Wie Kommunalwahlen der AfD zur Machtergreifung verhelfen sollen

Kommunalpolitik bestimmt über das (Zusammen-)Leben und den Alltag der Menschen vor Ort. Kein Wunder also, dass die AfD versucht, in kommunalen Gremien Fuß zu fassen.

Das Superwahljahr 2024 nimmt an Fahrt auf. Anfang Juni fanden Kommunalwahlen statt und es wurde das Europäische Parlament gewählt. Im September folgen die Landtagswahlen dreier ostdeutscher Bundesländer. Im Verhältnis zu den überregionalen, bundesweiten und europäischen Wahlentscheidungen, werden die Kommunalwahlen stark unterschätzt. Was häufig als kommunale Sachpolitik kleingeredet wird, sind konkrete Entscheidungen und Aushandlungen, die über das (Zusammen-)Leben und den Alltag der Menschen vor Ort bestimmen. Dass die AfD versucht, in kommunalen Gremien Fuß zu fassen, kommt daher nicht von ungefähr.

Die Partei nutzt bewährte Strategien des lokalen Rechtsextremismus, indem auf ein vermeintliches Kollektivinteresse und ein gemeinsam geteiltes Alltagsleben vor Ort verwiesen wird. Mit Agitation und Polarisierung wird an gesamtgesellschaftliche Diskurse angeknüpft. Die Kommunalwahlen sollen helfen, die Verankerung der Rechtsextremen im vorpolitischen Raum anzukurbeln.

Die AfD, aber auch parteilose Wählerlisten profitieren von einem hohen Maß an Ablehnung der Parteienpolitik bei zunehmender Fragmentierung der Kommunalparlamente. In den ostdeutschen Bundesländern wird das durch eine umfassende Entfremdung von der parlamentarischen Demokratie als Staatsform noch verstärkt. Der Rechtsextremismusforscher David Begrich weist darauf hin, dass die AfD ihre vormalige Schwäche – nicht im kommunalen Raum verankert zu sein – nun als Stärke ausspielen könne, weil man nicht zum politischen Establishment der ‚Altparteien‘ gehöre. Während die Partei in vielen Kommunen bereits deutlich vernehmbar im öffentlichen Raum in Erscheinung tritt, fehlt es ihr aktuell noch an einer flächendeckenden Verankerung in kommunalen Institutionen.

Doch in einigen Orten ist das bereits anders, zum Beispiel in der knapp 9.000 Bewohner*innen großen Kommune Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Dort übernahm der AfD-Politiker Hannes Loth nach einem äußerst knappen Stichwahlsieg zum 01. September 2023 den Posten des Bürgermeisters. Die erste hauptamtliche Bürgermeisterschaft der Partei. Loth, seit 2013 in der AfD, mäandert zwischen Nähe und Distanz zu seiner Partei. Ein entpolitisierter Wahlkampf sparte die sonst so häufige Polarisierung von bundespolitischen Themen aus. Stattdessen betonte Loth für eine menschenorientierte Sachpolitik innerhalb seiner Kommune zu stehen – eine Strategie, die aufzugehen scheint. In seiner bisherigen Beurteilung dominiert das Persönliche vor dem Parteipolitischen. Er kann auf einen hohen Bekanntheitsgrad und den Ruf des engagierten Kümmerers bauen, gilt in der lokalen Zivilgesellschaft als fest verwurzelt. Faktoren, die auf kommunaler Ebene ausschlaggebender für die Wahlentscheidung sind als die Parteizugehörigkeit.

Politische Kontrahent*innen finden kaum Kritikwürdiges an der Politik Loths, der von 2016 bis 2023 im Landtag Sachsen-Anhalts saß. Dies ermöglicht anderen kommunalpolitischen Akteur*innen, die Zusammenarbeit mit ihm zu rechtfertigen. Parallel dazu ergeben sich auch aus der Schwäche und dem weitestgehenden Rückzug demokratischer Parteien vor Ort großzügige Wirksamkeitsfelder, die es der AfD erlauben, als erfolgreich wahrgenommene Lückenfüllerin in Erscheinung zu treten.

Hannes Loth zählt nicht zu den Hardlinern seiner Partei, die in Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem gilt. Bislang findet sich im Handeln des Bürgermeisters nichts, was eindeutig auf die völkische Ideologie der AfD hinweist. Doch darin steckt die Gefahr: Der kommunale Machtpragmatismus trägt zur überregionalen Normalisierung der AfD und ihrer antidemokratischen Agenda bei. Loth verdeutlicht durch seine Funktion als hauptamtlicher Bürgermeister, dass die AfD für ihren ‚Marsch durch die Institutionen‘ bereit ist und Verantwortung übernehmen kann. Gleichzeitig steht die vor Ort wahrgenommene Normalität des Bürgermeisters der bundesweiten Radikalisierung sowie Skandalisierung der AfD entgegen.

Ein Siegeszug der AfD bei den Kommunalwahlen ist kein Automatismus. Das zeigt der Blick in die Nachbargemeinde von Raguhn-Jeßnitz. In der 38.000 Bewohner*innen großen Industriestadt Bitterfeld-Wolfen gelang es dem AfD-Kandidaten Henning Dornack im September 2023, den ersten Wahlgang um das Amt des Oberbürgermeisters zu gewinnen. Im Vorfeld der Stichwahl zwischen AfD-Kandidat und dem bisherigen Amtsinhaber der CDU mobilisierte das zivilgesellschaftliche Bündnis für Demokratie und Toleranz mittels eines Offenen Briefs für eine Stadt mit Courage und ohne Rassismus. Regionale Vertreter*innen der Kirche, der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften unterzeichneten ebenso wie verschiedene Ortsbürgermeister*innen der Stadt, sogar Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) beteiligte sich.

Am Tag der Stichwahl lag die Wahlbeteiligung – für zweite Wahlgänge unüblich, wo sie sonst eher abfällt – bei unveränderten 48 Prozent. Armin Schenk (CDU) konnte sich mit 54 Prozent der Stimmen gegen den AfD-Kandidaten durchsetzen. Anhand der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD im Vorfeld der Stichwahl zeigt der Fall Bitterfeld-Wolfen, dass zivilgesellschaftliche Mobilisierung den Sieg von Rechtsaußenkandidaten verhindern kann.

Eine vergleichbare Mobilisierung aus Reihen der Zivilgesellschaft hatte bereits im thüringischen Nordhausen erheblichen Anteil an der Stichwahl-Niederlage des AfD-Oberbürgermeisterkandidaten. Bürgerschaftliche Aktivitäten und Mobilisierungen breit aufgestellter Zusammenschlüsse für Demokratie und gegen Rechtsextremismus können Machtgewinne der AfD (auch kurzfristig) verhindern und zeigen demokratische Alternativen zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen auf.

Neben kurzfristigen Interventionen bedarf es mittel- und langfristig einer kontinuierlichen Stärkung und Unterstützung der demokratischen Alltagskultur in den Kommunen, die Demokrat*innen (wieder) sichtbar werden lässt. Kommunen brauchen finanzielle Handlungsspielräume, die demokratische Mitbestimmung ermöglichen, Begegnungsorte erhalten. Kulturelle Infrastruktur und Versorgungsinfrastruktur müssen ausgebaut, statt rückgebaut werden. Konkret heißt das, lokale Projekte, Vereine und Initiativen demokratischer Teilhabe und Erlebbarkeit aufrechtzuerhalten, da diese die Vormachtsansprüche der AfD im Alltag infrage stellen und ihr Auftreten als angebliche Kümmerin schwächen. Demokratische Parteien sollten in den öffentlichen und digitalen Räumen stärker präsent sein, um der AfD oder anderen rechten Wählerlisten nicht die Rolle als ‚Volksversteherin‘ zu überlassen.

Nikolas Dietze (M.A.) ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er promoviert zu Normalisierungsstrategien des deutschen Rechtsextremismus an der Universität Leipzig.

Artikelbild: Hendrik Schmidt/dpa

 

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