Ein „Manifest für neuen ÖRR“ wirft Fragen auf: zu den Unterzeichnern gehören prominente Querdenker und selbsternannte Russland-Versteher. ÖRR-Mitarbeiter sind kaum darunter. Von radikalen Verschwörungsideologen und „alternativen Medien“ wird es gefeiert.
Da ist er wieder, Bastian Barucker, Wildnispädagoge aus Lassan vor der Insel Usedom im Nordosten des Landes. Im ersten Corona-Jahr vor vier Jahren hatte er eine Petition gestartet, mit der eine „extrem einseitige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien“ zur Pandemie angeprangert wurde. Jetzt zählt er zu den 130 Erstunterzeichner:innen des „Manifests für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“. Deren Behauptung: Beim ÖRR würden Meinungsmache und Berichterstattung würden verschwimmen, in einer Form, „die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht“. Die Schlagworte: „Klima der Angst“, „politische Filter“, „Missachtung des Programmauftrags“.
Seine Mission setzt Barucker als einer der Unterzeichner des Manifests also mit anderen Mitteln fort. 2020 vernetzte sich der Aktivist unter anderem mit dem Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, empfahl als „Experten“ für die öffentlich-rechtlichen Programme die Corona-Verharmloser Stefan Homburg und Wolfgang Wodarg und nannte die kruden Thesen von Sucharit Bhakdi „sachlich und informativ“.
Die Petition mit ihren mehr als 60.000 Unterschriften hatte auf die Programmverantwortlichen der ARD trotz der gewagten Thesen durchaus eine einschüchternde Wirkung. „Übermedien“ zitierte WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn mit den Worten, der Text der Petition sei „offen und einnehmend, die Form ist ausgesprochen freundlich und konziliant“. Spitzenvertreter:innen der ARD ließen sich im November 2020 auf eine Videokonferenz mit den von Barucker angeführten Coronarebellen ein.
Es war ein umstrittener Versuch des Dialogs. Im Medien-Blog „Altpapier“ sprach René Martens von einem Hintergrundgespräch „mit einem kenjebsenoiden ,Wildnispädagogen‘ und einigen seiner Gesinnungsgenossen“. Er nannte die Videokonferenz der ARD-Spitzenleute mit Querdenkern damals „epochal fahrlässig“.
Nun stellt sich für die ARD erneut die Frage: Soll sie das Manifest ernst nehmen? Ein Blick auf die Liste der Unterzeichner:innen ist bei der Suche nach der Antwort womöglich hilfreich. Zahlreiche alte Bekannte aus der Querdenker-Szene sind darunter. Zum Beispiel Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Barucker hatte ihn schon 2020 zur Videokonferenz mit der ARD zum Thema Corona-Berichterstattung hinzugeholt. 2023 machte Meyen Schlagzeilen, weil er in der Zeitung „Demokratischer Widerstand“ publiziert hatte. Laut „taz“ „eine Art Zentralorgan der radikalen Szene aus Querdenkern und Coronaleugnern“. Meyen behauptete, die etablierten Medien hätten ein „Wahrheitsregime“ aufgebaut. Die bayerische Landesanwaltschaft leitete wegen der Nebentätigkeit des gut dotierten Uni-Professors für den „Demokratischen Widerstand“ ein Disziplinarverfahren ein. Doch vermutlich pflegen Akteure wie Meyen nach solchen Reaktionen erst recht ihr Märtyrer-Image.
Das jedenfalls beherrscht auch die Kabarettistin Lisa Fitz, die das Manifest ebenfalls unterschrieben hat. Fitz hatte sich nach einer Desinformation über 5000 Impftote – auf der Basis einer Anfrage einer rechtsextremistischen französischen Europaabgeordneten – im Januar 2022 nach Ärger mit dem Sender ihren Abschied aus der SWR-Satiresendung „Spätschicht“ bekannt gegeben. Sie hat nun ein Videoformat bei den verschwörungsideologischen „Nachdenkseiten“. Vor ein paar Monaten Fitz sie dem Youtube-Kanal „Punkt.Preradovic“ ein Interview. Sie nannte sich dort „lupenreine Demokratin“ und warb dafür, die AfD „einfach mal mitregieren“ zu lassen. Schließlich sei die Partei „demokratisch gewählt“. In dem Interview behauptete sie auch, die „Nachdenkseiten“ seien heute das, was früher das Magazin „Der Spiegel“ gewesen sei.
So schaffen sich eine ganze Reihe von Unterzeichner:innen des „Manifests für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ ihre Parallelwelten. Zu ihnen gehört auch die Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, die von ihrem Trierer Kollegen Markus Linden in einem Beitrag für die „FAZ“ „Ikone der Querdenker-Szene“ genannt wurde. Oder die ehemalige Dresdner Stadtschreiberin Katrin Schmidt, die 2021 die Corona-Impfungen von Kindern mit den Medizinversuchen der Nazis im Dritten Reich verglich. Und die zwei Jahre später im „Open Source“-Format der „Berliner Zeitung“ resümierte, ihr Vergleich mache sie „durchaus stolz“, doch sei sie nun „raus aus dem Literaturbetrieb“, gecancelt.
Besonders wählerisch waren die Initiator:innen des Manifests bei der Auswahl der Erst-Unterzeicher:innen nicht. Der Parapsychologe Harald Walach wurde gewonnen. Er ist ein Wissenschaftler, der schon 2012 von der Gesellschaft für kritisches Denken in Wien das „Goldene Brett“ verliehen bekam, für sein „einzigartiges Bemühen, wissenschaftsbefreite Theorien in die akademische Welt hineinzubringen“. Der Rechtsanwalt Jürgen Müller aus Wolfratshausen unterschrieb für den Verein „Kinderrechte Jetzt“, der in der Pandemie gegen Impfungen und Corona-Regeln Stimmung machte und dabei, wie die „Süddeutsche Zeitung“ kommentierte, in „besonders perfider“ Weise Kinderrechte vorschob.
Fairerweise muss man sagen, dass der eine oder andere Name auf der Unterschriftenliste durchaus auch Respekt einflößt. Beispielsweise der von Johannes Ludwig, der 2014 nach 14 Jahren als Professor für Medien und journalistische Fächer in Hamburg in den Ruhestand ging und der als Experte für investigativen Journalismus in Deutschland gilt. Doch es sind wenige. Und bei den meisten unter ihnen rührt das Renommee aus der Vergangenheit.
Der Schauspieler Henry Hübchen hatte einen guten Ruf als einer der profiliertesten deutschen Charakterdarsteller. Inzwischen zählt er zu den „TV-Granden im Herbst der Karriere“, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland im Kontext mit dem Manifest hervorhebt. Im Februar 2023 war Hübchen dann einer der Erstunterzeichner des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten „Manifests für den Frieden“, mit dem ein Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert wurde.
Corona-Krise, die „Kriegspolitik Deutschlands“, „erzieherischer Haltungsjournalismus“ – gepflegt wird in Statements von Mitarbeiter:innen auf der Homepage des Manifests und in Interviews von Unterzeichner:innen das Narrativ, dass man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr alles sagen darf.
Es hatte dann etwas Kurioses, als die ehemalige Chefredakteurin des HR-Fernsehens und früheren Linken-Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen vom öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlandfunk zum Manifest und den Gründen für ihre Unterschrrift befragt wurde. Sie erklärte dort in einem Streitgespräch mit dem DJV-Bundesvorsitzenden, dass sie Meinungsvielfalt vermisse und dies eigentlich jede Zuschauerin und jeder Zuschauer genauso sehen müsse. Sie teilte ihre Beobachtung mit, dass einem „gestandenen Journalisten wie Stefan Aust“ kürzlich in einer Fernseh-Talkrunde stets das Wort abgeschnitten worden sei, nachdem er für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt plädiert habe: „Die haben den im Grunde genommen fast gelyncht.“
Der Publizist und Politologe Andreas Püttmann kommentierte auf Twitter: „Märchenstunde mit Luc Jochimsen im @DLF.“ Die ihm bezeichneten Unterzeichner des Manifests „siedeln am rechten Rand bzw. betätigen sich gegenüber der ukrainischen Freiheit als Putin-Sprechpuppe, machen aber auf Meinungsvielfalts-Travestie. Kurzum: Böcke als ÖRR-Gärtner“.
Wirkung in der Bubble verfehlte nicht, dass die Namen von 33 Unterzeichner:innen nicht genannt wurden. Bei ihnen handelt es sich laut Homepage um Mitarbeiter:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine klitzekleine Gruppe also, gemessen an den etwa 20.000 Vollzeitstellen bei der ARD und den etwa 4000 festen ZDF-Mitarbeiter:innen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ aber kommentierte, dass diese 33 „nur unter dem Schutzschild der Anonymität zum Bekenntnis bereit waren, deutet auf eine Unkultur des Verdachts in den Anstalten“. Bei den verschwörungsideologischen „Nachdenkseiten“ hieß es, die anonymen Äußerungen würden ein „internes Klima der Angst beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ belegen.
Hinterlegt worden sind die anonymen Unterschriften beim Rechtsanwalt Harald von Herget, der seine Kanzlei in Zürich hat. Herget war laut dem Portal „Der rechte Rand“ Bundesvorstandsmitglied der Querdenker-Partei „Die Basis“ und auch Beauftragter für Medien“.
Ein Blick in den Kanal von Herget im Elon-Musk-Netzwerk Twitter gibt eine Ahnung, wie sich der Advokat und seine Mitstreiter:innen einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorstellen. Dort teilt er regelmäßig – zum Teil mit wohlwollenden Kommentaren – Postings von Politikern wie Hubert Aiwanger, Jürgen Todenhöfer oder Sahra Wagenknechts Co-Chefin beim BSW, Amira Mohamed Ali. Regelmäßig von ihm weiterverbreitet werden auch die Äußerungen von Corona-Verharmlosern wie Stefan Homburg oder Markus Krall, von Väterrechtlern, des Verschwörungsideologen Daniele Ganser oder des rechtspopulistischen Publizisten Roland Tichy.
Erst dieser Tage verbreitete Herget auch ein Posting von Elon Musk: „For the people of Earth. Free Speech. X.” Musk als Fachmann für Meinungsfreiheit – darauf muss man erstmal kommen. Erst recht vor dem Hintergrund von solchen Schlagzeilen: Thüringens rechtsextremer AfD-Chef Björn Höcke ist angeklagt, weil er bei einem Wahlkampfauftritt eine verbotene Losung der SA verwendet hat. Auf Twitter sucht er Unterstützer – und Elon Musk fragt: „What did you say?“
Artikelbild: Soeren Stache/dpa