Wie organisieren sich antifaschistische Kolleg*innen, und was tun sie und die Gewerkschaften gegen den Rechtstrend?
Die Rechten haben nicht nur bei den letzten Wahlen viele Stimmen bekommen, sie sorgen auch in immer mehr Betrieben für eine angespannte Stimmung. Deshalb haben wir bei Arbeiter*innen und Gewerkschaftssekretär*innen nachgefragt: Wie präsent sind die Rechten in den Betrieben wirklich? Und welche Strategien helfen, um ihren Einfluss zurückzudrängen?
Die Situation in den Betrieben
Olaf Klenke: Die Situation in den Betrieben ist einfach ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn ich Landkreise habe, in denen die AfD 40, 50 Prozent Zustimmung hat, dann schlägt sich das natürlich in den Betrieben nieder.
Anja: Lange Zeit habe ich angenommen, in meiner medizinischen Bubble ist alles gut. Wir sind ja alle so Florence-Nightingale-mäßig unterwegs. In den letzten Jahren musste ich aber doch wahrnehmen, dass der Rassismus zunimmt, dass blöde Äußerungen fallen – wir haben viele migrantische Kolleg*innen. Ich würde jetzt nicht sagen, es ist so ein klassisch rechtes Gedankengut, aber über diesen latenten Rassismus kommt es nach und nach in die Klinik.
Olaf Klenke: In den Betrieben, die wir bei der NGG organisieren, ist eine organisierte Rechte eher noch in der Minderheit. Aber wenn die AfD stärker wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis das auch in den Betrieben und in unseren gewerkschaftlichen Strukturen präsenter wird. Wir haben gewerkschaftlich Aktive, die wollen was verändern, die sehen die Ungerechtigkeiten im Betrieb, aber es ist keineswegs so, dass alle die, die vorangehen, auch sagen: »Mit der AfD hab ich nichts zu tun.« Sondern die denken, wir müssen im Betrieb Verhältnisse verändern, wir müssen in der Gesellschaft Verhältnisse verändern, wir sind unzufrieden mit der Politik – und die AfD ist die, die den Laden oben aufmischt.
Anja: In Diskussionen heißt es manchmal: »Alle zurück nach Hause!« Und wenn du dann fragst, »naja, aber die Hälfte deiner Kollegen wäre dann weg, wie schaffst du dann deine Arbeit?«, dann kommt: »Ja, ein paar können ja bleiben, aber das Gros soll weg.«
Stefan: Bei uns gibt es auch hier und da Diskussionen um Migration. Leider konzentriert sich das meistens auf solche Punkte, die nichts mit unserem Arbeitsleben und mit unseren Arbeitsbedingungen zu tun haben. In unserem Betrieb dominiert die Liste der IG Metall. Im Betrieb ist aber auch eine Liste der rechten »Gewerkschaft« Zentrum Automobil vertreten, die bei der letzten Betriebsratswahl auch Plätze im Betriebsrat bekommen hat.
Anna: Die gibt’s seit 2009, gegründet in Stuttgart. Gründungsmitglied war Oliver Hilburger. Der hat als Bassist in einer Naziband gespielt. Weitere Gründungsmitglieder waren Menschen, die mit der jetzt verbotenen Wiking Jugend zu tun hatten. Das sind Hitlerfaschismus-orientierte Nazis. Dafür gibt es genügend Belege.
Stefan: Ganz klar eine rechtsorientierte Gewerkschaft, die das Ziel hat, die – wie sie sagen – »linken Systemgewerkschaften« aus den Betrieben zu drängen.
Was tun?
Anna: Ich habe einem rechten Listenverantwortlichen irgendwann gesagt: »Ich bekämpfe dich! Ich bekämpfe dich, weil ich Antifaschistin bin, aber ich bekämpfe euch nicht, indem ich euch auf die Rübe haue, sondern ich bekämpfe euch, indem ich zeige, was wirklich die Alternative ist, nämlich aktive Gewerkschaftsarbeit im Betrieb.« Das haben einzelne andere bestimmt auch gemacht auf die eine oder andere Art. Aber so organisiert und bewusst zu sagen »Hallo, Zentrum Automobil ist etwas, was wir hier nicht wollen«, das war erst mit den Aktiven Metallern. Das sind IGM-Mitglieder mit und ohne Funktion, die sich im Betrieb und in ihrer Freizeit mehr als erwartet engagieren.
Olaf Klenke: Was wir bei uns jetzt stärker versuchen, ist, die Kolleg*innen zu unterstützen: mit Argumenten, mit Vernetzung und Austausch. Wie gehe ich mit bestimmten Situationen um? Wie stelle ich mich zum Beispiel dagegen, wenn in einer WhatsApp-Gruppe – wir haben oft in den Betrieben so betriebliche WhatsApp-Gruppen, in denen sich ausgetauscht wird über Schichtwechsel, Vertretung usw. – irgendwelche Posts reingestellt werden, die Leute abqualifizieren oder Vorurteile gegenüber Geflüchteten schüren oder Unwahrheiten verbreiten. Da versuchen wir, uns fit zu machen. Es gibt sehr unterschiedliche Erfahrungen, wie das funktioniert.
Jahrelang haben die Leute im Osten die Erfahrung gemacht, kleingehalten zu werden – Kopf runter, nichts machen. Eine Erfahrung, die wir machen, ist, dass es für Leute ein totaler Flash ist, wenn sie merken: »Wir müssen nicht nur einstecken, wir können den Spieß auch umdrehen.«
Anja: Wir haben drei Dinge auf den Weg gebracht. Zum einen eine Fotopetition, bei der Kolleg*innen ihr Gesicht zeigen. Ich mache ein Foto von mir und sage: »Nicht ohne meine Kolleg*innen«. Wir haben dazu einen Flyer entwickelt: Warum ist die AfD keine gute Antwort, und haben das speziell auf Gesundheitspolitik gemünzt und geschaut, was dazu im AfD-Parteiprogramm steht. Und auch, was da zu Gewerkschaften drin steht. Mit diesem Flyer machen wir für Kolleg*innen das Angebot einer Stammtischkämpfer*innenausbildung, weil wir häufig in Gesprächen gehört haben, dass es da Bedarf gibt. Da gab es schon ein Seminar, das gut besucht war. Da waren auch Kolleg*innen, die ich sonst gar nicht so aktiv wahrnehme. Also nicht die, die sowieso schon immer in der ersten Reihe stehen, sondern auch die, die sagen: »Ich würde ja gern was sagen, aber ich trau mich eigentlich nicht. Und hier kriege ich vielleicht ein bisschen Futter.«
Anna: Wenn wir vermeiden wollen, dass faschistische Organisationen wie Zentrum Automobil oder andere in den Betrieben weiter Fuß fassen, dann ist meiner Meinung und auch meiner Erfahrung nach die beste Möglichkeit, aktiv zu sein, sich gewerkschaftlich zu organisieren, sich bewusst zu sein, was gewerkschaftliche Organisierung ist, um damit so eine Art Antikörper zu bilden, der die Menschen davor schützt, sich aus lauter Frust und Wut über die Situation, die in allen Betrieben entsteht, über die Ungerechtigkeit, über die Arbeitsbedingungen, an die Rattenfänger und Nazis oder Naziorganisationen dranzuhängen.
Olaf Klenke: Das Wissen darüber, dass man irgendwann aussortiert wird aus dem Betrieb, weil man nicht mehr kann, dann einen Fußtritt kriegt und das war’s, dankeschön, das macht so eine Verbitterung. Wir können als Gewerkschaften im Betrieb anfangen, Verhältnisse zu verändern, indem wir für bessere Arbeits- und Lohnbedingungen streiten. Man stößt aber an Grenzen, wenn wir gesellschaftlich nicht auch einen Kurswechsel hinbekommen! Insofern reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften sich rein auf den betrieblichen Kampf beschränken, sondern wir müssen auch viel politischer agieren und auftreten. Politische Antworten aufzuzeigen wäre eigentlich die Aufgabe der Linken innerhalb der Gewerkschaften. Da sehe ich großen Handlungsbedarf.
Versäumnisse der Gewerkschaften
Anja: Gewerkschaften haben sich lange Zeit nicht klar geäußert, oder ich sage mal, nicht laut und deutlich genug positioniert. Natürlich hört man so Statements, »Nicht mit der AfD«, »Nicht mit Nazis«, »Wir sind antirassistisch« – auf jeden Fall! Und in meiner Gewerkschaft ver.di gibt es auch Beschlusslagen dazu. Aber ich glaube, wir müssen viel offensiver damit auftreten, unsere Meinung viel deutlicher machen, lieber zweimal als nur einmal. Da, wo die Kolleg*innen sind. Was nützt es mir, auf irgendeinem Bundeskongress eine tolle Rede zu halten? Ich muss in die Betriebe gehen als Gewerkschafterin und vor Ort die Probleme wahrnehmen, Lösungen anbieten und dann auch klar sagen, was keine Lösungen sind.
Einfach Ehrlichkeit, mit den Leuten zusammenarbeiten, denen eine Stimme geben, die stark machen. Das ist die beste Gewähr für eine starke Gewerkschaft im Betrieb.
Olaf Klenke
Stefan: Es ist wichtig, die Beschäftigten in Tarifverhandlungen von Beginn an, schon bei der Forderungsfindung, einzubeziehen. Auch wenn es um den Manteltarifvertrag geht, also um die Arbeitsbedingungen allgemein. Das passiert noch zu wenig. Da tut sich aber auch was bei der IG Metall. Wir stehen am Beginn einer Tarifrunde, und diese wird die erste sein, in der die Beschäftigten in der Forderungsfindung befragt werden. Das ist ein erster Schritt. Da muss aber viel mehr passieren. Auf diese Art und Weise kann man die Beschäftigten dann natürlich auch viel besser in die gewerkschaftliche Arbeit einbinden und Problemstellungen gemeinsam diskutieren. Ich glaube, da sind die Funktionäre oftmals noch zu sehr unter sich. Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt gegen eine rechte Gewerkschaft wie Zentrum Automobil: die Leute mit ins Boot der IG Metall zu holen.
Olaf Klenke: Jahrelang haben die Leute im Osten die Erfahrung gemacht, kleingehalten zu werden – Kopf runter, nichts machen. Eine Erfahrung, die wir machen, ist, dass es für Leute ein totaler Flash ist, wenn sie merken: »Wir müssen nicht nur einstecken, wir können den Spieß auch umdrehen. Und wenn wir alle zusammenhalten und uns für unsere Interessen einsetzen, dann können wir was verändern.« Wir haben jetzt eine neue Tarifrunde in einem Großbetrieb, auf die sich alle schon freuen, weil sie beim letzten Mal gemerkt haben, was sie verändern können. Das heißt aber, dass die Gewerkschaft auch ihre Arbeit viel mehr in die Hände der Mitglieder legen muss, auch über Probleme ehrlicherweise reden muss, wenn Sachen schieflaufen oder wir mit bestimmten Dingen nicht weit genug gekommen sind. Da müssen wir drüber reden. Woran lag das? Und nicht irgendwas schönreden oder sagen, alles ist toll oder so. Einfach Ehrlichkeit, mit den Leuten zusammenarbeiten, denen eine Stimme geben, die stark machen. Das ist die beste Gewähr für eine starke Gewerkschaft im Betrieb. Und das ist auch eine Eintrittskarte, ernsthaft über andere Alternativen zu reden. Was nicht geht, ist, einen scheiß Tarifabschluss machen oder die Leute nicht richtig mitnehmen und dann am besten noch zur Betriebsversammlung gehen und sagen: »Aber wählt nicht die AfD!« Da sagen die Leute zu Recht: »Ey, ihr kriegt bei uns nichts gebacken, wir haben hier irgendeine Scheiße schlucken müssen und du sagst mir, aber ich soll nicht AfD wählen.«
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Anmerkung:Das Gespräch ist ein gekürzter Auszug aus dem Film »Strategien gegen Rechts im Betrieb«, der bei Labournet TV erschienen und dort frei zugänglich ist.
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