Antifa-Film: Schulter an Schulter

Leftvision.de produziert Berichte, Kurzdokus, Debattenformate und Mobi-Trailer zu unterschiedlichsten Themen aus der Perspektive und zur Unterstützung sozialer Bewegungen. „Unser ehrenamtliches Engagement begründet sich in der Überzeugung, dass der stärker werdenden rechten Öffentlichkeit auch im Web eine starker kritischer und emanzipatorischer Akteur entgegengesetzt werden muss, über den gesellschaftskritische, antirassistische und antineoliberale Überzeugungen in Verbindung mit sozialen Bewegungen wirkungsmächtig werden können.“

Die neuste Produktion „Antifa-Film: Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ erfreut sich großer Beliebtheit und wird auch in vielen süddeutschen Städten aufgeführt; eine Liste der kommenden Vorstellungen findet ihr unten in diesem Beitrag.

Wie die vorherigen Projekte soll auch dieser Film von Leftvision einem breiten Publikum einen Einblick in die politische Arbeit geben und Beweggründe aufzeigen, weswegen sich Menschen ganz diesem Kampf verschreiben. Doch dieser Film ist darüber hinaus eines der wenigen medialen Zeugnisse der „Baseballschläger-Jahre“ und damit auch für die antifaschistische Bewegung von großem Wert – kennen doch viele der heute aktiven Antifaschist:innen Gitterproteste gegen AfD-Veranstaltungen als hauptsächliche Aktionsform in ihrem politischen Alltag.

Das im Titel erwähnte „…wo der Staat versagte“ ist sicherlich für ein bürgerliches Publikum ansprechend, formuliert es doch einen moralischen Anspruch an den Staat auf Schutz und ein „eigentlich gebotenes Einschreiten gegen Rechts“. Wir sind uns sicher: Das wird nicht passieren; nicht in diesem Staat, nicht in diesem System und ist nicht nur im Bezug auf die im Film dokumentierten 90er und 2000er Jahre eine Illusion. Im praktischen Antifaschismus können, dürfen und werden wir uns nicht auf den Staat verlassen. Das zeigt uns die Geschichte und führt dieser Film bzw. die Protagonist:innen – trotz des Titels – erneut vor Augen.

Der Kinobesuch lohnt sich in jedem Fall, denn die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte ist essentiell für die Debatte um die adäquaten Mittel und Wege des antifaschistischen Kampfes heute – der Film ist ein Beitrag dazu. Und „Wer ein cringes Veteranentreffen mit heroischen Erzählungen befürchtet, wird positiv überrascht.“, meint zurecht Carina Book, deren Kritik (veröffentlicht bei analyse & kritik) wir an dieser Stelle spiegeln:

Nazis von der Straße fegen

Der Film »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« dokumentiert den antifaschistischen Kampf gegen Neonazis in den 1990er und 2000er Jahren

Zu sehen, dass jemand neben dir auf der Straße stirbt, das packt dich emotional ziemlich stark«, sagt Navid, der seit Ende der 1980er Jahre Teil einer Antifagruppe in Göttingen war. Nachdenklich steht er vor einem Denkmal, auf dem das Datum 17. November 1989 eingraviert ist. An diesem Tag wurde in Göttingen eine Telefonkette ausgelöst, weil Neonazis in der Stadt gesichtet worden waren. Navid erinnert sich: »Während wir versuchten, die Nazis zu konfrontieren, tauchte plötzlich die Zivilpolizei auf und verfolgte uns als antifaschistische Gruppe. Während ein Teil von uns bereits die Straße überquert hatte, lief der hintere Teil unserer Gruppe – gejagt von der Polizei – in den Straßenverkehr. Dabei wurde Conny Wessmann von einem Auto erfasst und starb sofort vor Ort. Für mich war das ein zentrales Erlebnis, vielleicht das zentrale, weil Conny auch eine Freundin von mir war.«

Die Hits aus den 1990ern, 2000ern und das Beste von heute. Foto: Christian Ditsche

Der Dokumentarfilm »Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte« geht dahin, wo es weh tut und stellt die persönlichen Erfahrungen von fünf Antifaschist*innen ins Zentrum. Die Protagonist*innen berichten von Überfällen durch und auf Neonazis, von bewaffneten Auseinandersetzungen, Schlachten mit der Polizei, Repressionen, von Lebensgefahr und verlorenen Leben. Die Gewalt, die in den 1990er und 2000er Jahren allgegenwärtig war, wird in ihren Schilderungen greifbar.

Wer ein cringes Veteranentreffen mit heroischen Erzählungen befürchtet, wird positiv überrascht: Die Protagonist*innen wirken nahbar, sympathisch und reflektiert. Mit beeindruckender Leidenschaft berichten sie von ihren Erlebnissen. Der Film bietet einen biografischen Zugang, vermittelt vor allem den Vibe jener Zeit und hält gleichzeitig auch Wissen bereit, das bisher noch in keinem Film dokumentiert wurde. Wie funktionierte antifaschistischer Widerstand in einer Welt ohne Internet? Wie verlief die analoge Antifa-Recherche? Warum war es wichtig, im Wald auf der Lauer zu liegen, und wozu brauchte man Fake-Briefkästen? Der Film erinnert an die Methoden und Taktiken, die damals zum Einsatz kamen und auch heute noch relevant sein können.

Ein Kritikpunkt ist jedoch, dass der Film die Geschichte des migrantischen antifaschistischen Widerstands ausspart, etwa der Antifa Gençlik. Diese Gruppe organisierte Anfang der 1990er Jahre den Selbstschutz in bedrohten migrantischen Communities und verdrängte Neonazis militant aus den Kiezen. Ihre Zeitung Antifaşist Haber Bülteni wurde zeitweise dem Antifa Infoblatt beigelegt. Doch Fragen zur Zusammenarbeit mit der autonomen Antifaszene, den Schwierigkeiten, auf die sie stießen, und den Gründen für ihre Auflösung 1994 bleiben unbeantwortet. Gerade vor dem Hintergrund eskalierender rassistischer Übergriffe, der Morde in Hanau und den Debatten um Migrantifa wäre eine Auseinandersetzung mit diesen Kämpfen wichtig gewesen.

Leider versäumt der Film auch, die besonderen Bedingungen im Osten Deutschlands nach der Wende genauer herauszuarbeiten. Zwar kommen Antifaschist*innen aus Ostdeutschland zu Wort, doch die spezifischen Herausforderungen, denen sie nach 1989 gegenüberstanden, werden kaum beleuchtet. Stattdessen entsteht der Eindruck, die Situationen in Rendsburg und Quedlinburg seien vergleichbar gewesen. Nach dem Ende der DDR begannen jedoch die sogenannten Baseballschlägerjahre, in denen Neonazis in einem nahezu rechtsfreien Raum agierten. Der Naziterror im Osten blieb oft ohne Konsequenzen – eine Tatsache, die bis heute nachwirkt, da viele Neonazis von damals ihre Netzwerke reaktivieren und sich dank ihrer weitgehenden Straffreiheit sicher fühlen. Dass dieser Aspekt nicht ausreichend betont wird, liegt nicht an den Erzählungen der Protagonist*innen, sondern daran, dass der Film ohne Off-Stimme auskommt und somit keinen zusätzlichen Kontext bietet.

Dennoch ist der Film nicht nur ein interessanter Streifzug durch die Geschichte der Antifa-Bewegung, sondern auch eine dringliche Aufforderung, sich der gegenwärtigen Bedrohung von rechts bewusst zu werden und ins Handeln zu kommen. Die Protagonistin Nina richtet am Ende eindringliche Worte an das Publikum: »Mein Gefühl ist, dass jetzt der späteste Zeitpunkt ist, in dem alle raus müssen aus ihren Routinen.« Wenn der Film dies bewirkt, hat er seinen Zweck mehr als erfüllt.

Die in der Kritik erwähnte Antifa Gençlik ist gut und ausführlich im gleichnamigen Buch von ak wantok beschrieben. Es ist erhältlich in der Buchhandlung eures Vertrauens, in gut ausgestatteten Infoläden bzw. direkt über den Unrast-Verlag für 13€ zu beziehen. In der Buchbeschreibung heißt es:

Die Antifaşist (Antifa) Gençlik wurde 1988 in Berlin an der Schnittstelle migrantischer Vereinskultur, Jugendbanden des Kiez und autonomer antifaschistischer Politik gegründet. Bald bildeten sich Antifa-Gençlik-Gruppen in mehreren deutschen Städten und darüber hinaus. Mitte der 1990er Jahre lösten sich die Strukturen als Folge staatlicher Repression auf. Bis heute stellt die Antifa Gençlik einen einzigartigen Organisationsansatz im Kontext autonomer und antifaschistischer Politik in Deutschland dar.

Dieser Band dokumentiert die theoretischen Grundlagen und die Praxis der Organisation anhand von Artikeln, Diskussionspapieren und Interviews, die von 1988 bis 1994 erschienen. Zusätzlich beinhaltet er den bisher unveröffentlichten Erfahrungsbericht eines ehemaligen Mitglieds sowie Begleittexte zur historischen Verortung und gesellschaftlichen Bedeutung der Antifa Gençlik.Das Buch will einen Beitrag zur Dokumentation linker Bewegungsgeschichte leisten und Debatten zu antifaschistischem Widerstand, migrantischer Selbstorganisation, linken Bündnissen und antirassistischer Politik anregen.

Filmvorführungen:

23.10. – 18:40 – Freiburg (Friedrichsbau Lichtspiele)
23.10. – 19:00 – Heidelberg (Karlstorkino)
23.10. – 18:45 – München (Arena Filmtheater)
23.10. – 21:15 – Köln (Filmpalette)
23.10. – 21:30 – Nürnberg (Casablanca Kino; dort auch weitere Vorstellungen)
24.10. – 16:20 – München (Neues Arena Kino; dort auch weitere Vorstellungen)
24.10. – 21:30 – Frankfurt a.M. (Mal Sehn Kino; dort auch weitere Vorstellungen)
27.10. – 20:30 – Stuttgart (Delphi Arthaus-Kino)
29.10. – 20:15 – Mannheim (Cinema Quadrat Kino)
30.10. – 18:50 – Freiburg (Friedrichsbau Lichtspiele)
02.11. – 19:30 – Karlsruhe (Kinemathek)
05.11. – 19:00 – Karlsruhe (Kinemathek)
24.11. – Regensburg (Kino im Leeren Beutel)

Weitere Infos und Materialien findet ihr auf der eigens für den Film eingerichteten Homepage: https://www.antifa-film.de/. Dort erfahrt ihr ebenso, wie ihr eine Vorstellung bei euch in der Stadt organisieren könnt!

Leftvision über den Film:

In den 1990er und 2000er Jahren, im Schatten der rassistischen Pogrome, die das wiedervereinte Deutschland nach 1989 überrollten, entstand eine außergewöhnlich starke antifaschistische Bewegung. Die Antifa arbeitete auf vielen Feldern so professionell wie kaum eine andere selbstorganisierte Kraft der Neuzeit. Von militanten Aktionen über politische Bildung bis hin zur Ermittlungsarbeit – die Antifa hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem erstarkenden Neofaschismus entgegenzutreten.

Fünf Aktivist:innen sprechen zum ersten Mal öffentlich über ihre Aktivitäten und verschmelzen mit zahlreichen Schätzen aus dem Archiv zu einem intensiven Kinodokumentarfilm. Statt eines einfachen historischen Rückblicks legt der Film die Schichten frei, die den Mythos Antifa überlagern. Er gibt uns tiefe Einblicke in eine Form der politischen Arbeit, die zu heftigen Überreaktionen bei Staat und Bürgertum führte und doch immer notwendig war.

Der Dokumentarfilm unternimmt einen historischen Streifzug durch die Höhepunkte der Antifa-Bewegung, die eine unterschätzte Rolle im Deutschland der 1990er und 2000er Jahre spielte. Der Fokus liegt dabei nicht auf Einzelereignissen, sondern auf den verschiedenen Praktiken und Methoden, die von Aktivisten:innen verwendet wurden.

Von Straßenkämpfen, über investigative Recherchen und Aufklärungskampagnen bis hin zu den Herausforderungen der Provinz, die von Selbstverteidigung und dem Schutz anderer geprägt ist, dokumentiert der Film durch Archivmaterial, Fotos und szenische Alltagsbilder die Geschichte einer Bewegung in bisher nie gezeigtem Umfang und erweckt sie so zum Leben. ANTIFA ist kein bloßer Rückblick, sondern eine inspirierende Aufforderung zur kritischen Reflexion über die Kraft des Widerstands gegen den aufkeimenden Neofaschismus.

Der Film wirft einen kritischen Blick auf die Bewegung, ihre andauernde Relevanz und die enormen Herausforderungen der Gegenwart im Jahr 2024, in der erstmals eine rechtsextreme Partei Chancen auf Regierungsverantwortung in Deutschland erhält.

Interviewt werden:

Laura: aktiv in Ostberlin und Brandenburg seit über 30 Jahren in verschiedenen antifaschistischen Gruppen und Netzwerken. Aus einer jüdischen Familie kommend, ihr Großvater war im aktiven Widerstand gegen den NS, hat sie ihr Leben diesem Kampf gewidmet.

Nina: Aktiv in Rendsburg und Schleswig-Holstein von 1987 bis 1995 und ist seit 1995 in Hamburg in verschiedenen antifaschistischen Gruppen und Bündnissen tätig. Ihr Spezialgebiet ist die Infrastruktur.

Kessi: Seit 1998 aktiv in Berlin-Kreuzberg im Antifa-Presse-Archiv Berlin. Ihr Spezialgebiet war die Recherche und Informationsaufbereitung.

Torsten: Seit 1989 aktiv in Quedlinburg, Sachsen-Anhalt, baute dort lokale Antifa-Gruppen auf und ist heute als Anwalt tätig. Er steht stellvertretend für die vielen kleinen Gruppen, die außerhalb der Großstadt der erstarkenden Neonaziszene entgegentraten.

Navid: Seit Ende der 1980er Jahre aktiv in Göttingen in einer der größten Gruppen der Bewegung. Er konzentrierte sich auf politische Kampagnen und bundesweite Vernetzung, aber auch auf den Bereich Kampfsport und Selbstverteidigung.

Von den Straßenkämpfen der Großstadt bis zu den Herausforderungen in der Provinz dokumentiert der Film durch Archivmaterial, Fotos und szenische Alltagsbilder die Geschichte einer Bewegung in bisher nie gezeigtem Umfang und erweckt sie so zum Leben. ANTIFA ist kein Rückblick, sondern eine inspirierende Aufforderung zur kritischen Reflexion über die Kraft des Widerstands gegen aufkeimenden Neofaschismus. Der Film verspricht nicht nur eine Reise in die Geschichte, sondern auch einen kritischen Blick auf die Bewegung, ihre andauernde Relevanz und die enormen Herausforderungen der Gegenwart.

 

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