Urteil: Darf der Präsident jetzt seine politischen Gegner ermorden lassen?

Vor fast genau 50 Jahren sagte Richard Nixon “Wenn der Präsident es tut, ist es nicht illegal”, um sein Handeln im Watergate-Skandal zu verteidigen – ein bezeichnender Einblick in sein autoritäres Verständnis der Exekutivgewalt des Präsidenten, nach der er gehandelt hatte. Damals wiesen Jurist*innen diese Behauptung, dass der Präsident über dem Gesetz stehe, entschieden zurück, der Oberste Gerichtshof entschied Ende Juli 1974 – auf den Monat genau vor 50 Jahren – gegen Nixon. Die Gesetzeslage war so klar, dass Nixons Nachfolger Gerald Ford in seiner Begnadigung Nixons nach dessen Rücktritt explizit ausbuchstabierte, dass er Nixon begnadige, weil er sonst strafrechtlich belangt werden könnte, für illegale Handlungen, die er als Präsident begangen hatte. 

Und auch der Autor des Urteils der SCOTUS-Mehrheit, John Roberts, sagte 2005 während seiner Anhörungen zur Ernennung an das Oberste Gericht im Senat: 

“Ich glaube, dass in unserem System niemand über dem Gesetz steht, und das gilt auch für den Präsidenten. Der Präsident ist in vollem Umfang an das Gesetz, die Verfassung und die Statuten gebunden.”

Ein Jahr später, nachdem Präsident Bush Samuel Alito für das Oberste Gericht des Landes nominiert hatte, sagte der während seiner Senatsanhörungen etwas Ähnliches:  

“Es gibt nichts, was für unsere Republik wichtiger ist als die Rechtsstaatlichkeit. Keine Person in diesem Land, egal wie hoch oder mächtig, steht über dem Gesetz.”

Und auch Brett Kavanaugh äußerte sich bei seiner Anhörung 2018 dazu und verkündete:

“Niemand steht über dem Gesetz in den Vereinigten Staaten, das ist ein Grundprinzip […] Wir sind alle gleich vor dem Gesetz […] Die Grundlage unserer Verfassung war, dass … die Präsidentschaft keine Monarchie sein würde […] [D]er Präsident steht nicht über dem Gesetz, niemand steht über dem Gesetz.”

Auch vor 2019 Jahren teilte Mitch McConnell, der Anführer der Republikaner im Senat, dass Präsidenten für Verbrechen, die sie während ihrer Amtszeit begangen hatten, nicht durch ein Amtsenthebungsverfahren, sondern vor Gericht strafrechtlich belangt werden sollten. Er sagte damals, um zu begründen, weshalb er nicht für eine Amtsenthebung stimmte: 

“Trump ist immer noch für alles verantwortlich, was er während seiner Amtszeit getan hat…. Wir haben in diesem Land ein Strafrechtssystem. Wir haben Zivilprozesse, und ehemalige Präsidenten sind nicht davor gefeit, von beiden zur Rechenschaft gezogen zu werden.”

Doch der Supreme Court des Jahres 2024 ist anderer Meinung: Er hat, in einer 6-3 Entscheidung entlang ideologischer Linien, Präsidenten – und explizit Trump – den Weg zu vollständigen Immunität freigemacht, frei nach dem Motto Was kümmert mich mein Geschwätz von damals?

Es ist ein Urteil von atemberaubendem Ausmaß, das einem Hieb mit dem Baseballschläger auf die Kniescheiben der amerikanischen Demokratie gleichkommt. Die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs etabliert darin drei verschiedene Ebenen präsidialer Handlungen:

1. Amtshandlungen: Alle Handlungen, die unter den direkten, verfassungsmäßig in Artikel II festgelegten Aufgabenbereich des Präsidenten fallen. Das Problem dabei, erklärt der Jurist Jay Willis, dass Artikel II recht vage Sprache verwendet: 

“So gibt Artikel II dem Präsidenten die ausschließliche Befugnis, die Streitkräfte zu befehligen; nach Roberts‘ Formulierung ist nicht klar, was (wenn überhaupt) einen Präsidenten daran hindern würde, sich auf diese Befugnis zu berufen, um dem SEAL-Team 6 den Befehl zu erteilen, einen politischen Rivalen zu ermorden. Rückblickend könnte Trumps Fehler am 6. Januar darin bestanden haben, lediglich Zivilisten mit der Aufgabe zu betrauen, die Regierung zu stürzen; hätte er stattdessen das Militär beauftragt, zum Kapitol zu marschieren und Mike Pence zu ermorden, wäre er in einer (noch) stärkeren rechtlichen Position als jetzt.”

Diese Kategorie bezieht sich auf alles, was nicht direkt mit den Kernaufgaben eines Präsidenten zu tun hat, sondern mit dem äußeren Rahmen der offiziellen Aufgaben des Präsidenten. Doch selbst hier geht das Gericht von “angenommener Immunität” aus – sprich, “für diese Art von Handlungen hat der Präsident Anspruch auf – und das ist wichtig – zumindest mutmaßliche Immunität vor Strafverfolgung. Diese zumindest vermutete Immunität müsste also widerlegt werden”, erklärt Jura-Professorin Kate Shaw im “Strict Scrutiny” Podcast. Der Präsident ist laut dem Urteil nur dann nicht immun von Strafverfolgung, wenn diese die Autorität der Exekutive nicht behindern würde.Trumps Handlungen im Wahlmanipulationsfall dürften nach Interpretation des Gerichts in die erste und zweite Kategorie fallen.

Die Strategie dahinter, so die Juristin Asha Rangappa: “Die ‘mutmaßliche Immunität’ bedeutet zusätzliche Arbeit für Staatsanwälte, die letztlich feststellen werden, dass das Verhalten immunisiert ist.” Sprich: das Oberste Gericht zwingt die Staatsanwält*innen, ihre Beweismittel auf diese Frage hin komplett zu prüfen, was bedeutet, dass keiner von Trumps weiteren Prozessen vor der Wahl beginnen kann.

Private, beziehungsweise inoffizielle Handlungen fallen nicht unter Immunität eines Präsidenten – aber auch dieses vermeintliche Eingeständnis ist eine Nebelkerze, denn als der Fall vor dem Supreme Court gelandet war, forderte Trump gar keine Immunität für private Handlungen. Der Zusatz dient einzig und allein dazu, den Eindruck zu erwecken, dass Trump nicht alles gewährt wird – obwohl das Gericht ihm alles gibt, was er wollte – und mehr. 

Die liberale Richterin Sonia Sotomayor schreibt in ihrem Widerspruch zum Urteil der Mehrheit, dem sich auch Ketanji Brown Jackson und Elena Kagan anschließen:

“Die Mehrheit unternimmt drei Schritte, die den Präsidenten faktisch vollständig von der strafrechtlichen Verantwortung freistellen.

Erstens schafft die Mehrheit absolute Immunität für die Ausübung der ‘zentralen verfassungsmäßigen Befugnisse’ des Präsidenten. […] Diese Feststellung ist bei den Fakten der Anklageschrift unnötig, und der Versuch der Mehrheit, sie auf die Fakten anzuwenden, dehnt das Konzept der Kernbefugnisse über jede erkennbare Grenze hinaus aus.

In jedem Fall wird sie schnell durch den zweiten Schritt in den Schatten gestellt, der darin besteht, eine weitreichende Immunität für alle ‘offiziellen Amtshandlungen’ zu schaffen.[…] Ob man es nun als mutmaßlich oder absolut bezeichnet, nach der Regel der Mehrheit ist der Gebrauch jeglicher Amtsgewalt durch einen Präsidenten für jeden Zweck, selbst für den korruptesten, immun gegen Strafverfolgung. Das ist genauso schlimm, wie es klingt, und es ist unbegründet.” 

Denn selbst für ein Verbrechen, das die vage Definition von “offiziellen Amtshandlungen” dieses Obersten Gerichts nicht erfüllt, können Beweise, die unter diese Kategorie fallen, nicht zur Strafverfolgung eines ehemaligen Präsidenten verwendet werden – als Beweise oder zur Etablierung eines Motivs:

“Schließlich erklärt die Mehrheit, dass Beweise für Handlungen, gegen die der Präsident immun ist, bei einer Strafverfolgung gegen ihn keine Rolle spielen können. [..] Dieser Standpunkt, der die Regierung daran hindert, die Amtshandlungen eines Präsidenten zum Nachweis von Wissen oder Vorsatz bei der Verfolgung privater Straftaten zu verwenden, ist unsinnig. Argument für Argument erfindet die Mehrheit die Immunität […] mit roher Gewalt.  Bei genauerer Betrachtung bröckeln ihre Argumente.  Zunächst einmal ist die breite Immunität für ‘Amtshandlungen’ der Mehrheit unvereinbar mit dem (Verfassungs)Text, der Geschichte und dem etablierten Verständnis der Rolle des Präsidenten. […] Darüber hinaus ist sie zutiefst falsch, sogar nach ihren eigenen, funktionalistischen Bedingungen.” 

Sotomayor gibt in ihrem Widerspruch ein Beispiel davon, was das bedeuten würde:

„Stellen Sie sich vor, ein Präsident erklärt in einer offiziellen Rede, dass er vorhat, einen politischen Rivalen an der Verabschiedung eines Gesetzes zu hindern, das er ablehnt, koste es, was es wolle (offizielle Handlung). Dann beauftragt er einen privaten Auftragskiller, diesen politischen Rivalen zu ermorden (inoffizielle Handlung). Nach der Entscheidung der Mehrheit könnte die Mordanklage keine Behauptung über das öffentliche Eingeständnis des Präsidenten enthalten, dass er vorsätzlich gehandelt hat, um den mens rea des Mordes zu unterstützen. Das ist, gelinde gesagt, ein seltsames Ergebnis.“

Wo wir gerade bei der theoretischen Ermordung eines politischen Gegners sind – in Sotomayors Beispiel ist die Beauftragung eines privaten Auftragskillers ein privater Akt, weil sie nicht in die Befugnisse eines Präsidenten fällt. Was aber, wenn ein Präsident beispielsweise Seal Team 6 beauftragt, einen politischen Rivalen zu töten? Sotomayor deckt auch diesen Fall ab, und beleuchtet so die furchterregende Macht, die die rechtsreaktionäre SCOTUS-Mehrheit einem Präsidenten, den sie unterstützt, mit ihrem Urteil verleiht:

“Befiehlt er dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen zu ermorden?  Immun. Organisiert einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun. Nimmt eine Bestechung im Austausch für eine Begnadigung an? Immun. Immun, immun, immun.”

Denn, wie Justiz-Korrespondent Elie Mystal in “The Nation” analysiert, die Bedingungen, die das Gericht aufstellt, um zu beweisen, dass eine Handlung keine Amtshandlung ist, sind in diesem Beispiel unmöglich zu erfüllen: 

“Nach ihrer Logik gibt es keine Möglichkeit, zu beweisen, dass es sich um einen “inoffiziellen Akt“ handelt, denn jedes Gespräch, das der Präsident mit seinen Militärberatern führt (in dem er ihnen zum Beispiel sagt, warum er eine bestimmte Person ermorden lassen will), ist offiziell und kann nicht gegen ihn verwendet werden.”

Das heißt für Trumps Fall: Gespräche mit Mitarbeitern des Justizministeriums darüber, wie man eine Wahl stehlen kann, fallen unter seine Kernkompetenzen als Präsident – und sind damit immun von Strafverfolgung. Was passiert, wenn der Oberbefehlshaber mit einem General einen Staatsstreich bespricht? Denn, wie die Juristin Joyce Alene analysiert, laut dem Gericht ist eine Handlung nicht automatisch inoffiziell, “nur weil sie”, so das Urteil, “angeblich gegen ein allgemein gültiges Gesetz verstößt“: 

“Präsidenten können in ihrer amtlichen Eigenschaft gegen das Gesetz verstoßen, aber hier geht es um mehr als das. Der Gerichtshof verbietet dem Bezirksgericht zu prüfen, ob das Verhalten eines Präsidenten gegen das Gesetz verstößt, um zu entscheiden, ob es offiziell oder inoffiziell ist. Das bedeutet, dass eine vermutlich offizielle Handlung, die bis an die Grenze der offiziellen Pflichten reicht, Immunität genießt, selbst wenn es sich dabei, sagen wir, um die Tötung eines Menschen handelt. Das sind all die albtraumhaften Hypothesen darüber, was ein soziopathischer Präsident ohne Konsequenzen tun könnte. Das Gericht hat verfügt, dass er es kann.”

Alene nennt die Ermordung von Richter*innen am Obersten Gerichtshof als eines der zahlreichen Albtraum-Szenarien, die ein Präsident nun beauftragen könnte, ohne belangt zu werden. Sie analysiert außerdem die direkten Folgen für Trumps Prozess – seine Kommunikation mit dem Justizministerium zum Versuch, die Wahl zu stehlen, sieht das Gericht als klaren Fall für Immunität, weil es nicht um die Rechtmäßigkeit des Handelns gehe, sondern nur um die Frage, ob der Präsident in seiner offiziellen Rolle gehandelt habe. Was ist mit Trumps Versuchen, Pence zu zwingen, ihm den Wahlsieg illegalerweise zu übertragen? Kein Problem, schreibt Alene

“Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die ‘Anwendung eines strafrechtlichen Verbots’ auf die Bemühungen eines Präsidenten, seinen Vizepräsidenten zu schikanieren und zu bedrängen, damit dieser verfassungswidrige Maßnahmen ergreift, um eine Wahl zu stehlen, ‘die Fähigkeit des Präsidenten, seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen, behindern könnte’. Das ist der Test, unabhängig davon, wie ungeheuerlich das Verhalten ist. Wenn es ein offizielles Verhalten ‘beinhaltet’, kann ein Präsident dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden, es sei denn, die strafrechtliche Verfolgung würde ihn nicht an der Ausübung seiner verfassungsmäßigen Pflichten hindern.”

Sotomayor sagt dazu in ihrem Widerspruch: 

“…die Mehrheit weigert sich, zu dem Schluss zu kommen, dass Trump für seine angeblichen Versuche, ‚den Vizepräsidenten dazu zu bewegen, seine zeremonielle Rolle beim Zertifizierungsverfahren am 6. Januar zu nutzen, um die Wahlergebnisse in betrügerischer Weise zu verändern’, keine Immunität genießt. Stattdessen wird befürchtet, dass eine strafrechtliche Verfolgung für dieses Verhalten es dem Präsidenten erschweren könnte, den Vizepräsidenten zu benutzen, ‘um [seine] Agenda im Kongress voranzubringen“. […] Eine solche strafrechtliche Verfolgung, so die Mehrheit, ‚könnte die Fähigkeit des Präsidenten, seine verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen, durchaus beeinträchtigen.’“

Auch der Gerichts-Reporter Willis warnt: 

“Der vielleicht verrückteste Aspekt von Roberts Analyse ist, dass er die allgemeine Pflicht des Präsidenten, dafür zu sorgen, dass die Gesetze getreu ausgeführt werden, in seine Liste der ‘abschließenden und ausschließenden Befugnisse’ des Präsidenten aufnimmt. Dies könnte theoretisch so ziemlich jede Entscheidung umfassen, die ein Präsident im Oval Office trifft. Wie Sotomayor schreibt, fungiert die Doktrin als ‘geladene Waffe’ in den Händen eines jeden Präsidenten, der ‘seine eigenen Interessen, sein eigenes politisches Überleben oder seinen eigenen finanziellen Gewinn über die Interessen der Nation stellen würde.’”

Sotomayor paraphrasiert die Position der Gerichtsmehrheit folgendermaßen: 

“Lasst den Präsidenten gegen das Gesetz verstoßen, lasst ihn die Vorzüge seines Amtes zu seinem persönlichen Vorteil ausnutzen, lasst ihn seine offizielle Macht für böse Zwecke einsetzen. Denn wenn er wüsste, dass er eines Tages für Gesetzesverstöße zur Rechenschaft gezogen werden könnte, […] wäre er vielleicht nicht so mutig und furchtlos, wie wir es uns wünschen würden. Das ist die Botschaft der Mehrheit heute. Selbst wenn diese Albtraumszenarien niemals eintreten sollten, und ich bete, dass dies nicht der Fall sein wird, ist der Schaden bereits angerichtet.”

Sie weist außerdem darauf hin, dass Roberts in seinem Urteil für die Mehrheit eine Art juristisches Gaslighting betreibt, indem er mit rhetorischen Kniffen versucht, so zu tun, als habe der Supreme Court Trump mit dieser Entscheidung nicht genau das gegeben, wonach er sie gefragt hatte:

„… in einem Versuch, etwas Abstand zwischen seine Immunität für offizielle Amtshandlungen und der von Trump beantragten Immunität zu schaffen, besteht die Mehrheit darauf, dass ‘Trump eine weitaus umfassendere Immunität geltend macht als die begrenzte, die [die Mehrheit] anerkannt hat.’ […] Wenn überhaupt, ist das Gegenteil der Fall. Der einzige Teil von Trumps Immunitätsargument, den die Mehrheit zurückweist, ist der Gedanke, dass ‘die Impeachment Judgement Clause verlangt, dass ein Impeachment und eine Verurteilung durch den Senat der strafrechtlichen Verfolgung eines Präsidenten vorausgehen’. […] Dieses Argument ist offensichtlich falsch. […]  Die Ablehnung dieses Arguments macht die Definition von Immunität seitens der Mehrheit jedoch nicht enger als die von Trump.” 

Nicht nur habe der Supreme Court Trump gegeben, was er wollte – sondern sei noch über Trumps Forderungen hinaus gegangen, so Sotomayor:

“Trumps Argument mit der Impeachment Judgement Clause beruht auf der Vorstellung, dass ein ehemaliger Präsident, der vom Repräsentantenhaus angeklagt und vom Senat wegen Verbrechen im Zusammenhang mit seinen Amtshandlungen verurteilt wurde, anschließend vor Gericht für diese Handlungen belangt werden könnte. […] Indem sie diesen Weg zur Überwindung der Immunität, so unsinnig er auch sein mag, ausschließt, kommt die Mehrheit zu einer Immunität für Amtshandlungen, die sogar noch weiter reicht als die von Trump vertretene. Nach Ansicht der Mehrheit (nicht aber nach Trumps Ansicht) hat ein ehemaliger Präsident, dessen Machtmissbrauch so ungeheuerlich und selbst für Mitglieder seiner eigenen Partei so beleidigend war, dass er vom Repräsentantenhaus angeklagt und vom Senat verurteilt wurde, immer noch Anspruch auf ‘zumindest mutmaßliche’ strafrechtliche Immunität für diese Handlungen.”

Der Supreme Court bricht in diesem Urteil mit Jahrzehnten der Rechtssprechung, um Trump zu helfen – und um jedem Präsidenten, der ihnen gefällt, zu einem König zu machen – zu jemandem, für den das Gesetz nicht gilt. Denn schlussendlich legen Gerichte – und am Ende der Supreme Court – fest, welche Handlungen als Amtshandlungen ausgelegt werden und welche nicht, deswegen ist die Definition im Urteil bewusst schwammig gelassen worden. 1952 war der Supreme Court im Fall Youngstown bemüht gewesen, die Exekutivmacht des Präsidenten zu begrenzen, erklärt Jura-Professorin Kate Shaw: 

“Die große Frage, die sich in Youngstown stellte, war, ob ein Präsident zu weit gegangen war, um Befugnisse an sich zu reißen, die der Legislative übertragen worden waren. Das ist hier natürlich nicht die Frage, aber eines der Dinge, die das Gericht in Youngstown wirklich beunruhigten, war die Vorstellung eines energischen, flinken Präsidenten, der anderen Zweigen die Macht entzieht und damit genug Regierungsgewalt konsolidiert, um sich selbst zu einem Diktator zu machen. Sie dachten dabei offensichtlich an die jüngste Vergangenheit, an Hitler und Mussolini. Doch das heutige Gericht feiert die Idee einer energischen, flinken Exekutive und billigt sie sogar. Man sieht das mehrfach im Urteil der Mehrheit, Richter Thomas bekräftigt dies in seiner Zustimmung. Sie wollen einen Präsidenten, der eine Menge Dinge tun wird.”

Die Folgen dieser Sicht sind dramatisch, erklärt Shaw weiter:

“Am Ende sagt das Gericht im Wesentlichen, wenn der Präsident etwas tut, wozu er verfassungsrechtlich befugt ist, dann ist es aus. Keine Strafverfolgung. Es spielt keine Rolle, ob der Präsident die Befugnisse seines Amtes für politischen Gewinn oder Vergeltung missbraucht. Das Motiv spielt keine Rolle. Und sie sagen dies, Zitat, bei der Unterscheidung zwischen offiziellem und inoffiziellem Verhalten dürfen die Gerichte die Motive des Präsidenten nicht untersuchen. Zitat Ende. Das ist eine ganze Menge. Ich denke, das ist ein wirklich großer, weitreichender Wandel in der Art und Weise, wie wir über die Autorität des Präsidenten denken, und vielleicht sogar ein Wandel in der Art und Weise, wie wir über den Präsidenten denken und darüber, ob die Exekutivgewalt eine Bedrohung für andere Aspekte der Regierung ist oder nicht.”

Elie Mystal, Justiz-Korrespondent für “The Nation” schreibt über diejenigen, die das Urteil verharmlosen, und kommentieren, dass alles nicht so dramatisch sei, weil ein Präsident ja nach wie vor für “inoffizielle Handlungen” strafrechtlich verfolgt werden könne:

“Sie haben unrecht, denn auch wenn der Supreme Court sagt, dass ‘inoffizielle Handlungen’ immer noch verfolgt werden können, in dem der Präsident als ‘inoffiziell’ handelnd bezeichnet werden kann. Und, was noch wichtiger ist, das Gericht hat praktisch kein Beweismittel übrig gelassen, das gegen einen Präsidenten eingesetzt werden kann, um zu beweisen, dass seine Handlungen ‘inoffiziell’ waren. Wenn der Versuch, die Regierung zu stürzen, ‘offiziell’ ist, was ist es dann nicht? Und wenn wir keine Beweise dafür verwenden können, was der Präsident sagt oder tut, weil die Kommunikation mit seinen Beratern, anderen Regierungsbeamten und der Öffentlichkeit ‘offiziell’ ist, wie können wir dann jemals nachweisen, dass eine Handlung ‘inoffiziell’ vorgenommen wurde?”

Die ehemalige Spezialagentin des FBI und Juristin Asha Rangappa warnt:

„Das Gericht hat Trump im Falle eines Sieges im November einen Freibrief ausgestellt, um ‘vom ersten Tag an ein Diktator’ zu sein und alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel für seine persönlichen Zwecke einzusetzen, ohne dass er dafür belangt werden kann. Diese Wahl ist nun eine eindeutige Entscheidung zwischen Demokratie und Autokratie. Wählt entsprechend.”

Bedeutet das Urteil, dass Biden jetzt tun und lassen kann, was er will? Könnte er Seal Team 6 nach Mar-a-Lago schicken? Das ist, wie die Historikerin Heather Cox Richardson schreibt, höchst unwahrscheinlich:

“[D]as Gericht hat sich selbst die Befugnis gegeben, zu bestimmen, welche Handlungen strafrechtlich verfolgt werden können und welche nicht, indem es sich selbst zum endgültigen Schiedsrichter darüber macht, was ‘offiziell’ ist und was nicht. Somit unterliegt jede Handlung eines Präsidenten der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, und es ist davon auszugehen, dass dieses Gericht einem Demokraten nicht denselben Spielraum einräumen würde wie Trump.”

Es ist auch völlig unklar, was überhaupt noch als “High Crimes and Misdemeanors” gelten könnte und zu einer Amtsenthebung führen könnte, wenn alle Amtshandlungen des Präsidenten von Immunität geschützt sind – damit ist das Impeachment-Verfahren quasi überflüssig. 

Das Urteil wäre an sich schon katastrophal genug, wenn es nicht im Kontext mit einer Präsidentschaftswahl stünde, bei der einer der beiden Bewerber auf das Amt angekündigt hat, seine politischen Feinde, unliebsame Staatsanwält*innen und Journalist*innen vor Gericht zu zerren und verurteilen zu lassen. Erst letzte Woche teilte Donald Trump auf Truth Social einen Beitrag, der forderte, dass die ehemalige Republikanische Abgeordnete Liz Cheney wegen Landesverrats vor ein Militärtribunal gestellt werden sollte, das Ganze solle im Fernsehen übertragen werden. Ein weiterer Post beinhaltete eine Liste mit Abgeordneten, die vor ein Militärgericht gestellt werden sollten, darunter Demokraten und Republikaner, die Teil des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar waren. Laut dem Obersten Gerichtshof könnte Trump für einen solchen Auftrag nicht strafrechtlich belangt werden. Der konservative Politikwissenschaftler Norman Ornstein schreibt auf Twitter, was das SCOTUS-Urteil für einen Präsidenten Trump bedeuten könnte:

“Ein Präsident Trump kann seinen handverlesenen FBI-Direktor anweisen, seine politischen Gegner zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken. Er kann das Finanzamt anweisen, Pfandrechte auf das Eigentum von Medienunternehmen zu erheben, die ihn kritisieren, und Reporter und Redakteure inhaftieren. Denken Sie daran, dass ‘Feind des Volkes’ Trumps Begriff ist.”

Und Generalleutnant a.D. Mark Hertling schrieb auf Twitter:

“Ich versuche herauszufinden, wie ein Commander einen illegalen Befehl von jemandem verweigern kann, der ihn als offizielle Handlung ausgibt.“

Auch die liberale Richterin Ketanji Brown Jackson schreibt in ihrem eigenen Widerspruch über die katastrophalen Folgen dieses Urteils: 

“In dem Maße, in dem das neue Verantwortungsparadigma der Mehrheit es den Präsidenten ermöglicht, sich der Bestrafung für ihre kriminellen Handlungen während ihrer Amtszeit zu entziehen, ist die Saat absoluter Macht für Präsidenten gelegt worden.Und zweifellos korrumpiert absolute Macht absolut. ‚Wenn es einem Menschen erlaubt ist, selbst zu bestimmen, was Recht ist, kann es jeder Mensch. Das bedeutet erst Chaos, dann Tyrannei.‘ Wenn die Regierung zum Gesetzesbrecher wird, führt das zur Verachtung des Gesetzes; es lädt jeden dazu ein, ein Gesetz für sich selbst zu werden; es lädt zur Anarchie ein‘. Ich befürchte, dass unsere Nation nach dem heutigen Urteil ernten wird, was dieses Gericht gesät hat.”

Von dem Moment dieses Urteils an, so Jackson, genießen Präsidenten das Privileg von Königen: 

“Um den tiefgreifenden Wandel, den die Mehrheit herbeigeführt hat, in vollem Umfang zu begreifen, muss man sich zunächst darüber im Klaren sein, was es bedeutet, Immunität von der Strafverfolgung zu genießen. Vereinfacht ausgedrückt ist Immunität eine ‚Befreiung‘ von Pflichten, die das Gesetz auferlegt. […] In seiner reinsten Form läuft das Konzept der Immunität auf eine Maxime hinaus – ‚[d]er König kann kein Unrecht tun‘ – eine Vorstellung, die ‚bei der Geburt [unserer] Republik entschieden abgelehnt wurde‘.”

Sotomayor sieht das genauso:

„Künftig werden alle ehemaligen Präsidenten von einer solchen Immunität geschützt sein. Wenn der Inhaber eines Amtes seine Amtsgewalt zur persönlichen Bereicherung missbraucht, wird das Strafrecht, an das wir uns alle halten müssen, keinen Schutz bieten. […] Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, hat sich unwiderruflich verschoben. Bei jeder Ausübung seiner Amtsgewalt ist der Präsident nun ein König, der über dem Gesetz steht.“

Sie schreibt weiter:

„Die heutige Entscheidung, ehemaligen Präsidenten strafrechtliche Immunität zu gewähren, stellt die Institution der Präsidentschaft auf den Kopf. Sie verhöhnt den Grundsatz, der für unsere Verfassung und unser Regierungssystem grundlegend ist, dass niemand über dem Gesetz steht. Gestützt auf wenig mehr als seine fehlgeleitete Weisheit über die Notwendigkeit eines ‚mutigen und unerschrockenen Handelns‘ des Präsidenten, gewährt das Gericht dem ehem. Präsidenten Trump all die Immunität, um die er gebeten hat, und mehr.“

Ihr Schlusssatz ist in seiner Deutlichkeit und Furcht höchst ungewöhnlich aus der Feder einer Obersten Richterin – und sollte daher als eindringliche Warnung verstanden werden:

“Aus Angst um unsere Demokratie widerspreche ich [diesem Urteil].”

Hätte Richard Nixon über diesen Obersten Gerichtshof verfügt, hätte er für Watergate nicht strafrechtlich belangt werden können. Der Oberste Gerichtshof, und mit ihm der juristische Flügel der amerikanischen Rechten, ist endgültig in seiner autoritären Ära angelangt. Das Urteil aus der Hand des Chefrichters John Roberts begräbt zudem ein für alle Mal die Mär, dass Roberts ein “moderater” Konservativer ist, analysiert Willis

“Juristische Kommentatoren haben Roberts lange Zeit als den Institutionalisten des Gerichtshofs dargestellt, einen konservativen Richter, der sich dennoch prinzipiell weigern würde, Trumps unzählige Bemühungen zur Untergrabung der geheiligten Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Dieses Narrativ war schon immer falsch, aber nie so sehr wie heute: In dem Maße, in dem John Roberts sich jemals als eine sinnvolle Kontrollinstanz von Trumps Macht gesehen hat, ist diese Version von John Roberts verschwunden. Er ist ein ebenso überzeugter Befürworter der MAGA-Agenda wie jeder seiner Kollegen, die putschfreundliche Fahnen über ihren Häusern wehen lassen; er schafft es nur, dabei etwas weniger ungehobelt zu sein.”

Die Zeit des “MAGA” Obersten Gerichtshofs ist damit endgültig eingeleitet, die Bahn ist frei für die Errichtung einer Autokratie. Das bedeutet für die Demokraten, dass die Zeit für leere Worte vorbei ist. Es ist Zeit für die Demokraten im Justizausschuss, zu handeln – es ist Zeit für öffentliche Anhörungen, um der amerikanischen Bevölkerung vor Augen zu führen, wie korrupt, gesetzlos und außer Kontrolle dieses Oberste Gericht geworden ist, und was das für eine zweite Trump-Amtszeit bedeuten würde.

Artikelbild: Jonah Elkowitz

 

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