Das Cannabisgesetz wurde mit einer fast zweidrittel Mehrheit im Bundestag verabschiedet. Es ranken sich jedoch weiterhin Mythen um das Gesetz von Befürwortern wie Kritikern gleichermaßen. Ein Faktencheck.
In der Debatte gab es durchaus historische Momente. Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Dr. Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen betonten die Bedeutung der Reform. Stephan Pilsinger von der CSU warnte vor den Gefahren des Cannabiskonsums und forderte Verantwortung. In einer Zwischenfrage zog Max Mordhorst von der FDP Pilsinger aufgrund seines eigenen Wahlkampfbieres auf, das er mit den Worten „Man muss sich auch mal was gönnen“ bewarb. Heike Baehrens von der SPD zeigte Verständnis für die Probleme von Konsumenten mit der Strafverfolgung und stellte klar: „Ihr seid für uns keine Kriminellen.“
Ates Guerpinar von den Linken kritisierte sowohl Koalition als auch Opposition: Er monierte die zögerliche Legalisierung der Ampel und beschuldigte die Union, aus Unehrlichkeit Jugendlichen und Erwachsenen schädlichen Schwarzmarkthandel zuzumuten.
Weiterer Streit im Bundesrat scheint wahrscheinlich. Einige Bundesländer erwägen den Vermittlungsausschuss anzurufen, insbesondere wegen der Amnestieregelungen und der Besitzmengen. Die Ausschüsse des Bundesrats bemängeln zu hohe Besitzgrenzen und Abgabemengen, die Amnestieregelung und monieren Abstandsregelungen des Gesetzes. Ob das Gesetz fristgerecht in Kraft tritt, zeigt sich am 22.03. im Bundesrat.
Widmen wir uns daher einigen Mythen über das Cannabisgesetz. Der erste und gewichtigste Mythos soll hierbei als Erstes adressiert werden. Um Verwirrung vorzubeugen: Es gibt mehreren Dokumente zum Gesetz, die hier wichtig werden und sie alle enthalten einen Beschluss oder Gesetzesentwurf. Die Variante des Gesetzes ohne jegliche Anmerkungen und Begründungen findet sich hier.
Der Referentenentwurf, wie er in die erste Lesung des Bundestags einging, samt Kommentierung und Gesetzesbegründung findet sich hier.
Die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses, mit der Begründung der jeweiligen Änderungen, auf welcher Basis das Gesetz dann beschlossen wurde, findet sich hier.
Nein, Cannabis wird nicht legalisiert – eine möglicherweise überraschende Erkenntnis in der Debatte um das neue Cannabisgesetz. In den USA entsprach eine Legalisierung dem Aufbau von Fachgeschäften und lizenzierten Unternehmen für den Anbau von Cannabis. Experten um den Schildower Kreis, wie bspw. der Toxikologe Dr. Fabian Pitter Steinmetz sprechen beispielsweise von Entkriminalisierung. Der Strafverteidiger Konstantin Grubwinkler hingegen spricht von einer „Teil-Legalisierung“, da immerhin Besitz und Anbau nun legal werden sollen, der Verkauf in Fachgeschäften jedoch nicht.
Auch wenn das Gesetz zum 01.04.2024 rechtskräftig würde, wäre Cannabis damit nicht vollständig legal. Stattdessen wird es typisch deutsch bis ins kleinste Detail mit einem 184 seitigen Dokument reguliert. Direkt im Paragrafen §2 des Gesetzes wird dann auch jeglicher Umgang mit Cannabis erstmal verboten. Und das deutlich schärfer, als es jetzt im BTMG der Fall ist. Erst danach werden einige Erlaubnistatbestände eingeführt, wie man mit Cannabis umgehen darf. Dabei gibt es sogar einen Fehler im Gesetz, der die „Herstellung“ von Cannabis generell untersagt. In der Praxis dürfte das keine Rolle spielen. Theoretisch ist damit jedoch sogar das Trocknen von Blüten immer noch illegal.
Neue Straf- und Bußgeldvorschriften kommen in §34 und §36 hinzu, darunter einige, die es bisher nicht gibt. Konsum nahe eines Spielplatzes, bisher erlaubt, wird verboten – verständlich für Konsumenten, problematisch für Patienten. Anbauvereinigungen müssen genau Buch führen über Mitglieder und deren Erhalt von Cannabis. Die lizenzierende Behörde darf diese Daten ohne richterlichen Vorbehalt einsehen.
Konkret erlaubt wird der Besitz von 25 Gramm Cannabis außerhalb der Wohnung, 50 Gramm innerhalb der eigenen Wohnung. Zudem ist der Eigenanbau von drei Pflanzen pro Person gestattet. Der Konsum in den eigenen vier Wänden ist ebenso gestattet wie überall, wo keine Fußgängerzone ist, sofern keine Kinder oder Jugendlichen in der Nähe sind. Hier wird es komplex: Es gibt Abstandsregeln zu jedem Ort, an dem Jugendliche regulär sein könnten; theoretisch dürfte man nicht auf dem Balkon konsumieren, wenn eine 17-jährige Tochter dies sehen würde. Der Konsum von Bier und Zigaretten auf dem gleichen Balkon wäre hingegen akzeptabel.
Der Konsum mit Freunden oder Lebenspartnern ist theoretisch untersagt, da das Gesetz keinerlei Weitergabe erlaubt. Wer sich trifft, müsste also seinen eigenen Joint mitbringen. Bei gemeinsamem Anbau zuhause empfiehlt Anwalt Grubwinkler sogar, die Pflanzen und Aufbewahrungsbehälter mit Namen zu markieren. Denn rein theoretisch könnte man argumentieren, dass 100 Gramm in zwei Behältern legal sind, während 100g in einem Behälter als bandenmäßiger Besitz ausgelegt werden könnten. So absurd es klingt, wird dies bei höheren Mengen irgendwann vor Gericht geprüft werden. Auch das Verschenken von Cannabis an Freunde ist komplett untersagt und steht unter Strafe – ein Zugeständnis an die Innenpolitiker des Bundesrats, um ‚Strafbarkeitslücken zu schließen‘.
Während der Gesetzesentstehung wurde häufig betont, wie oft Politiker mit Experten gesprochen haben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete es als das beste Cannabisgesetz der Welt.
Daran kann man zweifeln. §3 des Gesetzes gibt die maximale Besitzmenge mit 25 Gramm Cannabis an. Am Wohnort sind maximal 50 Gramm und 3 Pflanzen gestattet. Der Bundestag formuliert, die ‚insgesamt besessene Menge [soll] 50 Gramm Cannabis bei Blüten, blütennahen Blättern oder sonstigem Pflanzenmaterial nach dem Trocknen‘ nicht übersteigen.
Dieser Punkt erregt politisches Aufsehen. Sebastian Fiedler von der SPD berechnet, dies entspreche 75 bis 150 Joints – eine viel zu hohe Menge. Petra Koepping, Staatsministerin aus Sachsen, stimmt ähnliche Töne an, genau wie die Gesundheitsministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, Stefanie Drese.
Wer sich auf einschlägigen Seiten umsieht, wird jedoch feststellen, dass keine Sorte so wenig ertragt. Bei Autoflowers, die ohne Beleuchtungswechsel blühen, werden Ernten von 70 bis 150 Gramm pro Pflanze genannt. Weder Regierung noch Parlament oder die Staatsministerin können erklären, wie das Pflanzenwachstum im heimischen Garten nun begrenzt werden soll. Wer anbaut, begeht daher wahrscheinlich dennoch eine Straftat. Die ironische Empfehlung lautet: Bloß nicht düngen!
Hinzu kommt die Unklarheit, was unter Cannabis zu verstehen ist. Das Gesetz definiert „Pflanzen, Blüten und sonstige Pflanzenteile sowie Harz der Gattung Cannabis, einschließlich der pflanzlichen Inhaltsstoffe“ als Cannabis. Ohne Umrechnungsfaktoren wie in Kanada wird dies zum Problem. Bei der Ernte wird die Pflanze gemäß Definition zu Cannabis, inklusive „sonstiges Pflanzenmaterial“. Schon die kleinste Pflanze könnte so rechtliche Probleme verursachen.
Eigenanbauer müssen sich anpassen: Blätter entsorgen, Blüten verarbeiten und rasch ein konzentriertes Harz erzeugen, um die Grenzen von 25 g/50 g nicht zu überschreiten. Ironischerweise fördert dies genau das, was Karl Lauterbach mit seinen Warnungen vor zunehmenden THC Gehalten in Cannabis eigentlich verhindern wollte. Doch es folgt dem Trend zu Konzentraten aus den USA. Anbieter von Hydraulikpressen und Campingwaschmaschinen können sich freuen – sie dürften kurzfristig florieren.
Die Entsorgung der übrig gebliebenen Blätter ist ebenso ungeklärt. Selbst wenn ich nun mein Cannabis wegwerfen wollte, ist es in einem sauberen Mülleimer dann wirklich weggeworfen? Wenn ich einen Haufen Blüten in meine Biotonne werfe, Jugendliche sie dann aber stehlen, ist dass dann fahrlässig oder eine Straftat? Darf der Nachbarsjunge meine Pflanze im Garten sehen? Was wenn er über den Zaun springt und Blüten pflückt? Fragen über Fragen. Und sie alle bleiben ungeklärt.
Cannabis vom Schwarzmarkt zu nehmen, begegnen Kritiker mit Skepsis und nennen das Gesetz ein „Schwarzmarkt-Konjunkturgesetz“.
Zunächst ist beides unwahrscheinlich. Denn zum Stichtag wird es noch kein legal hergestelltes Cannabis geben. Weder zum 01.04., noch zum 01.10. Eigenanbau, der schon jetzt gestartet sein könnte, würde zwar erst in der Legalität geerntet. Doch nicht jeder möchte anbauen. Und die wenigsten möchten wohl das Gesetz aktuell noch brechen und damit ein Verfahren riskieren. Trotz aller Maßnahmen laufen auch jetzt noch Verfahren gegen Konsumenten und Eigenanbauer. Und das teils wegen absurd niedriger Besitzmengen, so gibt es noch immer Verfahren wegen dem bloßen Besitz eines Joints oder Besitzmengen unter einem Gramm Cannabis. Das ändert sich erst mit der Unterschrift des Bundespräsidenten.
Besonders absurde und teils rechtswidrige Beispiele:
Kritiker sehen die 25 Gramm Besitzmenge als zu hoch an; Dealer seien so schwerer zu verfolgen. Doch Handel muss bewiesen werden, und gerade zu Beginn wird man wahrscheinlich auf illegale Quellen zurückgreifen müssen. Die einzige legale Bezugsquelle wäre ein ärztliches Rezept, was jedoch einen Missbrauch des medizinischen Cannabisbezugs bedeuten und kostspielig sein könnte, da sich meist nur Privatärzte darauf spezialisieren.
Eigenanbau dauert mindestens drei Monate; dann folgt die Trocknung. Legal angebautes Cannabis wäre frühestens im August verfügbar. Anbauvereinigungen, die erst ab Juli Anträge stellen dürfen, starten den Anbau frühestens im Oktober, das erste Cannabis dürfte Anfang 2025 erhältlich sein. Die Lösung in der Beschlussempfehlung des Bundesrates hat es in sich: Einfach erst die CSCs legalisieren, bis dahin soll jeder Konsument bis zum 01.10. genau wie jetzt weiter verfolgt werden. In der Gesetzesbegründung steht jedoch genau das Gegenteil: Gerade um eine solche Situation zu vermeiden, soll auch illegal erworbenes Cannabis zum Start des Gesetzes unter die Besitzregeln fallen. Damit würden dann hoffentlich auch so absurde Verfahren, wie Strafe für den Besitz von 0.01g Cannabis für eine Lehrerin, hinfällig.
Der Schwarzmarkt bleibt uns daher vorerst erhalten. Trotzdem würden 10% der Deutschen eigenen Anbau ausprobieren – ein bedeutender Schritt gegen den Schwarzmarkt. Würden tatsächlich 8 Millionen Deutsche eine Pflanze anbauen, die gerade mal 50g abwirft, entspräche das ungefähr 400 Tonnen. Nach der Studie des Ökonomen Justus Haucap wäre das der gesamte Bedarf der Bevölkerung.
Die Anbauvereinigungen wollen später nachziehen, stoßen jedoch auf Probleme: Sie dürfen höchstens 500 Mitglieder haben und sind auf Mitgliedsbeiträge angewiesen. Datenschutz ist ein weiteres Problem; Behörden können fünf Jahre rückblickend Mitgliederdaten einsehen. Von Repression Betroffene lehnen eine Mitgliedschaft unter diesen Bedingungen ab. Der Konsum in Social Clubs ist verboten, was das Vereinsleben erschwert.
Dabei ist auch die Frage, an wen sich CSCs am Ende wenden. Die Kleiber-Studie nennt einen Durchschnittsverbrauch von 2g pro Monat pro Konsument. Eine Studie zu spanischen Social Clubs ergab tägliche Abgabemengen von 0.46g, und nur 5% der Nutzer konsumierten deutlich mehr.
Die meisten Cannabis-Konsumenten verbrauchen eher geringe Mengen; lediglich 5-10% nehmen so viel zu sich, wie ein Cannabis Social Club (CSC) maximal bereitstellen könnte. Trotzdem muss man mindestens Mitglied für drei Monate werden und CSCs brauchen Planungssicherheit. Wie praktikabel diese Regeln sind, wird sich in der Praxis zeigen. Während CSCs in Barcelona vor allem als Orte das Zusammenkommens für soziale Aktivitäten gesehen wird, wird dies durch das Konsumverbot im Gesetz möglicherweise verhindert.
Jedes legale Gramm bedeutet jedoch weniger Schwarzmarkt. Obwohl der Schwarzmarkt zunächst profitieren könnte, wird er sich mit der Zeit reduzieren – durch Eigenanbau und Social Clubs. Social Supply bleibt illegal; die Weitergabe an Freunde und Familie ist verboten. In der Praxis ist das unrealistisch, denn gerade gemeinsamer Konsum ist ein zentraler Aspekt der Cannabiskultur. Überproduktion beim Eigenanbau könnte zu gegenseitiger Versorgung führen – manche nennen das soziale Gemeinschaft, andere Kleindealerei.
Genau das ist das Dilemma: Ein Verbot des Social Supply macht es schwer, organisierte Kriminalität von nachbarschaftlicher Hilfe zu unterscheiden. Und damit sind wir wieder bei Mythos Nummer zwei, auf Konsumenten oder Experten wurde hier wohl nicht gehört. Wenn der Durchschnittsbürger nun 50g anbaut, aber nur 1-2 benutzt, darf er seinen Überschuss nicht weitergeben. Der Schwarzmarkt jubelt, Experten schütteln den Kopf.
Wer den Äußerungen von Ministerpräsident Kretschmann aus Baden-Württemberg, NRWs Innenminister Herbert Reul oder Justizminister Limbach folgt, vernimmt Befürchtungen einer Überlastung von Justiz und Polizei.
Mittel- bis langfristig ist das jedoch nicht zu erwarten; es offenbart vor allem ein Missverständnis des Gesetzes seitens mancher Politiker, Staatsanwälte und des Richterbundes. Eine Belastung der Justiz resultiert aus der Amnestieregelung: Das Cannabisgesetz sieht für alte Fälle eine solche Regelung vor. Wessen Geldstrafe noch aussteht oder Haftstrafe noch nicht verbüßt wurde, kann darauf hoffen, dass Verfahren nicht nur eingestellt werden, sondern frisch abgeschlossene Verfahren hinfällig und Strafen reduziert werden.
Die Justiz moniert, das Gesetz könne daher nicht in Kraft treten, da Zehntausende Fälle zu bearbeiten wären. Besonders heikel: Es handelt sich um Papierakten. Wegen der seit zwei Jahrzehnten verschleppten Digitalisierung der Strafjustiz müssen tatsächlich Papierakten geprüft werden. Der Richterbund veranschlagt eine Stunde Mehrarbeit pro Fall, die bayerische Justiz etwa zehn Minuten. Bei 200.000 Fällen und 5500 Staatsanwälten in Deutschland wirkt die Aufgabe handhabbar. Je nachdem, ob 10 oder 60 Minuten pro Fall kalkuliert werden, ergeben sich 4200 bis 25.000 Arbeitsstunden. Während NRWs Justizminister ein Gelingen bezweifelt, sieht München darin die Wochenarbeit von etwa 16 Arbeitskräften. Unangenehm zwar, aber im Vergleich zu den bundesweit ca. 180.000 jährlichen konsumnahen Verfahren, die entfallen, scheint der Aufwand durchaus gerechtfertigt.
Aber es kommt deutlich dicker: Denn während Politik und Oberstaatsanwälte der Länder beklagen, die Fristen seien deutlich zu kurz, hört man ganz andere Töne von einigen Staatsanwaltschaften wie bspw. Hamburg, Stuttgart und München. Während Hamburgs Regierung einen Vorstoß zu unterstützen scheint, das Gesetz aufgrund der Amnestieregelung zu verschieben, hört man von der dortigen Staatsanwaltschaft: „Wir wären in der Lage, das Cannabisgesetz zum 1. April umzusetzen“.
Nur, um dann wieder zurückzurudern, das man sich falsch wiedergegeben fühle. Ein absolutes Chaos der Kommunikation, bei dem sich der Beobachter von Außen durchaus fragt, ob das nicht Absicht ist. Der ehemalige BGH Richter Thomas Fischer bringt es in seiner Kolumne auf den Punkt:
„Eine Regel, wonach der Bereich des gesetzlichen Strafbaren stets zunehme, eine kriminologisch gut begründbare Streichung von Strafbarkeiten aber zum »Chaos« sowie zur vollständigen organisatorischen Überforderung des Rechtsstaats führe, erscheint mir nicht wirklich überzeugend.“
NRW-Innenminister Reul ging mit einem Video viral, in dem er behauptet, das Gesetz sei unumsetzbar; er wolle „seine Polizisten nicht mit so einem Scheiß beschäftigen.“ Er behauptet, seine Einsatzkräfte müssten bei jedem Cannabisfund herausfinden, ob es sich um legales Cannabis handele, ständig die Herkunft nachverfolgen und die Pflanzenanzahl überprüfen. Und „ob der eine Oma hat, die auch anbauen darf.“ Aber er irrt sich. Wie auch andere Politiker, Polizeigewerkschaftler oder Staatsanwälte, die von hohem Kontrollaufwand sprechen. Sie scheinen das Gesetz nicht gelesen zu haben, insbesondere nicht mit dem Erläuterungen und Gesetzesbegründungen.
Strafrechtler weisen darauf hin, dass im vom Bundestag bestätigten Entwurf wichtige Änderungen eingefügt wurden: §35a und §36, I 1. a) und b). §35a erlaubt eine sofortige Einstellung durch Staatsanwaltschaft sowie Gericht, wenn die Tat geringfügig ist, kein öffentliches Interesse besteht und im Rahmen des Eigenverbrauchs liegt. Die anderen Absätze mildern die Grenzen von 25 und 50 Gramm. Zwischen 25 und 30 Gramm und zwischen 50 und 60 Gramm liegt eine Ordnungswidrigkeit vor. Konstantin Grubwinkler betont, dies sei von großer Bedeutung.
Denn diese Paragraphen und die Annahme, dass Cannabisbesitz und -konsum legal sind, verändern die Umstände und Anforderungen an einen Anfangsverdacht. Cannabisgeruch rechtfertigt keine Durchsuchung oder Befragung mehr. Hausdurchsuchungen wegen weniger Gramm Cannabis wird es selten geben, und falls doch, werden Gerichte restriktiv entscheiden, wann dies verhältnismäßig ist.
Die Puffergrenze ergänzt das Legalitätsprinzip: Deutsche Polizisten müssen Straftaten verfolgen, können aber bei Ordnungswidrigkeiten Ermessen anwenden. Da Überbesitz zunächst eine Ordnungswidrigkeit ist, muss die Polizei nach einer Rechtsgrundlage für einen Straftatverdacht suchen. Somit entfällt die Belastung für Reuls Polizisten. Cannabisbesitz ist legal, auch aus illegalen Quellen! Eine Überprüfung der Herkunft ist nicht notwendig. Und da Überbesitz eine Ordnungswidrigkeit sein könnte, ist keine polizeiliche Aktion erforderlich. Auch Konsumverbote und Abstandsregeln fallen unter Ordnungswidrigkeiten.
Die Polizei könnte dies dem Ordnungsamt überlassen oder den Konsumenten einfach mündlich verwarnen. In den Gesetzen zu Ordnungsämtern und den Polizeigesetzen wird dies ausdrücklich so geregelt. In NRW beispielsweise verfolgen die Ordnungsbehörden Ordnungswidrigkeiten. Die Polizei ist nur als Vollzugshilfe nach §47 PolG NRW dann zuständig, wenn bei einer Maßnahme unmittelbarer Zwang angewendet werden muss und die anderen Behörden hierzu keine Kräfte haben. Da die Polizei hier Amtshilfe leistet, ist sie eigentlich von vornherein gar nicht zuständig!
Sofern die Justiz- und Innenminister der Polizei und Staatsanwaltschaften keine zusätzliche unnötige Arbeit bescheren wollen, müssen sie das Gesetz nur anwenden wie beschrieben. Auch hier gibt Thomas Fischer in seiner Kolumne als ehemaliger Richter des Bundesgerichtshofs eine klare Einschätzung. Die zusätzliche Arbeit und der Kontrollaufwand, die beschrien werden, sind im Gesetz so weder vorgesehen noch nachvollziehbar. Fischer schreibt:
„Einfacher gesagt: Die Aufgabe der Kontrolle, ob 83 Millionen Bundesbürger tatsächlich nur drei Pflanzen oder nicht etwa vier Pflanzen auf dem Balkon stehen haben, ist exakt genauso schwierig wie die Prüfung, ob sie Null oder eine Pflanze betreuen. Ob die örtlichen Polizeibehörden also sämtliche 25 Millionen Balkone, Wintergärten und Wohnzimmer-Fensterbänke nach einer oder nach vier Cannabispflanzen untersuchen, ist schlicht gleichgültig.
[…]
Dasselbe gilt für die hypothetische Aufgabe, 164 Millionen deutsche Hosentaschen daraufhin zu prüfen, ob sich in ihnen 49 oder 51 Gramm Cannabis befinden. Ein Ermittlungs-Mehraufwand gegenüber der Prüfung von Null und einem Gramm ist nicht ersichtlich.“
Die Probleme sind somit hausgemacht! Ist die Amnestie Regelung abgearbeitet, gibt es eine starke Entlastung. Wenn wir pro Verfahren nur 2 Stunden ansetzen, wären das immerhin 360.000 Stunden Entlastung pro Jahr. Die deutschen Behörden könnten sich da ein Beispiel an den Kanadiern nehmen. Anstatt über mögliche Überlastung zu klagen, startete die Polizei in Toronto eine Kampagne für die Bürger.
Darin hieß es: Weder sich verfahren zu haben, keine Gesprächsminuten mehr zu haben oder sich zu fragen, was man mit seinem gefrorenen Fleisch während eines Stromausfalls anstellen soll, sei ein Grund, die Polizei zu rufen. Genauso wenig sei es einer, wenn ein Erwachsener einen Joint raucht, eine Graspflanze besitzt oder man den Geruch von Cannabis aus dem Haus des Nachbarn riecht. Eine solche Kampagne wäre wohl deutlich sinnvoller, die Überlastung der Polizei zu reduzieren, als sich über das Gesetz selbst zu echauffieren. Denn: Der Besitz, Konsum und Anbau von Cannabis ist ab 01.04. legal.
Obwohl der Bundestag das Cannabisgesetz verabschiedet hat, steht seine Umsetzung noch auf wackeligen Füßen. Der Bundesrat wird das Gesetz am 22.03.2024 diskutieren. Als Einspruchsgesetz konzipiert, können Gegner des Gesetzes durch Anrufung des Vermittlungsausschusses Verzögerungen herbeiführen. Dieser Prozess hat das Potenzial, den Gesetzgebungsprozess nicht nur aufzuschieben, sondern komplett zum Stillstand zu bringen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat bereits hervorgehoben, dass eine andauernde Verzögerung durch den Vermittlungsausschuss das Gesetz ad absurdum führen und effektiv stoppen könnte – eine Möglichkeit, die Kritiker womöglich gezielt nutzen wollen, um eine Neubewertung oder gar eine Aufhebung der Gesetzesänderungen zu erreichen.
Das endgültige Schicksal des Cannabis-Gesetzes hängt somit von den Entscheidungen der Vertreter der Länder ab. Und hier gibt es einigen Gegenwind. In den Beschlussempfehlungen der Ausschüsse findet sich Kritik an den Amnestieregelungen, den Abgabemengen, den Abstandsregelungen und natürlich Geldfragen.
Das Cannabisgesetz kommt. Am 22.03.2024 ist die Sitzung des Bundesrates, die bestimmt, wann es kommt und ob es noch starke Änderungen gibt. Wie sich die Regelungen in der Praxis bewähren, wird sich erst dann feststellen lassen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob es ein Erfolg wird.
Die Nachrichten der (Teil-)Legalisierung haben bereits weltweit Wellen geschlagen. Es lässt sich jedoch festhalten, dass Ängste wie Hoffnungen gleichermaßen überzeichnet sind. Die Welt wird nicht untergehen, wenn Cannabis legalisiert wird. Auch wenn CSUler Klaus Holotschek fordert, das bayrische Abwasser nach Cannabis-Rückständen zu untersuchen, oder bayrische Politiker eine Kontrolleinheit gründen, um den „drohenden Kontrollverlust zu vermeiden.“
Welche Kontrolle er auch immer meint, zu haben. Die Prohibition ist gescheitert. Und obwohl das Gesetz voller Missverständnisse ist, es keine kommerziellen Fachgeschäfte gibt und einen riesigen schmerzhaften Kompromiss darstellt, ist es doch ein erster Schritt.
Artikelbild: canva.com