Keine Kästner-Lesung: Inszenierung der Neuen Rechten in Dresden geplatzt

Es sollte ein Propagandaerfolg der Neuen Rechten in Dresden werden: eine Lesung an diesem Donnerstag aus Erich Kästners „Schule der Diktatoren“. Organisiert von der mit Götz Kubitschek verbandelten Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, unter Teilnahme unter anderem der nach rechts abgedrifteten früheren Grünen-Politikerin Antje Hermenau. Und des Kabarettisten Uwe Steimle, aus dem die „pedigösen Floskeln“ wie „Volksverräter“ und „inszenierte Mediendemokratie“ nur so purzeln, wie es einmal in der „Sächsischen Zeitung“ hieß.

Jetzt sieht es so aus, als sei das Vorhaben mit der Kästner-Lesung, formell in Regie der Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger im Dresdner Stadtrat, endgültig geplatzt. Die jüngste Etappe: Die DDV-Mediengruppe, die unter anderem die führende Regionalzeitung „Sächsische Zeitung“ herausgibt, zog ihre bereits erteilte Zusage für die Raumvergabe im Haus der Presse wieder zurück.

Vorausgegangen war Ende vergangener Woche die Ansage des Züricher Atrium-Verlags, der die Rechte am Werk Kästners besitzt. „Der Atrium-Verlag erteilt grundsätzlich keine Lesungsrechte aus den Werken Kästners an politische Parteien und Wählervereinigungen“, hieß es in dessen Begründung für das Veto.

Zwar hatten die Freien Wähler am Wochenende versucht, das Blatt quasi in letzter Minute noch zu wenden – indem sie kurzfristig die „Lesung aus“ in eine „Diskussion über“ umdeklarierten. Mit allerdings denselben Akteuren, also wieder Dagen, Hermenau und Steimle. Auch an der perfiden Instrumentalisierung von Kästner, der in diesem Jahr seinen 50. Todestag hat, sollte sich nichts ändern.

Und fast hätten die rechte Wählervereinigung mit diesem Taschenspielertrick auch Erfolg gehabt. Denn noch am Montag ließ der Atrium-Verlag über seinen Rechtsanwalt mitteilen, der Verlag nehme lediglich die urheberrechtlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte am Werk Erich Kästners wahr. Die Lesung sei nicht gestattet worden. Der Atrium-Verlag habe „aber keine rechtliche Handhabe, ein Gespräch über Erich Kästner zu unterbinden“.

Nur: Inzwischen war dann auch beim Verlag der „Sächsischen Zeitung“, der „Morgenpost“ in Sachsen und des Online-Portals „Tag 24“ aufgefallen, dass die Raumzusage an Akteur:innen der Neuen Rechten und ihre Mitstreiter:innen leichtfertig gegeben worden war. Es blieb unklar, ob im Verlagshaus Naivität im Spiel war oder ob Entscheidungsträger:innen im Verlag Sympathien mit Akteur:innen am rechten Rand des politischen Spektrums haben.

Diskussionen in den örtlichen Redaktionen der DDV-Mediengruppe hatte es gegeben: „Mir wäre es, ehrlich gesagt, lieber gewesen, das Haus der Presse (in dem ich selbst arbeite), hätte eine entsprechende Sensibilität an den Tag gelegt, wie es das Programmkino Ost und der Verlag Kästners tut“, schrieb beispielsweise Eric Hofmann auf X, ein Redakteur der in Sachsen erscheinenden „Morgenpost“.

DDV-Verlagssprecherin Heike Falta hatte vergangene Woche erklärt, Räume im Haus der Presse würden regelmäßig an verschiedenste Veranstalter vermietet. Die „Sächsische Zeitung“ habe „keinerlei Verbindung zu den Veranstaltern“.

Am Dienstag dann begründete Falta auf Volksverpetzer-Anfrage den Rückzieher:

„Mit dem mittlerweile erfolgten Einspruch des Verlages zur Lesung änderte sich auch für uns eine wesentliche Vertragsgrundlage. Denn die Veranstaltung wurde als Lesung, bei der die Literatur Erich Kästners im Zentrum steht, bei uns angemeldet und genau als solche auch von uns bestätigt.“

Nachdem „ohne jede Rücksprache“ der Abend „in eine reine Diskussionsrunde umgewandelt“ werden solle, „haben wir uns entschieden, von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen und bereits am gestrigen Montag die Absage zur Nutzung unserer Räumlichkeiten an den Veranstalter versandt“.

Ob die Kästner-Veranstaltung kurzfristig noch an einen anderen Ort umverlegt wird, war am Dienstag offen. Schon die Landeshauptstadt hatte die Vergabe städtischer Räume verwehrt, später zog auch das renommierte Programmkino Ost eine Raumzusage zurück. „Wir als Programmkino möchten nicht in Verbindung gebracht werden mit der Bewegung der Neuen Rechten“, sagte der Geschäftsführer des Filmtheaters, Sven Weser, zur Begründung.

Noch im November vergangenen Jahres war es den Freien Wählern gelungen, eine Lesung aus Victor Klemperers Buch „LTI“ über die Sprache des Dritten Reiches durchzuziehen – gegen anfänglichen Widerstand des Reclam-Verlags und auch der Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke).

Die Freien Wähler in Sachsen arbeiten seit längerem daran, die Brandmauer gegen die extreme Rechte einzureißen. Nachdem der Bundesparteitag der Freien Wähler im Februar in Bitburg ein Kooperationsverbot mit der AfD beschlossen hatte, hielten die Freien Wähler in Sachsen dagegen. Sie forderten auf Facebook „einen offenen Dialog mit politischen Kontrahenten“ und lehnten Brandmauern explizit ab. Die Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger im Dresdner Stadtrat bekräftigte damals: „Wir reden mit jedem. Wenn es der Stadt und den Bürgern nutzt. (…) 1989 haben wir Mauern abgerissen und wir bauen 2024 keine neuen Mauern auf!“

Eine Schlüsselrolle bei diesem Treiben spielt die Buchhändlerin und Verlegerin Susanne Dagen, stellvertretende Vorsitzende der Stadtratsfraktion der Freien Wähler und ihre kulturpolitische Sprecherin. Sie macht bei ihren öffentlichen Auftritten und bei Äußerungen in den sozialen Medien kein Geheimnis aus ihrer Gesinnung. Als vor ein paar Tagen Tilo Jung ein Interview mit dem ultrarechten Spitzenkandidaten der AfD bei der Europawahl, Maximilian Krah, veröffentlichte, postete Dagen auf Facebook: „Das funzt“.

In der Verlagsreihe „Exil“ bietet Dagen allerhand Autor:innen eine Bühne, die mit der Demokratie gebrochen haben. Zu ihnen gehört beispielsweise der „exzentrische Westjurist“ Helmut Roewer (Martin Debes in seinem Thüringen-Buch „Deutschland der Extreme“), der nach „Corona-Diktatur“ 2021 dem Vernehmen nach bereits demnächst sein zweites Buch im Dagen-Verlag feilbieten möchte.

2023 veröffentlichte die Edition Buchhaus Loschwitz den Titel „Medienmärchen“ des früheren Deutschlandfunk-Redakteurs Burkhard Müller-Ullrich – eine Abrechnung mit „Gesinnungstätern“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Müller-Ullrich, inzwischen Chef des von Björn Höcke gelobten Internetradios Kontrafunk, bilanziert: „Das ganze Rundfunkbiotop ist gekippt. Versifft, verseucht, unsanierbar.“ Im Vorwort gefeiert wird Müller-Ullrich vom Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp, auch der ein Kumpel von Dagen.

Kompliziert bleiben die Kontroversen – auch nach der Absage des Verlagshauses der „Sächsischen Zeitung“ an die Freien Wähler. Denn beständig gepflegt wird von der extremen Rechten das Narrativ, dass man in Deutschland nicht mehr alles sagen dürfe.

Das Szenario, konkret bezogen auf die Kästner-Veranstaltung der Freien Wähler, hatte Michael Nattke, der Geschäftsführer des Kulturbüros Dresden, vergangene Woche vorausgesagt: „Die Idee dahinter ist vor allem die Provokation einer Reaktion des politischen Gegners. Wer diese Lesung kritisiert oder dagegen vorgeht, kann schnell als derjenige dargestellt werden, der die Meinungsfreiheit oder kulturelle Freiheit einschränken wolle.“ Dieser Weg werde von rechtsextremen Vordenkern wie Götz Kubitschek seit Jahren propagiert und sei „rechte Selbstverharmlosung par excellence“.

Artikelbild: canva.com

 

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