Wie schon ab Herbst die Pressefreiheit in Thüringen verloren sein könnte

In Thüringen könnte die rechtsextreme AfD, sollte sie tatsächlich einmal den Ministerpräsidenten stellen, in erschreckender Geschwindigkeit die Öffentlich-Rechtlichen Medien, wie wir sie kennen, abschaffen. Diesen Schritt könnte der Faschist Björn Höcke dann sogar im Alleingang machen. Die demokratischen Parteien haben noch die Mehrheiten, um die thüringische Verfassung zu ändern und die Pressefreiheit in Thüringen davor zu schützen. Doch es sieht so aus, als ließen sie sie verstreichen. Ab September könnte es zu spät sein.

Es klingt unglaublich, doch leider stimmt es: Sollte der Faschist Björn Höcke Ministerpräsident von Thüringen werden, könnte er im Alleingang, ohne sich mit anderen Parteien oder dem Landtag abzusprechen, mit nur einer Unterschrift aus dem Rundfunkstaatsvertrag austreten. Das würde bedeuten: Austritt aus den Öffentlich-Rechtlichen Medien.

Wie die Rechtsexpert:innen vom Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs berichten, müsste dann der Sendebetrieb in Thüringen eingestellt werden. Thüringer:innen, die dort arbeiten, würden ihre Jobs verlieren, Gremien müssten neu besetzt werden. Außerdem stünde die Finanzierung der Landesmedienanstalt und auch die bundesweite Finanzierung des Rundfunks auf der Kippe. Es fallen ja dann alle Rundfunkbeitragszahler:innen aus Thüringen weg. Tiefe Einschnitte in die Pressefreiheit.

Die Lücke, die die Öffentlich-Rechtlichen hinterließen, würden private Sender schließen. Diese werden allerdings dann nicht vom Parlament kontrolliert – stattdessen könnte die AfD Einfluss nehmen. So ähnlich funktionierte beispielsweise die versuchte Abschaffung der Pressefreiheit in Polen durch die PiS. Und auch für Deutschland hat die AfD einen ähnlichen Plan zumindest schonmal durchgespielt: In einem Vernetzungstreffen von AfD-Politikern mit finanzstarken Unternehmern im Jahr 2021 wurde ganz explizit diskutiert, wie man den gezielten Aufbau eines Propagandasenders angehen könnte.

All das ist natürlich dystopische Zukunftsmusik – die demokratische Gesellschaft kann der rechtsextremen AfD noch die Stirn bieten. Doch es ist schon erschreckend, wie leicht dieser erste Schritt, nämlich den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abzuschaffen, unter anderem in Thüringen gehen könnte. Der Grund dafür, dass das so einfach geht, ist Artikel 77 der Thüringer Landesverfassung. Darin heißt es:

(1) Der Ministerpräsident vertritt das Land nach außen. Er kann diese Befugnis übertragen.

(2) Staatsverträge bedürfen der Zustimmung des Landtags.

Das heißt: Während der Thüringer Landtag zustimmen muss, wenn ein Staatsvertrag abgeschlossen wird, kann die Kündigung komplett allein durch den Ministerpräsidenten geschehen. Er muss dann nicht mal seine Koalitionspartner fragen, geschweige denn den Rest des Landtags.

Da bislang nur demokratisch gesinnte Ministerpräsident:innen in Thüringen an der Macht waren, wurde diese Gesetzeslücke nicht missbraucht. Doch aktuell ist die rechtsextreme AfD in Thüringen in den Umfrageergebnissen so stark wie nie zuvor. Dass ihr faschistischer Anführer Björn Höcke Ministerpräsident wird, ist immer noch eher unwahrscheinlich, doch nicht mehr so ausgeschlossen, wie es lange schien. Und der hat schon ohne Umschweife angekündigt, dass er den Rundfunkstaatsvertrag sofort kündigen wird.

Und wie wir gesehen haben: Ist er einmal Ministerpräsident, gibt es verfassungsrechtlich aktuell nichts, was ihn daran hindert. Er könnte mit einer einzigen Unterschrift die Pressefreiheit in Thüringen stark beschneiden – oder auch nur diese Möglichkeit als Druckmittel verwenden. Die Rechtsexpert:innen vom Verfassungsblog haben deswegen vorgeschlagen, ihm mit einer einfachen Änderung des Artikels 77 zumindest mehr Steine in den Weg zu legen. Würde man nämlich den Landtag auch bei der Kündigung von Staatsverträgen verpflichtend mit ins Boot holen, dann müsste die rechtsextreme Partei sich zumindest vor der Öffentlichkeit erklären und einen parlamentarischen Prozess anstoßen.

Nun ist das aber mit einer „einfachen Änderung“ der Verfassung gar nicht so einfach. Dafür braucht es nämlich eine demokratische Zwei-Drittel-Mehrheit für diese Änderung. Und die muss sich erstmal finden. Zwar hätte die Rot-Rot-Grüne Minderheitsregierung zusammen mit der oppositionellen CDU eine Zwei-Drittel-Mehrheit – nur müsste man sich dafür auch einig werden.

Wir haben alle demokratischen Parteien im thüringischen Landtag angeschrieben und nachgefragt, warum es auch Monate nach der ersten Veröffentlichung des Verfassungsblogs zu diesem Thema immer noch keine Änderung gibt. Immerhin gab es ja jetzt ganz frisch eine langwierig ausgehandelte Verfassungsänderung – warum dann nicht diesen wichtigen Schutz der Pressefreiheit in Thüringen mit einbeziehen? Die Antworten schwanken zwischen „haben wir nichts von gewusst“, „schaffen wir jetzt eh nicht mehr“ und „wird schon nicht so schlimm“.

Die Grünen-Fraktion hatte in einer gemeinsamen Veröffentlichung mit den Fraktionen in Sachsen-Anhalt und Sachsen schon im Februar gefordert, dem Landtag ein Mitspracherecht bei der Kündigung zu geben. Bestärkt wurde die Forderung noch in einem 6-Punkte-Plan im April, am 24.04. fand auf Antrag der Fraktion eine „Aktuelle Stunde“ zum Thema im Landtag statt. Allerdings rückte das Thema letztlich den Grünen zu spät ins Bewusstsein, außerdem sah die Partei keine Chance auf die notwendige politische Mehrheit aus Regierung plus CDU, sodass dieser wichtige Antrag für die Pressefreiheit in Thüringen nicht eingebracht wurde.

Der Pressesprecher der CDU-Fraktion teilte uns mit, dass sie nun viel zu kurzfristig von den Vorschlägen des Thüringen-Projektes erfahren, um das noch bis zu den Wahlen im Herbst hinzubiegen. Ähnlich äußerte sich auch der Pressesprecher der FDP im Thüringer Landtag.

Während uns die SPD nicht antwortete, teilte uns für die Linke-Fraktion deren medienpolitischer Sprecher André Blechschmidt mit, dass dort bis zu den Veröffentlichungen des Verfassungsblogs „kein Reformbedarf“ gesehen worden sei. Obwohl die Linke sich demnach nun dafür ausspreche, die vom Verfassungsblog vorgeschlagenen Änderungen umzusetzen, sei die Zeit nun zu knapp, noch so ein großes Projekt durchzubringen. Dies könne dann im folgenden, im September gewählten Landtag geschehen.

Und stimmt, da haben sie doch eigentlich einen Punkt. Warum jetzt so schnell handeln wollen, wenn doch die Welt mit den nächsten Wahlen nicht zu Ende ist – schließlich ist es ja nun wirklich übertrieben zu glauben, dass Höcke direkt Ministerpräsident wird und die Pressefreiheit in Thüringen abschafft?! Nunja, so weit muss es aber auch gar nicht kommen.

Denn ja, es ist bei Weitem nicht so, dass Faschist Höcke im September sicher an die Macht kommt. Ganz im Gegenteil, die demokratischen Parteien können und sollten alles dagegen tun. Das Problem ist nur: Auch, wenn die rechtsextreme AfD vorerst nicht in Regierungsverantwortung kommt, kann sie eventuell Reformversuche blockieren. Denn, wir erinnern uns: Für eine Verfassungsänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die haben die demokratischen Parteien jetzt noch, klar.

Doch in den Umfragen kommt die AfD gerade gefährlich nah daran, das zu ändern. Schauen wir uns die aktuelle, theoretische Sitzverteilung nach Umfrageergebnissen an:

Quelle: Screenshot dawum.de

Der AfD fehlen nur noch 2 Sitze dazu, selbst ein Drittel der Mandate zu erhalten. Grüne und SPD sind noch dazu nur knapp an der 5%-Hürde. Und wenn die AfD mehr als ein Drittel der Sitze hätte, dann würde es mathematisch unmöglich für die demokratischen Parteien, eine Verfassungsänderung gegen die AfD zu beschließen. Es könnte sein, dass wir bereits jetzt gerade der letzten Chance dieser Änderung hinterhertrauern.

Das alles heißt nicht, dass das Schicksal der Pressefreiheit in Thüringen besiegelt ist. Das Ziel dieses Artikels ist es nicht, Resignation zu verbreiten. Die demokratische Zivilgesellschaft ist auch in Thüringen lebendig, das haben die Demonstrationen nach den Correctiv-Enthüllungen gezeigt. Es ist noch Zeit bis zu den Landtagswahlen.

Doch es wurde eben auch eine wichtige Vorbereitungsmaßnahme verschlafen. Und auch, wenn die demokratischen Parteien schon fast entschuldigend schreiben, dass sie von dieser Lücke in ihrer eigenen Verfassung ja leider erst so kurzfristig erfahren hätten, entbindet es sie nicht von der Verantwortung. Es kann nicht sein, dass der Schutz von Demokratie und Pressefreiheit erst von einzelnen engagierten zivilgesellschaftlichen Projekten wie dem Verfassungsblog auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.

Die demokratischen Parteien haben eine Verantwortung, die Verfassung und die demokratischen Institutionen vor der rechtsextremen AfD zu schützen. Nicht, weil diese ein politischer Konkurrent ist, sondern, weil sie ein Gegner des demokratischen Systems an sich darstellt. Ähnliches gilt übrigens auch für Sachsen und Brandenburg. Auch dort wird im Herbst gewählt – und auch dort könnte ein AfD-Ministerpräsident mit einer Unterschrift den Medienstaatsvertrag kündigen. Hoffentlich rein hypothetisch.

Artikelbild: knipsdesign

 

Nach oben scrollen