Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde – es gibt auch immer mehr Urteile. Die Abgrenzung, wer „Querdenker“, Rechtsextremist, Antisemit, AfD-Politiker, Reichsbürger oder alles gleichzeitig ist, fällt immer schwerer. Am Ende wählen die meisten ohnehin die rechtsextreme AfD oder stehen ihr ideologisch zumindest nahe. Die Übergänge verfließen immer weiter. Zugleich haben viele der Verurteilten auch deutliche Schnittmengen mit anderen demokratiegefährdenden Gruppen, sodass wir uns entschlossen haben, die „Querdenker“-Urteile umzubenennen.
Seit 2024 schaffen wir die Urteile-Sammlungen leider nur noch monatlich. Letzten Monat berichteten wir über gleich neun Klatschen gegen die AfD, über eine Niederlage von “Nius” vor Gericht und weitere Urteile. Diesen Monat geht es unter anderem um das Scheitern der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht sowie um Urteile nach den Ausschreitungen in England.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Organklagen der AfD-Fraktion des Bundestags als teilweise unbegründet abgewiesen und im Übrigen als unzulässig verworfen. In einer Klage wandte sich die AfD gegen die Abwahl des AfD-Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestages in der 19. Wahlperiode, also 2017-2021. Es handelte sich um Rechtsextremist Stephan Brandner. In der anderen “rügt sie die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden des Innenausschusses, des Gesundheitsausschusses und des Entwicklungsausschusses in der 20. Wahlperiode, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils keine Mehrheit erreichten”, wie das Verfassungsgericht schreibt. Wenn die Mehrheit der Stimmen keinen AfD-Vorsitzenden in einem Ausschuss möchte, dann hat die AfD keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, urteilte nun Karlsruhe.
Organklagen, oder auch Organstreitigkeiten, sind “Streitigkeit[en] zwischen obersten Bundesorganen, etwa der Regierung und dem Parlament, um die verfassungsrechtlichen Rechte und Kompetenzen” (bpb). Zu beiden Klagen kam es, weil sich die AfD-Fraktion ungleich behandelt fühlte. Da ist sie wieder, die Opferkarte, die die AfD doch stets gerne ausspielt.
Aber schauen wir uns die gescheiterte Klage etwas genauer an. Konkret konnte es die AfD also nicht leiden, dass in der vergangenen Wahlperiode Brandner als AfD-Vorsitzender des Rechtsausschusses abgewählt wurde und in der aktuellen Wahlperiode in drei weiteren Ausschusswahlen ihre Kandidaten für den Vorsitz keine Mehrheit erreichten. Der Deutsche Bundestag ist traditionell eine Mischung aus Arbeitsparlament und Redeparlament. In Arbeitsparlamenten finden die meisten Verhandlungen für Gesetzestexte in den jeweiligen Ausschüssen statt – sie spielen also eine zentrale Rolle bei Entscheidungsprozessen. Ein reines Redeparlament finden wir beispielsweise in Großbritannien.
Die Zusammensetzung der Ausschüsse und die Bestimmung ihrer Vorsitzenden erfolgt entsprechend der Stärkeverhältnisse der einzelnen Fraktionen. Eigentlich sollen im Ältestenrat die Ausschussvorsitzenden bestimmt werden. Wird jedoch keine Einigung gezielt, greift ein sogenanntes “Zugriffsverfahren”. In diesem wählen die Fraktionen die Ausschussvorsitzenden gemäß der Sitzverhältnisse im Parlament in einer festgelegten Reihenfolge. In den konstituierenden Sitzungen schlägt die berechtigte Fraktion dann einen Kandidaten für den Vorsitz vor. Bis zur 18. Wahlperiode (2013-2017) galt, dass der Vorschlag ohne Abstimmung angenommen wurde, wenn kein Widerspruch erhoben oder allgemeine Zustimmung signalisiert wurde. Nur in Ausnahmefällen fand eine Wahl statt.
Dies änderte sich jedoch mit der 19. Wahlperiode, immer häufiger kam es zu keiner Einigung und eine Wahl musste stattfinden. Der AfD-Abgeordnete Brandner erhielt damals die notwendigen Mehrheiten für den Vorsitz im Rechtsausschuss. Als Ausschussvorsitzender muss man jedoch parteipolitische Neutralität wahren. Mehrere Ausschussmitglieder beschwerten sich aber über Brandner, da er bei Auftritten beim Deutschen Anwaltverein nicht das entsprechende Maß parteipolitischer Zurückhaltung an den Tag legte. Auch einige Twitter-Posts wurden ihm 2019 zum Verhängnis – er wurde mit 37 Ja- gegen sechs Nein-Stimmen als Vorsitzender abgewählt. Um welche Posts es genau ging, kannst du hier nachlesen:
Dieses Jahr erhielt Brander eine gesalzene Geldstrafe:
Und was war mit der zweiten Organklage der AfD? Zu Beginn der 20. Wahlperiode (2021) wurden die Ausschussvorsitzenden wieder nach dem Zugriffsverfahren verteilt, wobei die AfD-Fraktion die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erhielt. In den konstituierenden Sitzungen am 15. Dezember 2021 wurden auf Antrag der Regierungsfraktionen geheime Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden durchgeführt. Die von der AfD-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten erhielten jeweils keine Mehrheit. Die Vorsitze sind vakant – die stellvertretenden Vorsitzenden leiten die Ausschüsse. Die AfD-Fraktion hat zwar – wie alle Fraktionen – das Recht, in den Ausschüssen vertreten zu sein, ein Recht auf Stellung des Vorsitzenden gibt es jedoch nicht. Diesem sind lediglich organisatorische Aufgaben zugeschrieben. Wie die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Doris König, sagte:
“Mit einer freien Wahl wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte.”
Ein ganz normales Prinzip einer demokratischen, freien Wahl: keine Mehrheit, keine Vorsitzenden. Auch bei der Abwahl von Brandner wurde die notwendige einfache Mehrheit bei weitem übertroffen. Demokratie versteht die AfD einfach nicht. Zum Glück muss sie sich dennoch demokratischen Institutionen und der Gewaltenteilung unterwerfen – das Bundesverfassungsgericht beweist dies mit seinem Urteil.
Wir bleiben noch bei der rechtsextremen AfD. Die AfD-Parteifunktionärin und Weidel-Mitarbeiterin Marie-Thérèse Kaiser wurde rechtskräftig wegen Volksverhetzung verurteilt. Sie hatte gegen das Urteil im Mai Revision eingelegt, wir berichteten:
Kaiser hetzte 2021 gegen Schutzsuchende, indem sie afghanische Geflüchtete pauschal mit Gruppenvergewaltigungen in Verbindung brachte. Dafür wurde sie erstinstanzlich zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Dies bestätigte bereits das Landgericht Verden im Mai: Es handelte sich um einen “Angriff auf die Menschenwürde”. Kaisers Revision gegen das Urteil hat das Oberlandesgericht Celle nun als unbegründet verworfen. Kaiser ist auf Social Media stark mit rechtextremen Netzwerken verknüpft, wie eine Correctiv-Recherche zeigt.
Im August begingen in England Rechtsextreme, angestachelt durch Fake News, rassistische pogromähnliche Ausschreitungen gegen Unschuldige. Viele der Accounts, die diese Menschen mit reichweitenstarken Lügen auf Twitter aufgehetzt haben, wurden durch Elon Musk erst entsperrt oder ihnen wurde durch den Twitter-Alogrithmus ihre Reichweite erhöht. Bei den Ausschreitungen wurden damals zahlreiche Polizisten verletzt, Fahrzeuge in Brand gesteckt und Geschäfte geplündert.
Zuvor hatte es in Southport eine Messerattacke gegeben, bei der drei junge Mädchen starben und weitere Personen verletzt wurden. Es wurde der Fake verbreitet, dass der Täter ein muslimischer Migrant gewesen sei. Der Täter wurde jedoch in Großbritannien geboren. Seine Eltern stammen aus Ruanda. Die Familie war christlich und offenbar stark in der lokalen Kirche engagiert. Wir haben damals berichtet:
Mehr als 200 Menschen sind seitdem wegen ihrer Rolle bei den Ausschreitungen verurteilt worden. 193 der insgesamt 202 verurteilten Menschen müssen ins Gefängnis (Stand 05. September). Die bisher höchste Strafe (Stand 06. September) erhielt ein 27-Jähriger rechtsextremer Randalierer: Er muss 9 Jahre ins Gefängnis, wie der Sheffield Crown Court urteilte. Er hatte Feuer vor einem Hotel entfacht, in dem Asylbewerber:innen untergebracht waren. Der Richter sagte: “Wie die anderen Gewaltausbrüche sei die Tat “voller Rassismus von Anfang bis zum Ende” gewesen.”
Der bisher jüngste Verurteilte ist ein 13-Jähriger, der sich im nordenglischen Manvers einem Mob angeschlossen hatte und Wurfgeschosse auf ein Hotel warf, in dem Migranten untergebracht waren. Nun muss er für ein Jahr gerichtlich festgelegte Auflagen erfüllen. Auch zwei 12-Jährige wurden angeklagt. In England beginnt die Strafmündigkeit ab 10 Jahren. Weitere Verurteilungen werden vermutlich folgen.
Ohne dienstlichen Anlass Daten in 20 Fällen abgefragt und weitergegeben: Das wird einem Greifswalder Polizisten vorgeworfen. Wie Endstation Rechts berichtete, stammen die abgefragten persönlichen Daten vor allem von Personen aus der linken Szene und wurden auf Social Media mutmaßlich an Rechtsextreme weitergegeben. Dies geschah bereits 2019, die Staatsanwaltschaft konnte seinerzeit aber nicht nachweisen, dass der Polizist die angefragten Daten weitergegeben hatte. Das Verfahren wurde eingestellt.
Anfang September ging es vor dem Landgericht Schwerin nun um ein Bußgeldverfahren gegen den Polizisten wegen Datenschutzverstößen. Die Höhe des Bußgeldes beträgt 800 Euro. Laut Katapult-Magazin habe sich der Polizist offen AfD-nah gezeigt, sei auf entsprechenden Demonstrationen aufgetaucht und soll auch auf Facebook deutlich Position bezogen haben. Weiterhin ist unklar, ob der Greifswalder Polizist auch noch mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Zumindest letztes Jahr war er noch vom Dienst suspendiert.
Eine Frau hielt während der Corona-Pandemie die Quarantäne-Vorschriften nicht ein und steckte ihren Nachbarn mit Corona an. Dieser starb daraufhin an einer durch die Corona-Infektion ausgelösten Lungenentzündung. Wegen fahrlässiger Tötung wurde sie nun vom Landgericht Klagenfurt (Österreich) zu einer Bewährungsstrafe von 4 Monaten und einer Geldstrafe von insgesamt 800 Euro (200 Tagessätze zu je 4 Euro) verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Was vermutlich sehr häufig während der Pandemie geschah – Kontaktpersonen, die Quarantäne-Vorschriften missachten und weitere Personen anstecken – konnte im vorliegenden Fall genau nachgewiesen werden. Ein Gutachter stellte durch eine Gen-Analyse fest, dass das Virus des Verstorbenen nahezu vollständig mit dem Virus der Frau übereinstimmte. Laut dem Experten ist eine derart hohe Übereinstimmung äußerst selten, da sich Coronaviren in der Regel schnell verändern.
Es ist nicht die erste Verurteilung der Frau. Wie N-TV schreibt: “Im Juli 2023 war die Frau bereits wegen vorsätzlicher Gefährdung durch übertragbare Krankheiten zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Sie hatte trotz positiver Corona-Tests im Dezember 2021 ihre vorgeschriebene Quarantäne missachtet, ihre Wohnung verlassen und sich ohne Maske mit Menschen unterhalten.”
Drei Mitglieder einer Burschenschaft und Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung wurden heute vom Amtsgericht München zu Geldstrafen verurteilt. Der Grund: vermummte Teilnahme an einer nächtlichen Aktion der IB. Zwei der Aktivisten sollen als Minijobber für einen Abgeordneten der AfD tätig sein. Nach Angaben von Endstation.Rechts waren die beiden Teil eines BR-Berichts vom März dieses Jahres über rechtsextreme Mitarbeiter im bayerischen Landtag.
Die nächtliche Aktion fand bereits im Mai vergangenen Jahres im Alten Botanischen Garten in München statt. 11 Personen nahmen teil, die Polizei konnte nach einer Verfolgungsaktion bzw. vor Ort jedoch nur die nun verurteilten drei Männer fassen. Ein skurriles Detail schildert Endstation.Rechts:
“Einem der Angeklagten wurde zum Verhängnis, dass er einen hohen Torbogen bestiegen hatte und dort von der Feuerwehr „geborgen“ werden musste.”
Alle drei gaben an, Studierende zu sein. Die Geldstrafe fiel gering aus: 40 Tagessätze zu 15 Euro für zwei und 30 Tagessätze zu 15 Euro für den anderen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Offiziell auf der Unvereinbarkeitsliste, gibt es zwischen der AfD und der Identitären Bewegung nur noch eine Scheindistanz. Aktuell wird von Seiten der AfD nicht versucht, sich von den rechtsextremen Identitären zu distanzieren (wie wir bei den scheinbaren Minijobs der zwei Verurteilten bei AfD-Abgeordneten sehen). Stattdessen wird versucht, sie zu verharmlosen. Diese Strategie scheitert an den Fakten. Die Identitären sind Teil einer globalen extremistischen Bewegung. Mehr dazu in diesem Artikel:
Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte eine ehemalige IS-Terroristin zu zwei Jahren Jugendhaft auf Bewährung. Sie war 2013 nach Syrien gereist und heiratete dort einen islamistischen Kämpfer der Al-Nusra-Front. Später traten sie und ihr Ehemann zur IS-Terrormiliz über. Vor Gericht legte die IS-Rückkehrerin ein umfangreiches Geständnis ein. Dabei gestand sie auch, eine damals 15-Jährige aus Konstanz überredet zu haben, ebenfalls nach Syrien auszuwandern und sich den Islamisten anzuschließen.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 2014 lebte die Deutsch-Französin bei ihrer Schwiegermutter in Köln und gehörte dem IS noch bis mindestens Februar 2015 an. Auch überwies sie ihrem mittlerweile Ex-Mann noch Geld nach Syrien. Ihr Ex-Ehemann ist in Deutschland wegen eines Angriffs auf einen Polizisten bereits verurteilt worden. Auch seine Mutter, die ihm von Köln aus half, ein Logistikzentrum für den IS in der Türkei aufzubauen, wurde verurteilt.
Warum die IS-Rückkehrerin erst jetzt verurteilt wurde, ist unklar. Mittlerweile ist sie geschieden. 2011 soll sie sich in der Moschee und über Chatgruppen radikalisiert haben. Das Urteil ist rechtskräftig.
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Artikelbild: Bernd von Jutrczenka/dpa