Deutschland debattierte, ob und wie ein AfD-Verbotsverfahren durchgeführt werden soll. Unsere Petition, in welcher wir die Prüfung eines AfD-Verbots forderten, hat inzwischen über 871.000 Unterschriften und wurde von Volksverpetzer bereits an die Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und letzten Monat an den Bundestag an Abgeordnete verschiedenster Parteien um Marco Wanderwitz (CDU) überreicht, die einen Antrag dazu im Parlament einbringen wollen.
Jetzt ist seitdem Einiges passiert. Neue Terror-Enthüllungen aus der AfD, ein zweiter Antrag von einigen Grünen um Renate Künast und natürlich am wichtigsten: Das Ende der Ampel-Regierung und die damit einhergehenden Wahlen, die jetzt doch nicht erst im Herbst 2025 stattfinden werden. (Eilmeldung: Sondern am 23. Februar 2025.) Und natürlich die erwartete Hochstufung der AfD als im Gesamten gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz, die noch für November erwartet wird. Was passiert jetzt?
Selten ist ein Artikel so schnell überholt worden durch aktuelle Ereignisse. Der Transparenz halber lassen wir den Artikel nach diesem Abschnitt stehen, wie er gestern veröffentlicht wurde, inbesondere die Hintergrundinformationen und die Darstellung der Unterschiede vom Wanderwitz-Antrag und Künast-Antrag sind noch interessant, aber neue Informationen, die nur wenige Stunden nach Veröffentlichung bekannt wurden, haben die Einschätzung des Artikels und den nächsten Ablauf komplett verändert.
Kurz: Es wird auf keinen Fall mehr ein Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren in dieser Legislatur kommen und auch eine Hochstufung durch den Verfassungsschutz (siehe Artikel unten). Beides sind direkte Konsequenzen daraus, dass die Wahlen vorgezogen wurden. Der relevanteste Punkt ist, dass man es vermutlich schlicht und ergreifend so kurz vor einer Wahl nicht darf. Das würde die Chancengleichheit (gemäß Art. 21 Abs. 1 iVm. Art. 38 Abs. 1 GG) verletzen. Das betrifft jegliche Form von Antrag zum AfD-Verbotsverfahren, aber vermutlich sogar auch schon die Einstufung durch den Verfassungsschutz.
Sprich: Eventuell könnte die AfD dagegen klagen. Die letztere Entscheidung – die Hochstufung (hoffentlich nur nach hinten) zu verschieben – könnte sich politisch wie juristisch zwar anzweifeln lassen, da man Zurückhaltung gegenüber einer gesichert rechtsextremen Vereinigungen kaum rechtfertigen könnte. Aber ob die AfD das ist, das kann nur das Bundesverfassungsgericht letztendlich endgültig entscheiden. Es ist ohnehin egal, da aus dem Innenministerium relativ deutlich das Signal kam, dass sie nicht mehr kommen wird. Allein schon, weil die geplante Bundestagskandidatur des scheidenden Verfassungsschutz-Chefs da ein ganz verdächtiger Look wäre.
Heute hat Wanderwitz mit insgesamt 113 Abgeordneten den Antrag eingereicht. Die Chancen, dass dieser erfolgreich ist, sind aber extrem gering. Anfang Dezember könnte es immerhin zu einer Debatte dazu im Plenum kommen, aber ob es überhaupt noch zeitlich für eine Abstimmung reicht, ist unsicher. Und selbst wenn es eine Abstimmung gibt und selbst wenn sie erfolgreich wäre, gibt es gute Chancen, dass der Antrag juristisch nach Klage der AfD einkassiert wird. Es ist aber quasi die letzte Chance von Wanderwitz persönlich, da er dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Die Debatte um das AfD-Verbot ist eine, die höchstens für den Wahlkampf und die nächste Legislatur relevant ist.
Gehen wir mal diese verschiedenen Entwicklungen der Reihe nach durch. Also erst einmal das wichtigste: Das Ampel-Aus und die vorgezogenen Wahlen Ende Februar haben den Erfolg eines Antrags auf Start des AfD-Verbotsverfahrens im Bundestag deutlich gesenkt.
Eine Gruppe von Abgeordneten um Marco Wanderwitz möchte einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren starten und hat dazu schon einen Entwurf ausgearbeitet, den man hier nachlesen kann. Der Gruppenantrag wird von Parlamentariern aus den Reihen der SPD, Union, Grünen, SSW und Linken unterstützt. Dieser Gruppe hatte Volksverpetzer und die Omas gegen Rechts unsere Petition überreicht. Auch die Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) befürwortet den Antrag: “Es ist höchste Zeit, die AfD durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen”. Wanderwitz will den Antrag weiterhin auch mit den vorgezogenen Wahlen noch in dieser Legislaturperiode stellen.
Sie fordern, dass zuerst Material gesammelt werde und dann in jedem Fall, wenn alle potenziellen V-Leute abgezogen sind, der Antrag auf das Verbotsverfahren erst ausgearbeitet und dann an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestellt wird. Die Chancen, dafür eine Mehrheit zu bekommen, waren ohnehin nicht so groß, da es durchaus viele Widerstände gab. Prominente Politiker wie Olaf Scholz oder Friedrich Merz sind dagegen, obwohl Merz sich offener dafür gezeigt habe als Scholz.
Der neue Zeitplan lässt es zwar juristisch noch zu – auch eine Minderheitsregierung hat noch die Befugnisse, ebenso wie ein Bundestag, der noch nicht aufgelöst ist – aber die Zeit für eine Materialsammlung und die Ausarbeitung des Antrags reicht nicht mehr. Ein nächster Bundestag wäre nicht mehr an die Beschlüsse gebunden und könnte auch ein laufendes Verfahren neu entscheiden oder beenden.
Mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen um Renate Künast haben jetzt ebenfalls einen alternativen Weg vorgeschlagen und wollen einen anderen, eigenen Antrag einbringen. Der Unterschied: Beide Anträge sehen die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD und beide sehen vor, dass zunächst durch einen externen Beauftragten Material gesammelt, ausgewertet und bewertet wird.
“Beim Künast-Antrag muss der Bundestag eine neue Entscheidung je nach Prüfungsergebnis treffen, während der Wanderwitz-Antrag schon die Einreichung vorgibt”, analysiert Anwalt Jun die Unterschiede.
Ein Unterschied vom Künast-Antrag ist, dass es noch eher nur eine “Prüfung” ist, wie auch wir sie gefordert haben. Der Vorteil hier könnte sein, dass sich mehr Abgeordnete bereit erklären könnten, dafür zu stimmen, weil die Einreichung des Verbotsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht danach noch nicht zwangsläufig ist. Andere könnten genau darin natürlich einen Nachteil sehen.
Allerdings haben sich durch die vorgezogenen Wahlen ja ohnehin die Vorzeichen geändert. Nur wird selbst im schnellsten Verfahren der Abschluss der Materialsammlung in die Zeit nach der Auflösung des Bundestags fallen. Der Wanderwitz-Antrag, der schon den Antrag für das Verbotsverfahren zwingend vorsieht, wird einfach nicht in dieser Legislaturperiode fertig.
Sprich: Egal ob Künast oder Wanderwitz: Der Bundestag kann diese Legislatur einen Gutachter einsetzen, ob dessen Ergebnisse dann zur Einreichung in Karlsruhe reichen, ist dann so oder so eine Entscheidung für nach den Wahlen. Der neue Bundestag könnte das Wanderwitz-Verfahren also laufen lassen oder neu entscheiden. Oder eben aufgrund des Künast-Antrags eine Entscheidung treffen. Sprich: Hier ändert sich de facto nicht viel, ironischerweise.
Vielleicht hätte der Künast-Antrag nur mehr Chancen, Abgeordnete zu überzeugen, da er weniger “hart” klingt. Er wäre eine “Ausbremsung” gewesen, wie es manche Medien betitelten, aber die Neuwahlen machen das so oder so.
Einen Gamechanger gibt es allerdings noch: Der Verfassungsschutz wird voraussichtlich noch im November 2024 die AfD als Gesamtpartei als “gesichert rechtsextrem” hochstufen. Das ist die höchstmögliche Einstufung, die der Verfassungsschutz vornehmen kann. Sie hätte sogar schon früher kommen können, doch der rechtsradikale Ex-Verfassungsschutz-Chef Maaßen hatte das möglicherweise hinausgezögert – er soll die AfD sogar beraten haben, wie sie einer Beobachtung entgeht – und die AfD hat so lange wie möglich vor Gericht eine Entscheidung über die Einstufung als “rechtsextremer Verdachtsfall” hinausgezögert.
In jener Entscheidung vom Oberverwaltungsgericht Münster sagte der Richter Buck: “Der Rauchmelder der Verfassung schrillt!” Die überfällige Hochstufung wird noch mehr Abgeordnete zur Unterstützung überzeugen. Viele hatten ihre Zustimmung für einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren unter Vorbehalt einer derartigen Einstufung geäußert.
Mehr kann und darf der Verfassungsschutz auch nicht machen: Beobachten und eine Einschätzung vorgeben. Die Logik der Verfasser unseres Grundgesetzes war, dass nach einer derartigen Einstufung durch das Amt die Entscheidung politisch fallen muss, ob unser oberstes Gericht die Verfassungsfeindlichkeit und die Gefahr sieht. Viel spricht dafür, aber auch die Mahner sind nicht ganz ohne schlechte Argumente.
Währenddessen zeigt die AfD kaum Anzeichen zur Mäßigung. Der AfD-Abgeordnete Matthias Helferich, der sich als “freundliches Gesicht des NS” und “demokratischer Freisler” (Roland Freisler war einer der Mitorganisatoren des Holocaust!) bezeichnet hatte, ist immer noch in der Partei, auch wenn ein Ausschlussverfahren läuft, aber seine Verbände scheinen ihn weiter zu unterstützen und als Kandidaten aufzustellen:
So sieht keine Partei aus, die sich von so offenen Rechtsextremisten abgrenzt. Mehrere mutmaßliche Nazi-Terroristen der Gruppe “Sächsische Separatisten” (sicherlich nur zufällig mit “SS” abgekürzt), die von den Behörden hochgenommen wurden – mitsamt Schüssen – sind nicht nur AfD-Politiker mit Ämtern, sondern auch auf Bildern mit Faschist Höcke zu sehen.
Die Partei will diese zwar schnellstmöglich aus der Partei werfen, aber das ist eine Notbremse. Denn das ist ja kein Einzelfall, und nicht die einzigen Verbindungen, und kommt ja auch nicht aus dem Nichts, wenn andere Abgeordnete mit Sturmgewehr im Anschlag zum Kampf gegen Migranten aufruft, oder Faschisten wie Höcke massenhafte Deportationen fordern, die er als “Aderlass” bezeichnet, mit “wohltemperierter Grausamkeit”, bei denen “wir leider ein paar Volksteile verlieren werden”. Der Mann ist unangefochten in der Partei und sogar Führer eines ganzen Landesverbandes.
Der Verfassungsschutz dürfte diesen Eindruck, den viele Deutsche haben – in manchen Umfragen haben fast doppelt so viele Menschen Angst vor der AfD als vor Migration – mit seiner Hochstufung bestätigen. Aber man braucht keine Behörde, um das selbst sehen zu können, was diese Partei für eine Gefahr ist. Manche sagen, das seien nur Teile der Partei. Aber wer sagt denn, dass es nicht diese – sehr großen – Teile sind, die die Partei bestimmen und vielleicht dann auch letztlich die “Machtergreifung” (Gauland) durchführen?
Ein AfD-Verbotsantrag wird in dieser Legislaturperiode wohl nichts mehr. Allerdings kann dieser Bundestag sich in jedem Fall noch dazu entscheiden, eine Materialsammlung zu beginnen. Ich würde sagen: Längst überfällig und genau das, was Volksverpetzer mit 871.000 Menschen seit einem Jahr fordert. Der neue Bundestag müsste in jedem Fall dann weiter entscheiden, ob und wann man das AfD-Verbotsverfahren startet.
Ein Vorteil: Es nach der neuen Wahl zu tun, nimmt den Druck raus, dass es als eine politische Entscheidung im Wahlkampf wahrgenommen wird. Warum nicht also jetzt noch den Gutachter beauftragen, und die Entscheidung so oder so in der nächsten Legislatur fällen? Dann macht die AfD keinen Wahlkampf damit – was viele Gegner als Grund angeben – aber wir sammeln schon mal, ohne direkte Folge, dass das Verbot zwangsläufig folgt. Das waren im Übrigen auch Gründe, warum wir unsere Petition an den Bundesrat übergeben hatten und auch an das Land Bremen: kein wahltaktisches Hantieren.
Und die nächste Bundesregierung wäre mit den nachgeordneten Behörden am ehesten geeignet, eine fundierte Einschätzung und einen erfolgversprechenden Antrag zu erstellen. Ein mehrheitlicher Antrag aus dem Bundestag könnte sie am ehesten dazu bringen, sich dem Antrag anzuschließen – alleine um ein Scheitern zu verhindern.
Was haben wir zu verlieren? Nur unsere Demokratie, wenn wir es nicht tun. Die endgültige Entscheidung fällt ohnehin erst nach der Wahl. Es könnte ja auch bei der Wahlentscheidung für viele eine Rolle spielen. Solange kann man hier weiter unterschreiben oder hier seine Abgeordneten anschreiben.
Kurz nach der Veröffentlichung dieses Artikels erschien dieser Text im SPIEGEL, laut welchem der scheidende Verfassungsschutzchef Haldenwang auch als Bundestagsabgeordneter kandidieren will. Diese Information ist für diesen Text an sich zweitrangig, aber am Rande wird folgendes erwähnt:
“Bis Ende des Jahres wollte er eigentlich bekannt geben, ob sich der Verdacht gegen die Partei erhärtet hat – und der Verfassungsschutz die komplette AfD als »erwiesen extremistisch« einstuft. Aus Regierungskreisen heißt es, dass eine solche Neubewertung vor der vorgezogenen Bundestagswahl kaum mehr möglich sei.”
Da diese Neubewertung ohnehin kurz bevorstand, dürfte es wohl kaum am Inhalt scheitern, sondern eine rein wahlkampftechnische Entscheidung zu sein, die Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextrem offiziell vorzunehmen. Das wäre, sollte sich das bewahrheiten, äußerst fatal und würde den Antrag für das AfD-Verbotsverfahren in dieser Legislatur völlig beerdigen.
Änderungshinweis: Stefan Seidler (SSW) unterstützt den Antrag von Wanderwitz auch und wurde damit natürlich in der Aufzählung ergänzt. Artikelbild: innnit