Dieser Text hätte nicht erscheinen sollen. Der Rechtsanwalt des Bremer Psychologen Stefan Rücker hat uns ausdrücklich untersagt, aus dem Abmahnschreiben zu zitieren, das eine Woche nach unserer Recherche zur Titelgeschichte des „Stern“ einging: Das Hamburger Magazin war auf die Propaganda der Väterrechtler-Szene hereingefallen. Der Volksverpetzer titelte: „Trennungs-Kinder: Verzerrte ,Stern‘-Story“. Rücker wurde genannt als „einer der wichtigsten Lobbyisten der Väterrechtsbewegung“, ihm hatte die Redaktion aus Hamburg in besonderem Maße Glauben geschenkt.
Der Rücker-Anwalt schrieb, seine Abmahnung diene „lediglich der Rechtswahrung seines Mandanten“ und sei „nicht als Stellungnahme zum Zwecke der öffentlichen Kommentierung“ vorgesehen: „Eine Wiedergabe dieses Schreibens durch Sie, gleichwohl ob durch Abbildung, wörtliches oder sinngemäßes Zitat, hat daher zu unterbleiben.“
Die Volksverpetzer-Redaktion hat sich dennoch entschieden, den Vorgang transparent zu machen – als einen der Einschüchterungsversuche, wenn es um unbequeme Recherchen geht. Oder zugespitzt: um den Versuch, uns mundtot zu machen. Zu verbieten, publik zu machen, wenn juristisch gegen uns vorgegangen wird.
Rücker will nach Forderung seines Anwalts beispielsweise nicht mehr als „Ratgeber, Unterstützer und Vortragsreisender für verschiedene Verbände in der Väterrechtler-Szene“ wie den Väteraufbruch für Kinder (VafK) gelten. Man soll ihm nicht vorwerfen, dass er in der Diskussion um Sorgerechtskonflikte körperliche Gewalt verharmlost habe. Dass seine Beratungsfirma als GmbH ein „offenbar lukratives“ Geschäft sei. Es gefiel ihm auch nicht, dass ihn die Buchautorin Christina Mundlos („Mütter klagen an“) einen „patriarchalen Frauenhasser“ genannt und der Volksverpetzer das zitiert hat. Und auch mochte er nicht als einer dastehen, der an dem überkommenen Begriff der Eltern-Kind-Entfremdung festhalte, der „fachwissenschaftlich als widerlegt“ gilt.
Wenn man das Schreiben des Rücker-Anwalts Punkt für Punkt auseinandernimmt, kommt heraus: An keinem der Punkte in der Abmahnung ist etwas dran. Aber man kann es ja mal versuchen.
Um es an einem Beispiel konkret zu machen: Im Volksverpetzer wurde an ein Rücker-Interview 2020 mit dem MDR erinnert. Der Sender zitierte den Psychologen damals mit dem Satz, Eltern-Kind-Entfremdung sei „sogar schlimmer als körperliche Verletzungen, weil die heilen“.
Rückers Anwalt schreibt dazu, das Zitat sei „falsch“. Und behauptet über seinen Mandanten: „Eine derart undifferenzierte Äußerung würde er auch nicht tätigen, denn als erfahrener Psychologe ist meinem Mandanten natürlich bekannt, dass körperliche Gewalt stets auch eine psychische Komponente besitzt, mithin schon denklogisch nicht weniger schlimm als diese sein kann.“
Als der MDR das angeblich falsche Zitat aus dem Interview vor dreieinhalb Jahren auf Facebook verbreitete, wurde es von Anhängern des Bremer Psychologen viele hundertmal geteilt. Ein Duz-Freund Rückers kommentierte eines der Postings: „Ich ziehe den Hut, Stefan!“ Rücker antwortete damals in dem sozialen Netzwerk: „Lieben Dank Thorsten.“ Die Kommentare wurden inzwischen gelöscht, aber wir haben noch Screenshots davon.
Der Anwalt des Volksverpetzers schreibt jetzt dazu: „Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass Ihr Mandant hier falsch zitiert wird oder sich auch nur falsch zitiert fühlte.“
So schräg wie zu diesem Punkt, wird von Rücker auch zu weiteren diskutiert. „Fraglich ist, wie Sie die angeblich offenbare Lukrativität des Geschäfts meines Mandanten bemessen und beweisen wollen“, schreibt sein Anwalt. Dabei hätte er selbst auf der Internetseite seines Mandanten nachsehen können, dass der Psychologe für eine 90-minütige Erstberatung „höflich 570 Euro in Rechnung“ stellt.
Rücker bestreitet auch, dass er sich bei Partnern seiner Mission stark auf die Väterrechtler-Szene fokussiert hat. Sein Anwalt schreibt, er sei „kein Lobbyist irgendeiner Bewegung“, werde „wegen seiner Expertise als Wissenschaftler und Praktiker auch von Elterngruppen und Verbänden verschiedenster Ausrichtung, z.B. auch dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter, eingeladen“.
Die Bundesgeschäftsführerin des VAMV, Miriam Hoheisel, vom Volksverpetzer zu dieser Einlassung befragt, schreibt zurück: „Wir haben Herrn Rücker 2019 als Referent zu unserer Fachtagung ,Wechselmodell und erweiterter Umgang als Betreuungsoptionen‘ zum Thema ,Das Kindeswohl im Umgangsrecht: Den Fokus auf die Kinder richten‘ eingeladen. Er hat einen guten, wissenschaftlich fundierten, differenzierten Vortrag gehalten, der in der Tagungsdokumentation nachzulesen ist. Heute würden wir Herrn Rücker nicht mehr als Referenten einladen oder empfehlen, er hat offensichtlich seine wissenschaftlich neutrale Rolle verlassen.
Seine Einlassungen und sein Engagement zum Thema ,Eltern-Kind-Entfremdung‘ stehen unseres Erachtens nach nicht auf wissenschaftlichen Füßen, sondern wirken interessengetrieben. Selbst die UN hat ,Eltern-Kind-Entfremdungs-Konzepte‘ als pseudowissenschaftlich kritisiert [Quelle, Anm d. Red.], an spanischen Gerichten ist die Anwendung verboten [Quelle, Anm d. Red.]. Auch in Deutschland führt die Anwendung an Familiengerichten u.a. dazu, den Gewaltschutz auszuhöhlen. Insofern vertritt Herr Rücker inzwischen die Interessen von Väterrechts-Lobbyisten.“
Auch von anderer Seite wurde massiv Stimmung gemacht gegen den Volksverpetzer-Bericht, teils mit juristischen Schritten. Der Verein „Eltern für Kinder im Revier“, der zu den Verbänden in der Väterrechtler-Szene gerechnet wird, wollte per strafbewehrter Unterlassungserklärung erzwingen, dass er im Text nicht der Väterrechtler-Szene zugeordnet wird. Diese Erklärung hat der Volksverpetzer nicht abgegeben.
Der frühere AfD-Bundestagskandidat Robert Lebien aus Aachen kritisierte die Recherchen von Volksverpetzer und auch Correctiv zur Väterrechtler-Szene. Der Volksverpetzer habe sich „mit erkennbarer Schädigungsabsicht“ auf die in der „Stern“-Titelgeschichte genannten Personen – also auch Rücker – eingeschossen. Lebien, der laut seinem LinkedIn-Profil früher sieben Jahre Berufserfahrung als Berater beim Väteraufbruch sammelte, appellierte an das von Björn Höcke gehypte Internetradio Kontrafunk, das Hetz-Portal Nius von Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt, den rechten Publizisten Matthias Matussek und andere, sich des Themas anzunehmen. Dessen gesellschaftspolitische Tragweite werde „schon so lange unterschätzt und medial unterdrückt“. Den „Stern“-Titel lobte Lebien, im Artikel stecke „sehr viel Wahrheit“. Das Magazin habe „mit echten Tabus gebrochen“.
Völlig anders bewertet die Buchautorin Sonja Howard („Im Zweifel gegen das Kind“) die Volksverpetzer-Recherche: Sie bedankte sich auf Instagram für den „ausführlichen Artikel zu den kruden Thesen einer der Galionsfiguren der radikalen Väterrechtler: den Psychologen Stefan Rücker“. Menschen, die sich mit häuslicher Gewalt befassten, wüssten, „dass der Entfremdungs- bzw. Bindungsintoleranz-Vorwurf in sehr vielen Fällen als Waffe gegen (meist) Mütter verwendet wird“.
Die CDU-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft stellte nach unserer Recherche unter Bezug auf Rücker eine parlamentarische Anfrage zu „‚Pseudowissenschaft im Namen der Universität Bremen‘ durch einen selbsternannten Familienberater“. Sie fragte unter anderem, wann Rücker „Leiter der Arbeitsgruppe Kindeswohl an der Universität Bremen“ gewesen sei – ein Titel, mit dem sich Rücker mindestens bis Mai 2024 schmückte. Thema der Anfrage ist auch, ob der Psychologe jemals „im Auftrag des Senats (Soziales, Gesundheit, Wissenschaft, Justiz, Polizei) sowie nachgeordneter Einrichtungen (z.B. Jugendämter)“ bezahlt mit öffentlichen Mitteln gearbeitet habe, etwa bei Beratungen, Weiterbildungen und Vorträgen.
Schließlich fragt die CDU-Fraktion in der von der Abgeordneten Sandra Ahrens initiierten Anfrage: „Wie bewertet der Senat die Pseudowissenschaft der sogenannten ,Pariental-Alienation-Syndroms‘ (PAS) als veraltete Argumentation für strittige Sorgerechtsfälle angesichts heute noch praktizierter Rechtsprechung an Familiengerichten und längst wissenschaftlich nachgewiesener Nichthaltbarkeit des Syndroms?“ Die Antwort der Landesregierung wird frühestens in dieser Woche erwartet.
Schon vor dem Schreiben seines Anwalts hatte sich Rücker Ende Mai selbst beim Autor dieses Textes gemeldet. Er kündigte sogar an, dass er Strafanzeige erstatten werde. Eingegangen ist diese Strafanzeige bisher anscheinend nicht.
Öffentlich äußerte sich Rücker nicht zu dem Beitrag des Volksverpetzers. Als wenige Tage nach dessen Erscheinen Report Mainz seine Rolle in einem kritischen TV-Beitrag aufgriff, schrieb er empört auf Facebook: „Dieser Beitrag verfolgt reine Schädigungsabsichten auf dem Rücken betroffener Kinder und Elternteile. ,Journalismus‘ in seiner primitivsten Form! Allerdings bin ich recht belastbar!“
Für den Volksverpetzer ist die Auseinandersetzung ein weiteres Beispiel für Angriffe gegen eine unabhängige Berichterstattung. Unzulässige Abmahnungen sollen verhindern, dass kritische Themen angesprochen werden. Die Kosten für die juristische Verteidigung sind zum Teil erheblich. Der Volksverpetzer dankt seiner Community, dass sie in solchen Fällen unterstützt: https://www.volksverpetzer.de/spenden.
Artikelbild: canva.com