AfD: Auf der Erfolgsspur im Feld der Arbeit

Der Erfolg der AfD ist durch die Massenproteste leicht abgeschwächt, aber nicht gebremst worden. Die Partei kann ihre politische Macht weiter aufbauen und gewinnt insbesondere im Feld der Arbeit an Deutungshoheit. Strategien gegen rechts müssen hier ansetzen.

Vor gut einem Jahrzehnt endete der sogenannte deutsche »Sonderweg«. Während sich im (west-)europäischen Umland rechts vom konservativen Lager positionierte Parteien etablierten, waren entsprechende Versuche in Deutschland über temporäre Achtungserfolge lange Zeit nicht hinausgekommen. Das änderte sich 2013, als die AfD zunächst als »eurokritische« Partei gegründet wurde. Das europäische Währungssystem war in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008-2010 in schweres Fahrwasser geraten und die mit harten austeritätspolitischen Konditionen versehene Unterstützung Griechenlands hatte massive nationalchauvinistischen Vorurteile aktiviert. Bei den Europawahlen 2014 konnte die AfD ihren ersten großen Erfolg feiern, als sie mit sieben Abgeordneten (7,1 Prozent) ins EU-Parlament einzog. Nur drei Jahre später schaffte sie mit 12,6 Prozent den Sprung in den Bundestag, wobei sie Grüne, LINKE und FDP hinter sich lassen konnte – da hatte sich in den Auseinandersetzungen um die sogenannte »Flüchtlingskrise« bereits als rechtspopulistische Kraft profiliert. Aus den Landtagswahlen im September 2024 könnte sie als stärkste Partei hervorgehen: In Sachsen liegt sie aktuellen Umfragen zufolge knapp vorne (mit gut 31 Prozent vor der CDU), in Brandenburg deutlich mit fünf Prozentpunkten vor der SPD und in Thüringen nahezu uneinholbar mit rund 30 Prozent vor der CDU mit etwas über 20 Prozent. Nur elf Jahre nach ihrer Gründung könnte eine weiter zum Rechtsextremismus mutierte Partei Ansprüche auf die Posten der Ministerpräsidenten anmelden (vgl. Detje 2024ff.). Ein politischer Coup kündigt sich an.

Kontinuierlicher Aufstieg – trotz Gegenwind

In den wenigen Wochen von Mitte Januar bis Ende Februar 2024 gingen Schätzungen zufolge weit über fünf Millionen Bundesbürger*innen auf die Straße, um die Erfolgsgeschichte der AfD mit Mobilisierung und Aufklärung zu stoppen. Zuvor war ein Treffen von hochrangigen Vertretern rechtsradikaler und neofaschistischer Organisation, Funktionäre der AfD eingeschlossen, vom Recherchenetzwerk »Correktiv« öffentlich gemacht worden.[SH1] Auf der Tagesordnung stand unter anderem der Punkt »Remigration« – »Gesamtkonzept, im Sinne eines Masterplans«. Das Konzept basiert auf dem Narrativ eines »großen Bevölkerungsaustausches« in Folge nicht mehr kontrollierter Migration vom Süden in den Norden der Hemisphäre. Für den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke bildet es den Kern des völkischen Programms. [SH2]

Proteste und öffentliche Aufklärung wirken. Im Wahlumfragen im März und April 2024 musste die AfD Verluste einstecken. Allerdings sind sie auf wenige Prozentpunkte begrenzt und es ist offen, wie lange sie anhalten. Für die Landtagswahlen im Herbst zeichnet sich jedenfalls nicht ab, dass die AfD ihre führende Rolle infolge der Massenproteste verlieren könnte. Die Gründe für eine solche Kontinuität wären näher zu untersuchen. Dabei könnte geprüft werden, inwieweit die AfD das Potenzial an Wähler*innen, die über ein weitgehend geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen, in hohem Maße auf sich vereinigt. Untersuchungen von Wilhelm Heitmeyer u.a. über die Verbreitung von Syndromen »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« im sozialen, politischen und kulturellen Bewusstsein der Bevölkerung zeigten über einen längeren Zeitraum eine weitgehende Konstanz bei rund einem Fünftel der Bevölkerung (vgl. Heitmeyer 2012). Bei der Mehrheit von ihnen greifen eingefahrene Diskurslogiken, die durch zeitweilige Proteste kaum zu erschüttern sind. Anders bei »Protest-« oder Erstwähler*innen, die noch am ehesten durch öffentliche Mobilisierung zu erreichen und zu beeinflussen sind.

Der Kampf, die AfD zurückzudrängen, erfordert einen langen Atem. Massenmobilisierung entsteht demgegenüber zumeist aus situativen  Anlässen und in kürzeren Zeitrhythmen. Um diese unterschiedlichen Zeitlogiken zu überbrücken könnte ein »Dachprojekt« hilfreich sein, das unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Aktionsformen beinhaltet und darauf abzielt, eine deliberative Demokratie abzusichern und auszubauen. Mit den Forderungen nach »sozialer Gerechtigkeit« und »Wirtschaftsdemokratie« verfügt die Linke im weiteren Sinne – Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Bewegungen eingeschlossen – über transformatorische Projekte, die sie in demokratische Verständigungsprozesse einbringen kann.

Angriff aus der Deckung heraus

Ein politischer Coup der AfD kann auch stattfinden, ohne dass die Mehrheitspartei in Brandenburg, Thüringen und möglicherweise auch Sachsen nach höchsten Staatsämtern greift. Eine Strategie des selbstbegrenzenden Erfolgs könnte der Partei auf mittlere Sicht mehr Vorteile verschaffen. Bereits am Abend der Bundestagswahl 2017 hatte der damalige Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, verkündet: »Wir werden die Regierung vor uns hertreiben«. Als stärkste politische Kraft wäre ihr dies in ostdeutschen Bundesländern mit erweiterten Aussichten möglich: Zur Wahl eines Nicht-AfD-Ministerpräsidenten müsste sich eine zuvor für unmöglich gehaltene Parteienkonstellation zusammenfinden, wobei mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine neue, höchst widersprüchliche Kraft zu integrieren ist. Ob es zu parlamentarischen Mehrheiten oder aber zu einer Minderheitsregierung kommt, ändert nichts daran, dass die AfD die Konstellation eines fragilen Kräfteverhältnisses prägen kann. Das schließt auch taktische Manöver wie die Wahl eines CDU-Kandidaten mithilfe von AfD-Stimmenein.

Das in Thüringen, Sachsen und Brandenburg tonangebende völkische Machtzentrum der AfD ist nicht darauf gepolt, Meriten im parlamentarischen Alltag zu erwerben. Es ist die wachsende Entfremdung gegenüber dem politischen System, die ihm Wind in die Segel treibt. Dabei erweitert sich die soziale und politische Basis der Partei. Bei der Bundestagswahl 2021 war die Kritik der institutionellen Politik, allen voran der Exekutive, ein wesentlicher Grund dafür, dass die AfD auch in mittleren Qualifikationsgruppen und unter Frauen neue Unterstützung gewinnen konnte (Hövermann 2023). Die Erosion der Ampelkoalition dürfte ein weiterer Garant dafür sein, dass die Verluste der AfD trotz der millionenfachen Proteste im Winter/Frühjahr 2024 vergleichsweise gering blieben. Mit der Strategie der Diskreditierung parlamentarischer Demokratie wird sie fortfahren – gerade auch ihr völkischer Flügel (Detering 2019, 30ff.).

Ungleichheit in der Arbeitswelt – Triebkraft des rechten Erfolgs

Die politische Landkarte verändert sich rasant. Relevant ist nicht nur die Debatte über Parteienkonstellationen und institutionelle politische Geländegewinne, sondern auch die Frage, welche sozialen Dynamiken den Erfolgen des Rechtsextremismus zugrunde liegen. Hier begegnen wir einem Widerspruch. Die Erfolge von politischen Bewegungen jenseits des Konservatismus und Neoliberalismus gründen auf wachsender sozialer Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft Ungleichheit bezieht sich nicht allein auf die materielle Wohlstandsverteilung, sondern zeigt sich auch als Statusunsicherheit und auf die damit zusammenhängende Erfahrung von Kontrollverlusten, gesellschaftlicher Missachtung, Abwertung, Diskriminierung und Übervorteilung. Arlie Hochschild hat dafür das Bild der Warteschlange von Anspruchsberechtigten geprägt, die in einer niedrigen Position sozialer Unsicherheit stecken bleiben, weil andere vermeintlich in intransparenter Weise bevorzugt werden (vgl. Dörre 2020). Soziale Ungleichheit in diesem durchaus weiten Sinn umfasst die Verteilung von materiellen, finanziellen, gesellschaftlichen und institutionellen Ressourcen.

Die den Verteilungsprozessen zu Grunde liegenden arbeitsweltlichen Verhältnisse fallen jedoch meist aus der näheren Betrachtung heraus, obgleich sie entscheidende Orte für Legitimationsgewinne bzw. Delegitimierungsprozesse sind. In vertikal strukturierten Konfliktarenen (Oben-Unten) erweist sich »der Glaube an das Leistungsprinzip« als die »wichtigste moderne Form der Legitimierung von Ungleichheit«; der Kapitalismus erscheint als eine letztlich auf Leistung gründende, also meritokratische Ordnung, in der im Idealfall »jede/r seines/ihres Glückes Schmied« ist, was – so Mau/Lux/Westheuser (2023, 85f.) – verständlich macht, »warum sich trotz großer Ungleichheitskritik die Umverteilungsforderungen in Grenzen halten.«

Linus Westheuser zufolge ist es in Deutschland vor allem die Arbeit, an der sich die Leistungsorientierung ausrichtet. Die Bedeutung der Arbeitswelt, der kollektiven und individuellen Arbeitsleistung, der jeweiligen Stellung im Arbeitsprozess und der darauf bezogenen Qualifikationen kommt mithin eine nicht zu überschätzende Bedeutung zu. Daraus lässt sich folgern: Der Rechtsextremismus wird zu einer noch mächtigeren Gefahr, wenn es ihm gelingt, weiter in das Terrain der Arbeit vorzustoßen und die Klassenspaltung der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in andere Arenen von Ungleichheitskonflikten zu übersetzen und umzudeuten. »›Makers‹ werden gegen ›takers‹ gestellt. In der Kategorie der ›makers‹ werden Arbeitende und Unternehmer zusammengeworfen, bei Liberalen manchmal sogar Investoren. Ihnen gegenübergestellt werden Transferempfänger oder oft auch Migranten, die vermeintlich fordern, ohne etwas geleistet zu haben… In unserer Studie zu den Triggerpunkten sehen wir, dass von allen Parteien die AfD-Wählerschaft besonders stark der Meinung ist, dass es heute ›nicht genügend Respekt für hart arbeitende Menschen‹ gebe.« (Westheuser 2024).

Die Konzentration auf Verteilungsfragen könnte für die Linke teilweise ins Leere laufen, wenn es ihr nicht gelingt, die in der Arbeitswelt virulenten Klassengegensätze, Verletzungen, Kontrollverlust- und Autoritätserfahrungen zur Sprache zu bringen.

Rechts-Öffnung der Diskursräume im Betrieb

In der Arbeitswelt sind rechtsextreme Geländegewinne nicht zwangsläufig an organisatorisches Vorankommen gebunden. Eigene Listen bei Betriebsratswahlen sind bis heute eine Ausnahme. Die AfD und die ihr nahestehende Plattformen mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie auch mit erheblichem propagandistischem Aufwand in betrieblichen Kontexten nur schwer vorankommen. Darauf gibt es verschiedene Hinweise, denen ich gemeinsam mit Dieter Sauer  in einem laufenden, von der Rosa Luxemburg Stiftung geförderten Forschungsprojekt näher nachgehe.

Ein weiterer Punkt scheint uns von Interesse: Die Öffnung der betriebsöffentlichen Diskursräume. Die rhetorischen Kunstgriffe sind bekannt und begegnen uns immer wieder in Beschäftigtenbefragungen: Man sei nicht Anhänger der AfD, sympathisiere nicht mit deren Repräsentant*innen, aber man werde »doch schon mal sagen dürfen«, was auch von der AfD vertreten werde. Man unterstütze den ver.di- oder IG Metall-Betriebsrat, setze sich im Betrieb aber dezidiert dafür ein, dass »niemand« ausgegrenzt werde, dass alle in Parlamenten vertretene Parteien Gehör finden und für ihre Anliegen werben können. Oder man kritisiert Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte, weil sie in Verhandlungen zu eng mit der Betriebsleitung kooperierten und sich vom »einfachen Arbeiter« entfremdet hätten. Dabei werden Positionen bezogen, die nicht unisono, aber im einen oder anderen Fall als rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingeordnet werden können. »Enttabuisierung« ist hierfür nicht der treffendste Begriff. Es geht darum, dass zwischen demokratischen und antidemokratischen Auffassungen kein Substanzunterschied mehr festgestellt wird.

Zurück an die Arbeit

Wer heute auf die Arbeitswelt fokussiert, ist mit dem Argument konfrontiert, damit hinter der »Zeitenwende« von übergreifenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zurückzubleiben: hinter weltumspannende Finanzkrisen, armuts- und kriegsgetriebene Migrationsströme, Pandemien sowie militärische Konflikte um Einfluss- und Hegemonieräume. So berechtigt der Einwand ist, er kann auch andersherum verstanden werden: Aufgrund der De-Thematisierung der Arbeitswelt erfahren andere Diskursräume eine Aufwertung, die eigentlich relativiert werden müsste. Wie auch immer man auf diese Verschiebung der Ebenen schaut: Es scheint gewiss, dass der Rechtsextremismus durch zumal kriegerische Hegemonialauseinandersetzungen weiter getriggert wird.

 

Nach oben scrollen