Wusstest du, dass Deutsche in Österreich überdurchschnittlich kriminell sind? In manchen Bundesländern führen Deutsche mit Abstand die Liste der tatverdächtigen Nationalitäten an. 2023 wurden 14.727 Deutsche in Österreich tatverdächtig, dabei leben 232.786 Deutsche dort, was sie weit überdurchschnittlich tatverdächtiger macht als einheimische Österreicher. Sind Deutsche nicht integrierbar? Sind sie eine Bedrohung für den sozialen Frieden in Österreich? Liegt es an der Kultur, Religion oder den Vornamen?
Du weißt natürlich, dass das Blödsinn ist und die Staatsangehörigkeit nichts damit zu tun hat. Und auch, dass das eine manipulative Rechnung ist: Denn Deutsche können auch in Österreich Straftaten verüben, ohne dort zu wohnen. Die dort Lebenden haben nichts damit zu tun. Kein Wunder, dass sie so “überproportional kriminell” erscheinen. Wenn man aber Vorurteile gegen Deutsche schüren wollte, könnte man diesen oder andere Tricks und Zahlen aus der PKS anwenden, um dich dazu manipulieren, zu glauben, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Herkunft. Genau das, was BILD, AfD & Co. tagtäglich leider sehr erfolgreich tun.
Hier ein paar Fakten von Kriminalitätsexperten, die du selten in dicken Buchstaben auf Titelseiten oder auf Sharepics liest: Ob jemand kriminell wird oder nicht, hängt vor allem von drei Faktoren ab: Alter, Geschlecht und Wohlstand. Junge Männer aus prekärer sozialer Lage beispielsweise begehen viel wahrscheinlicher eine Straftat als eine weibliche Seniorin. Unabhängig davon, wo sie geboren sind oder welchen Pass sie haben. Deshalb sind junge Deutsche auch mal viel krimineller als anerkannte Asylbewerber.
Wusstest du, dass die Zahl ausländischer Tatverdächtiger von Gewaltverbrechen 2023 leicht ZURÜCKgegangen ist? Dass das Verhältnis der Straftaten mit ausländischen Tatverdächtigen im Vergleich zu der ausländischen Wohnbevölkerung im Vergleich zu vor der Pandemie sogar leicht gesunken ist? Wusstest du, dass die Jahre 2017 bis 2022 übrigens die sechs Jahre mit der niedrigsten Anzahl von Straftaten seit der Wiedervereinigung waren? Vermutlich hörst du das zum ersten Mal. Denn was BILD, AfD & Co. die letzten Jahre so für Panik verbreitet haben, damit du Ausländer hasst, klang überhaupt nicht danach, oder? Niemand hat in den letzten Jahren getitelt: “Ausländer haben Deutschland sicherer gemacht”, weil diese Verwechslung von Korrelation und Ursache offensichtlich Blödsinn ist. Umgekehrt wird dieser Kurzschluss aber ständig gemacht.
Vermutlich hattest du sogar den Eindruck, dass alles seit Jahren immer gefährlicher geworden wäre, obwohl Deutschland jahrelang so sicher war wie noch nie. Kein Wunder, denn wie eine Studie feststellte, wurden in deutschen Medien die weitestgehend gesetzestreuen und friedlichen Schutzsuchenden massiv als Gefahr und negativ dargestellt, und es wurden “überproportional schwere Straftaten” thematisiert, während eine andere zeigte, dass sie weit überproportional mit Kriminalität in Verbindung gebracht wurden. Beide Studien machten die BILD als größten Übertäter aus.
Du siehst, wie sehr die öffentliche Wahrnehmung vergiftet wurde und wie kaputt der Diskurs. Was wir notgedrungen überspitzt im Titel als „belogen“ und „verschweigen“ bezeichnet haben.
Eine weitere Tatsache, die derzeit im Diskurs oft übersehen wird: Mehr Menschen begehen natürlich auch mehr Straftaten. Ja, offensichtlich, denkst du dir vielleicht. Wenn einer von 100 im Jahr 1 eine Straftat begeht, aber im nächsten Jahr sich die Zahl der Leute verdoppelt und dann 2 Straftaten begangen wurden, dann gab es einen Anstieg der Straftaten, aber es wurde nicht zwangsläufig unsicherer. Und sagt auch nichts über die Neuzugänge aus. Aber diese Offensichtlichkeit wird zur Zeit auch gerne ignoriert.
Ja, die Zahl der Straftaten ist laut der kürzlich veröffentlichten, Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2023 angestiegen, was nach den Niedrig-Rekord-Zahlen der Pandemie (und der Jahre zuvor!) auch erstmal nicht so fatal klingen muss, wie es viele übertreiben wollen. Der Anstieg hatte mehrere Gründe. Darunter können vermehrtes Anzeigeverhalten, mehr Ermittlungen der Polizei, und wichtiger: Beendigung der Corona-Maßnahmen und natürlich mehr Bevölkerung allgemein in Deutschland zählen. Insbesondere die Menschen, die aus der Ukraine flohen, haben 2022 und 2023 die Bevölkerung um knapp 1,5 Millionen steigen lassen.
Was dir auch fast keiner sagen wird: die Gesamtzahl der Straftaten ist auch nicht absurd gestiegen und liegt 2023 immer noch unter dem Wert von 2009. Nicht gerade ein Jahr, an dass du dich vermutlich als Sodom und Gomorrha erinnerst. Nach der weitverbreiteten Logik war 2009, also lange vor den Fluchtbewegungen in 2015/16 und in 2021/22 unsicherer als heute – wegen der zu vielen Deutschen? Nicht genug Schutzsuchende? Wie Stephan Anpalagan im Presseclub erklärte: Es sind immer die gleichen rassistischen Geschichten, wie in den 1960er Jahren mit Italienern oder in den 90ern über Spätaussiedler oder Ostdeutsche:
Haben Schutzsuchende also Deutschland sicherer gemacht? Natürlich nicht. Das wäre eine genau so absurde Kurzschlussfolgerung wie die gegenteilige Aussage. Und weder ein Anstieg (nach vielen Jahren des krassen Sinkens!) der Anzahl der Tatverdächtigen, noch ein unseriöses Aufrechnen von Verhältnissen, die fundamental auf Denkfehlern beruhen, belegen das Gegenteil. Das ist natürlich nicht so sexy und so attraktiv für die Hetz-Medien von BILD und die rechtsextreme AfD, die Rassismus schüren will, um an die Macht zu gelangen. In diesem Artikel erklären wir dir alles, was du zur PKS wissen musst, um die Lügen der Rechten zu Kriminalität zu durchschauen:
Zuerst einmal ein paar Grundlagen: Die PKS ist lediglich ein Tätigkeitsbericht der Polizei und bildet nicht die wirkliche Entwicklung der Kriminalität in Deutschland ab. Das hat viele Gründe. Zunächst einmal gehen in die PKS nur die Straftaten ein, die von der Polizei erfasst werden. Das kann über eigene Ermittlungen der Polizei geschehen oder darüber, dass Menschen Anzeige erstatten. Wird in einem Jahr mehr kontrolliert oder mehr angezeigt oder beides, gibt es logischerweise auch mehr Fälle, die in der PKS auftauchen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht zwingend, dass es unterm Strich auch mehr Kriminalität gab in einem Jahr im Vergleich zum anderen. Die PKS leistet also im besten Fall nur eine Vergleichbarkeit von polizeilicher Aktivität über verschiedene Jahre hinweg.
Diese Verzerrung wird auch als Lüchow-Dannenberg-Syndrom bezeichnet. Das geht zurück auf den Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen, wo 1981 wegen der Atommülltransporte nach Gorleben verstärkt Polizei eingesetzt wurde. Natürlich gab es aber keine 24/7-Proteste gegen die Atommülltransporte, weswegen die zusätzlich eingesetzte Polizei die dortige Polizei verstärkte. Du ahnst es: durch mehr Personal konnten eben auch mehr Kontrollen durchgeführt werden, was zu einem rasanten Anstieg der dortigen Zahl an Tatverdächtigen führte. Das bedeutete aber nicht, dass Lüchow-Dannenberg auf einmal viel krimineller wurde – es wurde eben nur mehr kontrolliert.
Das nur als kleiner Exkurs, damit du dir besser vorstellen kannst, wie verstärkte Kontrollen zu einer breiteren Aufdeckung des Dunkelfelds von Straftaten führen können. Aber zurück zur PKS. Die PKS spiegelt die Anzahl der ermittelten Straftaten wider, nicht die der tatsächlich eingegangenen. Denn es gehen nur die Straftaten in die PKS ein, die von der Polizei “ausermittelt” wurden und an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Wenn beispielsweise die Anzahl der Mordfälle in einem Jahr erhöht ist, müssen die Morde nicht unbedingt in diesem Jahr geschehen, sondern nur eben in diesem Jahr an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden sein.
Nehmen wir die Jahre 2016 und 2017 als Beispiel, wie in einem vergangenen Volksverpetzer-Artikel erläutert. Laut offiziellen Statistiken der BKA aus den Jahren 2016 und 2017 war die Anzahl der Opfer vorsätzlicher Tötungen (Morde & Totschläge) dramatisch angestiegen im Vergleich zum Vorjahr. Das lag aber nicht an Schutzsuchenden, sondern an zwei deutschen Massenmördern.
308 Opfer, immerhin ganze 20% der Opfer aus den Jahren 2016 und 2017, gingen allein auf das Konto von zwei Massenmördern. Andreas Lubitz, der als Kopilot den Germanwings-Flug 9525 absichtlich zum Absturz brachte und dabei 149 Menschen und sich selbst tötete. Und der Serienmörder Niels Högel, der die größte Mordserie der bundesdeutschen Kriminalgeschichte begangen hatte. Der Absturz war 2015 und die Mordserie zwischen 1999 bis 2005. Aber sie wurden erst 2016 (Anmerkung Seite 33) und 2017 (Anmerkung Seite 68) abschließend ausermittelt und dann aufgenommen. Klar sind das Ausnahmen, aber du siehst, wie die Statistik verzerrt werden kann – und dann von Rechten instrumentalisiert wird.
Wie der Journalist Tobias Wilke auf Twitter feststellte, wie der General-Anzeiger Bonn einmal einen Anstieg der Körperverletzungen mit „Ausländern“ in Verbindung brachte, um am Tag darauf festzustellen, dass 11 % aller Körperverletzungen auf einen Deutschen zurückgingen, der die Statistik damit nach oben verzerrte.
Ein weiterer zentraler Punkt: Es gibt einen großen Unterschied zwischen “Tatverdächtigen” und “Tätern”, obwohl der Begriff in vielen Medien nahezu synonym verwendet wird. Denn bei einem „Täter“ gäbe es eine aufgeklärte und verurteile Straftat, ein „Tatverdächtiger“ ist – nur ein VERDACHT, wie der Name schon sagt. Irreführend und falsch ist auch die Behauptung, solche Fälle seien „polizeilich aufgeklärt“. Wird ein Tatverdächtiger ermittelt, ist die Tat alles andere als „aufgeklärt“. Im Gegenteil: Tatsächlich werden nur etwa 30 Prozent der in der PKS ermittelten Tatverdächtigen schlussendlich auch verurteilt.
Zwei Faktoren sind hier relevant: Zum einen gibt es das längst bekannte Phänomen der „Überbewertung“ der Polizei. Diese nimmt Straftaten regelmäßig schlimmer auf, als sie am Ende abgeurteilt werden. „Beispielsweise bleiben von Delikten, die von der Polizei noch als „versuchter Mord“ erfasst wurden, vor Gericht häufig nur „Gefährliche Körperverletzungen“ übrig“, schreibt der Journalist Tobias Wilke, der das Thema bereits öfter für Volksverpetzer behandelt hat. Ein Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung wird von der Polizei zum Beispiel als Tötungsdelikt erfasst.
Screenshot Tobias Wilke
Im BKA-Lagebild steht (fast schon versehentlich) der Hinweis, dass diese „Überbewertung“ bei „Zuwanderern“ wohl massiv der Fall ist. Bei „Zuwanderern“ lag die Quote „vollendeter“ Tötungsdelikte zum Beispiel 2021 bei nur 18,9%. Insgesamt war sie aber mehr als doppelt so hoch: 43%.
Screenshot Tobias Wilke
Diese Zahlen stellen alle einen VERDACHT dar, auch der Polizei. Hier füttern Vorurteile wieder Vorurteile: Es gibt per Definition Racial Profiling, auch Vorurteile unter Beamt:innen, die sicherlich ebenfalls einen Faktor spielen.
Wichtig zu wissen ist ebenfalls, dass Personen, die als “nicht-deutsch” gelesen (aka von Deutschen rassistisch vorverurteilt werden), häufiger angezeigt werden. Daraus kann sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Angehörige von Minderheiten ergeben, angezeigt zu werden. Nicht nur können Polizist:innen also dazu tendieren, auf Grundlage von Rassismus ausländisch gelesene Menschen häufiger zu kontrollieren, auch Nicht-Beamte können dazu tendieren, Menschen, die sie als “fremd” wahrnehmen, überproportional häufig anzuzeigen.
Warum Zuwanderer:innen häufiger angezeigt werden, kann auch daran liegen, wo sie sich gerade befinden. Beispielsweise ist das Personal in Erstaufnahmeeinrichtungen geschulter, bei Konfrontationen direkt die Polizei zu rufen.
Wie oben schon erwähnt, fasst die Kategorie “Nichtdeutsche” in der PKS sehr viele verschiedene Gruppen zusammen. Die haben aber eigentlich gar nichts miteinander zu tun. Es fallen Geflüchtete, Tourist:innen, Geschäftsreisende, Grenzpendler:innen sowie Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, aber keinen deutschen Pass haben, darunter. Wieso gibt es dann diese Kategorie überhaupt noch?
Du siehst: Millionen nicht-deutsche Europäer können einfach nach Deutschland einreisen und hier Straftaten begehen. Es ist maximal unfair, das den hier lebenden „Ausländern“ anzukreiden. Ein fataler statistischer Denkfehler, der jedes Jahr wieder aufs Neue passiert. Demnach sind zum Beispiel Deutsche in Österreich viel „krimineller“ als Österreicher – oder hat der Vatikan die größte Ausländerkriminalität der Welt. Das hat nichts damit zu tun, dass es dich kriminell macht, eine andere Staatsbürgerschaft zu haben. Umgekehrt fließen Straftaten von Deutschen, die im Ausland begangen werden, ja auch nicht in die PKS ein.
Die Unterteilung zwischen “Deutsch” und “Nichtdeutsch” ergibt also keinen Sinn und schürt lediglich rassistische Ressentiments.
Du siehst also: Wir sollten nicht so tun, als ob die PKS abschließend exakt sagt, wer welche Straftaten begangen hat. Sie kann es nicht. Bestimmte Parteien und Medien gaukeln uns das aber leider viel zu häufig vor. Verschiedene Faktoren verzerren es noch zu Ungunsten von Menschen mit Migrationshintergrund oder nicht-deutschem Pass. Hier aber zunächst die Rohdaten der PKS 2023: Die Zahl der von der Polizei registrierten möglichen Straftaten ist 2023 um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, also von 5.628.584 Fällen in 2022 auf 5.940.667 Fälle in 2023. Laut PKS kam es zu 8,6 % mehr Gewalttaten als im Vorjahr. Von den Tatverdächtigen haben 41 Prozent keinen deutschen Pass, da sind jedoch die Straftaten mitgezählt, die nur von Nichtdeutschen begangen werden können, also zum Beispiel Verstöße gegen das Aufenthalts- oder EU-Freizügigkeitsgesetz. Die BILD nahm, wie jedes Jahr, die PKS zum Anlass für eine ihrer reißerisch-hetzerischen Berichte.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist eindeutig, welche Faktoren Kriminalität bedingen. Leider interessieren sich derzeit (und auch meistens) herzlich wenig Menschen und auch viele der lauten Medien für diese Faktoren. Warum? Sie können nicht so emotional aufgebauscht werden wie das Thema Zuwanderung. Anders als du aber jemals in der BILD lesen wirst, gibt es drei Kriminalitätsindikatoren, die ziemlich verlässlich sind: Geschlecht, Alter und soziale Lage. Rund 75 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich, bei der Gewaltkriminalität sind es 90 Prozent, bei besonders schwerer sexueller Nötigung (Vergewaltigung) sind es fast 99 Prozent.
Menschen, die von Arbeitslosigkeit und/oder wenig Bildungsmöglichkeiten betroffen sind, neigen zu mehr Gewaltbereitschaft, bei Deutschen genau wie bei anderen Nationalitäten. Grundsätzlich sind Männer gewaltbereiter als Frauen, unter anderem weil Männlichkeit leider immer noch toxisch mit „Stärke“ und „Kraft“ verbunden ist. Ja, es ist wahr: Anerkannte Asylbewerber sind UNTERdurchschnittlich kriminell.
Das Bundeskriminalamt (BKA) schreibt sogar selbst über ihre eigene Kriminalstatistik in der PKS: Die Daten dürften „nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden. Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu. Einem wertenden Vergleich zwischen der deutschen Wohnbevölkerung und den sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stehen (auch) das doppelte Dunkelfeld in der Bevölkerungs- und in der Kriminalstatistik sowie der hohe Anteil ausländerspezifischer Delikte und die Unterschiede in der Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur entgegen.“
Wenn sogar das BKA selbst einsieht, wie wenig die PKS über die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung (insbesondere in Bezug auf “Ausländer”) aussagt, wieso wird sie dann medial und politisch jedes Jahr aufs Neue so aufgebauscht? Weil es natürlich im Interesse gewisser politischer und medialer Gruppen ist, massiv Rassismus zu schüren. Gründe für Kriminalität (Geschlecht, wirtschaftliche und soziale Lage) sind nicht erst seit 2024 bekannt. Wieso benennt die Politik die wahren Probleme, nämlich, dass viele Menschen in Deutschland in prekären Lagen leben, jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist, es immer weniger Wohnraum gibt, nicht beim Namen und gestaltet dringend benötigte Lösungsansätze? Aber nein, stattdessen werden jahrein, jahraus immer dieselben rassistischen Ressentiments bedient und die mediale Stimmungsmache für rechte Narrative erhält Zustimmung, ohne auch nur ansatzweise faktenbasiert zu sein.
Warum die Zahl von registrierten Straftaten in einem Jahr höher ist als in einem anderen, kann viele Gründe haben. Wie oben erklärt, kann z.B. die Polizei mehr ermittelt haben oder es wurde mehr angezeigt. Und, ganz wichtig: Je mehr Menschen in Deutschland leben, desto mehr Kriminalität kann es geben.
Durch den Krieg Russlands in der Ukraine, durch die schwierige humanitäre und menschenrechtliche Lage in Afghanistan und durch viele weitere Krisenherde kamen in den letzten Jahren mehr Menschen nach Deutschland, die meisten sind geflohen. In absoluten Zahlen führen mehr Menschen in Deutschland natürlich offensichtlich erst mal zu mehr “ausländischen” Tatverdächtigen, es sind auch mehr “Ausländer” da, aber absolute Zahlen sagen nicht viel aus, wenn sie nicht ins Verhältnis gesetzt werden. Und da ist das Ergebnis eindeutig: Im Verhältnis zur ausländischen Bevölkerung ist die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit Wohnsitz in Deutschland seit 2019 stabil, sie ging sogar leicht zurück, und zwar von 45,3 Tatverdächtigen je 1.000 Einwohner auf 45,1 Tatverdächtige. Eine Schlagzeile, die die BILD niemals bringen würde.
Zumindest gibt es jedoch noch ein paar Medien, die sich die Mühe machen, statistisch sauber zu arbeiten und Zahlen ins Verhältnis zu setzen. So zum Beispiel die ZEIT, die darauf aufmerksam macht, dass die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit Wohnsitz in Deutschland im Verhältnis zur ausländischen Bevölkerung in Deutschland 2023 leicht zurückging (siehe oben, so aussagekräftig ist dieses Verhältnis aber natürlich nicht). Wichtig ist dabei auch der Zusatz “mit Wohnsitz in Deutschland”. Denn in die PKS gehen unter “Nichtdeutsche” auch beispielsweise Tourist:innen ein, oder Ausländer:innen, die kurz nach Deutschland ein- und wieder ausreisen, oder Geschäftsreisende, Grenzpendler:innen etc. Du siehst: Die Kategorie „nicht deutsch“ ist maximal vage und sehr wenig aussagekräftig. Fun Fact: Bereits eine ca. fünfstündige Autofahrt macht Deutschland für mehr als 100 Millionen nichtdeutsche Europäer leicht erreichbar, wie Journalist Tobias Wilke für Volksverpetzer bereits einmal feststellte.
Auch das Ende der Corona-Pandemie kann einen nicht zu unterschätzenden Einfluss in die PKS 2023 haben. Es sind schlichtweg die Möglichkeiten, Straftaten zu begehen, wieder gestiegen, so banal das klingt. Durch Lockdowns und Bewegungseinschränkungen gab es logischerweise weniger (sichtbare, ermittelbare) Kriminalität – das hat sich 2023 geändert. Und umgekehrt: Die Unsicherheit und Angst und finanziellen Notlagen der Pandemie erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit für Kriminalität.
Das Problem, das wir jedoch jedes Jahr aufs Neue haben, ist die Überpolitisierung der PKS und das bewusste Schüren von Panik vonseiten der rechten Medien. Das grundlegende Problem ist dabei, dass die PKS schon vom Bundeskriminalamt “politisch gefärbt” herausgegeben wird. Die Variablen “Deutsch” vs. “Nicht-Deutsch” werden als angeblich wichtige Faktoren aufbereitet, den Faktor “Geschlecht” dagegen muss man sich selbst aus den Tabellen herauslesen.
Darüber hinaus liegt die PKS der Springer-Mediengruppe vor allen anderen Medien und bereits vor der eigentlichen Veröffentlichung vor. Zeitungen wie die “BILD” oder “Welt” besitzen so die Macht, den Diskurs zu manipulieren. Dass das bei Axel-Springer das erklärte Ziel ist, wissen wir nicht erst seit den “Please Stärke die FDP”-Leaks. Viele Medien schreiben dann erstmal von ihrer verzerrten Berichterstattung ab, so zum Beispiel jüngst die Tagesschau, die zunächst von der “Welt” kopiert, Zahlen uneingeordnet stehen lässt und dann ohne Transparenzhinweis ihren Beitrag ergänzt hat, wie der Journalist Tobias Wilke auf Twitter dokumentierte:
Natürlich gibt es auch etliche gute Artikel, die die Zahlen einordnen, nicht aufheizen, und von Experten erklären lassen. Für diesen Artikel hier bezogen wir uns in der Recherche auf viele, wie zum Beispiel bei ZEIT oder Übermedien. Reflektierte Beiträge jedoch erst dann zu veröffentlichen, wenn die rassistische Debatte über “Ausländerkriminalität” bereits vollends entfacht ist, bringt wenig bis gar nichts mehr. Besonders, wenn die guten Artikel (nachvollziehbarerweise) hinter einer Paywall stecken und es die Hetze gratis an jeder Ecke gibt. Das ist jedoch nicht nur ein Problem, wenn die PKS jedes Jahr veröffentlicht wird. Eine Langzeitanalyse hat gezeigt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bildet Migranten viel schlechter ab als sie sind. Während deutsche Medien den absoluten Großteil der Tatverdächtigen – Deutsche – fast immer totschweigen, werden Delikte mit Tatverdächtigen nicht deutscher Herkunft fast immer genannt. Hier gibt es eine kollektive Schieflage.
Dabei gibt es auch 2023, auch mit Fokus auf die Entwicklung in der Gewaltkriminalität, einen Grund zur Entwarnung, was Zuwanderung angeht, denn: Die Zahl ausländischer Tatverdächtiger von Gewaltverbrechen ist sogar leicht ZURÜCKgegangen, wie die ZEIT berechnet hat. In absoluten Zahlen gerechnet steigt die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen von Gewaltverbrechen, in Relation zur Zuwanderung gesetzt ging sie jedoch zurück!
Screenshot Quelle: Zeit
Die Zeit schreibt selbst dazu:
“Die Polizeikriminalstatistik zeigt also, dass Ausländer in Deutschland nicht krimineller geworden sind. Der Anstieg der erfassten Strafverdächtigen ohne deutschen Pass lässt sich allein durch die starke Zuwanderung erklären. Unter Deutschen zeigt sich dagegen selbst dann ein Anstieg der Kriminalität, wenn man das Wachsen der Bevölkerung berücksichtigt.”
Relativ gesehen sind “Ausländer” weniger kriminell geworden. Das dürfte AfD- und BILD-Leser-Köpfe explodieren lassen. Interessiert aber leider keinen, wenn das nächste mal wieder von Massendeportationen bei der AfD geträumt wird.
All den Fakten zum Trotz ist der Schaden, den inbesondere die einseitige Axel-Springer-Berichterstattung losgetreten hat, bereits in der Politik angekommen. Sogar Bundesinnenministerin Faeser (SPD) sprach sich bei der PKS-Vorstellung für schnellere Abschiebungen aus und springt so in bester AfD-Manier auf den Rechtsaußen-Zug auf. Wenn man die falschen, rechten Narrative nicht kontern kann, versucht man sie in letzter Verzweiflung zu übernehmen. Dabei ist wissenschaftlich längst klar, egal, ob es die Union oder die SPD macht: Das Übernehmen rechter Forderungen stärkt nur Rechte.
Der Kriminologe Tobias Singelnstein wundert sich dagegen jedes Jahr aufs Neue über die PKS, er sagt: “Es ist bizarr, wie die Zahlen überinterpretiert werden.” Worüber die Politik dagegen erstaunlicherweise nicht spricht, ist die Tatsache, dass 2023 vermehrt Schutzsuchende Opfer von Straftaten wurden. Die Polizei zählte im vergangenen Jahr 2.378 Straftaten gegen sie – fast doppelt so viele wie 2022. Die Opfer werden zu Tätern stilisiert.
Natürlich ist es jedoch nicht das erste Mal, dass die “Welt” einseitig und verzerrt berichtet. Wir hatten hier bereits ausführlich analysiert, wie es das rechte Blatt schaffte, sogar in einem Jahr in jeder Metrik sinkender Kriminalität irgendwie Hass auf Nicht-Deutsche zu schüren.
Auch das Fake-News Portal “Nius” blamiert sich regelmäßig sogar mit Rechenfehlern, im verbitterten Versuch, irgendwie den Rassismus im Land weiter zu schüren:
Auch das Thema “Gewaltkriminalität” wird regelmäßig, vor allem von der BILD-Zeitung aufgebauscht und aus Sensationslust verzerrt und falsch dargestellt. Im Bereich “Gewaltkriminalität” sind nämlich “gefährliche Körperverletzungen” der größte Teil. Dazu zählen jedoch auch bereits harmlosere Zusammenstöße, wie zum Beispiel Ohrfeigen. Straftaten wie “Messerangriffe” machen dabei den kleineren Teil aus, wie der Kriminologe Tobias Singelnstein erklärt. Zur Erinnerung: Die Zahl ausländischer Tatverdächtiger von Gewaltverbrechen ist 2023 leicht ZURÜCKgegangen.
Ich hoffe, du hast, wenn du es bis hierher geschafft hast, gemerkt, wie irreführend und verzerrt die PKS eigentlich ist. Klar ist auch, es braucht wissenschaftliche Auswertungen von Straftaten. Eine der wenigen Publikationen zu Messerkriminalität kommt zu dem Ergebnis, dass es “keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere der Staatsangehörigkeit, gibt.”
Auch der Kieler Kriminologe Martin Thüne erklärt, dass die PKS schon allein deswegen problematisch ist, weil sie auf einer “problematischen Datengrundlage” basiert. Sie sei “unvollständig, verzerrt, potenziell manipulierbar und ungewichtet”. Viele Expert:innen plädieren daher schon seit langem für eine Abschaffung der PKS in ihrer jetzigen Form und einer grundlegenden Reformierung.
“Die PKS wird behandelt wie der Goldstandard der Kriminalitätsmessung. Sie ist aber nur der Blechstandard.”
Das Verhältnis der Straftaten mit ausländischen Tatverdächtigen ist im Vergleich zu der ausländischen Wohnbevölkerung im Vergleich zu vor der Pandemie leicht gesunken. Die Zahl der Angriffe gegen Schutzsuchende hat sich 2022 fast verdoppelt. Die Jahre 2017 bis 2022 waren übrigens die sechs Jahre mit der niedrigsten Anzahl von Straftaten seit der Wiedervereinigung und 2023 liegt immer noch unter dem Jahr 2009.
Vor 20 Jahren gab es viel mehr schwere Gewaltverbrechen als heute. 2023 gab es nach vielen Rekord-Jahren an gesunkener Kriminalität einen Anstieg, der überwiegend durch das Ende der Pandemie und die gestiegene Zahl an Menschen in Deutschland erklärbar ist. Proportional zur Wohnbevölkerung ist der Anteil von Kriminalität leicht gesunken über die Jahre.
Dass “Ausländer” “krimineller” seien und “Migranten” unser sicheres Land unsicher machen sollen, ist ein Mythos. Leider einer, der weit verbreitet ist. Es grenzt an Häresie, diese wissenschaftlich fundierte Tatsache auszusprechen. Eine Tatsache, die in diesem Land die wenigsten wissen. Selbst diejenigen, die nicht rassistisch sind und wissen, dass BILD, AfD & Co. alles mögliche instrumentalisieren, um Hass zu schüren.
Es ist daher kein Wunder, dass die rechtsextreme AfD so viel Zustimmung hat, auch wenn diese dank der Anti-AfD-Protestbewegung seit Januar wieder viel Zustimmung verloren hat. Dass Teile der demokratischen Parteien die falsche Problemanalyse und Forderungen übernehmen, macht alles noch dramatischer. Es gibt viele gute Analysen in den deutschen Medien.
Doch offenbar gehen sie im Diskurs unter. Es gibt massiven Nachholbedarf in dieser Debatte und offenbar ein breites Versagen vieler Medien, die entweder die verzerrten Aussagen rechter Medien unkritisch übernehmen oder zumindest versagen, die gut eingeordneten Zahlen nachhaltig bekannt zu machen. Dieses Problem hat Thomas in seinem neuen Buch “Werbung für die Wahrheit” ausführlich analysiert. Eine (Not-)Lösung von Volksverpetzer ist, auf diese Dinge mit absichtlich reißerischen Titeln aufmerksam zu machen. Wie es hier geschehen ist.
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Artikelbild: canva.com