Wir waren am Wochenende des 86. Jahrestag der Reichspogromnacht aktiv, um eine antifaschistische Gedenkkultur zu prägen und am Leben zu erhalten.
Am 9. November sind wir gemeinsam mit den Genoss:innen vom OAT Rems-Murr nach Welzheim gefahren, um dort vor dem ehemaligen KZ den Opfern der Novemberpogrome 1938 zu gedenken. Einen ausführlichen Bericht hierzu findet ihr beim OAT Rems-Murr.
Am 10. November haben wir uns der Veranstaltung des AK Synagogenplatz angeschlossen, um auch bei uns lokal eine antifaschistische Gedenkkultur zu etablieren und vor allem als ziemlich junges Treffen hierzu eine Praxis zu entwickeln.
Aufgrund von politisch inhaltlichen Widersprüchen in den Redebeiträgen von Renate Schmetz (Erste Bürgermeisterin Ludwigsburg) und Prof. Dr. Barbara Traub (Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs) haben wir vor Ort entschieden, unseren Gedenkkranz bereits vor Beendigung der Veranstaltung abzulegen, unsere Kerzen anzuzünden und die Gedenkkundgebung somit ruhig aber bestimmt frühzeitig zu verlassen. Die Redebeiträge stellten vor allem die deutsche Staatsräson in der Vordergrund und bezogen sich positiv auf eine „israelische Selbstverteidigung“. Der Genozid an den Palästinenser:innen wurde nicht erwähnt. Hierzu wird in den nächsten Wochen noch eine ausführliche Stellungnahme folgen.
Nachdem wir die Kundgebung am Ludwigsburger Synagogenplatz verlassen haben, sind wir in die Hindenburgstraße losgezogen. Dort haben wir die Straße nach Anna Pape umbenannt. Ludwigsburg war Anna Papes Wahlheimat. Dort fand sie den Anschluss an die Arbeiterbewegung und war vor allem in der Internationalen Arbeiterhilfe tätig. Aufgrund ihres Engagements und ihres Widerstandes wurde sie bis 1937 insgesamt drei Mal inhaftiert – unter anderem in Gotteszell, dem ersten württembergischen Konzentrationslager für Frauen. Von dort aus gelang ihr die Flucht nach Frankreich, wo sie zwischenzeitlich wieder in Internierungslager gesteckt wurde. Letztendlich gelang es ihr, in Südfrankreich bis zum Kriegsende 1945 unterzutauchen. Nachdem der Krieg vorbei war, kehrte sie nach Ludwigsburg zurück, beteiligte sich dort am Wiederaufbau der Stadt und war Gründungsmitglied und spätere Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) im Kreis Ludwigsburg.
Bisher war die Straße nach Paul von Hindenburg benannt. Hindenburg wurde 1925 Reichspräsident der Weimarer Republik, die 1929 von der Weltwirtschaftskrise erschüttert wurde. Sowohl vor als auch während der Wirtschaftskrise setzte Hindenburgs Regierung Politik im Interesse des Kapitals durch.
Die Folgen der Krise wurden auf die Arbeiter:innen abgewälzt, wodurch der Frust in der Gesellschaft größer und die Not dringlicher wurde. Die Regierungsaufstellungen wechselten im Monatstakt durch Notverordnungen von Hindenburg selbst. Sowohl die Regierungssituation als auch die Krisenfolgen hatten zur Folge, dass die NSDAP mehr Zuwachs erhielt. Als Konsequenz daraus ernannte Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler. Die Folge daraus war die Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung, der industrielle Massenmord an den europäischen Jüd:innen, der 2. imperialistische Weltkrieg, der Völkermord an den Sowjetvölkern und von Sinti und Roma
Ein Gedenken an Hindenburg im öffentlichen Straßenbild halten wir für falsch und haben dementsprechend die Sache selbst in die Hand genommen und die Straße nach Anna Pape, einer Widerstandskämpferin und auch nach dem Krieg noch aktiven Antifaschistin, umbenannt.
Für uns als Antifaschist:innen ist die Bezugnahme auf und das Gedenken an frühere Antifaschist:innen und Widerstandskämpfer:innen wichtig. Einerseits, um sie und ihre Namen in Ehren und am Leben zu halten, andererseits, um aus der Geschichte zu lernen und dadurch auch unsere heutige Praxis weiterentwickeln zu können. Dass dieses Gedenken nicht von Seiten der Stadt aus passiert, überrascht nicht. In zahlreichen deutschen Städten sind Straßen nach Hindenburg und sonstigen Kriegstreibern und Nazi-Kollaborateuren benannt – öffentliches Gedenken an Antifaschist:innen und Personen aus dem Widerstand sucht man häufig vergebens. Wenn man bedenkt, dass die AfD bei den vergangenen Landtagswahlen im Osten mehrmals stärkste Kraft wurde und auch hier lokal große Wahlerfolge einfahren konnte und mittlerweile im Ludwigsburger Gemeinderat vertreten ist, wird uns klar, dass die Aussichten für die Zukunft nicht unbedingt besser werden.
Die viel beschworene „Brandmauer gegen Rechts“ steht schon länger nicht mehr und es ist nur eine Frage der Zeit, bis, zumindest auf Landesebene, eine Regierungskoalition gemeinsam mit der AfD stattfindet.
Doch nicht nur steht die Brandmauer nicht mehr, auch die bürgerlichen Parteien von Ampel bis CDU rücken immer weiter nach rechts. Mit Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, Debatten um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, Kürzungen und Einsparungen in sozialen und kulturellen Bereichen und einer Verschärfung des Asylrechts sowie vermehrten Abschiebungen setzt die Ampel derzeit Politik um, die vor ein paar Jahren noch Forderungen der AfD war. Statt mit dieser rechten Realpolitik der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen und deren Wähler:innen abzugreifen, sorgt die Regierung jedoch lediglich dafür, dass gesellschaftlich der Diskurs nach Rechts verschoben wird und die AfD und neuerdings auch faschistische Jugendgruppierungen an Zuwachs und Popularität gewinnen.
Wie auch zu Zeiten der Weimarer Republik setzen auch die heutigen Regierungen Politik im Interesse des Kapitals durch. Während die Ampel sich einen „linken“ Anstrich verpassen wollte, zeigen andere Parteien, wie etwa die CDU, deutlicher ihr Gesicht. Im Endeffekt stehen jedoch alle auf derselben Seite: auf der Seite der Kapitalist:innen und Konzerne.
Auch jetzt werden die Krisenfolgen auf uns Arbeiter:innen abgewälzt und es wird versucht die Rechten in Zaum zu halten, indem man sich ihnen anbiedert und ihnen Zugeständnisse macht. Die Geschichte jedoch hat uns gezeigt, dass diese Herangehensweise keine Lösung für das Problem ist, sondern im schlimmsten Fall im Faschismus endet!
Gegen Faschist:innen hilft kein Anbiedern und rechte Realpolitik. Da hilft es auch nicht, wenn man sich bei den Demos gegen Rechts Anfang des Jahres von der Presse ablichten lässt. Das ist kein Antifaschismus.
Wir müssen uns gemeinsam organisieren und sowohl gegen die Rechten vorgehen, aber auch die Politik der Herrschenden anprangern. Um die Rechtsentwicklung zu bekämpfen müssen wir gemeinsam auf die Straße gehen, in unseren Betrieben, Schulen und Unis klare Kante gegen rechte Hetze und Ideologien zeigen, Aufklärungsarbeit betreiben und eine antifaschistische Kultur schaffen. Teil dieser Kultur muss es sein, das Gedenken an verstorbene Antifaschist:innen am Leben zu erhalten – so wie wir es heute mit der Straßenumbenennung gemacht haben.
Widerstand und organisierter Antifaschismus ist notwendig – damals wie heute. Solange wir mit der AfD eine in Teilen faschistische Partei in den Parlamenten haben, es immer mehr faschistische Jugendgruppierungen gibt und die bürgerlichen Parteien rechte Realpolitik im Interesse des Kapitals durchsetzen, solange muss unser Kampf weitergehen!
Weg mit der Hindenburgstraße! Her mit der Anna-Pape-Straße!
Kommt zur Antifa!