Junge Menschen werden den AfD-Rassismus teuer bezahlen

Die Gesellschaft altert, die Kosten für die Sozialbeiträge werden weiter steigen, der Wirtschaft fehlen Arbeitskräfte. Und wenn jetzt viele junge Arbeitende zu uns fliehen, die mehr in die Sozialkassen und an Steuern einzahlen, als sie bekommen, versuchen wir diese, angetrieben durch den AfD-Rassismus, aus dem Land zu werfen. Die Rechnung dafür tragen junge Menschen.

Unsere Gesellschaft altert. Das ist kein neues Phänomen, sondern war bereits seit mehreren Jahrzehnten absehbar. Der nun drohende Kollaps der Pflegeversicherung wurde bereits bei ihrer Einführung 1995 vorhergesagt. Doch immer noch fehlen Lösungsansätze für die Tatsache, dass Deutschlands Demographieproblem zu einer zunehmenden finanziellen Belastung für junge Menschen wird. Dabei läge einer der Lösungsschlüssel so nahe:

Zuwanderung kann unser Demographieproblem deutlich abmildern. Wie Marcel Fratzscher, der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sagt: Solidarität und erfolgreiche Integration von Migranten sind Deutschlands “klügste Zukunftsinvestition”. Doch dank der AfD schreckt der in Deutschland grassierende Rassismus Zuwanderer zunehmend ab. In Deutschland sollte aber kein Platz für Rassismus jeglicher Art sein. Und wir jungen Menschen sollten erst recht nicht dafür bezahlen müssen. 

Leider ist es jedoch mittlerweile nicht nur die AfD und ihr Rassismus, die Zuwanderer vergraulen. Auch die restriktive Migrationspolitik der Ampel sendet menschenfeindliche Signale, mehr noch: es werden diejenigen abgeschoben, die bereits integriert sind und teils seit Jahren arbeiten. Wie realitätsfern Forderungen nach mehr Abschiebungen sind, haben wir bereits hier analysiert:

Die Regierung rückt immer weiter nach rechts in dem Irrglauben, so Wählerstimmen von der AfD zurückzugewinnen. Was dabei herauskommt: menschenfeindliche Politik, unzumutbare finanzielle Belastungen für junge Menschen und trotzdem AfD-Rekordergebnisse. Arbeitnehmer könnten in 10 Jahren die Hälfte ihres Bruttolohns für Sozialversicherungsbeiträge abgeben müssen. Bereits zum Jahresbeginn 2025 könnten die Sozialbeiträge so stark steigen wie seit über 20 Jahren nicht mehr.

Deutschland steht schon seit Jahren vor einem Riesenproblem: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Junge Menschen bekommen weniger Kinder und die Babyboomer-Generation geht nach und nach in Rente. Es kommen immer weniger Sozialversicherungsbeitragszahler auf zunehmend mehr Rentner. 

Eine Sache vorweg: Natürlich sind Erwerbs- und Fluchtmigration nicht dasselbe. Manche Menschen kommen zu uns, weil sie direkt einen Job antreten, manche suchen Schutz vor Verfolgung, Krieg und Hunger. Doch auch immer mehr Geflüchtete treten eine Arbeitsstelle an. “Nach acht und mehr Jahren Aufenthalt in Deutschland übertrifft die Erwerbstätigenquote der geflüchteten Männer mit 86 Prozent die durchschnittliche Quote der männlichen Bevölkerung in Deutschland (81 %)”, wie die Autoren des IAB-Kurzberichts schreiben.

Trotzdem dürfen wir das Recht auf Asyl niemals mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verbinden. Das Asylrecht ist abgekoppelt davon, was eine Person in einem Land leistet, man muss sich nicht erst “beweisen”. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf Asyl. Selbstverständlich dürfen wir auch die Herausforderungen von Zuwanderung für das Aufnahmeland und für Zuwanderer selbst kleinreden. Doch sowohl Erwerbs- als auch Fluchtmigration nach Deutschland kann unseren Demographiewandel abdämpfen. Und damit auch die finanzielle Belastung für junge Menschen. Warum nicht eine Herausforderung nutzen, um eine andere zu lösen, statt keine Antwort auf zwei zu haben? Für den AfD-Rassismus wollen wir aber nicht bezahlen.

Wie wir in der Demographiepyramide ablesen können, stellt in einer Kalkulation für 2030 der Jahrgang 1966 die größte Bevölkerungsgruppe dar. Der “Ausschlag” des Graphs ist deutlich bei der Seniorenbevölkerung ablesbar. Zum Hintergrund der Berechnung: die Annahmen “Geburtenrate” sowie “Lebenserwartung” wurden als moderat vorausgesetzt, das Wanderungssaldo als hoch, also 400.000 Menschen pro Jahr. Eine Zahl, die Experten als diejenige beziffern, die wir jährlich brauchen, um das Arbeitskräfteangebot konstant zu halten, mehr dazu unten. 

Screenshot Destatis

Dieses Demographieproblem ist bei weitem nicht Deutschland-spezifisch. So gut wie jedes Industrieland kämpft mit den Folgen einer alternden Bevölkerung. In Japan beispielsweise ist das Demographieproblem noch größer, unter anderem weil dort die Geburtenrate früher gesunken ist. Die Folgen: ein drastischer Arbeits- und Fachkräftemangel, Arbeiten bis ins hohe Alter und ausgestorbene Geisterstädte. Die Versuche der japanischen Regierung, die Geburtenrate wieder zu steigern, blieben erfolglos. Frauen lassen sich eben nicht mehr vorschreiben, wie viele Kinder sie bekommen sollen. Auch die Kosten für Kinder sind ausufernd hoch in dem asiatischen Land. Immigration steht Japan jedoch zögerlich gegenüber.

Du siehst: Lösungsansätze für eine alternde Bevölkerung gibt es viele. Immigration wäre jedoch eine sehr einfache. 

Um diesem demografischen Wandel entgegenzuwirken und das Arbeitskräfteangebot konstant zu halten, bräuchten wir laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB, 2021) eine “Nettozuwanderung” von 400.000 Personen. Nicht einmalig wohlgemerkt, sondern jährlich.Die Zahl der Arbeitskräfte würde ohne Migration bis zum Jahr 2060 um 16 Millionen Menschen schrumpfen. Das kann sich Deutschlands Wirtschaft nicht leisten.

Doch wie viel Zuwanderung erfuhr Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten? Zwischen 1991 und 2023 gab es eine jährliche durchschnittliche Nettozuwanderung von 341.850 Personen. Dies ist jedoch wohlgemerkt der Durchschnitt, der wiederum maßgeblich nach oben ausschlägt aufgrund von zwei Peaks. Der erste im Jahr 2015, als viele syrische Schutzsuchende nach Deutschland kamen und der andere 2022, als im Zuge des russischen Angriffskrieges viele Ukrainer zu uns flüchteten. Die in den beiden Jahren hohen Nettozuwanderungszahlen sind jedoch, über die Jahre betrachtet, bei weitem nicht der Normfall. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahrzehnten gab es sogar Jahre, in denen mehr Leute aus Deutschland weggezogen als gekommen sind. 

Du siehst also: Selbst mit den zwei großen Zuwanderungsjahren 2015 und 2022 erreichen wir seit 1991 gerechnet nicht die von Expert:innen berechneten 400.000 Zuwanderer pro Jahr, die wir eigentlich bräuchten, um die Wirtschaft stabil zu halten. Was AfD & Co. nicht verstehen (wollen): Ja, es kommen zwar viele Menschen nach Deutschland, es wandern jedoch aus vielerlei Gründen (vor allem EU-Binnenmigration) auch viele Personen jährlich wieder ab. Gerade in Hinblick auf die hohen Wahlergebnisse der AfD dieses Jahr und Rassismuserfahrungen in Deutschland denken mehr Menschen über Auswanderungen nach.

Doch was bedeutet es für uns junge Menschen, einen konkreten Blick auf die Zahlen werfend, dass Deutschland immer älter wird? Berechnungen zufolge könnte es sein, dass Arbeitnehmer in 10 Jahren die Hälfte ihres Bruttolohns für Sozialversicherungsbeiträge abgeben müssten. Das Berliner IGES Institut hat verschiedene Szenarien mithilfe dieser beitragsbestimmenden Faktoren berechnet: Geburtenrate, Lebenserwartung, Migrationsbewegung und Lohnentwicklung. Selbst im günstigsten Szenario drohen Arbeitnehmer:innen mehr als 45% Beitragsabgabe (in Prozent des Bruttolohns). 

Screenshot Tagesschau

Ich bin ehrlich: Ich habe keine Lust, in 10 Jahren womöglich die Hälfte meines erwirtschafteten Einkommens für Sozialversicherungen abgeben zu müssen, nur weil die Regierung keine effektive Einwanderungs- und Integrationspolitik zustande kriegt. Wir schieben hart arbeitende Leute direkt von ihren Arbeitsplätzen aus ab, deren Beiträge fehlen dann in den Sozialkassen und ich soll dafür zur Kasse gebeten werden? Und die AfD verkauft mir das noch als Gewinn für mich?! Ja, der Generationenvertrag ist sehr wichtig und wir alle sollten darauf vertrauen können, dass wir im Alter eine Rente beziehen können und ordentlich krankenversichert sind. Aber junge Menschen werden zunehmend finanziell überfordert. Für den AfD-Rassismus wollen wir nicht bezahlen!

Halten wir also fest: Eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen ist nötig, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Sollten in den kommenden Jahren weniger Menschen zu uns kommen, wie es nicht mehr nur die AfD will, wird Deutschlands Wirtschaft erstens schrumpfen und zweitens könnten wir jungen Leute so noch mehr Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Doch die deutsche Wirtschaft braucht nicht nur Arbeitskräfte, es fehlen auch zunehmend mehr Fachkräfte.

Und wenn jetzt Leute sagen: Dann sollen halt 400.000 Fachkräfte über Arbeitsmigration zu uns kommen, dann ist das erstens sehr weit von der Realität entfernt. Zwar unterzeichnet Deutschland mehr Abkommen zur Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten, doch scheitert Erwerbsmigration immer noch an deutscher Bürokratie, überlasteten Ausländerbehörden und langen Wartezeiten. Zweitens müssen nicht direkt Fachkräfte nach Deutschland kommen – auch viele Schutzsuchende arbeiteten bereits in ihrer Heimat als Fachkräfte oder absolvieren in Deutschland eine Ausbildung. Über die Jahre nimmt der Anteil von Geflüchteten mit Fachkrafttätigkeit kontinuierlich zu: 

Quelle

Viele Schutzsuchende, die nach Deutschland kommen, sind darüber hinaus meist sehr jung. Zugewanderte, die relativ am Anfang ihres Erwerbslebens stehen, haben häufig einen positiven fiskalischen Effekt. Das bedeutet konkret, dass sie über einen langen Zeitraum, also von Beginn ihres Erwerbslebens bis zum Renteneintritt, Steuern zahlen, welche in Summe den Wert der Sozialleistungen übersteigen, die sie beziehen. Sie zahlen also mehr in den Fiskus ein, als sie beziehen. Deutschland verdient also sogar an den Schutzsuchenden!

Das klingt doch eigentlich sehr vielversprechend, oder? Doch wie so oft steht sich Deutschland selbst im Weg. Schon jetzt warnen Arbeitgeber vor dem Erstarken der AfD und den drohenden Folgen für die deutsche Wirtschaft. Um nochmal auf die Anwerbung ausländischer Fachkräfte zurückzukommen: Auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier befürchtet, dass die AfD-Zugewinne ausländische Fachkräfte abschrecken. Es liegt ja auf der Hand: Wieso würde eine top ausgebildete Arbeits- oder Fachkraft nach Deutschland wollen, wenn die AfD hier tagein, tagaus von Deportationen von Ausländern redet und Rassismus wieder salonfähig geworden ist? Wie Malmendier sagt:

„Die Willkommenskultur lässt zu wünschen übrig. Und wenn jetzt noch nationalistische Kräfte auf dem Vormarsch sind, wird es sicherlich nicht einfacher – gerade in Regionen, wo wir gerne größere Unternehmen mit höheren Löhnen ansiedeln würden.“

Natürlich sind Migrationsentscheidungen komplex und können nicht nur durch den Ruf eines Landes erklärt werden. Dennoch ist der Wettbewerb um Fachkräfte weltweit ein angespannter: nicht nur Deutschland braucht ausländische Arbeiter. Und News über Muslimfeindlichkeit und das Erstarken der AfD haben es sogar schon bis in die “Times of India” geschafft. Indien ist ein Land mit vielen hochqualifizierten IT-Spezialisten. 2022 schloss Deutschland ein Migrationsabkommen mit Indien.

Auch der letzte Report der Expat-Organisation “Internations” stellt Deutschland ein “vernichtendes Zeugnis” in puncto Beliebtheit aus. Im Ranking von 53 Gastgeberländern landet Deutschland komplett abgeschlagen nur auf Platz 49. Als Gründe werden unter anderem Schwierigkeiten beim Aufbau sozialer Netzwerke, Unfreundlichkeit und eine fehlende Willkommenskultur genannt. Eine OECD-Studie mit ausländischen Fachkräften stellt Deutschland ein weniger vernichtendes Zeugnis aus – Deutschland bliebe ein attraktives Ziel. Dennoch kamen der Studie zufolge wenige befragte Teilnehmer schlussendlich nach Deutschland.

Viele Experten sind sich dennoch einig, dass Regionen und Städte, in denen Rechtspopulismus auf dem Vormarsch ist, einen “nicht zu unterschätzenden Nachteil bei der Anwerbung von in- und ausländischen Fachkräften” haben. Doch nicht nur Rechtspopulismus und -extremismus sind ein drastisches Problem: Auch die Einwanderungspolitik der Ampel nähert sich den AfD-Forderungen immer weiter an, in dem Irrglauben, dadurch Wählerstimmen zurückzugewinnen. Doch Deutschlands Wirtschaft braucht Zuwanderung und das Asylrecht kennt per se keine Obergrenze. Scholz’ Vorstellung von Migration, nämlich dass wir uns aussuchen könnten, wer zu uns kommt, könnte realitätsferner nicht sein. 

Die Leidtragenden dieser Politik sind natürlich an erster Stelle all diejenigen, die zu uns kommen wollen und hier diskriminiert werden. Nicht zu vergessen diejenigen, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgeschoben werden. Doch auch wir jungen Leute wollen uns nicht gefallen lassen, dass aufgrund von grassierendem Rassismus in Deutschland die finanzielle Belastung in Zukunft unzumutbar werden wird.  

Artikelbild: canva.com

 

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