Gastbeitrag von Prof. Dr. Michaela Hailbronner, zuerst erschienen bei Verfassungsblog
Die Debatte um Parteiverbote scheint festgefahren. Auf der einen Seite stehen jene, die Parteiverbote grundsätzlich ablehnen – aus prinzipiellen Gründen oder mit Blick auf die möglichen Folgen. Parteiverbote seien undemokratisch, einer offenen Gesellschaft nicht würdig und eine Form elitärer Zensur des Volks. Oder: Mit Parteiverboten lasse sich die Wurzel des Problems, nämlich die in der Gesellschaft zunehmend verbreiteten rechtsautoritären Auffassungen, nicht beseitigen. Und im Übrigen bestehe die Gefahr, dass Parteiverbote und womöglich auch bereits das Gespräch darüber entsprechende Bewegungen weiter radikalisierten.
Auf der anderen Seite stehen jene, die dringend ein Parteiverbot fordern, möglicherweise verbunden mit einem Verfahren auf Grundrechtsverwirkung gegen einzelne Politiker. Parteiverbote seien ein legitimes Instrument der wehrhaften Demokratie. Manche Kollegen argumentieren sogar, wenn die Voraussetzungen dafür vorlägen, bestehe eine Pflicht der entsprechenden Institutionen zur Einleitung eines solchen Verfahrens, siehe hier und hier.
Denn zu jenen, die Parteiverbote aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen, muss man sagen: Das Grundgesetz sieht dieses Instrument vor, auch wenn man es selbst gern anders hätte, und nicht nur das – das Instrument wurde und wird eben auch eingesetzt, zuletzt in abgemilderter Form gegenüber der NPD, die nun nicht mehr staatlich finanziert werden darf. Dass ein Instrument vorhanden ist, heißt natürlich nicht per se, dass man es auch gebrauchen muss. Aber wer Parteiverbote ganz grundsätzlich ablehnt, sollte sich im Klaren sein, dass dies angesichts der früheren Praxis dann eben durchaus nahelegt, dass es in Wirklichkeit kein Problem gebe und die AfD eben doch nicht so schlimm sei.
Umgekehrt sehen jene, die Parteiverbote als unproblematisches Instrument wehrhafter Demokratie betrachten, oft nicht die damit verbunden Unsicherheiten und Missbrauchsrisiken ausreichend. Die Vorstellung, es ließe sich rechtlich glasklar darlegen, wann Parteien die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfen, verweist zwar eindrucksvoll auf das schier endlose Vertrauen deutscher Juristinnen und Juristen auf das Recht, ist aber auch ein klein wenig naiv. Das heißt nicht, dass das Recht der Parteiverbote in Wirklichkeit nur Politik ist. Aber es heißt, dass die Differenzierung zwischen jenen, die tatsächlich die freiheitlich demokratische Grundordnung angreifen, und jenen, die scharfe Kritik an der aktuellen Regierung und anderen Parteien üben, schwierig ist – und schwierig bleiben wird.
Denn frühere Parteiverbote in Deutschland ebenso wie anderen Ländern betrafen überwiegend Parteien, die deutlich weniger Zustimmung in der Bevölkerung besaßen – und dies macht eine Folgeneinschätzung schwer.
Das Beispiel der Vorgängerparteien der türkischen AKP verweist auf die Problematik des Verbots einer Partei mit höherer Zustimmung in der Bevölkerung. Diese wurden vom türkischen Verfassungsgericht wegen ihrer islamistischen Ausrichtung verboten, die das türkische Verfassungsgerichtsbarkeit für unvereinbar mit den Grundprinzipien moderner türkischer Staatlichkeit ansah – das Verbot wurde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufrechterhalten. Die heutige AKP führte die politische Agenda dieser Parteien teilweise fort, aber in deutlich gemäßigterer Form – auch wenn die Türkei heute in den entsprechenden internationalen Indizes nicht als freie Demokratie gilt.
In seiner Diskussion der Konsequenzen von Parteiverboten in der Türkei, Belgien und Spanien argumentiert der britische Politikwissenschaftler Tim Bale, dass diese weder zu einer Intensivierung der Bedrohungen durch entsprechende politische Kräfte führten noch zu einer nahtlosen Fortführung der entsprechenden Parteien (S. 196). Parteiverbote seien jedenfalls aus praktischer Sicht zwar nicht die einzige oder stets richtige Antwort, sie seien aber umgekehrt auch nicht notwendigerweise stets ein Fehler, jedenfalls aus Sicht der Praxis (ibid.). Auch die sonst vorhandene Literatur zu Parteiverboten legt jedenfalls nicht nahe, dass diese typischerweise zu einer unkontrollierbaren Radikalisierung führen.
Richtig ist aber natürlich, dass nach einem Verbot ein erhebliches Maß an zusätzlicher staatlicher Repression erforderlich wäre – darauf hat u.a. Uwe Volkmann in seinem Beitrag bereits hingewiesen. Klar ist auch, dass man der Wurzel des Problems dadurch allein kaum begegnen würde. Wähler:innen würden auf andere Parteien mit ähnlicher Zielsetzung ausweichen bzw. womöglich neue Parteien gründen, die allerdings rein rechtlich keine Nachfolgeorganisationen darstellen dürften. Allerdings wäre auch eine Spaltung bzw. eine politische Mäßigung durchaus ein politischer Erfolg, auch wenn Deutschland damit kaum zu den Verhältnissen der alten Bundesrepublik zurückkehren dürfte, sondern sich auf eine dauerhafte Präsenz von politischen Strömungen am rechten Rand – ebenso wie andere europäische Nachbarstaaten – einrichten muss.
Sinnvoll erörtern lässt sich die Frage der Parteiverbote aber letztlich nur im Kontext anderer Strategien und Mechanismen.
Denn ein Parteiverbot ist nicht die einzige Möglichkeit im Umgang mit der AfD – nicht nur, aber auch, weil ein Verbotsverfahren lange Zeit dauern würde. Daneben stehen andere politische und rechtliche Strategien, deren Diskussion deshalb wichtig, weil sie deutlich macht, dass es im Umgang mit Rechtsautoritären nicht um ein “Entweder-oder” geht.
Politische Auseinandersetzung bedeutet vor allem Festhalten an bzw. eine Reparatur der sogenannten Brandmauer: Koalitionen oder auch eine politische Zusammenarbeit mit der AfD kommen nicht in Betracht und in öffentlichen Äußerungen distanzieren sich andere Parteien von ihren Positionen, statt diese zu übernehmen.
Das bedeutet nicht, dass vorhandene Probleme nicht adressiert werden können oder dass die Politik nicht zur Kenntnis nehmen kann, dass in weiten Teilen der Bevölkerung Migration zunehmend kritisch gesehen wird. Es bedeutet aber, wie in den Politikwissenschaften immer wieder betont wird, sich nicht treiben zu lassen und an den bestehenden rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Maßstäben festzuhalten.
Für den Umgang mit rechtsautoritären Parteien und Personen kommen darüber hinaus eine Reihe von rechtlichen Instrumenten in Betracht, die unterschiedlichen Zielen dienen. Ein Beispiel dafür ist das Maßnahmenpaket des Innenministeriums; die Reaktionsmöglichkeiten erschöpfen sich darin aber nicht.
Rechtliche Regelungen können zunächst dazu beitragen, die Gefahren einer Machtübernahme durch Rechtsautoritäre zu begrenzen. Zu denken ist an “ideologisch neutrale” Maßnahmen wie etwa zur Sicherung von Verfassungsgerichten, etwa durch eine Konstitutionalisierung der bisherigen einfachgesetzlichen Regelungen zur Wahl und Amtszeit von Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts.
Ähnlich könnte man auch mit Blick auf wahlrechtliche Regelungen eine Konstitutionalisierung diskutieren bzw. für eine Abänderung von wahlrechtlichen Regelungen grundsätzlich parlamentarische Zweidrittelmehrheiten verlangen (wie es etwa in der Hamburger Verfassung geregelt ist). Für solche Maßnahmen spricht vieles, aber auch sie haben aber einen Preis: Man erschwert dadurch entsprechende Ernennungen bzw. Wahlrechtsänderungen, und dies kann wiederum Blockademöglichkeiten in der Politik schaffen bzw. notwendige Rechtsänderungen schlicht erschweren und zu Dysfunktionalitäten führen.
Daneben sind Maßnahmen zur Begrenzung des Einflusses rechtsautoritärer Parteien auf staatliche Institutionen insgesamt denkbar. Beispiele sind etwa Änderungen in parlamentarischen Geschäftsordnungen etwa zur Besetzung bestimmter Ausschüssen, wie sie kürzlich im Spiegel unter dem passenden Titel “Tricksen für die Demokratie und gegen die AfD?” beschrieben wurden. Bei Vorschlägen wie diesen geht es im Kern nicht um den Einsatz spezifischer Instrumente der wehrhaften Demokratie, sondern um normale politische Instrumente, die freilich im Interesse des langfristigen Schutzes der deutschen Verfassungsordnung eingesetzt werden. Unproblematisch sind solche Rechtsänderungen aber ebenfalls nicht, da mit ihnen eine Destabilisierung bestehender Praktiken und Regelungen einhergeht, die bei einer Veränderung der Machtverhältnisse gerade jenen zugutekommen kann, deren Einfluss man begrenzen möchte.
Spezifischer auf den Schutz der Verfassung ausgerichtet sind Maßnahmen zur Entfernung von Extremist:innen aus dem öffentlichen Dienst bzw. Maßnahmen, die darauf zielen, ihre Einstellung von vornherein zu verhindern – etwa durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei Beamteneinstellungen, wie sie manche Bundesländer durchführen. Auch hier geht es um die Freihaltung staatlicher Institutionen von bestimmten Einflüssen – und auch hier sind die Missbrauchspotentiale erheblich. Dies gilt vor allem für die Institution des Verfassungsschutzes, dessen Kompetenzen mit der zunehmenden Verunsicherung von Bevölkerung und Politik stetig wachsen. Zwar sind die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzämter in den letzten Jahren zunehmend stärker verrechtlicht worden (siehe etwa das Urteil des BVerfG zu Bayern). Trotzdem lassen die Begrifflichkeiten doch erhebliche Auslegungsspielräume offen. Dies zeigt auch die Diskussion um die Einrichtung des neuen Phänomenbereich “Delegitimierung des Staates”, die von einigen Rechtswissenschaftler:innen als zu weitgehend kritisiert wird (z.B. hier).
Neben den genannten Instrumenten zur Begrenzung des politischen Einflusses werden verschiedene weitere Maßnahmen zur Begrenzung des Einflusses entsprechender rechtsautoritärer Überzeugungen in der Gesellschaft diskutiert. Jenseits einer besseren Vollziehung bestehender Gesetze mag man hier an die Ermöglichung von schärferen Kontrollen etwa im Waffenrecht denken oder von Vereinsausschlüssen bei rechtsextremen Aktivitäten oder Äußerungen einzelner Mitglieder sowie auch an die finanzielle Förderung bestimmter Institutionen, die sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene gegen Rechtsextremismus oder Rassismus einsetzen.
Bei manchen solcher Maßnahmen kann man freilich mit guten Gründen darüber streiten, wie weit der Staat in der Gesellschaft für bestimmte Auffassungen werben darf (siehe etwa hier für eine Grundsatzkritik). Dabei stehen klassisch liberale Auffassungen, die eine weitestmögliche Zurückhaltung fordern, solchen gegenüber, die auf eine stärkere positive Rolle des Staates bei der Freiheitssicherung und beim Abbau von Ungleichheiten in der Gesellschaft drängen. Es geht damit um eine alte Debatte, in der es neue Antworten braucht, die ein Blogpost freilich nicht liefern kann. Wichtig ist aber zu betonen, dass sich beide Positionen auf zentrale Verfassungsprinzipien berufen können.
Problematisch sind aber eben auch manche Elemente der aktuellen Strategie einer wehrhaften Demokratie light. Denn was sich zunächst als milderes und deshalb scheinbar passenderes Mittel im Umgang mit Kräften wie der AfD darstellt, stellt auf den zweiten Blick doch eine Veränderung und letztlich eine Einschränkung des freien demokratischen Wettbewerbs dar.
Das gilt vor allem für die Langzeitbeobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz, und die gezielte, teils durch Rechtsänderungen ermöglichte Fernhaltung ihrer Funktionäre von öffentlichen Ämtern und Kommissionen, die normalerweise pluralistisch mit Vertreter:innen aller Parteien bzw. entsprechend ihren Stimmenanteilen besetzt werden. Es werden dann eben nicht mehr alle nicht verbotenen Parteien rechtlich und politisch gleichbehandelt. Das macht entsprechende Maßnahmen nicht zwingend falsch – es gibt ja gute Gründe dafür, die AfD von Verfassungsgerichten oder bestimmten parlamentarischen Ausschüssen und Verfassungsgerichten fernhalten zu wollen.
Auch sind die entsprechenden Maßnahmen nicht ganz neu – manches wurde vielmehr bereits in den letzten Jahrzehnten gegenüber der Linken praktiziert. Aber was kurzfristig notwendig erscheinen mag, führt auf lange Sicht doch zu einer Veränderung der demokratischen Kultur in Deutschland in eine schmittianische Richtung, in der die Opposition als Feind erscheint, die deshalb mit allen zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln bekämpft werden darf (siehe zur Diskussion, wenn auch mit anderen Schlussfolgerungen, Philipp Manow, zu ähnlichen Entwicklungen in den USA auch Mark Tushnet unter dem Stichwort “constitutional hardball“). Und je mehr deshalb entsprechende Ausgrenzungen und Ungleichbehandlungen rechtlich ermöglicht und untermauert werden, desto mehr wird das Recht damit auch zum Instrument des politischen Kampfs und macht sich dadurch angreifbar.
Denn wer die AfD als legitime Oppositionspartei ansieht, die ihre Opposition und Kritik nur eben etwas radikaler formuliert, der wird jegliche “Sonderbehandlung” der Partei ablehnen. Das geht aber nur, wenn man entweder Teile der Partei ausblendet oder ihren zunehmenden Rassismus eben nur als politisches Problem ansieht und nicht als verfassungsrechtliches. Dann muss man konsequenterweise auch den Umgang mit der NPD für falsch halten.
Denn jedenfalls Teile der AfD haben sich traditionellen NPD-Positionen stark angenähert. Das ergibt sich nicht erst aus der Correctiv-Recherche, sondern aus vielfachen sonstigen Äußerungen und Aktivitäten der Partei, belegt in Verfassungsschutzberichten, richterlichen Urteilen und Berichten von Aussteiger:innen. Ob all das für ein Parteiverbot reicht und ob dieses nur für Landesverbände oder die Bundespartei in Betracht käme, ist damit natürlich noch nicht gesagt und kann letztlich auch nur durch umfassendere Ermittlungen der Aktivitäten der Partei und ihrer Mitglieder über die letzten Jahre festgestellt werden.
Aber ein Parteiverbot hätte gegenüber vielen anderen Instrumenten der wehrhaften Demokratie light den Vorteil, dass es klare Schnitte ermöglichen würde – auf dessen Grundlage dann weitere Sanktionen möglich wären. Nicht alle Parteiverbote funktionieren, das ist klar und um politische Antworten kommt man nicht herum, so oder so. Die politische Brandmauer bleibt wichtig. Aber es spricht doch vieles dafür, in der Politik zumindest mit einer Materialsammlung und -auswertung zu beginnen und ein Parteiverbotsverfahren nicht von vornherein als “undemokratisch” oder “bringt nichts” auszuschließen.
Der Artikel erschien zuerst auf verfassungsblog.de, CC BY-SA 4.0. Verfassungsblog ist ein Open-Access-Diskussionsforum zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in Verfassungsrecht und -politik in Deutschland, dem entstehenden europäischen Verfassungsraum und darüber hinaus. Er versteht sich als Schnittstelle zwischen dem akademischen Fachdiskurs auf der einen und der politischen Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Vor kurzem wurde das Thüringen-Projekt gestartet.
Prof. Dr. Michaela Hailbronner, LL.M. (Yale), ist Professorin für für deutsches und internationales öffentliches Recht und Rechtsvergleichung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Artikelbild: Sebastian Gollnow/dpa