Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung untersuchte, welche Ängste in der deutschen Bevölkerung am weitesten verbreitet sind. Neben der Sorgen bezüglich der angespannten Beziehungen zu Russland wurden dabei vor allem die Fremdenfeindlichkeit und eine drohende Machtübernahme als größte Bedrohung wahrgenommen. Auch den Klimawandel sehen weiterhin fast 60 % der Deutschen als Bedrohung. Das medial gehypte und von der AfD in Dauerbeschallung gepushte Thema Zuwanderung sehen dagegen nur 36 % der Menschen als Bedrohung. Eine Botschaft auch an die demokratischen Parteien, ihre Prioritäten zu überdenken.
Es gibt in Deutschland aktuell einige Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben. Allein im letzten Jahr stieg die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten um 17,2 %. In Thüringen konnte der gesichert rechtsextremistische AfD-Landesverband die Landtagswahl im September gewinnen. In der ersten Sitzung lieferte die Partei dann gleich einmal eine Kostprobe davon, wie wenig sie von unserer Demokratie hält. Auch in Brandenburg und Sachsen konnte die AfD hohe Wahlergebnisse erzielen.
Wenn man in die internationalen Nachrichten schaut, findet man ebenfalls wenig Anlass zur Freude. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine fordert immer mehr Menschenleben, kürzlich hat sich offenbar auch Nordkorea eingemischt und die Zahl der Verluste liegt wohl mittlerweile bei über einer Million. In den USA gab es dieses Jahr den zeitigsten Hurrikane der höchsten Kategorie aller Zeiten, Florida wurde im Herbst innerhalb von zwei Wochen zweimal von schweren Stürmen verwüstet. Und wenn man “Hochwasser Deutschland 2024” in Google eingibt, dann ist sich die Suchmaschine mittlerweile nicht sicher, welches der Hochwasser man denn meint.
Deswegen ist es auch wenig überraschend, dass in einer neuen Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung die Spannungen zwischen Europa und Russland (69 %), Fremdenfeindlichkeit (63 %), Rechtsruck und Aufstieg der AfD (62 %) sowie der Klimawandel (59 %) die Probleme sind, die jeweils von den meisten Menschen als Bedrohung wahrgenommen werden.
Doch schaut man in den Bundestag und zur Bundesregierung, dann dominiert ein anderes Thema. In der vergangenen Woche wurde das sogenannte “Sicherheitspaket” im Bundestag verabschiedet.
Dieses Sicherheitspaket war kein Einzelfall, sondern passt in die letzten Monate, die geprägt waren vom politischen Eifer, die Freiheitsrechte aller Menschen (nicht einmal nur derer, die Asyl in Deutschland suchen) im Namen der scheinbar gefährdeten inneren Sicherheit einzuschränken. Dazu gehört beispielsweise auch das Gesetz zur “Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“. In diesem befindet sich eine Ausweitung der Vollmachten der Bundespolizei, die aber laut Rechtsexpert:innen eher zu mehr Racial Profiling als zu weniger Terrorismus beitragen wird.
Die CDU versucht währenddessen mit einem “Zustrombegrenzungsgesetz” zu punkten, Innenministerin Nancy Faeser (SPD) führte Mitte September an allen deutschen Grenzen wieder Grenzkontrollen ein, die in der Bevölkerung und selbst bei Armin Laschet (CDU) für Kritik und Ablehnung sorgen. Die Debatte um das Sicherheitspaket allein nahm fast die halbe Bundestagssitzung am 18.10. ein. Stundenlange Diskussionen zum Klimawandel oder über das Erstarken des Rechtsextremismus sucht man dagegen vergeblich. Selbst die Debatte über den AfD-Verbotsantrag kommt nur schleppend voran – und auch das erst auf großen Druck von Seiten der Bevölkerung.
Aber warum liegt der Fokus der Regierung so stark auf den Themen Migration/Zuwanderung/Innere Sicherheit? Hat etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung vergessen, dieses scheinbar größte Thema der deutschen Politik abzufragen?
Ganz im Gegenteil. Denn in der oben erwähnten Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde auch gefragt, ob man sich Sorgen wegen der Zuwanderung macht. Das Ergebnis: 36 % der Deutschen machen sich Sorgen. Diese Ängste sind also nicht komplett irrelevant – können aber mit dem Ausmaß Sorge vor dem Konflikt mit Russland (69 %), Fremdenfeindlichkeit (63 %), dem Erstarken der AfD (62 %) und dem Klimawandel (59 %) bei weitem nicht verglichen werden.
Sollten Bundestag und -regierung dann aber nicht eher darüber diskutieren, wie der russische Angriff zurückgedrängt werden kann und was wir gegen Rechtsextremismus tun können? Wäre angesichts dieser Zahlen nicht zu erwarten, dass bis tief in die Nacht Debatten über ein ausgefeiltes Klimaschutzgesetz und einen Verbotsantrag gegen die rechtsextreme AfD laufen?
Natürlich sollte das so sein, denn die Aufgabe des Bundestags ist es, die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen zu repräsentieren. Das heißt nicht, dass die Sitzungen Quoten einer Studie erfüllen müssen. Aber es sollte eben schon anhand der diskutierten Themen erkennbar bleiben, was die Menschen im Land aktuell bewegt. Doch diese “Themen-Pipeline” von der Bevölkerung bis in die Parlamentsdebatte hat ein fettes Leck. Und den Grund dafür benennen wir und viele andere schon seit langem.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass die rechtsextreme AfD Lügen und Desinformation verbreitet. Wir könnten euch hier ein oder zwei Beispiele verlinken, aber ehrlich gesagt sind allein auf diesem Blog über 6 Jahre an geballtem Material davon zu finden. Das ist also kein neues Phänomen. Doch in den letzten Monaten und Jahren hat die AfD es immer mehr geschafft, mit dieser Strategie auch Wahlerfolge einzufahren. Und das liegt nicht daran, dass die Partei so viel geschickter geworden wäre.
Stattdessen liegt die Verantwortung bei den anderen demokratischen Parteien. Denn diese haben sich vor einigen Monaten aus unerfindlichen Gründen offenbar alle dafür entschieden, dass man jetzt das Spiel der AfD mitspielt. Dazu muss man sich bewusst machen, dass die Desinformation der AfD nicht das Ziel verfolgt, dass alle Menschen ihre wirren Behauptungen glauben. Es geht der rechtsextremen Partei viel mehr darum, dass ihre Themen ständig auf der Agenda sind und sie darüber auftrumpfen können.
Genau dieses Spiel spielen jetzt auch CDU, Grüne, SPD und FDP mit. Große Teile der Parteien haben sich in den Kopf gesetzt, dass man “Wähler zurückholen” müsste. Und offenbar glauben sie, dass das geht, indem man einfach ein bisschen mehr selbst zur AfD wird. Offensichtlich funktioniert diese Strategie nicht. Dafür muss man keine Politikwissenschaftlerin sein, es reicht ein Blick auf die Wahl- und Umfrageergebnisse:
Screenshot dawum.de
Fällt euch etwas auf? Die einzige Phase, in der die AfD nachhaltig in den Umfragen verloren hat, war Anfang dieses Jahr, als Millionen gegen die Deportationspläne der Rechtsextremen auf die Straße gingen. Ansonsten hat jeder Rechtsruck von SPD, CDU & Co. nur der AfD geholfen. Seit Friedrich Merz (CDU) 2018 angekündigt hatte, die AfD zu “halbieren”, hat die Partei sogar noch deutlich zugelegt. Da hat alle Annäherung an rechtsextreme Rhetorik über die Zähne von Migrant:innen oder angeblichen “Sozialtourismus” nichts gebracht.
Trotz all dieser Erkenntnisse, die hinlänglich bekannt sind und von uns und anderen seit Jahren kritisiert werden, fällt den demokratischen Parteien in Deutschland nichts ein. Also nichts, was nicht weiter die AfD stärkt, indem immer wieder ihr Spielfeld von Migration, Zuwanderung und innerer Sicherheit aufgemacht wird. Es ist kaum zu glauben, dass führende Köpfe in Regierung und Union offenbar immer noch denken, dass die AfD-Wähler:innen zurückkommen, weil man die paar Ausreisepflichtigen “konsequent abschiebt”, die es überhaupt gibt.
Stattdessen gibt es zahlreiche Themen, die den Menschen in Deutschland tatsächlich Angst machen. Dass Klimawandel, Rechtsextremismus, Kriege und Wirtschaftskrise nicht ernsthaft angegangen werden, hat für die meisten Menschen ein größeres Bedrohungspotential als die von der AfD aufgebauschte Zuwanderungsproblematik. Und selbst beim Thema Zuwanderung und innere Sicherheit könnte man viel mehr erreichen, wenn man nicht auf die AfD starrt wie das Kaninchen auf die Schlange, sondern Themen wie die Finanzierung der Kommunen oder auch Extremismusprävention und schlechte Integration angeht.
Solange sich auch die demokratischen Parteien allerdings von Rechtsextremen treiben lassen und immer brav die Themen bedienen, die die AfD vorgibt, wird sich nichts ändern. Die AfD ist keine Naturgewalt, der wir hilflos zuschauen. Es gibt Mittel und Wege, sie zu stoppen. Rechtlich durch das Verbotsverfahren, aber auch inhaltlich können wir die Rechtsextremen stellen. Aber dann sollten die demokratischen Abgeordneten auch mal damit anfangen, anstatt nur mit dem Verweis auf letzterem ersteres verhindern.
Artikelbild: Martin Schutt/dpa