Organisierte Solidarität

100 Jahre Rote Hilfe. Einst proletarisch und KPD-nah, heute strömungsübergreifend

Am 1. Oktober 2024 jährt sich die Gründung der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) zum 100. Mal. Die KPD-nahe, aber parteiübergreifende Solidaritätsorganisation bildete den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Strukturen, die in späteren Jahrzehnten nicht nur den Namen aufgriffen, sondern auch Grundgedanken und Praxis fortführten und variierten. Der Bogen der Rote-Hilfe-Organisationen spannt sich von der Weimarer Republik und der Illegalität während der Nazidiktatur über die Neuentdeckung in den 1970er Jahren bis zur heutigen Roten Hilfe e. V., die sich in ihrer jetzigen Form ab 1986 entwickelte. Trotz aller Brüche, Neuausrichtungen und Unterschiede zwischen den einzelnen Phasen blieben die zentralen Arbeitsfelder dieselben: materielle, politische und juristische Hilfe für gefangene und angeklagte Genossinnen und Genossen, aber auch Massenmobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit gegen Repressionsmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen. Vor allem jedoch zieht sich die Idee der organisierten Solidarität wie ein roter Faden durch diese 100jährige Geschichte.

Ersatz für Hilfsausschüsse

Die Geschichte der solidarischen Hilfe für politische Gefangene ist so alt wie die Geschichte staatlicher Repression gegen soziale Kämpfe, doch blieb es meist bei spontan gebildeten lokalen Gruppen und Komitees. Bereits vor der Gründung der Roten Hilfe Deutschlands als Mitgliederorganisation war es notwendig, die politisch Verfolgten systematisch zu unterstützen. Der Berliner Spartakusaufstand und die Rätebewegung 1919, die sozialistischen Abwehrkämpfe gegen den Kapp-Putsch im März 1920 und der Mitteldeutsche Aufstand im März 1921 wurden von rechten Freikorps und Regierungstruppen blutig erstickt.

Die örtlichen Hilfsausschüsse schafften es nicht, die Tausenden Gefangenen, ihre notleidenden Familien und die Hinterbliebenen der Ermordeten zu unterstützen. Deshalb rief die Kommunistische Partei, die von den Verfolgungen besonders schwer betroffen war, im März 1921 zur reichsweiten Gründung von Rote-Hilfe-Komitees auf. Die Einnahmen aus den Spendensammlungen reichten jedoch ebenfalls nicht aus. Zudem gerieten die Solidaritätsstrukturen selbst ins Fadenkreuz der Repressionsorgane und wurden im November 1923 zusammen mit der KPD verboten.

Nach der Aufhebung des Verbots am 28. Februar 1924 strebten die Rote-Hilfe-Aktivisten eine eigenständige Mitgliederorganisation an, die von der KPD unabhängig war und den parteiübergreifenden Anspruch glaubhafter vermitteln konnte. Die regelmäßigen Mitgliedsbeiträge garantierten verlässlichere Einnahmen als die bisherigen Spendenkampagnen.

Am 1. Oktober 1924 wurde die Rote Hilfe Deutschlands offiziell gegründet und erlebte durch Massenbeitritte einen rasanten Aufschwung. Im September 1932 zählte die RHD 375.659 Einzelmitglieder in 3.696 Ortsgruppen. Hinzu kamen schon im März 1932 über 641.000 Menschen in Kollektivmitgliedschaften, weil sich Tausende proletarische Vereine und fortschrittliche Organisationen korporativ angeschlossen hatten.1

Ausgabe der Rote-Hilfe-Zeitschrift Tribunal von 1929

Auch wenn der Einfluss der KPD in der Roten Hilfe Deutschlands prägend blieb und sich ab 1929 noch verstärkte, erreichte die Solidaritätsorganisation deutlich breitere Kreise. In der Endphase der Weimarer Republik war die große Mehrheit der RHD-Mitglieder parteilos.

Gezielte Werbekampagnen und der engagierte Einsatz gegen den Paragraphen 218 motivierten Zehntausende Frauen zum Beitritt und zur aktiven Mitarbeit. Bis zum Frühjahr 1932 war der Anteil weiblicher Mitglieder auf immerhin knapp 27 Prozent gestiegen2 – und lag damit weit höher als in der KPD oder den meisten anderen Massenorganisationen.

Im Mittelpunkt der Arbeit stand die materielle Hilfe für politische Gefangene und ihre Angehörigen. Die regelmäßigen Unterstützungszahlungen wurden durch Geld- und Sachspenden ergänzt, die bei Aktionswochen wie der jährlichen Winterhilfskampagne gesammelt wurden. In proletarischen Wohnvierteln, Lebensmittelgeschäften und Betrieben riefen die Rote-Hilfe-Aktivisten zur praktischen Solidarität auf und erhielten Millionen Kleinstbeträge von wenigen Pfennigen, Nahrungsmittel, Kleidung und Heizkohle.

Wichtige Aushängeschilder der Gefangenen- und Familienhilfe waren die beiden RHD-Kinderheime, der Barkenhoff bei Bremen und das MOPR3-Heim im thüringischen Elgersburg. Hier verlebten die Kinder der inhaftierten Genossen mehrwöchige Erholungsaufenthalte, was breite Sympathien auch im bürgerlichen Lager weckte. Die beiden Einrichtungen erhielten auch prominente Unterstützung von Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern wie Thomas Mann, Albert Einstein oder Käthe Kollwitz.

Revolutionär, nicht karitativ

Doch die RHD wehrte sich dagegen, wegen dieser sozialen Aspekte als »linke Caritas« wahrgenommen zu werden, und betonte, Teil der revolutionären Bewegung zu sein und die Ursachen bekämpfen zu wollen. Deshalb initiierte die RHD zahllose Kampagnen gegen staatliche Repression im In- und Ausland, gegen Gesetzesverschärfungen und insbesondere für eine Vollamnestie. Mit Demonstrationen, Kundgebungen, Agit-Prop-Aktionen und Vorträgen informierte und mobilisierte die Solidaritätsorganisation die Massen. Auflagenstarke reichsweite Zeitungen wie Der Rote Helfer (ab 1929 Tribunal) und lokale Publikationen der Bezirksleitungen, Orts- und Betriebsgruppen machten die Forderungen überall präsent. In den RHD-eigenen Verlagen erschienen Broschüren wie der juristische Ratgeber »Wie verteidigt sich der Proletarier vor Gericht?« des Anwalts Felix Halle und »Gerechtigkeit für Max Hoelz«, verfasst vom anarchistischen Schriftsteller Erich Mühsam.

Die Schwerpunkte änderten sich im Laufe der Jahre: Anfangs spielten internationale Themen eine größere Rolle, beispielsweise die Proteste gegen die Verfolgung der Arbeiterbewegung in Bulgarien oder gegen die Hinrichtung der Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den USA. Angeregt wurden diese Kampagnen vom Dachverband Internationale Rote Hilfe (IRH), in dem Dutzende Solidaritätsorganisationen aus aller Welt zusammengefasst waren. Durchgängig von großer Bedeutung war der Kampf für die Amnestie, der zwar nie die geforderte Freilassung aller politischen Gefangenen erreichte, aber immerhin mehrere Teilamnestien durchsetzen konnte. Rund um den 18. März, den die IRH bereits 1923 zum Tag der politischen Gefangenen ausgerufen hatte, organisierte die RHD jedes Jahr vielfältige Aktivitäten.

Im Jahr 1929 durchlebte die Solidaritätsorganisation eine schwierige Phase, als die Flügelkämpfe der KPD auf die RHD übergriffen. Monatelange Konflikte, Ausschlüsse und Austritte schwächten die Strukturen und ließen den parteiübergreifenden Anspruch wenig glaubwürdig erscheinen. Zeitgleich verschärfte sich mit der Weltwirtschaftskrise die staatliche Verfolgung erneut – beginnend mit dem Berliner »Blutmai«, als die Polizei in die Demonstrationen am 1. Mai 1929 schoss, und dem anschließenden Verbot des Roten Frontkämpferbunds. Angesichts der enormen Repressionswelle kam es zu zahlreichen Neubeitritten, und die Organisation erlebte einen Aufschwung.

Nun rückte der Kampf gegen die neuen Notverordnungen, Sondergerichte und Gesetzesverschärfungen in den Mittelpunkt. Weitere Themen waren die tödlichen Polizeieinsätze gegen Demonstrationen, die Hunderte Opfer aus der Arbeiterbewegung forderten, sowie der mörderische Straßenterror der Nazis.

Die Justiz ging brachial gegen die Arbeiterbewegung vor, und neben der Gefangenen- und Familienhilfe wurde der Rechtsschutz – die juristische Beratung von Betroffenen und die Finanzierung von Anwälten – zur neuen Hauptaufgabe. Bald geriet die Rote Hilfe Deutschlands in extreme Finanznot, denn die Anforderungen waren weit höher als die Einnahmen: Anfang Dezember 1932 zählte die RHD 9.000 politische Gefangene mit rund 30.000 Angehörigen. Mehr als 50.000 Angeklagte benötigten rechtlichen Beistand.4

Zudem war die Organisation selbst massiven Repressalien ausgesetzt, die von Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Prozessen gegen Mitglieder bis hin zum Verbot von Publikationen, Versammlungen und Veranstaltungen reichten. Viele Aktivitäten spielten sich Anfang der 1930er Jahre in einer legalen Grauzone ab und mussten entsprechend vorsichtig organisiert werden.

Zwar diskutierten Leitungen und Basisaktivisten intern immer wieder über ein mögliches Verbot und berieten Sicherheitsmaßnahmen. Die aber wurden nur in Anfängen umgesetzt. Vereinzelt wurden geheime Druckorte und Quartiere für Untergetauchte gesucht, und in einigen Bezirken vereinbarten Leitungen und Ortsgruppen klandestine Briefkontakte über Deckadressen.

Unterstützungsarbeit im Untergrund

Trotzdem traf das Ausmaß des Naziterrors nach der Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 die Solidaritätsorganisation weitgehend unvorbereitet. Die wenigen Vorkehrungen wurden schon in den ersten Wochen zunichte gemacht, als den Nazis viele interne Unterlagen bei den flächendeckenden Hausdurchsuchungen ab Ende Februar in die Hände fielen. Vor allem die erfahreneren Mitglieder wurden in »Schutzhaft« in SA-Folterkeller und Konzentrationslager verschleppt, andere Funktionäre tauchten aus Angst vor Verfolgung unter, und viele Anhänger zogen sich aus Angst zurück. Bereits im März 1933 wurde die RHD verboten, aber die verbliebenen Aktivisten bemühten sich, zumindest die Unterstützungsarbeit fortzuführen, denn die praktische Solidarität war nötiger denn je. Vor allem war es von zentraler Bedeutung, die Antifaschisten in ihrer Widerstandsbereitschaft zu bestärken und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass ihre Angehörigen im Fall einer Verhaftung nicht allein gelassen würden.

Die RHD-Strukturen waren jedoch selbst extrem geschwächt und wurden durch immer neue Repressionsschläge zurückgeworfen. Es dauerte Monate, bis sie sich an die Bedingungen der Klandestinität gewöhnt hatten und erste überregionale Kontakte zwischen den Ortsgruppen, Bezirksleitungen und dem ebenfalls untergetauchten Berliner Zentralvorstand wiederhergestellt waren.

In dieser Phase kam häufig den Roten Helferinnen eine wichtige Rolle zu, weil die Frauen in der Regel weniger bekannt waren als die meist männlichen Leitungsmitglieder. Weil sie im Durchschnitt seltener und kürzer in »Schutzhaft« gerieten, organisierten die Solidaritätsaktivistinnen den Übergang in die Illegalität maßgeblich mit und übernahmen öfter führende Posten.

Nicht überall bildete sich eine dauerhafte Rote-Hilfe-Struktur. In vielen Städten beschränkte sich die Tätigkeit auf sporadische Spendensammlungen für verhaftete Genossen im eigenen Wohnumfeld. In anderen Regionen gelang es hingegen, eine arbeitsfähige Bezirksleitung aufzubauen, die trotz Verhaftungen die Kontakte zu vielen Stadtteil- und Ortsgruppen halten und die klandestinen Kleinzellen an der Basis koordinieren konnte.

Ein zentraler Arbeitsbereich blieben die Beitrags- und Spendensammlungen, aus denen die Familien der Gefangenen unterstützt wurden. Zusätzlich protestierten die RHD-Gruppen vielerorts mit selbst erstellten Flugblättern und Zeitungen gegen den Naziterror oder verkauften antifaschistische Publikationen, die aus dem Ausland eingeschmuggelt worden waren. Viel Raum nahm zudem der »illegale Apparat« ein, der sichere Quartiere für Untergetauchte, geheime Druckorte, die Vereinbarung konspirativer Treffen und Anlaufstellen für Kuriere ebenso umfasste wie die Kommunikation über Deck­adressen. Der Berliner Zentralvorstand unterstützte die Bezirke, indem Kuriere Informationen, finanzielle Zuschüsse und Druckschriften überbrachten und Instrukteure die Tätigkeit vor Ort unterstützten. Da es der illegalen RHD gelang, den Gedanken der Einheitsfront umzusetzen und breite antifaschistische Spektren einzubinden, konnte sie auch im Untergrund lange Zeit effektiv Widerstand leisten und Hilfe organisieren.

Durch den anhaltenden Terror und regelmäßige Verhaftungswellen wurden ab Mitte der 1930er Jahre die Solidaritätsstrukturen immer mehr geschwächt und vielerorts zerschlagen. Nachdem die Kontakte in die meisten Bezirke abgerissen waren, erklärte die Reichsleitung im September 1938 die Rote Hilfe Deutschlands für aufgelöst. Dennoch führten viele Solidaritätskreise die Unterstützungsarbeit bis zur Befreiung vom Faschismus weiter.

Wiedergründung

Ein Vierteljahrhundert lang geriet die Rote Hilfe weitgehend in Vergessenheit, und Solidarität mit Genossen, die von Repression betroffen waren, wurde auf andere Weise organisiert. Erst als sich die neuen sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik ab Mitte der 1960er Jahre mit wachsenden staatlichen Angriffen konfrontiert sahen und überregionale Unterstützung nötig war, besannen sie sich auf diese Tradition. Als erstes griff 1970 das Westberliner Sekretariat Rote Hilfe (SRH) den Namen wieder auf und bemühte sich darum, parteiübergreifende Antirepressionsarbeit zu initiieren. Bald kam es allerdings zum Bruch mit parteipolitischen Aktivisten der K-Gruppen, die die Initiative verließen.

Aus dem SRH ging 1972 die »rote hilfe ★« hervor, die undogmatisch-spontaneistische Solidaritätsgruppen in einem losen Netzwerk vereinte. Der Schwerpunkt lag auf Gefangenenarbeit, wobei nicht nur politische, sondern auch soziale Gefangene unterstützt und betreut wurden. Vor allem der intensive Kontakt mit den inhaftierten Mitgliedern der Stadtguerilla war Anlass für staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen die rote hilfe ★. Hinzu kamen interne Konflikte, die das Netzwerk zusätzlich schwächten, weshalb es schon 1975 weitgehend zerfallen war.

Aus den K-Gruppen entstanden zwei parteinahe Mitgliederorganisationen unter dem Namen »Rote Hilfe«: Nachdem sich 1973 die Repression gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) verschärft hatte, wurde im Sommer die Rote Hilfe e. V. gegründet, die Mitte der 1970er Jahre etwa 2.000 Mitglieder in 21 Ortsgruppen zählte.5 Wichtige Themen waren die Unterstützung für Aktivisten aus dem Umfeld der KPD (AO), Solidarität mit Arbeitskämpfen und bei Berufsverboten sowie der Protest gegen Isolationshaft und Polizeigewalt.

Anfang 1975 gründete die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) die Rote Hilfe Deutschlands (RHD), nachdem die vorausgehende Mitarbeit in der spontaneistischen roten hilfe ★ zu starken Konflikten geführt hatte. Bis 1978 war die Solidaritätsorganisation auf 47 Ortsgruppen angewachsen.6 Mit den beträchtlichen Einnahmen aus Beiträgen und Spenden wurden hauptsächlich KPD/ML-Mitglieder unterstützt, die mit Berufsverboten, Prozessen, Geld- und Haftstrafen konfrontiert waren. Kampagnen richteten sich gegen die drohende Abschiebung migrantischer Aktivisten und gegen die menschenverachtenden Haftbedingungen, denen die Mitglieder der Stadtguerilla ausgesetzt waren. Zu einem zentralen Thema der RHD wurden tödliche Polizeieinsätze. Allein nach dem Tod des Prozessbeobachters Günter Routhier wurden Hunderte Redakteure und Flugblattverteiler zu hohen Strafen verurteilt, weil sie das brutale Vorgehen der Beamten als Mord bezeichnet hatten. Daneben suchte die Rote Hilfe Deutschlands vorsichtig den Kontakt zur entstehenden Anti-AKW- und Antifabewegung und protestierte gegen die brutale Polizeigewalt auf Demonstrationen.

Ende der 1970er Jahre ebbte die Bewegung der K-Gruppen ab, und die beiden parteinahen Rote-Hilfe-Organisationen gerieten in eine schwere Krise. Die Rote Hilfe e. V. beschloss im Februar 1979 ihre Selbstauflösung.

Aufschwung

Die RHD führte die Arbeit hingegen weiter, wenn auch mit sehr beschränkten Möglichkeiten und unter ständigen Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen. Parallel orientierte sich die Solidaritätsorganisation politisch neu, indem sie sich von der KPD/ML loslöste und intensiver den neuen sozialen Bewegungen zuwandte. Zusätzlich zur Unterstützungsarbeit in den bisherigen Feldern sammelte die Rote Hilfe Deutschlands nun Spenden, wenn es zu Repression gegen die Anti-AKW-, Hausbesetzungs-, Antifa- oder antimilitaristische Bewegung gekommen war.

Zwar dauerten Mitgliederschwund und der Niedergang vieler Ortsgruppen noch mehrere Jahre an, weil es der RHD nicht gelang, ihren nunmehr strömungsübergreifenden Ansatz glaubhaft zu vermitteln. Erst Mitte der 1980er Jahre gab es intensiveren Austausch mit verschiedenen Bewegungen, und neue Aktivisten erwogen den Beitritt. Der Durchbruch gelang bei der Bundesdelegiertenkonferenz am 26. April 1986, als nicht nur die Satzung noch einmal umfassend überarbeitet, sondern auch der Name geändert wurde: Ab diesem Zeitpunkt führte die Solidaritätsorganisation die Arbeit als Rote Hilfe e. V. weiter.

Wenig später stabilisierten eine erste kleine Beitrittswelle und einige neue Ortsgruppen die Strukturen, und Bündnisprojekte verstärkten die Wahrnehmung und Einbindung in verschiedene Bewegungen. Dazu zählten die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit während des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen 1989 ebenso wie Kampagnen bei Verfahren nach Paragraph 129, die in dieser Zeit verschiedene Bewegungen trafen. Eine besondere Rolle nahmen die jahrelangen Solidaritätsaktionen zum Düsseldorfer Mammutprozess ab 1989 ein, bei dem 19 kurdische Politiker unter Anklage standen.

Zu Beginn der 1990er Jahre nahm die Repression gegen Antifaschisten zu, als sich entschiedene Proteste gegen Naziangriffe formierten. Solidarität musste auch für die Anti-AKW-Bewegung geleistet werden sowie für antimilitaristische Gruppen, die 1999 gegen die deutsche Bombardierung Jugoslawiens aktiv wurden.

Daneben konnte die Solidaritätsorganisation eigene Akzente setzen: Schon 1991 wurde eine erste Fassung der Rechtshilfetipps veröffentlicht, die seither unter dem Titel »Was tun, wenn’s brennt« große Verbreitung finden. Mit dem Tag der politischen Gefangenen am 18. März belebte die Rote Hilfe e. V. 1996 zusammen mit der Initiative Libertad! ein zentrales Datum der Weimarer Republik neu. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erlebte die Rote Hilfe e. V. durch Tausende Beitritte und neue Ortsgruppen einen raschen Aufschwung. Dadurch wurden organisatorische Änderungen notwendig. So werden in der Göttinger Geschäftsstelle seit 1999 Verwaltungsarbeiten bezahlt erledigt, um die ehrenamtlichen Rote-Hilfe-Aktivisten in Ortsgruppen und im Bundesvorstand zu entlasten.

Neue Herausforderungen

Das neue Jahrtausend brachte neue Herausforderungen und Themenfelder, beispielsweise die Repression gegen die Gipfelproteste, den 2001 eingeführten Paragraphen 129 b, der sich gegen die migrantische Linke richtet, und die Kriminalisierung der ­Klimagerechtigkeitsbewegung. Dauerhafte Schwerpunkte bilden zudem Gesetzesverschärfungen, zunehmende Überwachungsbefugnisse und andere Grundrechtseinschränkungen, wie sie aktuell vor allem die palästinasolidarischen Bewegungen erfahren. In langwierigen Prozessen wie den seit dem G20-Gipfel 2017 laufenden Anklagen im Rondenbarg-Komplex kann die Rote Hilfe e. V. zusammen mit anderen ­Solidaritätsbündnissen aktiv unterstützen. Großverfahren gegen die antifaschistische Bewegung, die zum Teil grenzüberschreitend stattfinden, wie im Fall der im Budapest-Komplex Verfolgten, stellen neue Dimensionen der Repression dar.

Den Hauptteil der Arbeit leisten die über 50 Ortsgruppen bundesweit, indem sie linken Aktivisten mit Rechtshilfetipps zur Seite stehen, Prozesse mit ihnen vorbereiten und engagierte Öffentlichkeitsarbeit leisten. Prägender Bestandteil ist weiterhin die finanzielle Unterstützung, die hauptsächlich aus der Bundeskasse geleistet wird. Durch die steigenden Einnahmen aus Beiträgen und Spenden kann die Solidaritätsorganisation immer mehr Betroffene entlasten, indem sie beispielsweise Anwalts- und Gerichtskosten teilweise oder vollständig übernimmt.

Mehrere große Beitrittswellen seit 2010 haben die Zahl der Mitglieder auf über 15.000 ansteigen lassen, die sich in den unterschiedlichsten linken Spektren verorten, aber den Gedanken der Roten Hilfe teilen: die organisierte, strömungsübergreifende Solidarität. Dass diese Idee und Praxis nun seit 100 Jahren fortgeführt werden – wenn auch mit Änderungen und Neuorientierungen –, ist ein Grund zu feiern, weshalb die Rote Hilfe e. V. ein Jubiläumsjahr begeht. Eine Ausstellung mit Begleitkatalog, der Film »Solidarität verbindet – 100 Jahre Rote Hilfe«, eine Massenzeitung und zahlreiche Veranstaltungen zur Geschichte und Gegenwart der Arbeit der Roten Hilfe laden dazu ein, sich intensiver mit den ­Entwicklungen auseinanderzusetzen.7

Die Rote Hilfe ist eine strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation. Sie unterstützt alle, die aufgrund von linkem Aktivismus von Repression betroffen sind, durch Beratung, Vermittlung solidarischer Anwält:innen und finanziell. Hier findet ihr eine Liste der Ortsgruppen und sicher auch eine in eurer Nähe. Wenn ihr noch nicht Mitglied seid, möchten wir euch empfehlen es zu werden – zum Beispiel über dieses Onlineformular.

1    Organisationsbericht zur ZV-Sitzung am 30.10.1932, S. 12f (Staatsarchiv Bremen, StAB 4,65–484) und Bericht zur ZV-Sitzung am 8./9.5.1932, S. 110 (StAB 4,65–482)
2    Bericht zur ZV-Sitzung am 8./9. Mai 1932, S. 111 (StAB 4,65–482)
3    MOPR, russische Abkürzung für Internationale Rote Hilfe
4    ZV-Rundschreiben, 2.12.1932, S. 1 (StAB 4,65–484)
5    Hartmut Rübner: »Die Solidarität organisieren«. Konzepte, Praxis und Resonanz linker Bewegung in Westdeutschland nach 1968, Berlin 2012, S. 211
6    Ebd., S. 222
7    Informationen zum Jubiläum »100 Jahre Rote Hilfe« und der Ausstellungskatalog »100 Jahre Rote Hilfe 1924–2024« zum Download unter: https://rote-hilfe.de/100-jahre-rote-hilfe

 

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