Gegen eine Moral Panic – eine Replik auf die Kritik an „Critical Studies“

In der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), der wohl bedeutendsten deutschen Vereinigung von Skeptiker_innen, schwelt seit über einem Jahr ein Richtungsstreit: Ein Teil der Mitglieder versucht wiederholt, den Verein und seine Strukturen für die eigene politische, anti-progressive Agenda zu nutzen und ihn zu einem Propagandawerkzeug gegen „Wokeness“ und „Critical Studies“ zu machen. Ein anderer Teil versucht, die GWUP vor diesen Entwicklungen schützen.

Eine genauere Betrachtung der Ereignisse in den vergangenen Monaten zeigt, dass eine Moral Panic, die den politischen Diskurs schon lange bestimmt und der sich um die Grenzen progressiver Politik dreht, nun auch die GWUP zu zerreißen droht. Der wohl bedeutendste Streitfall in der Debatte ist die Forderung, die „Critical Studies“ unter den Generalverdacht der Pseudowissenschaftlichkeit zu stellen und die GWUP zur Bekämpfung dieser zu instrumentalisieren. Dass diese Forderung Produkt einer Moral Panic sowie mangelnder Recherche und Expertise ist, werden wir im Folgenden exemplarisch deutlich machen.

Dieser Text befasst sich mit einem Thesenpapier, dass von Martin Mahner, einem Biologen und Wissenschaftsphilosophen, der zu den Urgesteinen der GWUP zählt, verfasst wurde. Zunächst veröffentlicht im GWUP Blog und später in aktualisierter Form im Online-Magazin MIZ legt Mahners Pamphlet dar, warum er sich an ganzen akademischen Forschungsfeldern stört und weswegen diese als Verdachtsfälle der Pseudowissenschaftlichkeit zu kategorisieren seien. Um dies zu begründen, subsumiert Mahner unterschiedlichste Disziplinen – konkret die Critical Race Theory, Post-Colonial Studies, Gender Studies, Queer Studies, Fat Studies und Disability Studies – unter dem Dachbegriff der „Critical Studies“ und versucht sie so als monolithisches Gesamtkonstrukt anzugreifen.

Schon die Verwendung des in der Forschung unüblichen aber bei Verschwörungsideologen und „anti-woke“ Aktivisten James Lindsay (Co-Autor des von Mahner bereits 2022 hoch gelobten Buches Cynical Theories) gängigen Begriffs der „Critical Studies“ sollte uns zu denken geben. Generell wiederholt Mahner hier nahezu wörtlich Argumente aus dem ihm bekannten Buch von Pluckrose und Lindsay, ohne aber deutlich zu machen, woher er diese nimmt. Dass das Thesenpapier eines Wissenschaftsphilosophen gänzlich ohne Quellenangaben auskommt, ist zumindest unprofessionell und zeugt von mangelnder Recherche. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man Mahner – wie er es verdient und wünscht – ernst nimmt und seine Argumente sachlich untersucht. Was dann von Mahners Text bleibt, ist lediglich der eindrucksvolle Beleg dafür, dass eine Moral Panic, die auf verzerrten Darstellungen fußt, auch einen Wissenschaftsphilosophen und gestandenen Skeptiker mitreißen kann.

Bevor wir uns dem Text zuwenden, wollen wir noch eine Frage klar beantworten: Darf man Fehler der sogenannten „Critical Studies“ kritisieren und soll eine Skeptiker_innenorganisation wie die GWUP aktiv werden, wenn in diesem Bereich Aussagen getätigt werden, die empirisch belegten, anerkannten Fakten widersprechen? Ja, selbstverständlich. Kein vernünftiger Mensch wird daran zweifeln. Wenn Unsinn verbreitet wird, dann darf, soll und muss das kritisieren werden. Das ist die Aufgabe der GWUP. Was Mahner aber in seinem Text versucht, ist etwas völlig anderes. Es handelt sich nicht um konkrete Kritik an kritikwürdigen Aussagen, sondern um eine pauschale Verurteilung eines komplexen Geflechts an Disziplinen, das der Autor augenscheinlich selbst nicht durchdringen kann. Und hier wird die Sache schwieriger.

Wir sind ein Kollektiv aus Wissenschaftler_innen verschiedener Disziplinen. Einige von uns forschen und lehren im Bereich der von Mahner direkt angegriffenen Disziplinen, andere sind in anderen Forschungsbereichen tätig. Zusammen bringen wir viel Erfahrung im breit gefächerten wissenschaftlichen Diskurs und unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema mit, die wir hier zur Anwendung bringen wollen, um eine gerechte, sachliche Debatte zu fördern. Nichtdestotrotz haben wir uns dazu entschieden, diesen Text nicht mit unseren Klarnamen bei Volksverpetzer zu veröffentlichen.

Das fiel uns nicht leicht, erscheint uns aber notwendig. Wir haben Sorge, für unsere Kritik auf unsachliche und rufschädigende Art persönlich angegriffen zu werden. Diese Einschätzung beruht auf Erfahrungen des letzten Jahres, in dem es keine Seltenheit war, dass Personen aus unserem Umfeld, die Kritik am Kampf gegen „Wokeness“ geäußert haben, nicht nur in der vereinsinternen Mailingliste sondern auch in öffentlich zugänglichen Blogs, Foren und Social Media falsch wiedergegeben, beleidigt und angegriffen wurden. Auch zu Versuchen, kritische Stimmen durch juristische Interventionen zum Schweigen zu bringen, ist es in dieser Zeit gekommen. Da wir aber dennoch an ernsthaftem, inhaltlichem Diskurs interessiert sind, haben wir die E-Mail-Adresse [email protected] aufgesetzt, an die Kritik und Feedback gesendet werden kann.

Bereits der Titel von Mahners Papier, Warum die sog. „Critical Studies“ unter Pseudowissenschaftsverdacht stehen, macht deutlich, welches Ziel er verfolgt: die von ihm zusammengestellte Disziplinengruppe der „Critical Studies“ soll als Ganzes delegitimiert, unter den Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit gestellt und so zum Zielobjekt der GWUP erklärt werden.

Jeder kritisch denkenden Person ist bewusst, dass Aussagen grundsätzlich durch logische Schlüsse oder Empirie widerlegt werden können. Aus der Mathematik weiß man auch, dass komplexe Schlussfolgerungsketten widerlegt werden können, indem man nur einen ihrer Teile aushebelt: Wird ein mathematischer Beweis publiziert (manche erstrecken sich über dutzende Seiten) und darin ein einziger Fehler gefunden, so ist der Beweis als Ganzes wertlos. Ob die restlichen logischen Schritte korrekt waren, ist in diesem Fall egal – der Beweis ist widerlegt, genau wie eine Kette reißt, wenn nur ein einziges Kettenglied bricht.

Wissenschaft funktioniert allerdings meist nicht nach dieser simplen, rein logischen Struktur – ein Problem, das Mahner auszublenden scheint. In den meisten wissenschaftlichen Disziplinen, besonders in jenen, die sich nur schwer in mathematische Formeln fassen lassen, hat man es nicht mit präzisen logischen Kausalketten zu tun. Stattdessen ist man mit einem Netz aus unterschiedlichen Beobachtungen, Thesen und Ansätzen konfrontiert, die teilweise widersprüchlich sein können. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um junge Disziplinen handelt.

Das heißt allerdings nicht, dass die Disziplin wertlos ist. Es bedeutet nur, dass sie sich (noch) im Umbruch befindet. Nach Thomas Kuhn könnte man sagen: Sie hat die Phase der Normalwissenschaft noch nicht erreicht (Hoyningen-Huene, Paul (1992): Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (The Structure of Scientific Revolutions, 1962). In: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie: 20. Jahrhundert. Reclam, Stuttgart, S. 314–334.).

Entsprechend kann diese Logik nicht einfach auf ganze Forschungsbereiche angewendet werden: Man kann diese nicht als obsolet oder „widerlegt“ erklären, selbst wenn man nachweisen kann, dass Vertreter_innen dieser Disziplinen Fehler gemacht haben. Genauso wenig kann man sie pauschal unter den Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit stellen, selbst wenn man einen Fall ausmachen könnte, in dem eine pseudowissenschaftliche Haltung vertreten wurde. Die Naturwissenschaften, mit denen Mahner sich gut auskennt, decken kontinuierlich Fehler in den eigenen Disziplinen auf und passen alte Hypothesen an, ohne dass jemand behaupten würde, die Physik, die Chemie oder die Biologie seien daher unbrauchbar und pseudowissenschaftlich.

Trotzdem ist der Versuch, eine ganze Disziplin für unwissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich zu erklären, prinzipiell berechtigt. Wenn man belegen kann, dass sie in ihrem Theoriekern so fehlerhaft ist, dass auch durch sorgfältige Verbesserungen und Korrekturen kein Umbau zu erkenntnisfördernder, nützlicher Wissenschaft mehr möglich scheint, muss man die ganze Theorie fallen lassen. Man kann argumentieren, dass das etwa bei Phrenologie oder Homöopathie der Fall sei. Ähnliches versucht Mahner mit den „Critical Studies“: Sein Ziel ist eine Fundamentalkritik, die nicht bloß bestimmte Aussagen, sondern ganze Disziplinen aushebeln soll.

Mahners Herangehensweise stolpert schon in den ersten Zügen über ein schwerwiegendes Problem: die „Critical Studies“ als solches existieren nicht. Die von ihm zu einem Monolith zusammengeführten Disziplinen umfassen verschiedenste Ansätze und Methoden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften – von Jura (z.B. Critical Race Theory) über die Soziologie bis zur Literaturwissenschaft. Der Begriff selbst ist in der von Mahner definierten Verwendung im akademischen Umfeld nicht gebräuchlich.

Ja, es gibt „Critical Studies“-Programme, diese beziehen sich aber in der Regel auf kritische Analysen der Gegenstände innerhalb einer Disziplin (bspw. an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo durchaus Ansätze aus einigen der von Mahner zitierten Disziplinen eine vordergründige Rolle spielen, oder an der University of Glasgow). Auch ein Critical Studies Journal besteht schon seit 1989, aber auch hier handelt es sich um eine anders gelagerte Verwendung des Begriffs. Dass es sich hier um einen von Mahner eingeführten, vermutlich aus der Diskurslandschaft um Lindsay entliehenen Begriff handelt und nicht etwa um eine Selbstbezeichnung, wird später noch eine Rolle spielen.

Die vermeintliche Gleichförmigkeit, die Mahners Kategorisierung impliziert wirft Probleme auf. In Pseudowissenschaften wie der Homöopathie bestehen in der Regel Thesen, die als zentral gelten, und von allen Anhänger_innen vertreten werden – etwa die These von der Wirksamkeit des Potenzierens. Bei den von Mahner als „Critical Studies“ zusammengeführten Disziplinen wird man es allerdings schwer haben, Aussagen oder Methoden zu finden, die von allen Vertreter_innen des Feldes als korrekt und fundamental wichtig betrachtet werden, die diesen Disziplinen eigen sind und die nicht belegt werden können.

Allenfalls gelangt man dann zu banalen Grundaussagen wie „es ist wichtig, hierarchische Strukturen in der Gesellschaft zu reflektieren und sichtbar zu machen“, „Machtstrukturen äußern sich oft subtil“, oder „gesellschaftliche Probleme wurzeln oft in Abhängigkeitsverhältnissen, die unhinterfragt tradiert werden“. Darüber wird man nicht streiten müssen, zumal Generationen von Forscher_innen aus Disziplinen wie Geschichte, Anthropologie, Politologie, Soziologie und Psychologie diese Thesen untermauern.

Lässt man sich auf Mahners Versuch ein und sucht nach einem gemeinsamen Paradigma, das die verschiedenen von ihm zusammengeführten Fachbereiche eint, lässt sich am ehesten die Intersektionalitätsforschung als solches ausmachen. Das Paradigma der Intersektionalität basiert darauf, dass soziale Kategorien sowie Machtstrukturen und Diskriminierungsfaktoren interdependent sind: sie werden als miteinander verflochten und sich gegenseitig bedingend verstanden, woraus folgt, dass sie nicht einzeln konzeptualisiert werden können, sondern als eigene, spezifische Form von Ungleichheit betrachtet werden müssen.

Diese Wechselwirkungen zwischen Differenzkategorien, Normierungsverhältnissen, sowie Macht- und Herrschaftsstrukturen sollen im Rahmen der von Mahner als „Critical Studies“ summierten Disziplinen analysiert werden. Sie müssten in ihren „’Überkreuzungen’/ ‚intersections’“ (Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität als Analyseperspektive heterogener Stadträume. In: Scambor, Elli/ Zimmer, Fränk (Hg.): Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medien an den Achsen der Ungleichheit. Bielefeld: 81) untersucht werden, da sich spezifische Formen der Diskriminierung ergäben, welche nicht durch eine additive Perspektive zu erfassen seien.

In der Sprache der Naturwissenschaften formuliert könnte man sagen: Die These der Intersektionalität besagt, dass sich Diskriminierungsformen nicht linear überlagern, sondern dass es zu nichtlinearen Effekten kommt. In komplexen Systemen ist Nichtlinearität etwas ganz Alltägliches, eine Inkompatibilität oder gar eine Ablehnung von naturwissenschaftlichen Methoden und Prinzipien lässt sich daraus nicht konstruieren.

Das Paradigma Intersektionalität entwickelte sich aus der Triple-Oppression-Theorie, den Ansatz gab es jedoch bereits zu Beginn der ersten Frauenbewegung: Im Jahre 1851 kritisierte die Frauenrechtlerin Sojourner Truth die Verknüpfung und die Präsenz von Rassismus und Klassenherrschaft innerhalb der Frauenbewegung.

Den Begriff Intersektionalität prägte Kimberlé Crenshaw im Jahre 1980. Sie thematisierte die Verknüpfungen der Kategorien „Race“ und „Gender“ in Bezug auf den Arbeitsmarkt und das Rechtssystem in den USA. Die Antidiskriminierungsgesetze und auf Gleichstellung ausgelegte Einstellungspolitiken kämen lediglich entweder schwarzen Männern oder weißen Frauen zugute, jedoch hätten schwarze Frauen nahezu keine Chancen, sich ihren Arbeitsplatz einzuklagen.

Crenshaw bezieht sich hier auf die Einstellung eines Prozesses der Konzerne DeGraffenreid vs. General Motors in den 1970er Jahren; das Gericht wertete die Entlassung nahezu aller schwarzen Arbeiterinnen weder als rassistische, noch als sexistische Diskriminierung, da ja weder männliche schwarze, noch weibliche weiße Arbeiterinnen von Kündigung betroffen waren (Kerner, Ina (2009): Differenzen und Macht: Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt a. M.: Campus: 346f. ). Crenshaw selbst fokussiert sich hierbei auf die rechtlichen und sozioökonomischen Grundlagen von Diskriminierung.

Auch in Deutschland wurde bereits in der ersten (proletarischen) Frauenbewegung von Clara Zetkin kritisiert, dass die Verflechtungen von „Geschlecht“ und „Klasse“ nicht berücksichtigt bzw. geleugnet worden seien (vgl. Walgenbach (2007): Gender als interdependente Kategorie: Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen: Budrich Verlag (zus. mit Dietze, Gabriele/Hornscheidt, Antje/Palm, Kerstin): 25).

Hieraus entwickelte sich die Mehrebenenanalyse der Race-Class-Gender-Unterdrückung (bzw. Dreifachunterdrückung von Kapital, Patriarchat und Rassismus). Die Intersektionalitätsforschung geht über diese drei Kategorien hinaus: Hier können auch Unterdrückungsformen wie Ableismus, Heteronormativität, Homophobie, religiöse Diskriminierung, Antisemitismus, Transphobie, Ageismus, Lookismus usw. miteinbezogen werden, da sie, dem Intersektionalitätsansatz folgend, spezifische andere Formen der Diskriminierung ausbilden und daher in ihrer Verwobenheit betrachtet werden sollten (vgl. Kerner 2009: 350f.).

Ein anderes Beispiel einer intersektionalen Betrachtungsweise ist, dass marginalisierte Gruppen häufiger gesundheitlich und in Bezug auf Umweltrisiken gefährdet sind (WHO. 2010. Soziale und geschlechtsbezogene Ungleichheiten im Bereich Umwelt und Gesundheit. Fünfte Ministerkonferenz Umwelt und Gesundheit. „Schutz der Gesundheit der Kinder in einer sich verändernden Umwelt“, Parma (Italien), 10.–12. März 2010. EUR/55934/PB/). Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen, Gewalterfahrungen oder Suchtproblemen sind Personengruppen, die sich in besonderen gesundheitlichen und häufig auch sozial prekären Lagen befinden (Pauli, A/Hornberg, C (2008b): Umwelt und Gesundheit: Gender-Perspektiven in Forschung und Praxis. In: Becker, R/Kortendiek, B/Budrich, B (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie, 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 636-645.).

Auch Personen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende oder arbeitslose Personen sind stärker von gesundheitlichen Problemen betroffen (Pauli und Hornberg 2008b). Unsichere Bleiberechtsverhältnisse, suboptimale Wohnverhältnisse, Stigmatisierung, Ausgrenzung, Gewalt, ein geringerer Bildungsstand und im Besonderen ungeregelte Arbeitsverhältnisse, bei denen gefährliche und vor Gefahren ungeschützte Tätigkeiten ausgeführt werden, sind Beispiele dafür, wie soziale Faktoren sowohl die gesundheitliche Situation bedingen, als auch sich gegenseitig beeinflussen (WHO 2010).

All das zeigt: Das Paradigma der Intersektionalität lässt sich rational argumentieren und mit empirischen Beobachtungen aus der Sozialwissenschaft belegen. Nichts daran ist inkompatibel mit der wissenschaftlichen Methode oder mit rational-aufgeklärtem Denken. Gleichzeitig sieht man daran auch: Es geht hier um gesellschaftliche Fragen, ohne Anspruch, damit Aussagen über Naturwissenschaften zu treffen.

Natürlich gibt es auch innerhalb der Intersektionalitätsforschung verschiedene Positionen und nicht alle sind, wie Mahner behauptet, poststrukturalistisch geprägt. Lediglich die anti-kategoriale Position bezieht sich auf eine dekonstruktivistische Sicht und entstammt poststrukturalistischen Bewegungen. Dieser bezeichnet soziologische Ansätze und Methodiken, welche zunächst in den 1960er Jahren in Frankreich aufkamen.

Ansatzpunkt ist die Erkenntnis, dass Sprache letztlich nicht nur die Realität abbildet, sondern auch durch Differenzkategorien und Ungleichheitsachsen aktiv konstruiert, konstituiert und reproduziert. Gesellschaft (!) wird nicht als gegeben und objektivistisch betrachtet, sondern in ihrer Kontingenz der Entwicklung verstanden und untersucht. Folglich gilt für Vertreter_innen dieses Ansatzes auch, die Entstehung und Gültigkeit der Kategorien, entlang derer sich Diskriminierungs- und Ungleichheitserfahrungen abspielen, zu hinterfragen und sie zu dekonstruieren.

Der Poststrukturalismus analysiert Gesellschaftsstrukturen und Diskurse in ihrer Verknüpfung mit jenen Machtmechanismen, die diese Hierarchien etablieren und Herrschaftsverhältnisse produzieren und legitimieren. Einer der wichtigsten Vertreter_innen des Poststrukturalismus ist Michel Foucault, dessen Diskursanalyse wesentlich zu Debatten um Wissen und Macht beigetragen hat (vgl. Foucault 1974, 1981, 1985).

Hier beginnt bereits der grundlegende Denkfehler, der sich bei Mahner und einigen anderen Kritiker_innen feststellen lässt: Es geht weder im Poststrukturalismus noch in den hier als „Critical Studies“ subsummierten Disziplinen darum, jegliche wissenschaftliche Erkenntnis als Konstruktion darzustellen und so zu delegitimieren. Keine der von Mahner angeführten Disziplinen der „Critical Studies“ argumentiert, dass bspw. die Gesetze der Physik reine Konstruktion oder nicht universell gültig seien. Es geht hier immer um soziale, gesellschaftliche Sachverhalte und das Wissen über diese.

Aber sehen wir uns Mahners Argumentation einmal genauer an:

„Um zu verstehen, warum die CS [Critical Studies, Anm. d. Red.] im Verdacht stehen, ihren Wissenschaftsanspruch zumindest teilweise nicht zu erfüllen, ist es hilfreich, einen Blick auf ein allgemeines Analyseschema zu werfen, das auf alle Bereiche angewandt werden kann, die einen Erkenntnisanspruch erheben, sei er berechtigt oder nicht (s. Abb 1, S.8). Das Schema kann also gleichermaßen auf die Physik und die Homöopathie oder auf die Erziehungswissenschaften und die Waldorfpädagogik angewandt werden.“

In der Folge formuliert Mahner ein „analytisches ABC“ aus, dass sich aus den Kernaspekten valider philosophischer Voraussetzungen (A), der Theorien und Forschungsmethoden des Bereichs selbst (B) und der praktischen Anwendbarkeit (C), die nicht immer gegeben sein muss, zusammensetzt. Er schließt:

„Man beachte, dass die empirische Prüfung von Theorien im Rahmen der für B üblichen Forschungsmethoden in der Regel zum Bereich B gehört. Die technologisch-praktische Anwendung C kann aber zusätzliche Bestätigung oder Schwächung für die Ansätze in B liefern. Wenn z.B. Kernspintomographen in tausenden Krankenhäusern auf der Welt funktionieren, dann kann die Theorie dahinter nicht völlig falsch sein. Bei ohnehin eher praktisch ausgerichteten Fächern, wie etwa der Medizin, kann aber auch C stärker in die empirische Prüfung involviert sein.“

Die nützliche Anwendbarkeit als Plausibilitätscheck für die Korrektheit einer Theorie ist hier ein besonders interessanter Punkt: Logisch ist ein solcher Schluss nicht zulässig, als Heuristik aber kann er durchaus nützlich sein. Wenden wir genau dieses Denkkonstrukt auf einmal auf die „Critical Studies“ nach Mahners Definition an: Erkennen wir hier „Soziotechnologien“, die sich in der Anwendung bewährt haben, ähnlich wie Kernspintomographen in den Krankenhäusern? Durchaus.

Man kann argumentieren, dass die „Critical Studies“ ein viel umfassenderes und differenziertes Bild hierarchischer gesellschaftlicher Strukturen und damit verbundener Probleme hervorgebracht haben, dass sie Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Unterdrückung erzeugt haben, dass sie das Bewusstsein für Formen von Diskriminierung geschaffen haben, die vielen Menschen früher nicht bewusst waren und dass sie konkrete Schritte zur Minderung dieser Ungleichheiten bedingt haben. Wer je alte Kinderfilme nach Jahrzehnten erneut gesehen hat und sich etwas peinlich berührt darüber wunderte, wie merkwürdig sexistisch und geschlechterstereotyp diese aus heutiger Sicht wirken, hat erkannt:

Hier gab es offensichtlich einen gesellschaftlichen Wandel. Einen Wandel, der für bestimmte Bevölkerungsgruppen neue Möglichkeiten und mehr Fairness geschaffen hat und der nicht unwesentlich durch jene „Soziotechnologien“ gefördert wurde, die in einigen der von Mahner unter dem Begriff „Critical Studies“ zusammengepferchten Disziplinen erkannt und entwickelt wurden.

Auch auf medizinischer und juristischer Ebene konnten sich durch intersektionale Ansätze substanzielle Verbesserungen für spezifische gesellschaftliche Gruppen erreichen lassen. Im Bereich der Public-Health-Forschung haben sich beispielsweise durch diesen Fokus deutliche Probleme in der Gesundheitsversorgung aufdecken lassen, aber auch Ansätze der Therapie entwickelt.

Ein so prägnantes wie repräsentatives Beispiel bietet die gendersensible Gesundheitsversorgung: Die medizinische Praxis wird durch Geschlechterkonstruktionen beeinflusst. Geschlechterkonstrukte sind ein Faktor, der bereits die Kommunikation zwischen Ärzt_in und Patient_in beeinflusst und auch in der weiteren Versorgung bedeutsam bleibt. So werden gleiche Symptome bei Männern und Frauen häufig unterschiedlich diagnostiziert und behandelt (Hornberg, C/Pauli, A/Wrede, B (Hg.) (2016): Medizin – Gesundheit – Geschlecht. Wiesbaden: Springer Fachmedien).

Während bei Männern eher organische Ursachen diagnostiziert werden, werden bei den gleichen Beschwerden bei Frauen häufiger psychosomatische Diagnosen gestellt (Pauli und Hornberg 2008b). Dies gilt insbesondere bei kardiovaskulären Erkrankungen, was dazu führt, dass das Herzinfarktrisiko bei Frauen massiv unterschätzt wurde und wird (Möller-Leimkühler, AM (2007): Gender differences in cardiovascular disease and comorbid depression. In: Dialogues in Clinical Neuroscience, 9: 1, 71-83.). Zudem werden Frauen deutlich häufiger psychotrope Arzneimittel wie Psychopharmaka verordnet (Kolip, P/Hurrelmann, K (2002a): Geschlecht – Gesundheit – Krankheit: Eine Einführung. In: Kolip, P/Hurrelmann, K (Hg.): Geschlecht, Gesundheit und Krankheit– Männer und Frauen im Vergleich. Bern: Hans Huber, 13-31.).

Die Über- und Fehlversorgung von Frauen steht in einer Tradition der Medikalisierung des „Weiblichen“ und einer Pathologisierung von Abweichungen insgesamt, zum Beispiel auch von Intergeschlechtlichkeit und Homosexualität (Klöppel, U (2015): XX0XY ungelöst. Hermaphroditismus, Sex und Gender in der deutschen Medizin; eine historische Studie zur Intersexualität. Bielefeld: transcript Verlag). Besonders bestimmte Lebensphasen von Frauen (Pubertät, Schwangerschaft, Geburt, Menopause) werden als medizinisch behandlungsbedürftig betrachtet, was sich auch in der Verschreibungspraxis von Arzneimitteln widerspiegelt (Kuhlmann, E (2016a): Gendersensible Perspektiven auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung. In: Richter, M/Hurrelmann, K (Hg.): Soziologie von Gesundheit und Krankheit, 1. Auflage. Wiesbaden, Springer VS: 183-196.). Hier ist also eine Analyse jener Geschlechterkonstruktionen, die sowohl den Symptomen als auch der Behandlung zugrunde liegen, von essentieller Bedeutung für eine gute gesundheitliche Versorgung aller Patient_innen.

Andererseits zeigt sich, dass in den meisten Ländern Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen (Kolip und Hurrelmann 2002). Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016). Erlernte Geschlechterstereotype und durch Sozialisation verfestigte Rollenmuster beeinflussen sowohl die Gesundheit selbst, als auch das gesundheitsbezogene Verhalten: Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Unfälle, Leberzirrhose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bronchialkrebs sind häufige Todesursachen bei Männern, welche durch das gesundheitliche Risikoverhalten beeinflusst werden (Kolip und Hurrelmann 2002). Das zeigt, dass Geschlechterstereotype nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer Nachteile bringen können: Strukturelle Benachteiligung kann am Ende allen schaden. In diesem Zusammenhang tragen bspw. Zweige der Gender Studies sowie der Disability und Fat Studies, also einiger der von Mahner angegriffenen Disziplinen, wesentlich dazu bei, schädliche Stereotype zu erkennen, zu analysieren und aufzubrechen, um für die gesamte Gesellschaft eine bessere medizinische Versorgung und Lebensqualität zu erlangen.

Mahner scheint sich dieser Effekte nicht bewusst zu sein. Zudem ergibt sich ein Kategorienfehler, indem er die Objekte seiner Kritik und deren Methoden und Theorien mit Identitätspolitik gleichsetzt. Er argumentiert:

„Das ABC-Schema lässt sich nun auch auf die CS anwenden. Wir haben also zum einen die CS als Theorien/Ansätze/Fächer selbst (B), dann die erkenntnistheoretischen bzw. methodologischen Voraussetzungen der CS (A) und zu guter Letzt den angewandten Aspekt der praktischen Konsequenzen (C) der CS. Im Falle von CS sind diese Anwendungen C soziotechnologischer Natur, da sie soziale Systeme umgestalten wollen. Dazu werden verschiedenste gesellschaftspolitische und ethische Forderungen aus B abgeleitet, die mit dem Begriff „Identitätspolitik‟ zusammengefasst werden.“

Diese Aussage Mahners ist so nicht richtig. In keiner Weise sind alle gesellschaftspolitischen Forderungen, die in den Critical Studies entstehen – falls überhaupt Forderungen gestellt werden – identisch mit „Identitätspolitik“. Die passive Formulierung, die er hier wählt, verbirgt zudem, dass er es ist, der diese Gleichsetzung vornimmt. Dabei handelt es sich nicht um eine simple Gegebenheit, weswegen eine genaue Definition des Begriffs Identitätspolitik sinnvoll gewesen wäre. Diese, wie viele andere Definitionen, bleibt Mahner seinen Leser_innen leider schuldig. Es liegt auch hier die Vermutung nahe, dass sich Mahner erneut an Autor_innen orientiert, die sich gegen „Wokeness“ positionieren und denen der Terminus ein Dorn im Auge ist.

Ohne in große Ausführungen zum Thema Identitätspolitik zu verfallen, da diese mit dem großen Forschungsbereich der „Critical Studies“ nur bedingt zu tun haben, bleibt festzustellen, dass es verschiedene Varianten von Identitätspolitik gibt:

Während eine inkludierende Identitätspolitik als politische Strategie zum Abbau von Diskriminierungen dient, welche soziale Differenzen und Unterscheidungsmechanismen sichtbar macht, um damit Forderungen nach Gleichbehandlung oder Ansprüche auf rechtliche Gleichstellung, finanzielle Förderung oder gesellschaftliche Teilhabe durchzusetzen (beispielsweise Bürgerrechtsbewegungen von Frauen/ PoC in den USA), versucht die exkludierende (nationalistische) Identitätspolitik das Gegenteil:

(Vermeintliche) kulturelle Unterschiede werden herangezogen, um die dem eigenen Kollektiv als nicht zugehörig konstruierten Gruppen auszuschließen und einen Angriff auf das eigene imaginierte Kollektiv zu behaupten. Beispiele sind hier die Behauptung einer Überfremdung oder kultureller Rassismus. Die Verwendung dieser und ähnlicher Narrative durch Parteien wie AfD und CDU/CSU in Deutschland oder FPÖ und ÖVP in Österreich kann folglich auch als Identitätspolitik verstanden werden. Selbiges gilt für den prominenten „Kampf gegen Wokeness“, der von rechten sowie libertären Parteien weltweit geführt wird.

Ein weiterer zentraler Punkt in Martin Mahners Argumentation ist sein Verweis auf die postmodernistische Philosophie als Basis für „Critical Studies“:

„Die CS sind stark beeinflusst von der sog. postmodernistischen Philosophie. Ein zentraler Punkt dieser Richtung ist eine relativistische Erkenntnistheorie, wonach Erkenntnis bzw. Erkenntnisfähigkeit nicht mehr als universell angesehen wird, sondern als relativ in Bezug auf bestimmte Individuen, Gruppen oder historische Perioden. In den CS taucht dieser Relativismus meist im Hinblick auf verschiedene Gruppen („Identitäten“) und deren Wissensformen auf. Nun soll die Existenz von Gruppenwissen nicht bestritten werden. Doch wenn jede Erkenntnis nur Gruppenwissen darstellt, steht es keiner Gruppe zu, über den Wahrheitswert des Wissens einer anderen zu befinden. Die Wissensformen verschiedener Identitäten sind also alle gleichwertig und gleichermaßen gültig.“

Wie schon oben im Bezug auf Identitätspolitik bleibt uns Mahner eine ausreichend nuancierte Definition schuldig. Stattdessen konzentriert er sich auf ein einziges Element dieser philosophischen Schule, die relativistische Erkenntnistheorie, die er in ein auf mehreren Ebenen problematisches Argument einbindet. Fassen wir dieses Argument – zur Freude eines jeden Wissenschaftsphilosophen – als Syllogismus zusammen.

Prämisse 1:     „Critical Studies“ werden von postmodernistischer Philosophie beeinflusst.

Prämisse 2:     Postmodernistische Philosophie bringt einen radikalen Relativismus mit sich und leugnet die Möglichkeit, zuverlässige, universale Wahrheitswerte zuzuweisen.

Conclusio:        Laut „Critical Studies“ sind alle Wissensformen (oder überhaupt alle Aussagen?) gleichwertig und gleichermaßen gültig, also im selben Ausmaß wahr.

Jenseits der logischen Form des Arguments müsste man Martin Mahner aber selbstverständlich in einem Punkt Recht geben: Wäre die Conclusio zulässig und würde die Menschheit in einen derartigen Radikalrelativismus verfallen, in dem alles nur noch Meinung ist, unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Meinungen vertreten und alle Meinungen gleich wahr sind, dann ließe sich keine Wissenschaft mehr betreiben. Auch jede produktive Diskussion über gesellschaftliche Ordnung wäre unmöglich. Aber wer würde einen derart absurden Standpunkt ernsthaft annehmen und verteidigen? Wir und die Forscher der „Critical Studies“-Disziplinen jedenfalls nicht.

Die entscheidende Frage an dieser Stelle wäre doch: Handelt es sich bei dieser Conclusio um einen bloßen Strohmann, oder kann man tatsächlich nachweisen, dass Gruppierungen von nennenswerter Bedeutung einen solchen Standpunkt vertreten und dabei einen schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen? Eine derart gewagte Behauptung würde ein hohes Maß an Evidenz erfordern, das hier leider in keiner Weise erbracht wird.

Nachdem Mahner keine Belege liefert, mit denen wir uns befassen könnten, sollten wir uns auf die Logik des Arguments konzentrieren:

Prämisse 1 kann man wohl als wahr gelten lassen. Ja, die „Critical Studies“-Fächer mögen von postmoderner Philosophie beeinflusst sein. Diese Einflüsse sind allerdings nicht in allen Forschungsfeldern vorhanden und es wäre auch mehr als gewagt, sie als fundamental wichtige Basis aller Forschungsbereiche zu bezeichnen (in ähnlichem Sinn etwa, wie die Newtonsche Mechanik eine fundamental wichtige Basis der modernen Ingenieurwissenschaften ist). Nichtsdestotrotz sind Einflüsse aus dieser Philosophie in einigen Disziplinen erkennbar.

Es stimmt zwar, dass in der postmodernistischen bzw. postmodernen Philosophie die in der Moderne vorherrschende Vorstellung von absolut wahren Überzeugungen insbesondere im sozialen Bereich hinterfragt und aufgebrochen wird, aber die Postmoderne und ihre Denker_innen generell als das relativistische Verleugnen der Existenz von Tatsachen darzustellen, ist bestenfalls eine starke Vereinfachung. Erneut gilt, dass für eine Behauptung dieser Tragweite starke Evidenz vorgelegt werden müsste, die auch hier völlig fehlt. Mahner kritisiert indes eine offensichtlich unsinnige Karikatur der postmodernen Philosophie, nicht die postmoderne Philosophie selbst.

Selbstverständlich befasst sich die poststrukturalistische/postmoderne Theorie mit der Konstruktion von gesellschaftlichen Phänomenen und Tatsachen. Das heißt jedoch nicht, dass die gesellschaftlichen Gegenstände, die Untersuchungsobjekte dieser Disziplinen sind, „bloß Konstrukte“ und als solche nicht existent oder gar beliebig seien. Laut Foucault sind bspw. Machtverhältnisse Resultat diskursiver Prozesse, welche durch gesellschaftliche Paradigmen, Symbole und Institutionen, sowie identitätspolitische Mechanismen erzeugt würden (vgl. Foucault (1977): Sexualität und Wahrheit. Suhrkamp), sie sind aber eindeutig existent, wie Foucault selbst bekräftigte.

Selbst Bruno Latour, der von Kritikern wie Alan Sokal häufig scharf kritisiert wurde, vertrat diesen extremen Standpunkt nicht und sah sich zu Lebzeiten wiederholt gezwungen, dieses Missverständnis aufzuklären (vgl. Latour, Bruno (2022): Die Hoffnung der Pandora: Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Suhrkamp, 7. Auflage.; Latour, Bruno und Steve Woolgar (1986): Laboratory life: the construction of scientific facts). Hier wird also ein weiteres grundsätzliches Problem deutlich: Mahners auf einem falschen Verständnis der postmodernen/poststrukturalistischen Theorie beruhendes und entsprechend völlig verzerrtes Bild von (linker) Identitätspolitik und den akademischen Disziplinen, die er hier ins Visier nimmt.

Doch selbst wenn seine Prämissen inhaltlich korrekt wären, wäre seine Argumentation nicht gültig. Wirft man nur einen Blick auf die logische Struktur des Arguments, wird eines sofort deutlich: Aus Prämissen 1 und 2 lässt sich diese Conclusio nicht schlussfolgern, es handelt sich hier um einen „non sequitur“-Fehlschluss. Selbst wenn „Critical Studies“ von „postmodernistischer“ Philosophie beeinflusst sind und selbst wenn es wahr wäre, dass diese Philosophie eine objektive Zuweisung von Wahrheitswerten vollends leugnet, hieße das nicht, dass die „Critical Studies“ die objektive Zuweisung von Wahrheitswerten leugnen. Um zu illustrieren, wie schwach dieses Argument ist, kann festgehalten werden, dass es formal genauso falsch wäre, wie das Folgende:

Prämisse 1       Die Kritik an „Wokeness“ wird von Gruppierungen mit totalitärer Schlagseite beeinflusst, von Victor Orbans Partei in Ungarn etwa, oder von Republikanern wie Donald Trump, Ron deSantis und dem „Freedom Caucus“ in den USA.

Prämisse 2       Diese totalitären Gruppierungen stehen dem Rechtsextremismus nahe.

Conlcusio         Kritik an „Wokeness“ ist rechtsextrem.

Das mag auf den ersten Blick nach einer logischen Schlussfolgerung klingen, ist aber in dieser Form natürlich nicht haltbar. Hier gilt es, wie im Beispiel oben, konkrete Evidenz heranzuziehen, um zu belegen, dass zumindest ein Teil dieser Kritik rechtsextrem ist. Ein opportunes Beispiel für rechtsextreme Elemente in der eigenen Kritik an „Wokeness“ wäre etwa das Wiedergeben und Verbreiten von Werken rechtsextremer Verschwörungsideologen wie James Lindsay (auch bei fehlender Quellenangabe).

(Eine kurze Anmerkung hierzu, die jeder in Logik geschulten Person gegenüber eigentlich nicht notwendig sein sollte: Natürlich ist nicht jede Person, die rechtsextreme Narrative und Kampfbegriffe verwendet, selbst rechtsextrem. Dennoch verbreitet und benutzt sie diese und muss sich entsprechender Kritik und Rückfragen nach den Gründen für diesen Schritt stellen. Das gilt auch für ein skeptisches Urgestein wie Martin Mahner.)

Wie gerade verdeutlicht, ist jedes Argument, das auf Mahners Sicht auf und Einschätzung von Relativismus basiert, auf Sand gebaut. Er schreibt weiter:

„Ein solcher erkenntnistheoretischer Relativismus führt naturgemäß zu einem Sammelsurium alternativer Wissensformen und damit alternativer Fakten. Auf dieser Basis wäre es der GWUP nicht möglich, „alternative Wissensformen“ wie Homöopathie oder Astrologie zu kritisieren. Die Arbeit der GWUP setzt wie jede wissenschaftliche Arbeit eine universalistische Erkenntnistheorie voraus, wonach alle rationalen Wesen bei gleicher korrekter Arbeitsweise und bei gleichem Sachstand im Prinzip zu denselben wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen können, von Japan bis Mexiko, von Spitzbergen bis Südafrika. Mit anderen Worten: Gruppenidentitäten und kulturelle Eigenheiten, die den wissenschaftlichen Zugang zur Welt zunächst eintrüben können, lassen sich früher oder später herausmitteln und damit transzendieren. Wissenschaftliche Erkenntnis hat damit nicht nur einen emanzipatorischen, sondern auch einen global verbindenden Charakter.“

Das Schöne an der wissenschaftlichen Methode ist: Sie erlaubt uns, bestimmte Dinge außer Streit zu stellen. Wenn zwei Menschen eine wohldefinierte naturwissenschaftliche Frage beantworten – zum Beispiel jene nach der Zusammensetzung einer bestimmten chemischen Probe – dann werden sie, innerhalb einer gewissen Fehlertoleranz, zum selben Ergebnis kommen, sofern nicht eine der Personen einen Fehler gemacht hat.

Es ist aber auch klar, dass diese schöne, intersubjektive Einfachheit nicht in allen wissenschaftlichen Disziplinen gleich gut zu erreichen ist. In den Naturwissenschaften ist das meist recht einfach. In den Sozial- und Geisteswissenschaften, wo es unter anderem um Kultur, Tradition und gesellschaftlich vorgegebenes Wissen geht, lässt sich die Person, die wissenschaftliche Studien durchführt, nicht mehr so leicht und so sauber vom Forschungsergebnis trennen. Die Forderung, „Gruppenidentitäten und kulturelle Eigenheiten“ aus diesen Disziplinen „heraus[zu]mitteln“ ist nachgerade absurd.

Selbstverständlich kann und soll man auch in den Sozialwissenschaften versuchen, so objektiv wie möglich vorzugehen. Aber es wäre naiv, von Sozialwissenschaften dasselbe Maß an Objektivität einzufordern wie das etwa in der klassischen Mechanik möglich ist.

Anzunehmen, dassdie Analysen der „Critical Studies“ überall auf der Welt gleiche Ergebnisse hervorbringen müssten, wäre lächerlich. Wenn man die gleiche Frage in verschiedenen Kontext stellt, also bspw. gesellschaftliche Strukturen in Mexiko, Deutschland oder in Südafrika analysiert, wird man unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Je nach Forschungsgegenstand werden sich Gemeinsamkeiten herausarbeiten lassen, die für beide Gesellschaften oder global gelten, in den meisten Fällen wird es aber überhaupt keinen Sinn ergeben, kulturelle Eigenheiten oder gesellschaftliche Strukturen „heraus[zu]mitteln“ oder zu transzendieren, weil sie schließlich Untersuchungsgegensand sind.

Gleichzeitig ist es so, dass – und das ist vermutlich, was Mahner hier kritisieren will – Menschen je nach Sozialisation, kultureller Prägung und Verortung innerhalb eines intersektionalen Diskriminierungssystems andere Fragestellungen und Sichtweisen auf soziale Phänomene entwickeln. So wird beispielsweise die Frage nach sozialer Ungleichheit in einem bestimmten Bereich tendenziell eher von jenen Personen gestellt werden, die durch diese diskriminiert werden, da für die privilegierten Personen die Verhältnisse als Norm gesehen werden und unproblematisch wirken.

Dies beschreibt beispielsweise Frankenberg im Kontext von Whiteness als Privileg der „strukturellen Unsichtbarkeit“: Nur die vermeintlich „Anderen“ scheinen eine spezifische kulturelle Identität zu haben, während die eigene Identität als weiße Person als Norm betrachtet wird (Frankenberg, Ruth. 1993. Growing up White: Feminism, Racism and the Social Geography of Childhood. Feminist Review (45), 51).

Das bedeutet, die Perspektive und dadurch auch die wissenschaftliche Fragestellung variiert in sozialwissenschaftlichen Analysen, was aber nicht bedeutet, dass die Ergebnisse nicht überprüfbar, reproduzierbar und reliabel wären. So gibt es nicht nur in quantitativen Analysen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Validität), sondern auch in qualitativen Analysen: Verfahrensdokumentation zwecks intersubjektiver Nachvollziehbarkeit, Regelgeleitetheit der Auswertung (Transkriptions- und Codierschemata), Intra-und Intercoderreliabilität und weitere Kriterien. Das bedeutet, dass es prinzipiell möglich ist, dass bei gleicher Methode und gleichen angewandten Kategorienschemata auch die gleichen Ergebnisse erzielt werden, unabhängig davon, wer diese durchführt.

Dennoch ist sowohl bei quantitativer, als auch qualitativer Sozialforschung die Reflexion der eigenen Forscher_innenposition relevant, da diese für Fragestellung, Forschungsdesign und – ja– auch für die Interpretation der Daten entscheidend sein kann. Hier ist Transparenz wichtig.

Bezüglich des emanzipatorischen Charakters wissenschaftlicher Erkenntnis muss auch festgehalten werden, dass zwar die mittels der wissenschaftlichen Methode gewonnenen Erkenntnisse selbst ebendiesen haben, dass dies aber nicht bedeutet, dass die (natur)wissenschaftliche Praxis entsprechend emanzipatorisch und global verbindend ausfallen muss. Die Menschheitsgeschichte und spezifisch die Kolonialgeschichte beweist uns hier das Gegenteil. Eine wissenschaftliche Praxis, die einen kleinen Teil der Menschheit zu forschenden Subjekten macht und andere maximal als Objekte partizipieren lässt, ihnen aber sonst den Zugang verwehrt, wird realiter verhindern, dass der universalistisch-emanzipatorische Charakter der eigentlichen Methode in jedem Fall zu Tage tritt.

Entsprechend ist selbst in den Naturwissenschaften relevant, in welchen gesellschaftlichen Strukturen Fragestellungen aufkommen und wie sie erhoben werden. Auch wenn diese Kontexte aus konkreten Ergebnissen transzendiert werden können, spielen sie auf dem Weg zur Erlangung dieser Erkenntnisse eine entscheidende gesellschaftliche Rolle. Ein so passendes wie tragisches Beispiel findet sich in der Erforschung menschlicher „Rassen“. Über lange Zeit bestanden Besterbungen, durch naturwissenschaftliche Forschung die Existenz menschlicher „Rassen“ zu belegen. Dass dies bei korrekter Anwendung einer biologischen Definition von „Rasse“ nicht möglich ist, war lange Zeit nicht die allgemein vertretene Meinung.[1]

Mahner argumentiert weiter:

„Wo immer also eine universalistische Erkenntnistheorie implizit oder explizit zurückgewiesen wird, bildet dies einen hinreichenden Grund, den Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit gegenüber den betreffenden Theorien, Ansätzen oder Bereichen zu hegen. Genau genommen müsste man einen Bereich, der diese zentrale universalistische Prinzip der Wissenschaft ablehnt, sogar als Antiwissenschaft betrachten.“

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, diese Aussagen zu interpretieren. Manche davon sind trivialerweise richtig, andere sind weniger trivial und höchst problematisch. Wir gehen davon aus – daran wird in einer Skeptiker_innenorganisation niemand zweifeln – dass es eine physische, empirisch erfahrbare Welt gibt, die unabhängig von uns als Beobachter_innen ist und durch unsere Sinne und unseren Verstand zu großen Teilen erforscht werden kann. Das ist zweifellos eine sehr wichtige Grundannahme, die Mahner als „universalistische Erkenntnistheorie“ zu verstehen scheint. Er hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass wissenschaftliche Erkenntnis aufgrund dieser (höchst erfolgreichen) Sichtweise einen global verbindenden Charakter aufweisen kann.

Doch zwangsläufig prägen die Überzeugungen, die man bewusst oder unbewusst mit sich trägt, in der Sozialwissenschaft, aber auch in den Naturwissenschaften, die eigene Auswahl an Themen, die Bewertung der beobachteten Daten und die Schlussfolgerungen daraus. Auch in der Medizin wird dies deutlich: Über lange Zeit wurden Medikamentenstudien nur an Männern mittleren Alters durchgeführt, was, wie bereits thematisiert, zu gravierenden Fehlbehandlungen anderer Patientengruppen führte.

Wir strukturieren unser Wissen über die physische Welt mithilfe von Sprache und Ordnungssystemen und ebendiese Ordnungssysteme werden von gesellschaftlichen Strukturen und Annahmen beeinflusst. Genau das ist der Punkt, an dem etwa Foucaults Theorie ansetzt. Foucault behauptet nicht, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, sondern dass jede Form, diese Wirklichkeit einzuordnen und zu beschreiben, von Wissenssystemen und gesellschaftlichen Diskursen geprägt ist (dort setzt übrigens seine Diskursanalyse an).

Sprache ist ein Instrument, das Wirklichkeit erzeugt, beeinflusst, interpretiert und teils widerspiegelt. Es handelt sich hier also nicht um eine Zurückweisung universalistischer Erkenntnistheorie wie Mahner sie attestiert, sondern um eine differenzierte Betrachtung der Rolle von Sprache und Diskurs in der wissenschaftlichen Praxis, weswegen der Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit oder gar die Gleichsetzung mit Antiwissenschaft für die „Critical Studies“-Disziplinen auf dieser Basis nicht haltbar ist.

Wie Mahner behauptet, sei es die „selbstgestellte Aufgabe der CS […] bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse zu untersuchen (vor allem Machtverhältnisse und Unterdrückungsmechanismen) und dazu bestimmte Theorien zu entwickeln.“. Er schließt daraus, dass die Disziplinen „im Wesentlichen Sozialwissenschaften – oder eben ggf. Pseudo-Sozialwissenschaften“ sind. Er räumt ein, dass dies nicht die Illegitimität der Fragestellungen bedeutet, behauptet aber dass „im Gegensatz zu den herkömmlichen Sozialwissenschaften […] die theoretischen Ansätze in den CS allerdings mit einem moralischen Status ausgestattet [werden]“, und dass sie „direkten Input zur praktischen gesellschaftspolitischen Umsetzung [liefern].“

Hier lässt der Autor beträchtliche Lücken im Verständnis der „Critical Studies“ sowie der „herkömmlichen“ Sozialwissenschaften im Allgemeinen erkennen. Zunächst trifft der hier unterstellte moralische Impetus in keiner Weise auf alle in den von Mahner attackierten Disziplinen relevanten Theorien und Methodiken zu. Des Weiteren scheint sich Mahner an der Anwendbarkeit bzw. der praktischen gesellschaftspolitischen Umsetzung der Forschungsergebnisse zu stören. Auch diese ist nicht in allen Teilgebieten und Arbeiten der „Critical Studies“ gegeben.

Natürlich gibt es Studien und Forschungsansätze, im Rahmen derer versucht wird, Handlungsempfehlungen oder Ableitungen zur Anwendbarkeit (die Mahner selbst in Punkt C ja als erwünscht beschreibt) zu machen; sehr viele Studien beschränken sich aber auf die reine Analyse sozialer Ungleichheiten. Dies ist selbstverständlich auch in allen anderen Teilen der Sozialwissenschaften, den Erziehungswissenschaften und sogar den Klimawissenschaften der Fall. Teile der Disziplinen entwickeln Vorschläge zur Problemlösung, andere wiederum erforschen lediglich ein Problem – dies ist eindeutig keine Besonderheit der „Critical Studies“.

Mahner scheint sich daran zu stören, dass die Disziplinen „[n]ach eigenem Verständnis […] um die Durchsetzung ‚sozialer Gerechtigkeit‘ bemüht“ sind. In diesem Zusammenhang argumentiert er: „Das Adjektiv ;critical‘ deutet bereits an, dass es offenbar weniger um eine neutrale Untersuchung geht, sondern um eine letztlich bewertende, die Machtverhältnisse nicht nur feststellen, sondern zugleich aufbrechen will.“ Eine spannende Schlussfolgerung, die – besonders im Rahmen der GWUP – eine wichtige Frage aufkeimen lässt: Sollte kritisches Denken und Analysieren nicht erwünscht sein? Ist Mahners eigener Skeptizismus in der Folge etwa nicht neutral und damit pseudowissenschaftlich? Schließlich bedient er sich ja (angeblich) seines kritischen Denkens. Sollte sein Argument gültig sein, würde es gegen ihn selbst arbeiten.

Diese Behauptung, die Mahner um das Adjektiv „critical“ aufbaut, ist aber auf einer noch viel grundlegenderen Ebene schwach: Es fußt auf einer Fremdzuschreibung, die Mahner hier selbst durchführt: Er ist es, der eine Gruppe unterschiedlichster Disziplinen willkürlich unter dem Dachbegriff „Critical Studies“ subsumiert. Lediglich Critical Race Theory trägt das hier aufgegriffene Wort im eigentlichen Sinne im Namen; dies gilt für Disziplinen wie Queer Studies, Gender Studies, Fat Studies und viele weitere nicht.

Mit gutem Willen kann man unterstellen, dass Mahner sich eigentlich an Critical Theory abzuarbeiten gedenkt, die in vielen dieser Disziplinen eine Rolle spielt. Das würde aber das oben (ironischerweise auf Basis von Sprache geführte) Argument nicht valider machen, da es sich hier um einen anderen Theoriekern handelt. Wichtig ist, dass hier deutlich wird, wie wenig Mahner sich mit den grundlegenden Begrifflichkeiten und Konzepten der Disziplinen auseinandergesetzt hat. Und wenn es dem Autor hier nicht an Grundlagenwissen mangelt, dann doch an einem Mindestmaß an sprachlicher Präzision.

Mahner hält in der Folge fest: „Dadurch sind die CS eng mit politischem Aktivismus verbunden (C).“ Auch das ist keine logische Folge aus dem vorhergegangen Argument. Dennoch macht Mahner einen völlig richtigen Punkt: Wissenschaft und Aktivismus sind im Kern zwei verschiedene Angelegenheiten. Man soll Aktivismus mit wissenschaftlichen Argumenten untermauern, wenn das möglich ist, aber man sollte sich stets der Tatsache bewusst sein, dass wissenschaftlicher Inhalt und aktivistische Ziele besonders in Bezug auf die angewandten Methoden voneinander getrennt werden sollten.

Wird dies missachtet, gerät man in Gefahr, in der Wissenschaft nur jene Fakten anzuerkennen, die den eigenen aktivistischen Zielen dienen. Jedoch haben selbst wissenschaftliche Glanzstücke wie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933), eine Studie, die als wegweisende Arbeit der empirischen Soziologie gilt, ihre Wurzeln in Politik und Aktivismus. Gleiches gilt für die feministischen Bewegungen, in denen die Gender Studies wurzeln und sowie der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, die die Critical Race Theory beeinflusst hat.

Es gibt in den von Mahner herangezogenen Disziplinen völlig selbstverständlich thematische Überschneidungen zwischen Wissenschaft und Aktivismus sowie personelle Korrelationen zwischen Wissenschaftler_innen und Akivist_innen. Doch dies kommt in allen Wissenschaftsformen und Forschungsthemen vor – besonders prominent lässt sich dies gegenwärtig in Fragen um den Klimawandel oder die Pharmakologie/Medizin im Nachgang der Pandemie beobachten. Nur weil ein Thema auch von Aktivist_innen behandelt wird oder weil der aktuelle Forschungsstand und aktivistische Forderungen übereinstimmen, bedeutet dies nicht, dass wissenschaftliche Forschung davon nicht trennbar wäre.

Mahner selbst fordert in seinem ABC-Schema unter Punkt (C) eine praktische Anwendbarkeit der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit ein. Im Falle der „Critical Studies“ aber setzt er es mit Aktivismus gleich, diese anzustreben. Mahners Kritik bezieht sich also eindeutig nicht auf die Methoden und die Strukturen der Fächer, die er vermutlich auch nicht zur genüge kennt, sondern auf deren Inhalte. Dieser Schluss beruht vermutlich auch auf seiner inkorrekten Darstellung der Disziplinen und der fälschlichen Gleichsetzung dieser mit Identitätspolitik. Er schreibt:

„Doch je enger sich die Verbindung von Wissenschaft und Aktivismus gestaltet, desto größer ist die Gefahr, dass das aktivistische Anliegen im Vordergrund steht und die wissenschaftliche Arbeit negativ beeinflusst. Forschung kann dann zur bloßen Bestätigungsforschung degenerieren, die nur noch dem Zweck dient, bestimmte theoretische bzw. in diesem Fall politisch-moralische Auffassungen empirisch zu legitimieren. Mit anderen Worten: Es besteht die Gefahr, dass Forschung ihre Ergebnisoffenheit verliert.“

Besonders kompliziert wird der Zusammenhang zwischen Forschenden und Forschung logischerweise in Fächern, die genau diese Verwobenheit zum Thema machen – die analysieren, wie tradierte, uns vielleicht gar nicht bewusste Wertsysteme und Hierarchien unser Denken und Urteilen beeinflussen. Wenn diese Beeinflussung das Forschungsthema ist, wenn eine Analyse dieser Beeinflussung das Forschungsziel ist, dann kann man nicht bei der Forschungsmethode die Nichtexistenz dieser Beeinflussung einfordern. Man muss sorgfältig überlegen, wie man auf möglichst ehrliche, rationale Weise mit dieser Beeinflussung umgeht.

Genau das ist ein vieldiskutiertes Thema in den hier als „Critical Studies“ zusammengebrachten Disziplinen und prägt deren inner- und interdisziplinären Diskurs. Dass der Umgang mit dieser Schwierigkeit immer auf vorbildliche Weise gelingt, wird niemand behaupten. Den „Critical Studies“ aber vorzuwerfen, damit größere Probleme zu haben als etwa die Physik, ist einem ehrlichen Diskurs ähnlich zuträglich, wie der Altbyzantinistik vorzuwerfen, sich im Gegensatz zur Chemie ständig mit längst vergangenen Zeiten zu befassen.

Es liegt nun einmal in der Natur des Faches. Dass die Trennung zwischen Aktivismus und Wissenschaft in den „Critical Studies“ nicht immer ausreichend sauber ist, mag stimmen. Das ist bei jungen Disziplinen, die hohen Anspruch auf soziale Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse legen, immer wieder der Fall, macht diese aber nicht pseudo- oder gar antiwissenschaftlich sondern zu Disziplinen, in denen besonderes Augenmerk auf die Forschungsmethoden gelegt werden muss.

Mahner aber schließt aus dem behaupteten (aber erneut nicht belegten) Nahverhältnis von Aktivismus und Forschung eine mangelnde Ergebnisoffenheit und er behauptet, dass

„[e]ine nicht (mehr) ergebnisoffene Forschung aber dazu [führt], dass die Theorien des Bereichs nicht (mehr) revidierbar sind. Damit gehen auch Irrtumsvorbehalt bzw. das Prinzip des Fallibilismus verloren – beides grundlegende erkenntnistheoretische Prinzipien (A) von Wissenschaft. Mit anderen Worten: Die Theorien in B können so kritikimmun werden und zum Dogma erstarren.

Die Tatsache der engen Verbindung von Theorie bzw. Fach (B) und Aktivismus (C), die mit einer starken Moralisierung von B und C einhergeht, stellt einen guten Indikator dafür dar, dass hier womöglich gegen Grundprinzipien von Wissenschaft verstoßen wird.“

Wenn nun aber das GWUP-eigene Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) Aktivismus gegen Homöopathie betreibt, wird die Kritik, die es äußert, dadurch weniger wahr? Natürlich nicht. Zudem gilt auch hier, was bereits oben angesprochen wurde: Ein solch schwerwiegender Vorwurf wie er hier pauschal gegen mehrere akademische Disziplinen erhoben wird, bedarf einer gewichtigen Evidenz. Syllogismen, deren Prämissen fehlerhaft sind, erlauben nicht, hier den Verdacht mangelnder Ergebnisoffenheit glaubhaft zu machen.

Mahner scheint es aber nicht wirklich um Akivismus an sich zu gehen, sondern um eine sogenanne „moralisierende“ Haltung, die zur vermeintlichen Kritikimmunisierung herangezogen werde. Er attestiert:

„Am dramatischsten dabei ist die kritikimmunisierende Funktion der Moralisierung: Sie führt dazu, dass Kritikern von A und B leicht unterstellt werden kann, sie wendeten sich „eigentlich‟ gegen moralisch-gesellschaftspolitische Anliegen und deren Umsetzung (C). Diese Kritikimmunisierung wird noch durch ein empirisches Argument gestützt: In der Tat ist es so, dass C oft aus politisch-ideologischen Gründen kritisiert wird, in aller Regel von Vertretern des politisch rechten Spektrums.

Zunächst sagt die Tatsache, dass eine Kritik aus einem bestimmten politischen Spektrum kommt, nichts über die Stichhaltigkeit der Argumente aus. Aus der Tatsache, dass C oft aus der rechten Ecke attackiert wird, folgt zudem weder, dass jede Kritik zwangsläufig eine politisch rechte Fundierung aufweist, noch, dass Kritiker von A und B das moralische Grundanliegen von C notwendigerweise ablehnen.“

Wie oben bereits angeführt, ist dies auch in den „Critical Studies“ und unter deren Befürwortern in aller Regel nicht der Fall. Hier wird eine Kritkimmunisierungsstrategie unterstellt, die jeglicher Grundlage entbehrt. Die Forschungsfelder an sich „moralisieren“ nicht, es sei denn man definiert Forschung zur Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse als inhärent moralisierend. Sollte dies der Fall sein, blieben die wenigsten Forschungszweige unberührt und auch Medizin, Ingenieurswissenschaften oder die bereits erwähnte Klimaforschung müssten sich neben den „Critical Studies“ einreihen.

Des weiteren wird der Vorwurf jegliche Kritik sei rechts motiviert nicht erhoben. Es wird und wurde lediglich darauf hingewiesen, dass ein Großteil der bisher im Rahmen der vereinsinternen Debatte geäußerten Kritik sich an Veröffentlichungen wie James Lindsays „Cynical Theories“ orientiert, was auch in diesem Text der Fall zu sein scheint – zumindest würde das einige der frappierenden Fehlannahmen erklären, die sowohl hier und bei Lindsay zu finden sind. Dass Mahner den Text an anderer Stelle für den Skeptiker glühend rezensiert hat, macht auch unmissverständlich klar, dass ihm der Text bekannt ist und dass er ihn, trotz der mangelnden Qualität, für hochwertig und stichhaltig hält.

Ironischerweise findet sich auch das Argument der vermeintlichen Vermengung von Aktivismus und Forschung sowie der Kritikimmunisierung durch „Framing als rechtspolitisch“ wortgetreu in der Einleitung zu Cyncal Theories. Hier schreiben die Autoren:

„Letztlich will das Buch eine liberale Kritik an der Social-Justice-Bewegung vorstellen und argumentiert, dass der ihr zugrunde liegende wissenschaftliche Aktivismus weder soziale Gerechtigkeit noch die Gleichheit innerhalb der Gesellschaft fördert. Gewiss werden sich einige Wissenschaftler in dem Feld, das wir kritisieren, abfällig über unsere Ziele äußern und behaupten, wir seien in Wahrheit Rechte, die wissenschaftliche Erkenntnisse über gesellschaftliche Ungleichheit in marginalisierten Gruppen torpedierten. Diese Sicht auf unsere Beweggründe lässt sich jedoch bei ehrlicher Lektüre unseres Buches nicht aufrechterhalten.“

[Im englischsprachigen Original ist sogar von „this scholarship-activism“ die Rede, einem Kernelemt der Verschwörungstheorie des Kulturmarxismus, der auch Lindsay nahesteht, wie sein Text „Race Marxism: The Truth About Critical Race Theory and Praxis“ (2022) eindrucksvoll belegt.]

Quellenanalyse sollte zum guten Handwerk jeder Person gehören, die sich an solchen Debatten beteiligt, und ein Hinweis auf den massiven rechts-politischen bis verschwörungsideologischen Bias eines Autoren wie James Lindsay ist nicht mit einer Einordnung jeder Kritik als rechtsextrem gleichzusetzen. Die an der Debatte beteiligten Gegner_innen der „Critical Studies“ sind bis heute nicht in der Lage, konkrete Fehler innerhalb der Disziplinen zur Diskussion zu stellen. Es handelt sich lediglich um abstraktes Geraune zu möglichen Problemen und potentiellen Schwächen, die auf einer Meta-Ebene diskutiert werden sollen, was auch hier in Mahners Papier der Fall ist.

Faktische Fehler dürfen und sollen (wie bereits eingangs betont) natürlich aufgearbeitet werden, und zwar in gutem skeptischen und wissenschaftlichem Stil: anhand konkreter Aussagen/Studien und nicht als abstrakte Attacke gegen ein gesamtes Wissenschaftsfeld von verschiedenen Disziplinen. Die in diesem Papier formulierte Kritik beruht auf Verdachtsdiagnosen und vagen Behauptungen, die einem Verschwörungsmythos nur noch in wenigen Punkten nachstehen: Die Rede ist von einer wirkmächtigen Strömung der „Critical Studies“, die moralisierend-aktivistisch agiert, pseudo- oder gar antiwissenschaftlich ist, und die angeblich zum Ziel hat Politik und Wissenschaft zu beeinflussen.

Viele der grundlegenden Prämissen, die Mahner hier zur Rechtfertigung einer Kritik an den Disziplinen heranzieht, sind nicht haltbar, was wir an einigen konkreten Punkten im vorliegenden Text aufgezeigt und besprochen haben. Viele der von Mahner angeführten Punkte lesen sich vielmehr als Kritik am Aktivismus selbst, als ein Versuch, diesem Aktivismus die Substanz zu entziehen, und nicht als aufrichtige, sachliche und informierte Kritik an den eigentlichen Disziplinen oder an deren Thesen. Von diesen werden hier nur schwache Strohmänner aufgebaut, die schon beim kleinsten Windhauch fallen.

Man könnte durchaus argumentieren, dass es ein lohnenswertes Betätigungsfeld für die GWUP wäre, die Trennlinien zwischen Wissenschaft und Aktivismus in konkreten Fällen zu analysieren sowie klar aufzuzeigen und zu kritisieren, wenn hier Kategorienfehler begangen werden. Man kann aktivistischen Forderungen völlig zu Recht mit dem Argument begegnen, dass es sich ab einem gewissen Punkt eben nicht mehr um Wissenschaft handle.

Aktivismus bewegt sich in einer politisch-moralischen Sphäre, in der es um Ideologien, um ethische Einschätzungen, um Abwägung unterschiedlicher Werte geht. Wissenschaftliche Erkenntnis bewegt sich in einer Sphäre der intersubjektiven Fakten. Jedoch ist die Ansicht, dass die wissenschaftliche Praxis frei von moralischen Fragestellungen und gesellschaftlichen Faktoren ist, falsch, naiv und sogar gefährlich. Diese Lehre sollten gerade wir als Skeptiker_innen aus der Pandemie gezogen haben.

Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass Kritik an „Critical Studies“ eben dieser Untersuchung und Klärung der Trennlinien zwischen Aktivismus, Wissenschaftsbetrieb und echter faktenorientierter Wissenschaft nicht dient. Im Gegenteil: Oft scheint es sich bei dieser Kritik selbst um ideologisch aufgeladenen Aktivismus zu handeln.

Sich selbst mit dem Begriff der Wissenschaftlichkeit zu schmücken, um seriöser zu wirken und so effektiver die eigene ideologische Sichtweise zu propagieren, ist ein unfairer Taschenspielertrick, den wir niemandem durchgehen lassen sollten.

Wer glaubt, mit ein paar simplen Zahlen eine hochkomplexe soziale Frage beantworten zu können, wer glaubt, mit einer Studie ein moralisches Problem lösen zu können, wer glaubt, mit eindimensionalen (pseudo)wissenschaftlichen Argumenten „Critical Studies“, „Wokeness“ oder ähnliche Konzepte widerlegen zu können, begeht genau den Kategorienfehler, der den von Mahner als „Critical Studies“ kategorisierten Disziplinen und Theorien vorgeworfen wird: Man vermischt Wissenschaft mit Ideologie und verfällt damit in Aktivismus – bei der naiven, allzu pauschalen Kritik an Disziplinen wie Queer Studies, Gender Studies, Post-Colonial Studies, Fat Studies, Disability Studies und Critical Race Theory handelt es sich lediglich um einen „anti-woken“ Aktivismus.

Auch diese Art von Aktivismus zu betreiben, ist im Rahmen einer Demokratie legitim. Aber dann sollte man ihn nicht als wissenschaftliche Argumentation tarnen – und weil es sich um Aktivismus handelt, gehört er nicht zum Betätigungsfeld der GWUP.

[1] Der Begriff der „Rasse“ erlaubt einen Einblick in die Bedeutung von Sprache im Kontext wissenschaftlicher und sozialer Fragestellungen sowie deren Schnittmenge. Der biologische Terminus wurde von Europäer_innen auf Menschen übertragen, wo er eine Hierarchie konstruierte: Weiße wurden als „echte Menschen“ höher eingestuft, als nicht-weiße Menschen, die als „Fast-Menschen“ verstanden wurden, die zwischen Tieren und Menschen einzuordnen seien.

Auch hier wurde „Weißsein“ als natürlich gegebene Normalität konstruiert, alle anderen als Abweichung der Norm abgewertet um die eigenen Herrschaftsansprüche, die Machtstrukturen und Privilegien sichern und legitimieren zu können. Über (angebliche) körperliche Merkmale wurden folglich soziale/kulturelle Ungleichheiten und mittels Zuschreibungen angebliche Verhaltensmuster konstruiert, die verallgemeinert, hierarchisiert und aus einer Herrschaftsposition heraus naturalisiert worden sind (vgl. Arndt, Johannes (2013): Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht GmbH & Co. KG: 17).

Artikelbild: Veja, rangizzz

 

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