So viele rechtsextreme Vorfälle gab es bisher bei der Europameisterschaft

Die Sicherheitsbehörden in Deutschland haben im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft dutzende Fälle von rechtsextremen Propagandadelikten und von Volksverhetzungsdelikten registriert. Wie das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut mitteilte, die Volksverpetzer vorliegt, wurden bis zum Stichtag 24. Juni – also innerhalb der ersten zehn Tage der EM – insgesamt 44 Propagandadelikte und 16 Fälle von Volksverhetzung verzeichnet. Davon 42 bzw. 14 im Phänomenbereich „rechts“ der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Also der weit überwiegende Anteil. Insgesamt drei Delikte wurden in den Phänomenbereichen „ausländische Ideologie“, eines im Phänomenbereich PMK „links“ erfasst.

Die auf Antrage der Bundestagsabgeordneten veröffentlichten Zahlen geben nur das Hellfeld wieder, das Dunkelfeld dürfte erheblich höher sein. Die veröffentlichten Zahlen seien aufgrund ihrer kurzfristigen Erhebung anlässlich der EM „noch vorläufig und können teilweise erheblichen Änderungen unterworfen sein“. Zur Strafverfolgung hat die Bundesregierung bisher keinen Überblick. Sie verwies dazu auf die Landespolizeibehörden bzw. die Justizbehörden der Bundesländer.

Die Linken-Politikerin Akbulut sagte dem Volksverpetzer zu den Zahlen: „Jeder rassistische Vorfall ist einer zu viel. Hitlergrüße und NS-Parolen, wie sie bei der EM gezeigt wurden, sind absolut inakzeptabel und beschämend.“ Es sei notwendig, dass Vereine und Verbände sich klar und unmissverständlich gegen Rassismus positionieren. Sie müssten deutlich machen, „dass rassistische Vorfälle rund um Fußballspiele in keiner Weise geduldet werden“. Als Beispiel für die problematische Entwicklung prangerte Akbulut die „rechten Fan-Inszenierungen“ in der Vergangenheit bei Hansa Rostock an.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete wies darauf hin, dass Vorfälle wie die rund um die Fußball-Europameisterschaft täglich auch in anderen Lebensbereichen passieren würden, am Arbeitsplatz, in Schulen, im öffentlichen Nahverkehr, beim Einkaufen oder auf Partys wie zum Beispiel auf Sylt. „Das ist leider Alltag in Deutschland.“ Dieser Alltagsrassismus werde von rechtspopulistischer Politik befeuert. „Brandgefährlich ist es, dass die demokratischen Kräfte sich die Themen von Rechtsextremen diktieren lassen und immer mehr einwanderungsfeindliche Stereotypen bedienen.“

„Zeit Online“ veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Statistik, die die bedrückende Entwicklung bestätigt. Während Millionen Fußballfans aus der Europameisterschaft „eine große, anständige Party“ machen würden, sängen „gar nicht wenige“ rechtsextreme Texte zum Partyhit „L’amour toujours“ von Gigi Agostino. Die einschlägigen Fälle hätten in den Tagen seit dem Eröffnungsspiel der EM am 14. Juni noch einmal zugenommen – sie liegen laut einer Umfrage des Nachrichtenportals bei Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften inzwischen bei mindestens 52. Und dies, obwohl die Uefa das Lied von den Fanmeilen und aus den Stadien offiziell verbannt hatte.

Spätestens seit ein Video aus Sylt viral ging, das Feiernde beim Singen rassistischer Parolen zur Melodie des Partyhits zeigt, sei die umgetextete Version von „L’amour toujours“ zum rechten Meme geworden. „Zeit Online“ erwähnt Fälle aus Erkheim und Neuschönau in Bayern, Rostock, Penkun, Greifswald und Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern, Nordstemmen in Niedersachsen, Neustadt an der Weinstraße und Mainz in Rheinland-Pfalz, St. Wendel im Saarland oder Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Teils sei zu dem Lied „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandiert worden, beispielsweise in Bremen.

Was die Vorfälle im Zusammenhang mit der EM betrifft: Die „Frankfurter Rundschau“ zog am Wochenende ein Fazit nach der Vorrunde. Sie schrieb: „Die Uefa könnte härter vorgehen.“ Die Zeitung schrieb, die extreme Rechte nutze seit Jahrzehnten Fußballstadien als Rekrutierungsfeld. Der andauernde Rechtsruck in Europa spiegele sich auch in den Bildern der EM wider. Der Publizist Ruben Gerczikow sammelte entsprechende Vorfälle bei der EM.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Reaktion des sportpolitischen Sprechers der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer. Er sagte auf eine Anfrage der „Frankfurter Rundschau“ zu auffälligen Rechtsextremen, Hooligans und Nationalisten bei der EM, die „größte Gefahr für die Sicherheit der Europameisterschaft“ sei der islamistisch motivierte Terrorismus. Und spielte so herunter, dass unter den festgestellten Propaganda- und Volksverhetzungsdelikten bei der EM solche mit einem rechtsextremen Hintergrund weit überwiegen.

Die „Frankfurter Rundschau“ zitierte den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Mahmut Özdemir (SPD), mit den Worten, auch Rechtsextremisten würden versuchen, die Europameisterschaft „für ihre Zwecke zu nutzen“. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Phänomens wies Özdemir auf die Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS) hin, ein staatlich gefördertes Fanbetreuungsprogramm für Anhänger aller Nationalteams. KOS-Leiter Michael Gabriel sieht die Entwicklung optimistisch. Die extreme Rechte sei aus der Anhängerschaft der DFB-Elf sowie dem Vereinsfußball größtenteils verdrängt. Die „klare gesellschaftspolitische Positionierung“ des DFB habe die Nationalmannschaft für Rechtsextreme unattraktiv gemacht.

Artikelbild: Christoph Schmidt/dpa

 

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