisationen in den ostdeutschen Bundesländern erstellt, bei denen ihr euch engagieren könnt.

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Anfang des Jahres ging eine der größten Protestbewegungen der deutschen Geschichte auf die Straße. Die Menschen sind nicht weg. Der Effekt ist nicht weg, die AfD ist schwächer geworden, auch wenn das die Meisten in Politik und Medien ignorieren. Es ist also möglich. Trump-ismus ist bei uns nicht unausweichlich. Und wir können ihn gemeinsam verhindern. Wir haben 2024 die AfD nachhaltig geschwächt. Wir können es wieder tun.

Artikelbild: canva.com

 

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