Eigentlich wollte die AfD auf ihrem Parteitag in Essen nach den Skandal-geplagten EU-Wahlen nochmal Selbstbewusstsein tanken vor den wichtigen Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Aber das ging durchaus nach hinten los. Wegen dem, was auf und um den Parteitag herum geschah.
Ein gigantischer Protest, peinliche Reden und eine Stärkung des gesicherten rechtsextremen Flügels dürften zwar leider naive und unkritische AfD-Kern-Wähler nicht davon abbringen, die Partei weiter zu wählen. Dieser Personenkreis ist so indoktriniert, dass er sich gegenüber sachlichen Argumenten sowieso hermetisch abgeriegelt hat. „Kritisches Hinterfragen“ gilt dort als illoyal und Zeichen, dass man nicht dazugehört. Für den Rest von uns und auch für AfD-Wähler, die das kritische Denken noch nicht völlig abgegeben haben, gab es auf dem Parteitag allerdings durchaus Gründe für starke Zweifel am Kurs der AfD, auch wenn sie sich fast ungewohnt harmonisch präsentiert hat.
Die immer weiter zunehmende Radikalisierung der AfD schweißt ihre Gegner zusammen. Die AfD gilt insgesamt bereits als rechtsextremer Verdachtsfall, wie das OVG Münster erst bestätigte, mehrere Landesverbände sind längst gesichert rechtsextrem. Anzeichen zur Zügelung gibt es keine, im Gegenteil. Und vergleichsweise gute Wahlergebnisse sollten nicht darüber hinwegtäuschen, wie unfassbar viele Deutsche diese Partei ablehnen. Potentialanalysen zeigen, dass unabhängig davon, wie viele die Partei wählen würden, die Partei die unbeliebteste ist:
59 % der Deutschen könnten sich grundsätzlich nicht vorstellen, die AfD zu wählen. Und das ist mit Abstand der schlechteste Wert aller Parteien. Vielleicht ist die rechtsextreme Partei in Umfragen zurzeit etwas stärker als zum Beispiel die Grünen, aber diese werden weit weniger pauschal abgelehnt als die AfD.
Es gibt eben keine „Spaltung der Gesellschaft“ in Links und Rechts. Sondern eine Abspaltung der AfD-Bubble von den demokratischen Parteien. Der CDU Bürgermeister von Essen rief zu den Protesten genauso auf wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Vereine: zum Beispiel Caritas, Diakonie und Gewerkschaften. CDU Ministerpräsident Wüst begrüßte die Proteste: „Die vielen tausenden Demonstranten in Essen zeigen: In Nordrhein-Westfalen ist kein Platz für Hetze, Hass und Rechtsextremismus“.
Insgesamt gab es 32 Demos in Essen am Samstag, die größte davon hatte 50.000 Teilnehmende. Insgesamt waren es laut Organisatoren rund 70.000 Teilnehmer. Damit waren es mehr Demonstrierende, als die AfD Mitglieder hat. Ziemlicher Fail.
In den Planungstreffen für die Proteste wurde großen Wert darauf gelegt, dass die Demos friedlich ablaufen. Es wurde klar kommuniziert, dass Gewalt nicht willkommen ist, und wer es darauf anlegt, gar nicht erst anreisen sollte.
Das zahlte sich weitgehend aus, es kam zum Glück nur sehr vereinzelt zu Gewalt auf Seiten der zehntausenden Teilnehmenden des Gegenprotests. Das mit Abstand schlimmste: Ein Protestler hat einen Polizisten offenbar unprovoziert angegriffen, und ihm am Boden liegend getreten und schwer verletzt. Wir teilen hier bewusst den Fahndungsaufruf, da so etwas schärfstens zu verurteilen ist. In ersten Meldungen wurde anfangs von zwei schwer verletzten Beamten gesprochen, das wurde jedoch inzwischen revidiert: Die Verletzungen einer Beamtin stellten sich im Krankenhaus aber als nicht so schwer heraus, wie ursprünglich angenommen. Die Polizei sprach im Vorfeld von „1000 gewaltbereiten Linksextremisten“, davon war aber dann doch wenig zu sehen.
Umgekehrt kritisierte Verdi Hamburg und das Aktionsbündnis „Widersetzen“ Polizeigewalt: Die Beamten seien mit Schlagstock und Pfefferspray auf die Gewerkschaftler von Verdi losgegangen. „Wir sind schockiert über das brutale Vorgehen der Polizei und das gerade Erlebte“, sagt eine Verdi-Frau. Es gab auch eine bisher unbekannte Zahl an Verletzten unter den Demonstrierenden.
Und es gab auch Gewalt von Seiten der AfD: Von der AfD waren nur 600 Delegierte anwesend, aber typisch für diesen rechtsextremen Hotspot waren selbst unter dieser kleinen Zahl offenbar Gewalttäter. Kein Wunder für eine Partei, die mindestens elf verurteilte Gewalttäter mit Mandat in der Partei hat, die gewaltbereite Neonazis zu Mitarbeitern ihrer Abgeordneten macht oder Hooligans auf die Landesliste setzt. In dieser Partei sind offenbar Fans der SS, relativieren den Neonazi-Massenmörders Breivik, sind anscheinend Fans von gewaltsamen Umstürzen oder Holocaustverharmloser. Um es kurz zu machen: Die AfD hat nicht nur im digitalen Raum eine aggressiv-kämpferische Haltung und manche sagen: gehört deshalb verboten.
Bei den Protesten in Essen zeigte das auch der AfD-Politiker Stefan Hrdy: Er griff friedliche Demonstranten an, die den Weg zum Parteitag versperrten – und biss einem von ihnen sogar ins Bein. Hinterher behauptete er zwar, dass er auch von den Demonstranten getreten worden sei, in einem Video des Vorfalls ist davon allerdings nichts zu sehen.
Außerdem hat Hrdy zuvor zwei Teilnehmerinnen des Protests bespuckt. Die stellvertretende Vorsitzende der Jusos Patricia Seelig und Vorsitzende der NRW-Jusos Nina Gaedike, die angespuckt worden waren, werden Anzeige gegen Hrdy erstatten, wie uns bestätigt wurde.
Auch inhaltlich hatte der Parteitag wenig Schmeichelhaftes zu bieten. Im Vorfeld war noch spekuliert worden, dass Delegierte Chrupalla für die vielen Skandale abstrafen könnten. Denn er hatte die Spitzenkandidatur des rechtsextremen Maximilian Krah unterstützt, der jetzt unter Korruptions- und Spionageverdacht für China steht. Und die Verbrechen von SS-Offizieren infrage stellte. Diese Spekulationen über eine Klatsche für Chrupalla erwiesen sich als falsch, da die AfD-Delegierten Korruption und Spionage offenbar nicht so verwerflich finden.
Chrupalla wurde aber sogar mit mehr Stimmen als Weidel wiedergewählt. Und blamierte sich aber prompt in seiner Rede. Er sprach davon, dass sich junge Menschen ein „blaues Wunder“ wünschen, und meinte damit offenbar die AfD. Offenbar kennt Chrupalla die deutsche Sprache nicht, denn hier ist ein „blaues Wunder“ eher selten etwas Positives.
Unfreiwillig recht hat er dennoch: Junge Menschen würde durchaus ein „blauen Wunder“ erwarten, wenn sie der AfD zur Machtergreifung verhelfen würden. Die AfD ignoriert die Klimakrise, möchte Mittel für Jugendverbände kürzen, und ihre Migrationspolitik führt dazu, dass die demografische Krise sich verschärft und dadurch beispielsweise die Sozialbeiträge steigen.
Der Rechtsextremist AfD-Politiker Stephan Brandner, der ebenfalls wiedergewählt wurde, zeigte, was die Partei mit der Demokratie vorhat, sobald sie die Macht an sich reißt: Der Hetzer forderte erst, die Justiz nach AfD-Vorlieben aufzustellen und dann politische Gegner strafrechtlich zu verfolgen. Er erhielt dafür 90 % der Stimmen.
Die völlig enthemmte AfD erzählt uns jetzt schon, was sie vorhat: Alle mit anderen Meinungen einsperren, und droht damit, die Demokratie in diesem Land abzuschaffen. Das sagen sie ganz unverhohlen, unter Applaus der Anwesenden. Der Parteitag liefert damit weiter gute Argumente für den Verfassungsschutz und ein potenzielles Parteiverbotsverfahren.
Falls sich jemand gefragt hat, warum es ein wichtiges Zeichen war, dass so unglaublich viele Menschen gegen den Parteitag der Rechtsextremisten demonstriert hat: Deshalb. Diese Partei ist auf dem besten Weg dahin, unsere Demokratie abzuschaffen. Sie nehmen an Treffen teil, an dem auch besprochen wird, auch deutsche Staatsbürger auch mit anderen politischen Meinungen zu deportieren. Sie fordern die Inhaftierung der anderen Politiker. Und sie beißen Leute, die friedlich gegen sie demonstrieren.
Die AfD versucht das mit gespielter Geschlossenheit zu überspielen. Beobachter nahmen den Parteitag in Essen als ungewohnt harmonisch wahr. Das könnte täuschen. In diesem Jahr ist die Professionalisierung der AfD von besonderer Bedeutung, da die Partei im Herbst an den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg teilnehmen will. Parteivorsitzender Tino Chrupalla spricht optimistisch von der „Sonne der Regierungsbeteiligung“, die für die AfD aufgehen soll, wie die Tagesschau berichtet. Das Ziel sei, in diesen Bundesländern stärkste Kraft zu werden, weshalb interner Streit oder eine Demontage der Parteiführung kontraproduktiv wären.
Trotz der zur Schau gestellten Einigkeit könnte dieser Frieden jedoch brüchig sein. Viele Mitglieder der AfD äußerten in Essen die Befürchtung, dass es spätestens auf dem nächsten Bundesparteitag wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kommen könnte. Grund dafür sind zahlreiche ungeklärte Fragen, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2025. Dann könnte die fragile Einheit der AfD endgültig zerbrechen. Denn das gesamte, demokratische restliche Deutschland von CDU bis Linksaußen hat in Essen gezeigt: Diesen Rechtsextremismus will man nicht.
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