US-Wahl: Den kommenden Wahlbetrug-Mythos jetzt schon durchschauen

Wir können nicht voraussagen, wer die US-Wahl gewinnen wird. Aber wir kennen jetzt schon die Lügen aus dem Trump-Lager zum angeblichen Wahlbetrug, die in den nächsten Wochen gestreut werden. Die Vorbereitung für diese Propaganda hat nämlich schon längst begonnen. 

Schon jetzt fahren die Republikaner gemeinsam mit verbündeten Organisationen der amerikanischen Rechten eine mehrgliedrige Strategie, um bereits bevor das offizielle Ergebnis bekannt ist, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Wahlablaufs und dem Endergebnis zu schüren. Die Strategie ist so simpel wie effektiv: Unabhängig davon, ob die einzelnen Klagen Erfolg haben, werden Trump und seine Verbündeten, sollte er die Wahl verlieren, als Beleg dafür, dass es Wahlbetrug gegeben habe, auf die schon vor Wahlende laufenden Klagen verweisen, um zu behaupten, dass es von Beginn an Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl gegeben habe. 

Das beginnt bei den Führungsfiguren der amerikanischen Rechten, die auf Wahlkampfveranstaltung für Trump die Einheizer und Wegbereiter für die Big Lie 2.0 spielen. So zum Beispiel Tucker Carlson bei Trumps Rally in Madison Square Garden: 

„Es wird ziemlich schwer sein, uns anzusehen und zu sagen: ‘Wisst ihr was? Kamala Harris hat 85 Millionen Stimmen bekommen, weil sie als erste samoanisch-malaysische Staatsanwältin mit niedrigem IQ, die jemals zur Präsidentin gewählt wurde, so beeindruckend ist”, spottete er. Malaysia und Samoa nutzte er scheinbar als Platzhalter für Länder, in denen überwiegend nicht-Weiße Menschen wohnen (Harris‘ Eltern stammen aus Jamaika und Indien) – aber abgesehen von seinem widerlichen Rassismus ist der triefende Sarkasmus wichtig:

Es sei unmöglich, will Carlson seinem Publikum sagen, dass Harris 85 Millionen Stimmen gewinnen könne – wenn das passiert, müsse also Betrug im Spiel sein. “Sie ist nicht beeindruckend”, ätzte Carlson weiter. “Es ist sehr schwer für mich zu glauben, dass der Rest von uns sagen wird: ‘Weißt du was, [MSNBC-Moderator] Joe Scarborough, du hast Recht, du hast Recht. Sie hat fair und anständig gewonnen, weil sie einfach so beeindruckend ist!’” Sexismus, Rassismus und Verschwörungsdenken werden hier zu einem toxischen Cocktail, den das Publikum nur allzu bereitwillig aufnahm.

Weniger krawallige Republikaner pushen die Lüge vom Wahlbetrug unter dem Deckmantel, dass sie nur um die “Integrität der Wahl” besorgt seien – das ist die höfliche Variante derselben Botschaft. 

Auch Trump selbst wütet – unzufrieden mit den Mobilisierungsbemühungen seines Wahlkampfteams auf den letzten Metern der Wahl – auf Truth Social: “Pennsylvania betrügt und wird dabei erwischt, und zwar in einem Ausmaß, wie man es selten zuvor gesehen hat“, schrieb Trump auf seiner Social-Media-Plattform „MELDET DEN BETRUG DEN BEHÖRDEN. Die Strafverfolgungsbehörden müssen handeln, JETZT!“Am Dienstag verkündete er in einer Pressekonferenz, es gebe “einige schlimme Orte in Pennsylvania, an denen ernste Dinge erwischt wurden oder dabei sind erwischt zu werden” [sic]. Am Donnerstag postete er auf Truth Social:

“Wir haben sie in Pennsylvania beim RIESIGEN BETRUG erwischt. Müssen es SOFORT bekannt geben und strafrechtlich verfolgen! Das ist ein strafbarer Verstoß gegen das Gesetz. STOPPT DEN WAHLBETRUG! SEHT EUCH KAMALAS NEUEN SCHLEIMBEUTEL ANWALT AN. WIR SIND DIE GANZE ZEIT HINTER IHNEN! Wer hätte je gedacht, dass unser Land so KORRUPT ist?”

Die Nervosität im Trump-Lager dürfte damit zusammenhängen, dass Trump seinen Wahlkampf vor allem auf politisch wenig involvierte, junge Männer ausgerichtet hat, um seine Koalition zu erweitern – und dieser Wählerblock ist nicht zuverlässig, wenn es darum geht, wählen zu gehen. Das heißt, selbst wenn er bei diesen Wählern hohe Zustimmungswerte hat, ist es nicht gesetzt, dass sie auch tatsächlich wählen gehen. Harris hingegen hat vor allem unter Frauen (mit hohem Bildungsabschluss) Punkte machen können – einer der zuverlässigsten Wählergruppen, wenn es darum geht, auch tatsächlich ihre Stimme abzugeben – einen Eindruck, den die ersten Zahlen zur frühen Stimmabgabe und Briefwahl bestätigen. Außerdem haben bisher mehr Frauen als Männer in den relevanten Swing States bereits ihre Stimme abgegeben. 

Trump hat seine landesweite Wählermobilisierung zwei Leuten übertragen, die über kaum Erfahrung verfügen, wenn es um “Canvassing” Organisation auf diesem Level geht – Charlie Kirk und seiner Organisation “Turning Point USA” und Elon Musk und seinem Super PAC “America PAC”. 2020 war Kirk bereits in Arizona damit gescheitert, für Trump zu mobilisieren und hatte bereits nach der damaligen Wahl behauptet, dass es flächendeckenden Wahlbetrug durch die Demokraten gegeben hätte. Eine Quelle, die mit den Strategien rund um die Mobilisierungspläne vertraut war, sagte CNN

“Die vorherrschende Meinung der Beraterklasse war bisher: ‚Lasst uns in diese Swing-Bezirke gehen und versuchen, diese Wähler wirklich zu bewegen.‘ Nun, wir sind da anderer Meinung. Wir gehen dorthin, wo die Republikaner sind. Wir werden die Punktzahl in diesen Gebieten in die Höhe treiben und die Leute holen, die 2020 oder 2022 zu Hause geblieben sind.“ 

Das bedeutet: Trumps outgesourcte Mobilisierungs-Teams versuchen nicht, Swing Voter zu überzeugen, sondern nur, die eigene Basis zu mobilisieren – eine hoch riskante Strategie. 

Dementsprechend nervös sind Kirk und Co. Charlie Kirk schlug auf Twitter Alarm: 

“Bei der vorzeitigen Stimmabgabe waren überproportional viele Frauen dabei. Wenn die Männer zu Hause bleiben, ist Kamala Präsidentin. So einfach ist das. Wenn ihr eine Vision der Zukunft haben wollt, wenn ihr nicht wählen geht, stellt euch Kamalas ewiges Gegackere vor. Männer müssen JETZT WÄHLEN GEHEN.”

Ein weiterer Grund dafür, warum Republikaner ihre Lüge vom Wahlbetrug durch Demokraten wiederholen (die übrigens viel älter ist als Donald Trump)? Die Wahl wird, zumindest wenn aktuelle Umfragen richtig liegen, vermutlich knapp ausgehen – noch knapper womöglich als vor vier Jahren, als wenige 10.000 Stimmen in drei Bundesstaaten Joe Biden im Electoral College das Weiße Haus gewannen. Je knapper die Wahl, desto eher rechnen sich Republikaner und ihre Verbündeten im Falle einer Niederlage Trumps Erfolg bei ihren Versuchen aus, Misstrauen über den Ausgang der Wahl zu säen, um damit entweder vor dem Obersten Gerichtshof oder dem Kongress zu landen. 

Auch der juristische Flügel der amerikanischen Rechten ist geschäftig dabei, die Lüge vom Wahlbetrug 2.0 zu verbreiten: Republikaner sind vor Gericht gezogen, um in letzter Minute noch Änderungen am Wahlrecht durchzusetzen, von denen sie sich Vorteile versprechen, oder die Zweifel an der korrekten Durchführung der Wahlen wecken sollen – mehr als 100 Klagen wurden eingereicht. In Georgia, einem der wichtigsten Swing States, wurde ein solches Bestreben von Gerichten geblockt. 

In Virginia erlaubte der Oberste Gerichtshof, geführt von einer rechtskonservativen Mehrheit, jedoch in letzter Minute einen sogenannten “Purge” der Listen registrierter Wähler unter Berufung auf den unbegründeten Verdacht, dass nicht-Wahlberechtigte unter den Namen seien. Das ist deswegen bemerkenswert, weil das Urteil dem geltenden Nationalen Wählerregistrierungsgesetz (NVRA) widerspricht (Bundesgsetze schlagen in einzelnen Bundesstaaten verabschiedete lokale Gesetze), das es verbietet, innerhalb von 90 Tagen vor einer Vorwahl oder regulären Wahl systematische Änderungen an den Listen registrierter Wähler vorzunehmen. Die Republikaner in Virginia begannen genau 90 Tage vor der Präsidentschaftswahl mit der Entfernung von 1.600 Wählern aus den Wählerlisten. Ein Bundesgericht hatte vorher geurteilt, dass der Staat nicht über genügend Beweise verfüge, dass es sich bei den Namen nicht um amerikanische Staatsbürger handele, “er aber trotzdem weitermachte und ihre Registrierungen stornierte, was einen Verstoß gegen das Bundesgesetz darstellt”, berichtete die Associated Press.

Dieser “Purge” der Wählerlisten wird im solide Demokratischen Virginia dieses Mal wohl keine Auswirkungen auf das Endergebnis haben – aber die Alarmglocken sollten schrillen: Denn es sieht ganz so aus, als würde der Oberste Gerichtshof sich in Zukunft erneut mit diesem Fall beschäftigen, analysiert Ian Millhiser bei Vox:

“Die Anordnung in der Rechtssache Beals ist vorübergehend und wird diese Säuberung wahrscheinlich nur während des laufenden Wahlzyklus in Kraft lassen – und wenn das Gericht dies tut, könnte es möglicherweise ein wichtiges Wahlrechtsgesetz aufheben”

– kurz, dieses Urteil kann als Zeichen gesehen werden, dass die rechte Mehrheit am SCOTUS daran interessiert ist, das 90-Tages Verbot für Wählerlistenbereinigungen vor Wahlen aufzuheben. 

Eine Entscheidung des Obersten Gerichts des Landes in einem folgenschweren Fall aus Pennsylvania, bei dem es darum geht, ob falsch datierte Briefwahlzettel – wie Republikaner argumentieren – als ungültig gewertet werden können, steht noch aus. Pennsylvania ist der Swing State, der aller Wahrscheinlichkeit nach den Ausgang der Wahl entscheiden wird. 

Zudem wurden einzelne erste Sabotageakte gemeldet: in Portland, Oregon, und in der Nähe von Vancouver, Washington brannten Briefwahl-Kästen. Die Polizei geht davon aus, dass der bisher nicht gefasste Tatverdächtige weitere Attacken geplant hat. 

Die Angriffe betreffen auch Washingtons 3. Kongressbezirk, einem besonders engen Rennen um einen Platz im Abgeordnetenhaus, in dem die Demokratin Marie Gluesenkamp Perez zuletzt mit knapp mehr als 2000 Stimmen überraschend gewann.

Republikaner haben außerdem große Anstrengungen in die Rekrutierung einer “Armee aus Wahlbeobachtern” aus ihrer Basis zu rekrutieren gesteckt, berichtet die Associated Press – und zwar vor allem in Demokratischen Gegenden, besonders in Vorstädten, die besonders häufig von Republikanern in einem Atemzug mit Wahlbetrug genannt werden. Das solle verhindern, dass “Demokraten die Regeln umgehen”, so eine GOP-Pressemitteilung. Die Rede ist von bis zu 100.000 Freiwilligen. Das schürt die Sorge unter Wahlbeamten und Demokraten, dass es hier zu Störungen der Stimmabgabe und zu Wählereinschüchterung kommen kann. In einigen Republikanischen Bundesstaaten drohen GOP-Politiker damit,  den Wahlbeobachtern des Justizministerium den Zutritt zu Wahlbüros zu verweigern. 

Was ebenfalls auffällt: Trump tritt an ungewöhnlichen Orten auf. Normalerweise verbringen Kandidaten die letzten Tage in den umkämpften Swing States. Nicht so Trump: Der legte sich Veranstaltungen nach New Mexico und Kalifornien, solide Demokratische Staaten. Auch seine große Rally in New York sorgte für Verwunderung, war sie doch rein geographisch eine irritierende Wahl – auch New York ist fest in Demokratischer Hand. Was steckt dahinter? 

Zwei Möglichkeiten: Entweder ist das Trump-Team siegessicher und ist deswegen der Ansicht, dass man sich solche Trips in diesen letzten wertvollen Tagen vor der Wahlnacht noch leisten kann. Aber Trump liegt in den Swing States nicht ausreichend weit vorn, als dass das Sinn ergeben würde. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass hier vor allem Pressespekulation darüber generiert werden soll, dass Trumps Team mit einem Sieg rechnet – um so später “belegen” zu können, dass es Siegeserwartungen gab, wenn Trump eine verlorene Wahl anfechten könnte. Option drei: Trump hört nicht auf seine Berater, sondern will nur dorthin, wo ihm die Veranstaltungsorte groß oder eindrucksvoll genug erscheinen. Am plausibelsten scheint eine Mischung aus Möglichkeit zwei und drei.  

Dabei ist wichtig, zu betonen: Es gibt, genauso wie 2020, keine Beweise für systematischen Wahlbetrug durch nicht-Staatsbürger, die illegal wählen, auch wenn führende Republikaner und Trump das behaupten. Auch historisch gesehen ist Wahlbetrug in den USA extrem selten und geschieht nicht auf systematischem Level. Ironischerweise haben in den letzten Jahren vor allem einzelne Unterstützer der Republikaner Schlagzeilen mit versuchtem Wahlbetrug gemacht.

Unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht, darf man damit rechnen, dass Donald Trump recht früh in der Wahlnacht, vermutlich gegen Mitternacht, seinen Sieg verkünden wird. Je weiter er zu Beginn der Auszählung vorliegen wird, desto früher wird dieses Statement kommen. Anders als 2020, eine Wahl, die auf der Höhe der Pandemie stattfand, wird sich der Eindruck einer vermeintlichen „red wave“ durch die oft später ausgezählten Briefwahlstimmen wahrscheinlich weniger deutlich einstellen: 2020 hatte Trump die Briefwahl noch verteufelt, jetzt fordern Republikaner die eigenen Anhänger dazu auf. 

Die einzig gute Nachricht: dieses Verhalten spricht dafür, dass man sich im Trump-Team nicht sicher ist, die Wahl gewinnen zu können – eine korrekte Einschätzung, angesichts des buchstäblichen Gleichstandes von Trump und Harris in den Umfragen. Umso wichtiger ist es, dass Medien und politische Kommentatoren sich ihrer Verantwortung bei der Berichterstattung über Republikanische Behauptungen vom Wahlbetrug bewusst sind, anstatt sie kontextlos zu wiederholen.

Artikelbild: Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

 

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