Habeck hat nichts falsch gemacht: der rechte Pseudo-Skandal „AKW-Files“

Wenn man sich die Dokumente ansieht, die das rechte Medium „Cicero“ veröffentlicht hat, sieht man: Nichts. Es gab viele Bedenken und Probleme für eine Verlängerung der Atomkraft, aber auch gute Argumente für eine kurzzeitge Verlängerung bis März 2023. Die, die Habeck am Ende auch umgesetzt hat. Der Rest ist typisch rechte Panikmache bis hin zu Lügen, um den Fall aufzubauschen.

Das rechte Magazin „Cicero“ hat Dokumente aus dem Umweltministerium herausgeklagt. Es sind interne Dokumente der Ministerien aus dem Frühjahr 2022, die das Für und Wider für die Verlängerung der Atomkraft aufzeigen. Die Vorwürfe sind hochtrabend: „Täuschung“ und „Fälschung“ soll es gar gegeben haben. Um zu diesem Zerrbild zu kommen, werden ganz normale Vorgänge skandalisiert – und offenbar auch Falschbehauptungen aufgestellt. Auch ein Sprecher der FDP sieht kein Fehlverhalten bei Habeck und nennt es „völlig logisch entschieden“.

Lies hier, was in den „AKW-Files“ wirklich drin steht – ohne künstliche, rechte Schnappatmung. Volksverpetzer hat sich die veröffentlichten Dokumente angesehen – und kann weder neue Informationen noch „Fälschungen“ finden.

Vorab muss man eine Differenzierung klarmachen: Es gab auch gute Argumente für eine (kurzzeitige) Verlängerung der Atomkraft. Auch wir bei Volksverpetzer haben 2022 attestiert, dass diese etwas bringt – wenn auch so wenig, dass so eine große Diskussion darum unnötig war. Die Argumente waren ja auch so gut, dass auch die Anti-Atomkraft-Grünen sie letzten Endes umgesetzt haben! Das ist der Hauptgrund, warum es so bizarr ist, dass sich die rechten Ideologen jetzt so empören.

Mehr als das stand aber realistisch nie zur Debatte. Zumindest nicht mehr im Frühjahr 2022. Der öffentliche Diskurs zum Thema ist aber durch so massiv viel rechte Propaganda, Lobby-PR und Desinformation durchtrieben, dass es vielen nicht klar ist. Das war 2022 wie 2024 nicht anders:

Die Betreiber selbst waren schon gegen die erste Verlängerung und waren bei der endgültigen Abschaltung auch weiterhin dagegen. Der Atomausstieg wurde unter der Merkel-Regierung beschlossen (mitunter am lautesten von Söder gefordert) und größtenteils auch durchgeführt. Die meisten AKW hat die FDP abgeschaltet. Der Atomausstieg war schon größtenteils vollzogen, bevor die Ampel überhaupt an die Regierung kam. In allerletzter Sekunde entbrannte dann die Debatte um eine Verlängerung – als es sehr spät war. Und ja, Atomkraft ist sicherer, als es seine Gegner oft behaupten.

Die entscheidende Sache war natürlich die, dass Atomkraftwerke nicht einfach nur per Knopfdruck ausgemacht werden können oder „einfach“ so weiterbetrieben werden können. Oder man sie einfach später spontan wieder anmachen könnte. Es müssten neue Brennstäbe geliefert werden, und es braucht ja schließlich auch Wartung und eine Sicherheitsüberprüfung, die mit dem kommenden Ausstieg ja nicht durchgeführt wurden. Es war ja kein Geld, kein Personal und keine Pläne für den Weiterbetrieb vorgesehen, der Rückbau schon geplant oder begonnen. Darum waren und sind die Betreiber auch die ganze Zeit dagegen gewesen. Der Betreiber von Isar 2 erklärte auch letzten Herbst, dass die Anlage nicht mehr hochgefahren werden könne.

Es ging also entgegen vieler Forderung stets nur um eine kurzzeitige Verlängerung. Und auch zurzeit bei den „AKW-Files“. Daran denken, wenn rechte Politiker oder Medien hier so tun, als ginge es um etwas anderes. Kleiner Spoiler: Nichts anderes steht auch in den Dokumenten aus den „AKW-Files“. Und nochmal: Dies wurde auch von Habeck umgesetzt. Es ist ja nicht so, als seien Fakten nicht bekannt gewesen. Volksverpetzer schrieb das im Jahr 2022:

„Selbst eine Laufzeitverlängerung von einem Jahr hätte nur kleine Auswirkungen auf den Strom und Gasverbrauch (und wir reden hier über eine Verlängerung um ein Vierteljahr). Die Zahlen des BDEW (ein Verband von Energieunternehmen) sind ernüchternd. Im Endeffekt kommt die Rechnung des BDEW auf 3 TWh an Strom-Einsparungen durch längere AKW-Laufzeiten (Quelle).

Zum Vergleich: Deutschland verbraucht pro Jahr etwa 500 TWh Strom (Quelle). 155 TWh schafft allein die Windkraft pro Jahr (Quelle). Eine Analyse von „Energy Brainpool“ einem Beratungsunternehmen kommt zu ähnlichen Schlüssen. Danach würde der Weiterbetrieb nur 8.7 TWh Gas einsparen (Quelle). Das wäre weniger als 1 % des deutschen Gasverbrauchs (Quelle).“

Und ebenfalls zur Erinnerung: Im Winter 2022/23 blieben die panisch beschrienen Blackouts ebenso in weiter Ferne wie im Winter 2023/24 der „Kohlewinter“. Im Januar meldete das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), dass die erneuerbaren Energien im Jahr 2023 einen Rekordanteil an der öffentlichen Nettostromerzeugung hatten. 57,1 % der Stromerzeugung kam demnach aus erneuerbaren Quellen, allein 32 % wurde durch Windkraft gestellt.

Auch die Photovoltaik stellte einen neuen Rekord auf: Im Juni wurde mit 9 TWh so viel Solarstrom wie nie zuvor erzeugt. Gleichzeitig sank die Bruttostromerzeugung von Braunkohle um 27 % auf das Niveau von 1963, Steinkohle sogar um 35 % auf das Niveau von 1955. Die Atomkraftwerke, die Mitte April 2023 abgeschaltet wurden, hatten insgesamt noch einen Anteil von 1,5 % an der Stromerzeugung.

Habeck hat also die Laufzeitverlängerung durchgeführt und es ist ja auch nicht Schlimmes passiert, die Gruselszenarien sind ausgeblieben. Worüber regt sich die rechte Presse also auf? Dazu schauen wir uns endlich mal die veröffentlichten Dokumente genauer an.

Hier haben wir alle Dokumente verlinkt, auf die sich „Cicero“ in ihrem Artikel bezieht. Und die angeblich einen Skandal zeigen sollen. Die meisten sind einfach die Ergebnisse von Gruppen aus dem Ministerium. Sie sind ohne Abo verfügbar, sodass ihr euch selbst ein Bild machen könnt, und weder „Cicero“ noch uns blind vertrauen müsst. Die Dokumente zeigen klar, dass „Cicero“ hier einfach Dinge dazugedichtet hat, um einen Skandal zu erfinden. 

Erstmal ein Schreiben von RWE (!), das deutlich gegen einen Weiterbetrieb der AKWs argumentiert. Sie stellen fest, dass ein Weiterbetrieb “hohe Hürden” und “Risiken” mit sich bringt, ein Weiterbetrieb der AKW sei sogar “nicht mehr möglich”, habe “erhebliche” ökonomische Risiken und das nötige Personal sei “nicht  mehr vorhanden”.

In einem Schreiben aus dem Wirtschaftsministerium vom 3. März 2022 wird für einen Streckbetrieb argumentiert, im Gegenzug soll die Leistung im Sommer 2022 reduziert werden, sodass noch genug Energie in den Brennstäben ist. In dem Schreiben steht NICHT, dass diese Entscheidung jetzt getroffen werden sollte, sondern weiter geprüft werden sollte.

Ein weiteres Dokument vom ersten März befasst sich dann ebenfalls mit der Frage eines monatelangen Weiterbetriebs, aber diskutiert auch einen jahrelangen Weiterbetrieb. Hier werden nur die verschiedenen Szenarien aufgezeigt und deren Vor- und Nachteile. Eine kurzzeitige Verlängerung, wie sie von Habeck letztlich durchgeführt wurde, wird dort so kommentiert:

“Dies könnte grundsätzlich durch eine vollständige Ausnutzung des Streckbetriebs oder eine frühzeitige Leistungsreduktion erfolgen”.

Eine langfristige Weiternutzung wird dort nicht beurteilt, weil man die Betreiber befragen müsste, aber es wird eine lange, lange Liste an Bedenken, Problemen und Risiken aufgezählt zu Sicherheit, Personal, fehlenden Brennelementen, die wir ja inzwischen kennen.

Hier ist dann die überarbeitete Version 2 des Dokuments, die vom Abteilungsleiter überarbeitet und durch ein eigenes Fazit ergänzt wurde. Er hat zum Beispiel den Begriff “Kernkraft” durch “Atomkraft” ersetzt. Keine Ahnung, warum, aber okay. Und hier setzt dann der angebliche Vorwurf von “Täuschung” an. Laut dem rechten Medium und allen, die auf die Kampagne aufspringen, sei hier von einem Mitarbeiter des Ministeriums etwas „gestrichen“ oder „gefälscht“ worden. 

Nur: Die von „Cicero“ behaupteten Änderungen gab es dort nicht. „Cicero“ behauptet, es “fehlte die Aussage, dass eine echte Laufzeitverlängerung mit neuen Brennstäben für mehrere Jahre sicherheitstechnisch möglich wäre”. Erstens: Dass eine mehrere Jahre dauernde Laufzeitverlängerung sicherheitstechnisch möglich wäre, steht nirgends. In keinem der beiden Versionen. Das ist falsch. Zweitens, die Absätze zum langzeitigen Weiterbetrieb sind in beiden Dokumenten weiterhin drin. Hier ist er doch:

Wir hoffen, dass „Cicero“ nicht die Überschrift des Dokuments, die abgeändert wurde, damit gemeint hat. Im ersten Dokument sollten die möglichen mit der „nuklearen Sicherheit verträglichen Szenarien“ skizziert werden und in der Überarbeitung wurde es mit „Bewertung der Sicherheit“ betitelt.

Erste ÜberschriftZweite Überschrift

Es wäre extrem peinlich, wenn der ganze Pseudo-Skandal darauf fußt, dass Cicero die Überschrift des ersten Dokuments bereits als Wertung gelesen hätte und nicht als ergebnisoffene Überschrift. Bzw. als Ziel, dass man jene sicheren Szenarien erst noch finden will. Nicht, dass alle darin beschriebenen Szenarien sicher seien. Denn im Dokument wird dieses Fazit natürlich nicht gemacht, weil sie nicht alle Informationen dazu hatten, wie es darin auch deutlich steht. Wir haben dazu Cicero eine Anfrage geschickt, sie haben uns die Frage aber interessanterweise nicht beantwortet und nur auf die veröffentlichten Dokumente hingewiesen und, dass sich „Jeder Leser selbst ein Urteil bilden“ könne. Ob das ein Eingeständnis ist, darüber kann sich jeder Leser selbst ein Urteil bilden.

Im Gegenteil: Nur der Absatz zu “Endgültige Abschaltung” wurde gestrichen. Also das (ziemlich irrelevante) Szenario, dass die Abschaltung wie von der Merkel-Regierung geplant erfolgte.

Dieser wesentliche Absatz ist in beiden Dokumenten: “Ob langfristig ein unterbrechungsfreier Betrieb erfolgen kann, ist ohne Klärung unter Beteiligung der Betreiber, Hersteller und Landesaufsichtsbehörden sowie deren Gutachtern nicht zu beantworten.” Und zur Erinnerung: Die Betreiber waren die ganze Zeit dagegen. Es war weder realistisch noch ökonomisch.

Am Ende kommen in Version 2 mehrere Absätze hinzu, die verschiedene Argumente abwägen, übrigens auch Pro-Argumente für einen Weiterbetrieb: “Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass es in Deutschland im Hinblick auf das Ende der Laufzeit keine Abschwächung der Sicherheitsanforderungen gab.” Version 2 endet mit dem Fazit: “Eine Laufzeitverlängerung ist aus Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen.” Version 1 wurde also ergänzt und mit einem Fazit versehen. Nicht unüblich, wenn ein Dokument von einer Fachebene in eine Entscheidungsebene wandert. Es wurden aber, anders, als „Cicero“ behauptet, keine Absätze gelöscht. 

Der Rest der emotional geladenen Sprache von Cicero lässt einen fragend zurück, wenn man nicht auf die ideologischen Fallen hereinfällt.

„Der mit Grünen-Parteisoldaten besetzte Führungszirkel des Wirtschafts- und des für nukleare Sicherheit zuständigen Umweltministeriums hat alle wesentlichen Schritte unter sich ausgemacht.“

Cicero hat entdeckt, dass ein grünes Ministerium von den Grünen geleitet wird. Und die Verantwortlichen die Entscheidungen getroffen haben. Kein Wunder, dass Habeck jetzt die absurden Vorwürfe zurückweist

Zu „Nutzen, Chancen, Risiken, Hürden einer möglichen Verlängerung des Betriebs“ der deutschen Atomkraftwerke sei innerhalb des Ministeriums, zwischen Ressorts und mit den Kraftwerksbetreibern schon „frühzeitig eine breite, fundierte, offene und kritische Diskussion geführt und verschiedene Argumente gehört und gewogen“ worden, erklärte das Ministerium. „All diese Argumente sind in den Abwägungsprozess, die Meinungsbildung und die Ergebnisse eingeflossen.“, wie die Tagesschau zitiert.

Also fassen wir zusammen: Die neuen Dokumente liefern keine neuen Erkenntnisse oder Argumente, die nicht im Frühjahr 2022 ohnehin schon bekannt sind. Dass die Grünen, DIE Anti-Atomkraft-Partei, gegen Atomkraft waren, und ihr eigenes Ministerium leiten, ist auch weder neu noch ein Skandal. In den Dokumenten standen alle bereits öffentlich bekannten Pro- und Kontraargumente. Ein langer Weiterbetrieb ist sehr schwierig und teuer gewesen und ein kurzzeitiger Weiterbetrieb mit geringem Nutzen im Rahmen des möglichen gewesen. Und am Ende auch von Habeck trotz Widerständen der Grünen umgesetzt wurde. “Täuschungen” oder “Fälschungen” finden sich keine. Nun ja, außer in der rechten Medienkampagne gegen Habeck und die Grünen. 

Habeck hat keine aufgrund der Fakten falsche Entscheidung getroffen, es gibt keine “Fälschungen”, und ein kurzzeitiger Weiterbetrieb wurde letztlich auch umgesetzt. Aufgrund der Faktenlage und auch der in den “AKW-Files” präsentierten Fakten hat Habeck diese nachvollziehbaren Entscheidungen getroffen. Man kann diese Entscheidung nicht gutheißen, und auch der Meinung sein, dass die Risiken, Hürden und Kosten, die ein jahrelanger Weiterbetrieb mit sich gebracht hätte, es wert gewesen seien. Das ist eine legitime, demokratische Position. Auch Volksverpetzer fand eine (kurzzeitige) Verlängerung sinnvoll und widersprach Habeck.

Aber ebenso war die Entscheidung von Habeck legitim. Habecks Rücktritt zu fordern, weil der Minister Entscheidungen trifft, die sein Job sind, ist letztendlich zutiefst anti-demokratisch. Dass Habeck nicht die große Verantwortung für diese potentiell gravierende Entscheidung auf sich nehmen wollte, die die Union seit 2011 nicht machen wollte, ist zu akzeptieren. Wenn die Union oder die FDP den Weiterbetrieb gewollt hätte, hätte sie ja den Atomausstieg bis 2021 noch aufhalten können.

Es ist eine Schande für den deutschen Diskurs, dass schon wieder von Rechten, unseriösen Medien mit Desinformation und tendenziösem Framing ein Skandal inszeniert wird – und auch so viele demokratische Politiker aus der FDP oder Union darauf anspringen. Genau das ist das, was das Vertrauen in die Politik zerstört. Genau das, was die AfD und den Rechtsextremismus stärkt. Es passiert pausenlos und auch die seriösen deutschen Medien schaffen es nicht, diese Pseudo-Skandale einzufangen. Vielleicht sollte man jene „Parteisoldaten“ oder rechte Kampagnen-Medien grundsätzlich weniger ernst nehmen.

Artikelbild: penofoto

 

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