Alte Bekannte bei Nazi-Kundgebung gegen Dorfpride in Ketsch

Am vergangenen Samstag, den 7. September, fand in Ketsch (Rhein-Neckar-Kreis) eine Kundgebung der neonazistischen Partei NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) statt. Anlass war die 2024 in Ketsch stattfindende Dorfpride. Unter dem Titel „Es gibt nur zwei Geschlechter!“ versuchte der Kreisverband Rhein-Neckar an das hohe Mobilisierungpotential neonazistischer Anti-CSD-Proteste anzuknüpfen.

Folgende Recherche wurde uns [OAT Mannheim] anonym zugespielt:

Die 7 Teilnehmer:innen, allesamt Teil oder enges Umfeld der NPD Rhein-Neckar, reisten geschlossen an. Ihre Kundgebung fand nur wenige Meter entfernt vom Abschlussfest der Dorfpride statt. Ein späterer Beginn der Kundgebung war kein Versehen: Ein Späher hatte der Gruppe mitgeteilt, wann der CSD sich seinem Endpunkt näherte – erst dann startete diese ihr Programm. Dieses bestand aus zwei Redebeiträgen sowie dem Abspielen von Rechtsrock.

Nach einer Stunde war die Veranstaltung beendet. Es wurden keine Personen abseits der NPD Rhein-Neckar und ihres direkten Umfelds mobilisiert. Die Gruppe bewegte sich anschließend unter Polizeischutz vom Kundgebungsort am Ketscher Bahnhof zu der an diesem Tag eingerichteten Ersatzhaltestelle in der Park-straße. Dort stieg die Gruppe in den Bus 717 in Richtung Speyer.

Die Dorfpride verlief ohne Zwischenfälle. Die NPD Rhein-Neckar konnte nicht an das derzeitig hohe Mobilisierungpotential der aktuell an vielen Orten stattfindenen neonazistischen Anti-CSD-Proteste anknüpfen.

Alte Bekannte

Anmelder der Versammlung war Arthur Sitarz, Kreisvorsitzender der NPD Rhein-Neckar und langjähriger Neonazi. Seine Frau Melanie war als Ordnerin eingesetzt, auch sie ist bereits seit mehreren Jahren bei der NPD aktiv. Gemeinsam wohnen sie im Baden-Württembergischen Laudenbach an der Bergstraße. Redner auf der Kundgebung war Jan Jeaschke, Vorsitzender der NPD Baden-Württemberg und wohnhaft in Weinheim (Baden-Württem-berg). Jaeschke kann als politischer Ziehsohn des 2022 verstorbenen Neonazis Günter Deckert bezeichnet werden, ehemaliger Bundesvorsitzender der NPD und eine ihrer einflussreichsten Per-sönlichkeiten. Jeaschke baute den Kreisverband Rhein-Neckar in den 2010er-Jahren zu einem der aktivsten der Partei im Südwesten auf. Nach der von ihm beschlossenen Abspaltung treibt er den Aufbau der „neuen“ NPD in Baden-Württemberg voran. Ebenfalls als Redner anwesend war Florian Grabowski: Der bundesweit vernetzte Neonazi wohnt im rheinland-pfälzischen Wöllstein und ist seit vielen Jahren in verschiedenen neonazistischen Projekten und Parteien aktiv. Grabowksi war führender Kopf der vom ihm inzwischen scheinaufgelösten und zuvor oft militant auftretenden Kameradschaft Rheinhessen, er ist stellvertrender Bundesvorsitzender der faktisch inaktiven Partei „Die Rechte“ deren „Stütz-punkt Südwest“ er gründete. Bis zu seiner Abwahl 2022 war er Teil der Leitung der „Neue Stärke Partei“ – zuvor war es dieser nicht gelungen im Südwesten Fuß zu fassen, Aufmarschversuche wie in Mainz wurden erfolgreich blockiert.

Es verblieb mit Sven Ermel eine Person aus der Region der Rheinhessen im Leitungsgremium der Partei, dieser zeigte sich auf der Veranstaltung am Samstag für die Videoaufnahmen verantwort-lich. Auch er ist inzwischen kein Teil mehr des NSP-Vorstands, die Partei nur noch um Erfurt und in Mecklenburg-Vorpommern aktiv.

Ebenfalls bei der NSP aktiv war Sascha Heusen, auch aus Wöll-stein, der aktuell Beisitzer im Bundesvorstand von „Die Rechte“ ist. Ihm und Florian Grabowksi wurden in einem Kleingarten nahe Ketsch noch am selben Abend Mitgliedsausweise für die NPD von Jaeschke und Tim Belz überreicht, Tim Belz, Landes- und Bundesvorstand der NPD, war aus Markdorf im Breisgau angereist.

Um die Kundgebung bewegte sich als Späher Dominik Schmidt, sowohl zu Fuß wie auch mit seinem Auto, einem schwarzen VW Golf (Kennzeichen HD PA 2723), Schmidt war ebenfalls Mitglied der NSP. Ebenfalls außerhalb der Kundgebung bewegte sich der in Sinsheim lebende Johannes Bachmann mit Begleitung. Bachmann ist langjährig aktives NPD-Mitglied und war 2024 Kommu-nalwahlkandidat für die von der NPD getragene „Deutsche Liste“ in Sinsheim. Er fährt einen silbernen Seat Leon (Kennzeichen HD MV 954).

Hintergrund über die „neue“ NPD Rhein-Neckar:

Im Juni 2023 beschloss die Ex-NPD auf ihrem Bundesparteitag die Umbennenung in „Die Heimat“ – in der Hoffnung durch diesen Namen und ein neues Erscheinungsbild der Krise der Partei entgegenzuwirken.

Nicht alle waren damit einverstanden: Die Landesverbände Hamburg und Saarland spalteten sich in Reaktion darauf ab, im Landesverband Baden-Württemberg trug einer der ehemaligen NPD-Kreisverbände den Namenswechsel ebenfalls nicht mit: Der Kreisverband Rhein-Neckar hielt am 29. Dezember 2023 seine Jahreshauptversammlung ab und wählte unter dem Namen „NPD Rhein-Neckar“ einen neuen Vorstand. Im März 2024 folgte dann die Gründung eines NPD-Landesverbands, der inzwischen Teil der Bundes-NPD mit weiteren Landesverbänden in Hamburg, dem Saarland und Berlin ist. Die „neue“ NPD ist als Partei-Abspaltung auch innerhalb der neonazistischen Bewegung in Deutschland isoliert und daher ergänzend zu den seit Jahren bestehenden Problemen der Ursprungspartei geschwächt. Das von Jan Jeaschke konstatierte Wachstum der Baden-Württembergischen NPD ist eine durchschaubare Lüge: Zwar entstehen im aktuellen Aufbauprozess neue Kreisverbände der NPD Baden-Württemberg (zuletzte in Karlsruhe), diese werden allerdings von bereits zuvor in der Alt-NPD aktiven Neonazis gegründet und sind nicht auf die Gewinnung von Neu-Mitgliedern zurückzuführen. So beläuft sich auch die Zahl an Aktiven NPDlern sowie der Personen des engeren Umfelds in der Rhein-Neckar-Region und Rheinhessen auf

15-20 langjährig gemeinsam aktive Rechtsextreme. Dieses Umfeld besteht vorrangig aus dem Personenkreis der 2023 selbstaufgelösten „Kameradschaft Rheinhessen“, der faktisch inaktiven Partei „Die Rechte“ in Baden-Württemberg sowie der im quasi inaktiven „Neue Stärke Partei“. „Die Heimat“ und ihre NPD-Abspaltungen stehen parallel dazu in offener Konkurrenz.

„Die Heimat“/NPD: Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?

In den Jahren nach ihrer Gründung 1964 erzielte die NPD, deren Programm und Sprache an die NSDAP anknüpft, einige Wahlerfolge und war von 1966 bis 1972 in zeitweise sieben deutschen Landesparlamenten vertreten, 1968 holte sie mit 9,6, % in Baden-Württemberg ihr bestes Ergebnis bei einer Wahl. Bei der Bundestagswahl 1969 verfehlte sie mit 4,3 % der Stimmen relativ knapp den Einzug in den Bundestag. Ab den frühen 1970er Jahren verlor sie stark an Bedeutung und vertugte nur noch über kommunale Mandate. In den 2000er Jahren wurde die Partei in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern erneut in Landtage gewählt, wo sie jeweils zwei Legislaturperioden vertreten blieb. Aufgrund des Wegfalls aller Sperrklauseln bei der Europawahl 2014 gelang es ihr mit 1,0 % der Stimmen, einen Vertreter ins Europaparlament zu entsenden. Inzwischen gingen alle diese Mandate wieder verloren. Die Partei leidet an Mitgliederschwund (2.800 im Jahr 2024) und bewegt sich auf parlamentarischer Ebene immer weiter in die Bedeutungslosigkeit.

Doch mit Aktionsorientierten Jugendgruppen wie z.B. „Württemberg verteidigen!“, der „Elblandrevolte“ oder „DJV – Deutsche Jugend voran!“ kann ihre Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ seit einigen Monaten auf ein erhöhtes Mobilsierungspotential blicken. Die JN agiert dabei als Elite- und Nachwuchsschmiede im vorpolitischen Raum.

In internen Schulungen und durch paramilitärisch anmutenden Drill sollen zukünftige Kader herausgebildet werden, aktuell zählt die Organisation knapp 230

Mitglieder. Von den JN organisierte Aufmärsche wie dieses Jahr gegen den CSD in Bautzen mit 700 Personen zeigen, dass die „Heimat“ weiterhin ein ernstzunehmender Gegner im antifaschistischen Kampf ist – denn auch, wenn die Früchte ihrer Arbeit inzwischen andere Parteien ernten, geht auf der Straße von ihr weiterhin Gefahr aus. Es bleibt abzuwarten wie die Abspaltung um Jeaschke es in Zukunft schaffen will, diese Entwicklung für die NPD Rhein-Neckar zu nutzen. Auch, wenn ihr bisher wenig neues einzufallen scheint, ist festzuhalten, dass Neonazis auch um Mannheim wieder offen und mit neuem Selbstbewusstsein auf die Straße gehen.

Hierbei ist die NPD-Kundgebung als ein gescheiterter Versuch einer sich neu formierenden Neonazi-Struktur mit alten Bekannten zu bewerten, um an das aktuelle politische Klima anzuknüpfen. Die Entwicklung dieser Strukturen gilt es genau zu beobachten, denn bei solchen Fehlversuchen muss es nicht bleiben. Die Versuche von Rechts, queeres Leben anzugreifen und eine faschistischen Gegenkultur zu etablieren werden in Zukunft nicht abreißen.

Für uns gilt daher: Wir behalten unseren politischen Feind weiterhin konsequent im Blick, organisieren den Selbstschutz und führen den Kampf gegen neue und alte Nazis – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

 

Nach oben scrollen